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Expertokratie in den Medien

Experten warnen, drängeln und fordern. Journalisten ebenso.

Die Medien transportieren zu ihrem Lieblingsthema aktuell eine ganze Ladung von professoralem Geschimpfe.

«Sinnloses Zuwarten», sagt Christian Althaus zum Entscheid des Bundesrats, mit drakonischen Massnahmen noch bis nächsten Mittwoch zuzuwarten. Althaus ist Mitglied der Scientific Covid-19 Taskforce, direkt dem Bundesrat unterstellt.

Was Althaus nicht sagt: Er prognostizierte am Anfang der Epidemie bis zu 100’000 Tote in der Schweiz.«Could this situation have been prevented», twittert ein ehemaliges Taskforce-Mitglied in der Schweizer Umgangssprache Englisch. Matthias Egger verweist dabei im Gestus der beleidigten Leberwurst auf frühere «recommendations». Nach der Devise: nicht auf uns gehört, selber schuld.

Der Berner Epidemiologe ist «frustiert», weil man auf ihn nicht gehört habe. Dass er erschöpft nach wenigen Monaten das Handtuch als Chef dieser Taskforce warf, das sagt er nicht.

Fachidioten finden ungefiltert Eingang in die Qualitätsmedien

Althaus, der es wohl immer noch nicht verwunden hat, den Zweikampf um den am häufigsten auftretenden Wissenschaftler gegen Marcel Salathé verloren zu haben, legt noch einen drauf. Da will doch tatsächlich Bundesrätin Keller-Sutter wissen, welche Kosten die einzelnen Lockdown-Varianten verursachen würden. «Ähm, hätte der Bundesrat nicht sechs Monate Zeit, um diese Rechnungen anzustellen», fragt Althaus spitz.

All dieses Gewäffel findet ungefiltert Eingang in die heiligen Hallen der Qualitätsmedien, also von Tamedia und CH Media. Fachidioten ohne die geringste Ahnung von Ökonomie haben den Nerv, weiter strenge Massnahmen gegen Wirtschaft und Gesellschaft zu fordern. Was sie stattdessen in den vergangenen sechs Monaten alles hätten tun sollen, aber nicht wollten oder konnten, geht dabei auf keine Kuhhaut. Geht da noch einer? Aber immer.

Wenn ein Chefredaktor die Regierung in den Senkel stellt

Schliesslich möchte der neue Co-Chefredaktor des «Tages-Anzeiger» mittels eines Kommentars (hinter Bezahlschranke) der Zürcher Regierung mal so richtig den Marsch blasen, diesen Pfeifen.

Mario Stäuble tritt fulminant den Beweis dafür an, dass ein bösartiger Spruch über Journalisten weiterhin gültig ist: zu allem eine Meinung, von nichts eine Ahnung. «Zürich macht viel zu wenig, viel zu spät», poltert er schon im Titel. «Fatales Signal», die Zürcher Regierung nehme «ihre Führungsrolle nicht wahr», «nicht im Stande», «andere Kantone machen vor, was zu tun wäre».

Am Schluss steigert er sich zum Crescendo und entlarvt noch den wahren Grund für die Lahmarschigkeit der Kantonsregierung: «Sollte die Zürcher Regierung aus Rücksicht auf die Wirtschaft darauf verzichten, das zu tun, was für die Spitäler, die besonders gefährdeten Menschen und für uns alle nötig ist, dann irrt er.»

Geballte Fachkompetenz, getragen von Verantwortungsethik

Wer sich fragt, wen er mit dem «er» meint: Habt Nachsicht, seit es faktisch kein Korrektorat mehr gibt … Stäuble meint damit leider nicht sich selbst, sondern die Regierung. Denn es sei doch völlig klar, «dass die ökonomischen Schäden dann am geringsten sind, wenn die Politik früh, entschieden, klar und für alle nachvollziehbar die Corona-Bremse zieht».

Wir sind beeindruckt von so viel geballter Fachkompetenz. Hier spricht ein Epidemiologe, ein Ökonom und auch ein Ethiker. Allerdings kein Verantwortungsethiker, denn für sein dummes Gequatsche und seine untauglichen Forderungen muss Stäuble im Gegensatz zur Kantonsregierung keinerlei Verantwortung übernehmen.

Aber nachdem er sie nach Strich und Faden niedergemacht hat, was soll denn nun mit dieser Ansammlung von verantwortungslosen Zauderern geschehen? Kollektiver Rücktritt? Öffentliche Entschuldigung an Stäuble? Wird er da Gnade vor Recht ergehen lassen, bekommen sie vielleicht wenigstens eine zweite Chance?

Zürcher «Tages-Anzeiger» fordert: Bern muss übernehmen

Nein, da ist der ehemalige Jus-Student gnadenlos: «Die Kantonsregierung ist nicht fähig, in Eigenregie den Anstieg der Infektionen zu brechen. Bern muss übernehmen.» Hier betritt der Naseweiss mutig absolutes Neuland. Es dürfte das erste Mal sein, dass eine Führungskraft des «Tages-Anzeiger» fordert, dass die Bundesregierung zu Bern gefälligst die Vormundschaft über den Kanton Zürich übernehmen soll.

Ob mit oder ohne Waffengewalt, dass lässt Stäuble offen. Um mit seinen Massstäben zu messen: Wie lange sich Stäuble so noch zuoberst bei der Schrumpf-Redaktion des Tagi halten kann, ist die naheliegende Frage. Die Prognose sei gewagt: weniger lang als die Zürcher Kantonsregierung föderalistisch so weiterregiert, wie sie es für richtig hält.

Die grosse Chance für Stäuble könnte allerdings darin bestehen, dass man ihn weder als Chefredaktor noch als Kommentator wirklich ernst nimmt, und daher seine Einsparung nicht als dringlich auf die Agenda gesetzt wird. Denn wen kümmert’s schon, was er kommentiert, kritisiert oder fordert. Da zuckt sogar das Virus gleichgültig mit den Schultern.