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Das letzte Lagerfeuer

50 Jahre Tatort und eine Vorschau auf den neusten Schweizer Dreh.

Am 29. November 1970 strahlte die ARD die erste Tator-Folge aus: «Taxi nach Leipzig».  Ein Toter auf einem Rastplatz der Transitautobahn in die DDR. Kalter Krieg, Volkspolizisten, 61 Prozent Einschaltquote. Der Erfolg begann sofort. Die Schweiz beteiligte sich erst ab 1990 an den Produktionen, mit einer Pause zwischen 2001 und 2011. Die Schweizer Tatorte hatten leider oft tiefe Einschaltquoten und nicht die besten Kritiken. Nun versucht SRF einen Neustart. Die Handlung ist statt in Luzern in Zürich angesiedelt, ein weibliches Duo ermittelt.

Interessieren Rückblenden auf die Zürcher Unruhen?

Am kommenden 18. Oktober kommt der erste, 2019 abgedrehte Schweizer Tatort auf die Sender ARD, ORF und SRF. Er heisst: «Züri brännt». Der Titel ist eher Insidern ein Begriff. Er nimmt Bezug auf einen gleichnamigen, systemkritischen Film von 1981. Dabei will der Tatort-Krimi die Opernhauskrawalle von 1980 mit der Gegenwart verbinden und «dem Tatort Tiefenschärfe geben». So zumindest beschreibt Alexandra Kedves das Konzept im Tages-Anzeiger. Wird es eine Art Platzspitz-Baby? Im Film soll eine heutige Staatsanwältin 1980 durch die Flucht vor dem Tränengas fast schon traumatisiert worden sein. Eine blutige Abrechnung mit dem damalige Establishment ist weniger zu erwarten, auch wenn da und dort sicher noch Wut vor jener Staatsgewalt da ist. Aber ob sich vor allem das deutsche Millionenpublikum von so einer lokalen Begebenheit beeindrucken lassen? Strassenschlachten gab es in Frankfurt oder Hamburg Schlimmere.

Euphorie ist anders

Immerhin spielen mit Carole Schuler und mit Anna Pieri Zürcher zwei Frauen die Ermittlerhauptrollen. «Sie haben das Herz am rechten Fleck und eine Kratzbürstigkeit mit Sympathiepotenzial», urteilt Alexandra Kedves. Potenzial ist wichtig. Denn die Schweizer Tatorte kamen in den letzten Jahren selten gut weg. Experimentelle Episoden «Die Musik stirbt zuletzt» von Regisseur Dani Levy bestätigten die Regel.

Alexandra Kedves hat den neuen Tatort schon gesehen. Ihr Urteil: «Nobody’s perfect. Aber man darf auf die kommenden Folgen gespannt sein». Also durchgefallen. Sind es die Erinnerungsclips, mit denen der Film laut «TA» intensiv arbeitet. Ist es der Mehrwert, «dass der Film darunter manchmal schier schlappzumachen droht?».

Das Rezept vom Tatort-Erfinder

Kürzlich hat die Deutsche Presseagentur die 50 Jahre Tatort gewürdigt. Der 2018 verstorbene Tatort-Erfinder Gunther Witte vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) soll folgendes «Rezept» gehabt haben: «Keine Kunstkino-Storys, keine komplizierten Vorschauen und Rückblenden, in den ersten Minuten ein Toter oder eine Tote und dann die Ermittlung: Wer war es – und warum.»

Dieses Rezept verspricht keinen besonders guten Erfolg für «Züri brännt».

Anzunehmen ist, dass SRF die politischen Aussagen schön ausgewogen platziert hat in den Handlungssträngen. Denn alle haben Angst vor neuen Volks-Initiativen, welche SRF beschneiden wollen. Und vor parlamentarischen Vorstössen und öffentlichen Streitereien mindestens so sehr. Schon 2011 wurde laut der «NZZ am Sonntag» eine Schweizer Tatort-Folge überarbeitet. Grund: Nicht die zu komplizierte Geschichte oder der fehlende Lokalkolorit. Sondern eine unsympathische Figur, die ein SVP-Mitglied sein könnte. Laut SRF wurden Szenen geändert, weil man karikierende, überspitzte Politikerdarstellungen vermeiden wollte. Die damals verantwortliche SRF-Kulturchefin: Die heutige SRF-Chefin Nathalie Wappler. A propos karikierend und überspitzt. Im Tagi-Artikel von Alexandra Kedves sagt Urs Fitze, Leiter Fiktion von SRF, man habe im neusten Tatort nicht in erster Linie Realismus gesucht. «Wir wollen dem fiktionalen Erzählen viel Platz geben. Eine lustvolle Überhöhung soll den Tatort aus Zürich prägen».

Wie sich die Zeiten ändern können. Man darf also gespannt sein, wie die Zürcher Unruhen «lustvoll überhöht werden».

Die NZZ hält nichts von Spoilerwarnungen

Wer vor der Ausstrahlung am Sonntag, 18. Oktober, noch unschlüssig ist, ob er zugucken will, kann die Wochenend-Ausgabe der «NZZ» tags zuvor konsultieren. Dort wird jeweils der kommende Tatort in einer ganze Zeitungsspalte besprochen – komischerweise ohne jede Spoilerwarnung.

Auf der Website daserste.de sind übrigens viele Tatortfolgen anzuschauen. Angefangen bei Folge 1 vom 29.11.1970 «Taxi nach Leipzig» bis zu «Howalds Fall» mit Matthias Gnädinger und  Andrea Zogg von 1990. Zudem findet man viel Wissenswertes – zumindest für Tatortfans.