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Verfassungsfeind Kissling

Darf jetzt bei Tamedia jeder alles?

Der Gastkommentator Hans Kissling «ist Volkswirtschaftler und ehemaliger Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich», klärt der Tagi den Leser auf. Das heisst, er lag als Staatsangestellter dem Steuerzahler auf der Tasche. Vielleicht dürfte man von Beamten eine gewisse Verfassungs- und Gesetzestreue erwarten.

Aber nicht von Kissling. Der behauptet, es gäbe eine «unheilige Allianz», die «verhindert, dass die Schweiz der Ukraine die benötigten Waffen liefert». Und er fordert ultimativ: «Das muss sich 2024 ändern

Nun gibt es in der Schweiz auf der einen Seite die Meinungsfreiheit, genauer: «Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten.» Davon macht Kissling ungehemmt Gebrauch. Das darf er, denn jeder hat das Recht, sich öffentlich zum Deppen zu machen.

Aber das ist nur die Einleitung zu seinem happigen Vorwurf. Denn die USA und die EU lieferten «dringend benötigte Waffen im Umfang von Dutzenden von Milliarden Franken». Womit es allerdings zurzeit ziemlich harzt, was der Statistiker unterschlägt. Dann versteht Kissling die Präambel der Bundesverfassung falsch, dort stehe, dass es darum gehe, «Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken». Allerdings lässt Kissling die Einleitung dazu weg: «im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie …» Was für ein Verfassungsfreund.

Aber nun geht’s erst richtig los. Hier praktiziere die Schweiz «keine Solidarität». Wozu genau missbraucht Kissling diesen Begriff? Die Schweiz sei unsolidarisch, weil sie keine Waffen liefere und das «mit dem Kriegsmaterialgesetz» begründe, «welches vorschreibt, dass keine Rüstungsgüter an kriegsführende Länder geliefert werden dürfen». Ganz falsch, donnert Verfassungsexperte Kissling, «dabei führt die Ukraine keinen Krieg gegen Russland, sondern verteidigt sich gegen einen Aggressor».

Vielleicht sollte Kissling mal das Schweizer Kriegsmaterialgesetz studieren, bevor er solchen Unfug verzapft. Vielleicht sollte Demokrat Kissling zur Kenntnis nehmen, dass das Schweizer Parlament ausdrücklich Sonderregeln für die Ukraine, also eine Lockerung, abgelehnt hat.

Wir empfehlen ihm insbesondere die Lektüre von Art. 22a sowie der Bestimmungen, die eine Wiederausfuhr verbieten, weil sonst Exportrestriktionen kinderleicht ausgehebelt werden könnten. Entscheidend ist schlichtweg das Hindernis, dass Kriegsmaterialexporte nicht bewilligt werden, wenn «das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist». Was bei der Ukraine einwandfrei der Fall ist, wie jeder versteht, der lesen kann.

Nun führt Kissling das Beispiel von Waffenlieferungen an Saudiarabien an, «welches in den Jemen-Konflikt verwickelt ist». Das ist tatsächlich fragwürdig, aber Kissling als gesetzestreuer Ex-Staatsdiener sollte vielleicht wissen, dass man einen Gesetzesverstoss nicht mit einem anderen legitimieren kann. So nach der Devise: es gibt doch noch mehr Ladendiebe, also darf ich auch klauen.

Aber damit ist Verfassungsfeind Kissling noch nicht am Ende: «Geradezu grotesk ist der Umstand, dass die Schweiz europäischen Staaten die Lieferung von in der Schweiz gekauften Waffen in die Ukraine verbietet. Die meisten europäischen Staaten zeigen wenig Verständnis für die unfaire Schweizer Haltung.»

Für ihn ist also die Einhaltung geltender Schweizer Gesetze «grotesk». Das sei eine «unfaire Haltung», die zudem bei europäischen Staaten auf «wenig Verständnis» stosse. Die Einhaltung Schweizer Gesetze ist also zudem «unfair». Deutschland hat fast identische Rüstungsexportgesetze wie die Schweiz, pfeift aber im Fall der Ukraine darauf. Und an Saudiarabien werden wohl weiterhin Starfighter geliefert. Ist das vielleicht «fair» und nicht grotesk?

In was für einem Rechtstaat möchte Kissling lieber leben? In einem, der sich wie die Schweiz an seine Gesetze hält – oder in einem, der sich wie Deutschland darum futiert? Wer ist seiner Meinung nach daran schuld, dass sich «bisher weder der Bundesrat noch das Parlament in Richtung Unterstützung der defensiven Wehrbereitschaft der Ukraine bewegen»? «Eine unheilige Allianz», setzt sich Kissling noch einen Heiligenschein auf: «Das linksgrüne Lager will die Rüstungsindustrie so klein wie möglich halten oder sogar abschaffen, die Rechtskonservativen haben die Neutralität zum Staatszweck der Schweiz verklärt

Sieht Kissling wenigstens kleine Hoffnungszeichen? Nicht bei der SVP: «Da herrscht zu viel offene und heimliche Bewunderung für das despotische Regime in Russland.» Eine solche Denunziation müsste eigentlich mit ein, zwei Belegen untermauert werden. Aber doch nicht von einem Statistiker. Der setzt seine Hoffnung auf das «linksgrüne Lager», das mit Helfershelfern «den Weg frei macht für die Lieferung von lebensrettenden Flugabwehrsystemen».

«Weg frei machen»? Wie sollte das gehen? Das ginge nur durch eine entsprechende Gesetzesänderung, die das Parlament bereits abgelehnt hat. Oder es ginge mit Willkür und Bruch geltender Gesetze. Diese insinuierte Forderung traut sich Verfassungsfeind Kissling nicht offen auszusprechen.

PS: Diese Replik wurde leicht entschärft bei der liberalen Plattform «Tages-Anzeiger» eingereicht, die als Quasi-Monopolmedium um ihre Verantwortung weiss, verschiedene Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Der zuständige Redaktor Fabian Renz wollte eine enteierte und gekürzte Version. Er bekam und veröffentlichte sie, was erstaunt und  für ihn spricht.

Verfassungsfeindlich: Der wohlig erwärmte Frosch

KenFM wird zum «Verdachtsfall» des Berliner Verfassungsschutzes. Recht so für diesen Rechten?

Deutschland hat bis heute keine rechte Verfassung. Ihre Ausarbeitung sollte erst nach der Wiedervereinigung an die Hand genommen werden. Wiedervereinigt ist Deutschland seit 1990; also wurde mal das Grundgesetz kurzerhand zur Verfassung erklärt. Obwohl das nur ein Provisorium sein sollte.

Über dem Grundgesetz wacht der Verfassungsschutz. Über den Verfassungsschutz wacht die Politik. Das wurde dem damaligen Präsidenten Hans-Georg Maassen zum Verhängnis. Nach der Ermordung eines deutsch-kubanischen Doppelbürgers in Chemnitz machte ein Video die Runde im Internet, das angeblich Beleg für «Hetzjagden» von Rechtsradikalen auf Ausländer sein sollte.

Maassen bezweifelte diese Interpretation nachdrücklich, obwohl sich die Bundesregierung bereits darauf festgelegt hatte. Resultat: Maassen war seinen Job los, gilt seither als des Rechtsradikalismus verdächtig – und hatte völlig recht. Recherchen führten zur Autorin des Videos, die versicherte, dass es sich keinesfalls um eine Hetzjagd gehandelt habe, sondern eine Reaktion auf die Provokation von Asylsuchenden während eines Trauermarschs.

Wen schützt nun der Verfassungsschutz?

Wen oder was der Verfassungsschutz schützt, ist also Interpretationssache. Angesichts der besonderen Geschichte Deutschlands im letzten Jahrhundert ist immer noch eine hohe Sensibilität vorhanden, wenn es um mögliche «Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung» geht, wie das so schön heisst. Die kann von rechten Hetzern oder von linken ausgehen.

Der erste Schritt ist, dass eine solche Gruppe von Gefährdern unter «Beobachtung» gestellt wird. Das geschah schon Teilen der AfD, was eher grenzwertig ist, weil die demokratisch gewählt die grösste Oppositionspartei im Bundestag ist.

Nun hat es KenFM getroffen. Das ist eine durchaus schräge Plattform im Internet, gegründet und betrieben von Ken Jebsen. Jebsen war lange Jahre bei staatlichen Funkanstalten angestellt, bis er sich selbständig machte. Es gibt auch – bevor das jemand als Wahnsinnsfund raustrompetet – einige Interviews mit mir auf KenFM. Selbstverständlich sind weder die Fragen, noch die Antworten verfassungsfeindlich.

Plattform für steile Thesen

Im Zusammenhang mit Corona und anderen Entwicklungen ist allerdings nicht abzustreiten, dass Jebsen gelegentlich zu absonderlichen Theorien neigt und seine Plattform auch Autoren öffnet, die ziemlich steile Thesen vertreten. Zum Beispiel über die erzwungene Landung einer Ryanair-Maschine in Weissrussland zwecks Behändigung eines an Bord befindlichen Oppositionellen: «Es gibt weitere Indizien, dass dieser Coup geplant abgelaufen ist und der Kapitän der Ryan-Air eingeweiht, Teil der Aktion, war.»

Gemeint ist hier, dass der Westen eine völlig legitime Aktion Weissrusslands zum Vorwand nehme, um das Land und seinen Diktator mit Sanktionen zu bestrafen.

Könnte man so sehen, allerdings wären ein paar Beweise, Belege, Indizien nicht schlecht. Sonst sind das halt verschwörungstheoretische Ausfälle ohne grosse Bedeutung. Ausser, man sieht dahinter das gefährliche «Schüren von Verschwörungsmythen», mit dem die Szene der «Querdenker» weiter radikalisiert werde.

Bis zu den «Corona-Demonstrationen» ist es nicht mehr weit. Neben friedlichen Gegnern der Corona-Massnahmen würden «sich auch solche Menschen sammeln, die nicht dem herkömmlichen Bild des Rechtsextremismus entsprechen, aber dennoch dem Staat seine Legitimation absprechen würden und im äußersten Fall auch zur Anwendung von Gewalt bereit seien, behauptet der Verfassungsschutz».

Erfindet dafür gleich ein typisch deutsches Wortmonster:

«verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates».

So lautet nun auch der Vorwurf gegen KenFM.

Dem war zuvor schon der Facebook-Account gesperrt worden, wegen «Verbreitens medizinischer Desinformation». Das passierte auch schon dem Blog «achgut.de», auf dem unter anderen Henrik M. Broder publiziert.

Kleingeld oder wirklich höchstgefährlich?

Ist das Pipifax, im Vergleich zu China oder all den vielen Diktaturen auf der Welt? Nein, es ist brandgefährlich. Man könnte es mit dem gerne zitierten Frosch-Beispiel illustrieren. Wirft man einen Frosch in heisses Wasser, tut er alles, um zu entkommen. Setzt man ihn aber in erträglich lauwarmes Wasser und erhitzt das langsam, merkt er das nicht und stirbt.

Die schöne Geschichte mit beliebig vielen Interpretationsmöglichkeiten in der Wirklichkeit hat nur einen Fehler: sie stimmt nicht. Ist Quatsch. Unsinn. Urban legend. Aber – vielleicht ausser für Frösche – völlig harmlos. So wie die meisten Verschwörungstheorien auch. Überhaupt nicht harmlos ist der Begriff «Delegitimierung des Staates». Da es ihn vorher nicht gab, kann er als Allzweckwaffe überall eingesetzt werden.

Zu Beispiel gegen KenFM. Jebsen sei, so murmeln die Verschwörungstheoretiker um Georg Mascolo bei der «Süddeutschen», ein «wirkmächtiger Verbreiter von Verschwörungsmythen. Verfassungsschützer auch aus anderen Bundesländern sehen ihn so».

Meiner Treu, und ich hielt Jebsen für einen wachen, umtriebigen, neugierigen Journalisten, der sich auf Interviews gut vorbereitet, Platz für Antworten lässt, aber mit kritischen Fragen auch Distanz hält. Also schon mal handwerklich den 78 Verschwörungstheoretikerinnen und ihren sich präventiv entschuldigenden männlichen Kollegen bei Tamedia (oder bei CH Media, oder bei Ringier) haushoch überlegen.

Es mag ja sein, dass er sich etwas verrannt hat; ich habe sein Wirken nicht mehr aufmerksam verfolgt. Aber dass hier von den Mainstream-Medien wieder unkritisch der Talk einer politisch instrumentalisierten Behörde übernommen wird, bislang kein Schreibzwerg auf die Idee kam, mal zu fragen, was einer Behörde eigentlich einfällt, neue Begrifflichkeiten zu erfinden, das ist einfach ärmlich. Passt aber ins Bild.

Jeder darf Zensor spielen – vorausgesetzt, er ist mächtig

Private Unternehmen wie Facebook dürfen entscheiden, was sie für akzeptabel oder für verboten halten. Irgendwelche US-Multimilliardäre dürfen entscheiden, wann eine nackte weibliche Brust ein Kunstwerk (meistens erlaubt), wann obszön ist (sofort verboten).

Mit der Medizin-Keule werden kritische Stimmen zur desaströsen Corona-Politik mit ihren unabsehbaren finanziellen Folgen stumm geschaltet. Nein, es gibt meiner Kenntnis nach keine geheime Weltregierung, die sich bei Bilderberg oder in der Romandie zu Geheimtreffen einfindet, schwarze Helikopter ausschickt, die Pandemie ausgelöst hat und zur Erringung der totalen Kontrolle wie in Orwells «1984» benützt.

«Tatvorwurf: Desinformation», titelt die SZ. Diversant, hiess das im kommunistischen Sprachgebrauch, Volkszersetzer im faschistischen, subversive Wühlerei im «Zivilverteidigungsbüchlein» der Schweiz.

Die Worte wechseln, die Absicht bleibt die gleiche: Zensur, Unterdrückung abweichender Meinungen, der Ersatz des Arguments durch die Keule. Diese finstere Absicht wird immer getarnt und verkleidet dargeboten; man wolle nur das Beste, Schlimmeres verhindern, die arme Öffentlichkeit vor üblen Gesellen und gefährlichen Gedanken bewahren, schützen.

 

Es ist immer das gleiche böse Spiel. Diejenigen, die angeblich die Meinungsfreiheit und die offene Gesellschaft mit solchen Mitteln schützen wollen, sind in Wirklichkeit ihre schlimmsten Feinde.