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Alles dicht?

Ein Schlag ins Gemächt, äh, Gesicht aller Frauen.

«Die Frauen haben es ja von Zeit zu Zeit auch nicht leicht. Wir Männer aber müssen uns rasieren.» Das wusste schon Kurt Tucholsky. Wer das war? Ach, so ein Macho aus Deutschland.

Aber zum Ernst des Lebens. Also in die Politik. Liliane Minor klagt im «Tages-Anzeiger» an, dass der Zürcher Kantonsrat sich «eine so bemühende wie peinliche Debatte» geleistet habe, «ob Schulen künftig Tampons und Binden zur Verfügung stellen sollten». Jeder aufgeklärte, moderne Mensch – ob Mann, Frau, hybrid, Trans, divers oder Kim – weiss, was die richtige Antwort wäre. Aber: «Am Ende sagte er Nein. Und man blieb ratlos zurück.»

Es ist halt kein Wunder, dass DER Kantonsrat nein sagte. Wieso aber «man» ratlos zurückbleibt? Nun, Minor wagt einige kühne Vergleiche. Schliesslich gebe es auch WC-Papier gratis. Schniefende Mitmenschen wären auch froh um «öffentliche Nastuch-Dispenser (und zur Not WC-Papier)». Logisch. WC-Papier ist (normalerweise) erhältlich, aber: «so braucht jede menstruierende Person mitunter dringend einen Tampon».

ZACKBUM gesteht, dass uns dieses Thema etwas wesensfremd ist; wir haben noch nie einen Tampon gebraucht. Und auf der Rangliste unsympathischer Wörter steht «Damenbinde» weit oben. Wir sind aber bedingungslose Befürworter der Gratis-Abgabe von WC-Papier. Obwohl das beispielsweise Japaner eher gruselig und unhygienisch finden.

Aber wir schweifen ab. Die Forderung nach Gratis-Abgabe von Tampons hat nämlich durchaus ernsthafte Gründe:

«Es geht dabei auch um Hygiene und Gesundheit. Untersuchungen zeigen, dass etwa jede zehnte Frau das Wechseln von Monatsprodukten hinauszögert, sei es aus Kostengründen oder weil sie keinen Ersatz dabeihat. Das erhöht das Risiko von Infektionen.»

Es gibt Frauen, die sich nicht mal das Menstruieren leisten können. Und das in der reichen Schweiz. Den Scherz mit dem Rasieren (und der Gratis-Abgabe von Rasierklingen) weist Minor auch entrüstet zurück: «Ein Bart ist kein Gesundheitsrisiko. Und er kommt auch einfach nicht in den dümmsten Momenten zum Vorschein.» Letzteres stimmt, was sich hingegen in einem ungepflegten Bart neben Essensresten so alles tummelt, das möchte man auch nicht genau wissen.

Aber wir schweifen ab. Gratis-Abgabe von Tampons wäre das Gebot der Stunde. Denn selbst bei den sparsamen Schotten «sind kostenlose Binden und Tampons übrigens seit anderthalb Jahren überall erhältlich». An der Gratis-Abgabe von Whiskey arbeitet man noch.

Nur der (männliche!) Kantonsrat Zürichs ist noch geiziger und spart auf Kosten der Gesundheit der Frauen. Deshalb tropft (Pardon) am Schluss diese Aufforderung aus dem empörten Kommentar: «Was gibt es also zu zweifeln, lieber Kantonsrat? Tut es doch einfach.»

Abgesehen von dem leidigen Stossseufzer nach Niveaukontrolle wirft dieser Tampontext noch weitere Fragen auf. Man will als Mann ja nicht über Dinge schreiben, von denen man keine Ahnung hat. Aber ist es für Frauen wirklich nicht möglich, in ihren meistens geräumigen Taschen einen oder zwei Tampons mit sich zu führen? Anscheinend heisst die Mens ja auch Regelblutung, weil sie normalerweise regelmässig und nicht überfallartig erfolgt. Wer schnieft, trägt Taschentücher bei sich oder kauft sich welche. Ist das bei Tampons nicht möglich?

Und schliesslich: wie steht es da mit der vielgerühmten weiblichen Solidarität? Wenn Not am Mann, Pardon, an der Frau ist, kann da nicht eine Geschlechtsgenossin aushelfen? Oder aber, sollte der Gentleman, der selbstverständlich immer ein Taschentuch dabeihat, zukünftig vielleicht auch einen Tampon für solche Notfälle griffbereit halten?

Aber Minor hat noch ein weiteres Argument auf Lager, wieso in «allen öffentlichen WCs» Tampons gratis zur Verfügung stehen sollten: «Was daran diskriminierend sein soll, ist ein Rätsel. Geburtshilfe ist ja auch nicht diskriminierend, obwohl gemeinhin nur Frauen gebären.» Das ist wahr und gilt auch für Prostata-Operationen.

Allerdings wäre die Liste von Produkten, die gratis abgegeben werden müssten, noch viel länger, aber Frauen denken halt nur an sich. Typisch. Wie steht es eigentlich mit Reinigungstüchern für Brillenträger? Untersuchungen zeigen, dass jeder Zehnte schon mal in einen Baum hineingelaufen ist, weil er durch die verschmierte Brille nichts sah. Gratis-Deos gegen plötzliche Schweissausbrüche? Zahnreinigungs-Kits nach dem Mittagessen? Viagra ab 65? Präservative ohne Altersbeschränkung? Gratis-Tickets für den ÖV? Regenschirme auch bei Sonnenschein? Lieber Kantonsrat, tut endlich was!

Man könnte diesen Unfug unter «selten so gelacht» abbuchen. Allerdings: Minor «unterrichtet am Medienausbildungszentrum Luzern». Abgesehen vom Problem, dass dort keine Gratis-Tampons abgegeben werden: soll man eine dermassen verpeilte Journalistin wirklich auf hoffnungsfrohe Anfänger (Pardon, Anfänger:Innen*) am MAZ loslassen? Mit oder ohne Menstruation, die kriegen doch ein ganz falsches Bild von den Aufgaben des Journalismus …

Quo vadis, Tamedia?

So ist das im Journalismus. In Ruhe die Welt ordnen, und dann klirrt’s im Glashaus.

Es ist nicht gerade alltäglich, dass sich der Zürcher Kantonsrat auf eine fraktionsübergreifende Mitteilung verständigt. SVP/EDU, SP, FDP, GLP, Grüne als gemeinsamer Absender? Aber hallo. Nur die fromme CVP-Mitte und die ebenso fromme EVP zierten sich.

Was ist der Anlass dafür, dass SVP und Grüne, FDP und SP gemeinsam zum Griffel greifen? Der Titel der Mitteilung lässt es schon erahnen: «Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen».

Zu diesem fraktionsübergreifenden Kalauer sah man sich angesichts der Berichterstattung aus dem Hause Tamedia veranlasst. Über Frauendiskriminierung im Kantonsrat? Nein, nicht ganz. Sondern über die Querelen am Unispital Zürich, im Speziellen um die Herzklinik.

Irritierend einseitige Berichterstattung?

Da hat auch der «Tages-Anzeiger» «mit der Veröffentlichung von Missständen unbestrittenermassen wichtige Aufklärungsarbeit geleistet», loben die Fraktionen. Um gleich im Anschluss ein sich akzentuierendes Problem von Tamedia anzusprechen: «Mehr und mehr aber hat die personalisierte, zunehmend einseitige Berichterstattung irritiert.»

Den Ergebnissen des Untersuchungsberichts der «Aufsichtskommission für Bildung und Gesundheit» sei deutlich weniger Platz «als der Verteidigung eigener Thesen» eingeräumt worden. Zudem habe sich der Tagi nicht hinterfragt, ob er sich nicht von einem Whistleblower habe instrumentalisieren lassen. Oder ob er seine Sorgfaltspflicht gegen alle Protagonisten und Institutionen «wahrgenommen hat».

Man rafft sich dann sogar zum kleinen Scherz auf: «Dieser Fall zeigt leider, dass sich Journalistinnen und Journalisten auch sitzend verrennen können.»

Natürlich findet es niemand gut, öffentlich in die Pfanne gehauen zu werden. Aber wenn sich fast alle Parteien im Kantonsrat darauf verständigen, Tamedia dringlich nahezulegen: «Lesen Sie die Erklärung des Schweizer Presserats zu den Pflichten von Journalistinnen und Journalisten und nehmen Sie diese ernst!», dann klirrt es nicht nur im Glashaus Tamedia, sondern wegen des Holzgebälks ist auch noch Feuer im Dach.

Die Liste der Probleme wird länger und länger

Man muss inzwischen von einer Krise sprechen. Schmerzliche Reduktion des Angebots, Krankschrumpfung der Redaktion. Einheitssauce, die sich aus Zürich über alle Kopfblätter von Basel bis Bern und anderswo ergiesst. Aushungern der Lokalredaktionen, die gebrochenen Versprechen in Bern, der dividendengetriebene Kurs des Managements, das durch unzählige Profitcenter den Gewinn optimiert.

Eine zunehmende Tendenz, nicht nur in diesem Fall, parteilich in eigener Sache zu werden, sich auf einzelne Personen einzuschiessen. Erinnert sei an den Fall Jean-Claude Bastos. Der Geschäftsmann wurde aufgrund von gestohlenen Geschäftsunterlagen an den Pranger gestellt und ruiniert. Anschliessend stellte sich heraus, dass kein einziger der vielen Vorwürfe vor Gericht Bestand hatte.

Schliesslich ist es den kommentierenden Journalisten deutlich anzumerken, dass Existenzängste, der Bedeutungsverlust der Printmedien, der eigene Bedeutungsverlust zunehmend zu arroganter Rechthaberei führen. Der zurechtweisende, fordernde, Zensuren verteilende, besserwisserische Kommentar wird immer häufiger als Zufluchtsort missbraucht, als Möglichkeit, sich Pseudobedeutung zu verschaffen.

Anfüttern lassen statt eigene Recherche

Eigene Recherche wird – mangels Ressourcen – immer häufiger durch die Verwendung von angefüttertem Material ersetzt. Ein Whistleblower im Fall Unispital, interessierte Kreise im Fall Vincenz, die Teilnahme am Ausschlachten von Hehlerware, euphemistisch als Leaks oder Papers bezeichnet. Dramatische Fehleinschätzungen wie bei den vorletzten Präsidentschaftswahlen in den USA, Konzernjournalismus, fehlende Selbstkritik, zunehmender Gesinnungsjournalismus, abnehmende Funktion als Plattform für freie Meinungsbildung. Schliesslich die kritikfreie und wirtschaftlich getriebene Übernahme von immer mehr Artikeln aus der «Süddeutschen Zeitung», faktisch die gesamte Auslandberichterstattung wird aus München angeliefert.

Die Liste wird immer länger. Dazu noch der Protest von 78 Mitarbeiterinnen über frauenfeindliche Arbeitsbedingungen. Nun auch noch fast der gesamte Kantonsrat, der in seltener Einmütigkeit dem «Tages-Anzeiger» die Kappe wäscht, wie man es so noch nie gesehen hat.

Zeit für energische Massnahmen

Werdstrasse, ihr habt ein Problem. Nicht zuletzt Eure Selbstgerechtigkeit fällt Euch jetzt auf die Füsse. Ihr habt so viele Probleme gleichzeitig, unterfüttert mit einem garstigen wirtschaftlichen Umfeld, dass es mit beruhigenden Geräuschen und den üblichen Ankündigungen der Besserung, der Veränderung, der Neuorientierung nicht getan ist. Denn auch hier stinkt der Fisch vom Kopf. Wer sich all diese Kritik anhören muss, wer zudem als Co-Chefredaktoren von der eigenen Belegschaft so angerempelt wird, nachdem sie schon ins zweite Glied zurückgestossen wurden, die müssen gehen. Zweifellos.

Aber zuerst beschwichtigen

So sieht das Hissen der weissen Flagge mit Buchstaben aus.

Nach einer Denkpause haben Priska Amstutz und Arthur Rutishauser beschlossen, sich «in eigener Sache» zu Wort zu melden. Von allen denkbaren Varianten haben sie sich für das gesenkte Haupt und den blinden Glauben an den Wahrheitsgehalt der Behauptungen im Protestschreiben entschieden: «Wir haben diese Schilderungen mit grosser Betroffenheit gelesen. Zahlreiche erwähnte Beispiele sind nicht akzeptabel. Jegliche Art von Belästigung und Diskriminierung wollen wir nicht tolerieren.»

Es ist berührend und beelendend zugleich, wie hier die Leitungsebene von Tamedia einknickt und sich Asche aufs Haupt streut. Dabei ist bislang keine einzige dieser anonymen Schilderungen verifiziert worden. Dabei gibt es genügend Gegenmeinungen und bedeutende Mitarbeiterinnen, die sich dem hier entstandenen Gruppendruck nicht gebeugt haben. Dazu bald mehr.