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Peinlicher Selbstdarsteller

Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten.

Eine Professur ist eine schöne Sache. Ein Interview in der NZZaS ist eine schöne Sache, auch wenn dabei die Qualitätskontrolle versagt hat: solch aufgeblasener Mumpitz hätte niemals in diesem Qualitätsorgan erscheinen dürfen.

Besonders wichtig für die Imagepflege ist auch ein Eintrag auf Wikipedia. Hier sorgt (meistens) Schwarmintelligenz dafür, dass dieses Internetlexikon möglichst akkurat über Begriffe und Menschen informiert. Wird da Unfug getrieben, gibt es Korrektur- und Selbstheilungsmechanismen. Eitle Menschen fummeln auch schon mal gerne selber an ihrem Eintrag herum; dabei wurde schon Roger Köppel erwischt. Denn was eitle, aber vielleicht nicht besonders helle Menschen nicht wissen oder nicht beachten: die Historie, welche Autoren wie viel am Eintrag geschrieben haben, wird von Wikipedia ausgewiesen.

Intelligentere Selbstbespiegler verwenden wenigstens ein oder zwei oder drei Pseudonyme, VPN oder verschiedene IP-Adressen.

Der Eintrag über Vinzenz Wyss ist recht umfangreich. Sehr umfangreich, sozusagen gepimpt im Verhältnis zu den doch bescheidenen Spuren, die der Professor in Lehre, Forschung und Publizistik hinterlassen hat. Aber es kommt schön geschwollen daher:

«Vinzenz Wyss hat im Rahmen seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit ein Journalismuskonzept entwickelt, das sich stark an der systemtheoretischen Perspektive von Niklas Luhmann orientiert (Soziologische Systemtheorie).»

Luhmann, Systemtheorie, das kommt immer gut, man vermisst allerdings schmerzlich den herrschaftsfreien Diskurs nach Jürgen Habermas, ein Sprutz Derida könnte auch nicht schaden. Aber gut, kann ja noch werden. Allerdings gibt es auch diesen Warnhinweis von Wikipedia: «Dieser Artikel oder nachfolgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen (beispielsweise Einzelnachweisen) ausgestattet. Angaben ohne ausreichenden Beleg könnten demnächst entfernt werden.»

Nun sieht es aber bei der Autorschaft des gewaltigen Werks (fast 10’000 A) so aus:

Oder wer die Peinlichkeit lieber in Kuchenform anschauen will:

Ein gewisser «Vwyss» hat fast 50 Prozent des Textes abgeliefert. Es ist bei einem Lebenslauf durchaus üblich, dass 100 Prozent vom Beschriebenen selbst stammen. Bei einem Lexikoneintrag ist das aber sehr, sehr unüblich. Zudem ist es für einen Wissenschaftler doch mehr als peinlich, wenn Wikipedia warnend darauf hinweist, dass der Artikel nicht mit genügend Belegen ausgestattet sei und demnächst gelöscht werden könnte.

In solchen Fällen dürfte Professor Wyss bei einem seiner Studenten doch streng ein «ungenügend» als Note geben. Natürlich haben wir dem Medienspezialisten die Gelegenheit gegeben, zu diesen Merkwürdigkeiten und Peinlichkeiten Stellung zu nehmen. Das tat er ausführlich. In solchen Fällen hält es ZACKBUM für angebracht, die Leser über die Fragen wie auch die Antworten in voller Länge zu informieren.

1. Bei Ihrem umfangreichen Eintrag auf Wikipedia ist ein gewisser Vwyss als Autor von fast 50 Prozent des Eintrags aufgeführt. Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich dabei um Sie selbst handelt?
2. Halten Sie es für seriös und sinnvoll, den Eintrag über sich selbst zur Hälfte gleich selbst zu betexten?
3. Gleichzeitig weist Wikipedia in einem Warnhinweis darauf hin, dass der Artikel nicht mit genügend Belegen ausgestattet sei. Ist das für einen Wissenschaftler nicht etwas peinlich?
«1. Ja
2. Ja
3. Nein
Schon die Tatsache, dass Sie nicht erkennen können, wer den Eintrag 2009 erfasst hat verdeutlicht, dass Wikipedia für Wissenschaftler unbrauchbar ist. Wir wissen bei Ihrem Eintrag ja auch nicht, wer KurtR ist. Es taugt im besten Fall zur Selbstdarstellung. Die Fremddarstellungen sind in meinem Fall sogar zum Teil falsch; ich sehe aber beim Abwägen von Kosten/Nutzen den Vorteil einer Intervention meinerseits nicht. Dies betrifft auch den Hinweis, dass da zu wenig Belege aufgeführt sind: das ist ja in der Regel der Fall. Ausserdem kann ihnen heute jede AI Recherche über Copilot die Quellen subito liefern. Wozu dann Wikipedia? Lustig finde ich, dass der Hinweis zur Streichung aufgrund mangelnder Belege seit vielen, vielen Jahren da steht. Ich warte eigentlich darauf, dass dass a) jemand mit viel Zeit ergänzt oder b) jemand mit viel Zeit streicht. Aber offenbar nimmt sich nicht mal der Hinweisgeber ernst. Ausserdem lade ich alle und insbesondere Sie dazu ein, den Eintrag zu ergänzen. Ich dachte mal, dies sei die Idee von Wikipedia. Aber bitte nicht fehlerhaft, denn davon gibt es schon genug auf der Plattform. 
Würden Sie mir als Journalist raten, meinen Eintrag zu überarbeiten? Das könnte ich natürlich mal tun. Ich empfehle Ihnen aber, direkt mit mir Kontakt aufzunehmen, das KI Tool Copilot zu fragen oder halt zu googlen und die Qualität der Quellen selber einzuschätzen und jeweils darauf zu verweisen. Wikipedia eignet sich mE  nicht mal für eine journalistische Recherche; drum spielt die Plattform auch in der Wissenschaft keine Rolle. »

Wikipedia-Politik

Wer verfasst sie und was steht in den Wikipedia-Artikeln der Schweizer Politiker?

Eigentlich wäre das eine naheliegende Aufgabe für die wenigen verbliebenen Recherche-Journis der wenigen verbliebenen Medienhäuser.

Transparenz schaffen zur Selbstdarstellung Schweizer Politiker auf Wikipedia. Denn als Erstquelle ist das Online-Lexikon für viele unverzichtbar. Das wissen natürlich auch Politiker.

Wer verfasst, korrigiert deren Einträge? Was steht drin, was nicht? Das Recherche-Team von Reflekt hat alle 253 Artikel der Parlamentarier und Bundesräte unter die Lupe genommen.

Hier zeigen ein paar wenige Journalisten mit Pfupf, was immer noch möglich ist. Wenn man sich nicht vornehmlich mit dem eigenen Bauchnabel, dem eigenen Leiden und Genderfragen befasst.

Oder den zuvielten Meinungskommentar über Covid-19 absondert.

Stattdessen pickelharte Recherche, gute Aufbereitung und internettaugliche Darstellung.

Da wir in der Schweiz sind, kamen keine grosse Skandale zum Vorschein. Aber genügend kleine.

ZACKBUM geht vorweihnachtlich gestimmt soweit zu sagen: falls Sie schon für uns gespendet haben, wäre Reflekt eine gute zweite Wahl. Zumindest viel besser als für ein anderes Erzeugnis, das auch mit R beginnt …

Wikipedia: Die Welt der pickligen Nerd-Götter

Wikipedia ist auch ein Hort der Willkür.

Die «TagesWoche» gab es rund sieben Jahre lang. Das ist eigentlich eine erstaunlich lange Zeit für eine Zeitung, deren einzige Existenzberechtigung ein «wir sind dagegen» war. Gegen die bösen Blocher-Medien. Gegen die betriebswirtschaftlich gerechtfertigte Führung einer Tageszeitung in Basel, die zuvor vor dem Aus stand. Das war das ganze Programm der TagesWoche. Das reichte immerhin bis zum bitteren Ende 2018.

Die TagesWoche hat einen Eintrag auf Wikipedia.

Ganz knapp erreichte das Pendlerblatt NEWS die Zwei-Jahresmarke. In dieser Zeit schaffte das Blatt einiges: Es wurde täglich an Knotenpunkten des öffentlichen Lebens und eigens dafür bereitgestellten Boxen zur Verfügung gestellt. Die Zeitung schaffte auch einiges nicht: sie war an keinem einzigen Tag auch nur für den Hauch von gesellschaftlicher Relevanz zuständig. Eine Schleuder von Agenturmeldungen ist vermutlich noch die freundlichste Umschreibung. Niemand las die Zeitung, niemand wollte sie wirklich.

NEWS hat einen Eintrag auf Wikipedia.

Praktisch reine Willkür

Die Liste könnte beliebig weitergeführt werden. Wikipedia ist eine Art Chronik des Lebens, auch des Lebens, das längst Geschichte ist, und es ist nichts zu sagen gegen diese Einträge, die uns helfen, die Vergangenheit einzuordnen. Aber kennt jemand die Kriterien, die dafür sorgen, dass man in diesen erlauchten Kreis aufgenommen wird? Ob tot oder lebendig? Theoretisch gibt es sie. Aber in der praktischen Anwendung sind sie vor allem eines: reine Willkür.

Wir – sprich: Die Medienmarke «Die Ostschweiz» – kann davon ein Lied singen. Wir werden systematisch von Wikipedia ausgesperrt. Die Nutzer der Wissensplattform dürfen auf keinen Fall erfahren, dass es uns gibt. Weshalb auch immer.

Es gibt «Die Ostschweiz» auf Wikipedia. Es ist ein sehr kurzer Abgesang auf die gedruckte Tageszeitung, die Ende 1997 eingestellt wurde. Nachdem wir die Marke im April 2018 wiederbelebt hatten, beantragten wir eine Ergänzung des Eintrags. Mit der banalen Information, dass rund 20 Jahre nach dem Ende von «Die Ostschweiz» der Traditionsname in neuer Form wiederaufersteht. Sprich: Wir wollten nicht mal einen eigenen Eintrag. Es hätte uns gereicht, wenn der bisherige ergänzt worden wäre. Das Begehren wurde abgelehnt: Wikipedia-Einträge, so lernten wir, dürfen sich nur immer um eine bestimmte Sache drehen und nicht um eine Art Neuauflage. Da die neue «Die Ostschweiz» rein formal mit der alten nichts zu tun hat, darf der Eintrag nicht mit der neuen Situation vermengt werden.

Gut, kann man akzeptieren. Auch wenn die Realität eine andere Sprache spricht, denn es gibt Millionen von Artikeln auf Wikipedia, in denen es um X geht und plötzlich die Rede von Y ist, aber was solls: Wir waren verständnisvoll und beantragten stattdessen einen ganz neuen Eintrag unter dem Titel: «Die Ostschweiz (Onlinezeitung)». Denn, so unsere naive Überzeugung, wir hatten ja etwas erschaffen, das Teil der Wirklichkeit war, und davon durfte und sollte man auch auf Wikipedia lesen.

Was heisst schon relevant?

Nein. Durfte und sollte man nicht. Auch dieser Versuch fand keine Gnade, der Entwurfseintrag wurde gelöscht. Einer der Wikipedia-Götter schrieb als Begründung kurz und knapp: «Relevanz?»

Ach. Relevanz. Relevanz? Seit zweieinhalb Jahren informieren wir jeden Monat rund 150’000 Leserinnen und Leser in der Ostschweiz über das, was die Region bewegt. Das ist offensichtlich nicht relevant. Um bedeutend genug zu sein für Wikipedia, hätten wir wie die TagesWoche Millionen einer reichen Erbin an die Wand fahren und nach einigen Jahren eingehen müssen – dann hätte es vermutlich gereicht. Wir haben definitiv was falsch gemacht: Uns gibt es immer noch, und wir stehen dank eines motivierten Aktionariats finanziell gesund da. Wenn etwas funktioniert, ist es nicht relevant. Offenbar ist das basisdemokratisch geführte Wikipedia zutiefst sozialistisch angehaucht und mag nur, was nicht rentiert, anders lässt sich das nicht erklären.

Relevanz? Wären wir doch nur das «Pöschtli», eine in Thusis herausgegebene Wochenzeitung. Die erreicht zwar nur einen Bruchteil unserer Leserschaft, aber offenbar ist sie im Gegensatz zu uns wichtig genug. Warum? Vielleicht, weil hin und wieder Artikel auf Rätoromanisch erscheinen. Das hilft immer in der Schweiz, aber damit können wir beim besten Willen nicht dienen. Nichts gegen das «Pöschtli», wirklich, aber kennt irgendjemand ausserhalb von Thusis diese Publikation?

Sicher auch nicht schlecht wäre es, wenn wir die jüdische Gemeinde in der Schweiz ansprechen würden. Denn «Tachles», das jeden Monat 7000 Leserinnen und Leser bedient, ist auch eines Wikipediaeintrags würdig. Nein, ich habe nichts gegen Juden, um dem zu erwartenden Aufschrei vorauszukommen, aber: Das ist relevant, und wir sind es nicht?

Pickel müsste man haben

Relevanz? Wer definiert die? Bei Wikipedia sind es einige Nerds, die vermutlich noch bei den Eltern wohnen, seit 15 Semestern «studieren» und vom Keller aus Beiträge bearbeiten in Ermangelung eines anderen Hobbys. Beziehungsweise sie gutheissen oder ablehnen. Wir stellen sie uns so vor: Fettige Haare, Pickel, eine Nickelbrille, ein seit längerem nicht gewaschenes T-Shirt mit dem Aufdruck einer amerikanischen Universität – und ein grenzenloses Sendungsbewusstsein. Die Leute, die über Relevanz entscheiden, sind vermutlich selbst die fleischgewordene Irrelevanz.

Nein, wir gehen nicht unter, wenn man uns auf Wikipedia nicht findet. Aber Journalisten haben – jedenfalls, wenn sie den Namen verdienen – ein ausgeprägtes Empfinden für Ungerechtigkeiten. Und es gibt beim besten Willen keinen Grund dafür, warum zugrunde gegangene, rein politisch motivierte Titel oder Nischenmedien unter Ausschluss einer breiten Öffentlichkeit auf Wikipedia sagen dürfen, dass sie existieren (oder existiert haben), aber ein prosperierendes Regionalmedium nicht.

Fazit: Pickel müsste man haben.

Von Stefan Millius, Chefredaktor «Die Ostschweiz».

Packungsbeilage: Der ZACKBUM.ch-Redaktor René Zeyer publiziert in «Die Ostschweiz».