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Klag dir eins

Die juristische Keule gegen den Journalismus.

Gerade haben wir den eigentlich witzigen Fall, dass eine Bank sich durch Artikel und Kommentare auf «Inside Paradeplatz» in ihrer Persönlichkeit verletzt sieht. Das sei in 29 Artikeln und in 287 Kommentaren erfolgt, behauptet die Zivilklage. Ihr ging eine Strafanzeige in der gleichen Sache voraus.

Alleine die Zivilklage umfasst 265 Seiten. Da in einem Zivilprozess jeder einzelne Klagepunkt kommentiert und widerlegt werden muss, sonst gilt er als eingestanden, bedeutet das entsprechenden Aufwand für IP. Und genau das dürfte die Absicht der Bank gewesen sein. Schutz der Mitarbeiter oder die Forderung nach Gerechtigkeit wirken hingegen lächerlich und als vorgeschobene Gründe, um einen unliebsamen Kritiker finanziell fertig zu machen.

Witzig an diesem Fall ist, dass die kritisierte Bank inzwischen faktisch aufgehört hat zu existieren, denn es handelt sich um die Credit Suisse. Damit stellt sich die Frage, ob auch die UBS nichts Besseres zu tun hat, als diese Klage weiterzuverfolgen. Vielleicht wäre es mit der CS nicht so weit gekommen, wenn sie sich statt um solchen Pipifax um wirklich wichtige Dinge gekümmert hätte.

Auf jeden Fall ist hier Licht am Ende des Tunnels für Lukas Hässig, der zugegebenermassen einen scharfen Reifen in seinen Artikeln fährt. Und in den Kommentaren vielen gefrusteten Bankern Gelegenheit gibt, unter Pseudonym abzulästern – statt was Sinnvolles für ihre Bank zu tun.

Aber während diese Klage möglicherweise mitsamt der CS beerdigt wird, ist die Drohung mit der juristischen Keule inzwischen ein probates Mittel geworden, um kritische Berichterstattung zu erschweren – oder gar zu verunmöglichen. Dazu trägt auch bei, dass die Schwelle für das Erlangen einer superprovisorischen Verfügung dank geschickter Lobbyarbeit im Parlament gegen den erbitterten Widerstand vieler Juristen gesenkt wurde.

Superprovisorisch – als Fremdkörper in der Rechtssprechung – bedeutet, dass auf Antrag ein Gericht eine Massnahme beschliessen kann, ohne dass die betroffene Seite vorab Gelegenheit bekäme, sich dagegen zu wehren. Natürlich kann das dann in einem ordentlichen Verfahren nachgeholt werden. Aber in der journalistischen Praxis hat das ganz üble Auswirkungen.

Denn im seriösen Journalismus, also ausserhalb der «Republik», ist es normal und üblich, dass nach der Recherche der oder die Betroffenen Gelegenheit bekommen, sich dazu zu äussern. Man konfrontiert sie also mit den wichtigsten Vorwürfen. Das kann zu verschiedenen Reaktionen führen. Zu einem trockenen «kein Kommentar, und das ist kein Zitat» über längliche Gegenreden bis zum Gang ans Gericht mit der Forderung, die Publikation des geplanten Artikels zu verbieten, weil seine Veröffentlichung nicht wiedergutzumachenden Schaden anrichten würde.

Natürlich ist es widerlich, wenn wie im Fall eines Schweizer-angolanischen Geschäftsmanns ein im roten Bereich drehender Tamedia-Journalist aus gestohlenen Geschäftsunterlagen wilde Anschuldigungen herausmelkt, darauf die Mühlen der Justiz in Gang kommen – und am Schluss der Geschäftsmann von allen Vorwürfen auf ganzer Linie und überall entlastet, freigesprochen wird. Aber er selbst und seine Firmen sind danach kaputt.

Solcher Borderline-Journalismus schadet natürlich dem Metier und bringt es zusätzlich in Verruf. Glücklicherweise sind Christian Brönnimanns nicht allzu häufig unterwegs. Aber auch nach der Publikation eines Artikels wirkt das Erheben der juristischen Keule manchmal Wunder.

Auch dem Autor dieser Zeilen ist es schon mehrfach passiert, dass Artikel – ohne sein Einverständnis oder seine Kenntnis – urplötzlich online verschwanden. Auf Nachfrage wurde jeweils erklärt, dass der im Artikel Kritisierte seinen Rechtsanwalt den üblichen Textbaustein absondern liess. Man zeige die Vertretung von an, müsse diese und jene Textstelle bemängeln, verlange Löschung oder Korrektur plus Entschuldigung, sonst kracht’s.

Das letzte Mal scheint das in Deutschland funktioniert zu haben, als dort ein kritisches Buch über die hasserfüllte Kämpferin gegen Hass im Internet erscheinen sollte. Die Intervention eines teuren und entsprechend beleumdeten Anwalts genügte, dass der Verlag einknickte und das Buch nicht auslieferte. Als die Autorin das dann im Eigenverlag in der Schweiz tat, passierte – nichts. Ein Beispiel, wie man mit leeren Drohungen Wirkung erzielen kann.

Auch grosse Verlage wie CH Media oder Tamedia scheuen rechtliche Verwicklungen wie der Teufel das Weihwasser. Eine Superprovisorische verschiebt zumindest die Veröffentlichung eines Artikels, ihre Bekämpfung kostet. Selbst wenn sie weggeräumt wurde, kann es sein, dass der Artikel inzwischen seine Aktualität eingebüsst hat. Viel Geld für nix.

Auch bei nachträglichen Beanstandungen gibt es immer das Prozessrisiko, dass der beklagte Verlag verlieren könnte. Und selbst wenn er gewönne, die Gegenseite zahlt nie den tatsächlich angefallenen Aufwand des eigenen Anwalts.

Früher, in den besseren Zeiten, war es noch eher eine Prinzipiensache, dass sich Medien nicht so einfach einschüchtern liessen. Heutzutage ist die Abklärung des möglichen Prozessrisikos ein fester Bestandteil der Prozeduren bei der Veröffentlichung eines Artikels.

Damit kann die sogenannte Vierte Gewalt immer weniger ihren Kontrollaufgaben nachgehen. Denn es ist schon so, wie es in einem George Orwell zugeschriebenen Zitat heisst: «Journalismus bedeutet, etwas zu drucken, von dem irgend einer will, dass es nicht veröffentlicht wird. Alles andere ist PR.»

Zahnlose Medien

Die neuen Möglichkeiten, Medien mundtot zu machen, sind ein Skandal. Die Medien selbst sind mitschuldig.

Lange vor den Abstimmungen im Stände- und nun auch im Nationalrat war klar, dass die Streichung des scheinbar unwichtigen Wörtchens «besonders» aus den Bestimmungen, wann eine Superprovisorische möglich ist, fatale Auswirkungen haben wird.

Für den Laien gibt es keinen gewaltigen Unterschied zwischen «besonders schwerer Nachteil» oder «schwerer Nachteil». Für den Juristen liegen Welten dazwischen. Für den Richter auch, der ohne Anhörung der Gegenpartei entscheiden muss, ob er dem Antrag stattgeben will, dass ein geplanter Artikel nicht erscheinen darf.

Zwar haben sich spät, sehr spät die meisten Medienhäuser der Schweiz, mit ausnahme der staatstragenden SRG, dazu aufgerafft, in einer gemeinsamen Erklärung vor dieser Streichung zu warnen. Zwar hat selbst die zuständige Bundesrätin davon abgeraten. Zwar haben namhafte Juristen sich in seltener Schärfe gegen die Streichung ausgesprochen.

Andererseits gab es auch Juristen wie den Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch, die sich für diese Streichung aussprachen. Wir wollen hier keine Motivforschung betreiben, sondern Manöverkritik.

Dass nun Tamedia mit einem scharfen Kommentar nachklappert «Das Parlament hilft Oligarchen gegen Schweizer Journalisten», ist an Heuchelei schwer zu überbieten. Denn zum einen hetzt Tamedia ungeniert gegen diese Oligarchen, denen man unbesehen vom Einzelfall doch mal gleich ihre Vermögenswerte beschlagnahmen sollte.

Zum anderern hat Tamedia schön leise gegen diese Aufweichung der Voraussetzungen für eine Superprovisorische opponiert. Man wollte ja die Parlamentarier nicht sauer machen, die gerade dabei waren, eine runde Steuermilliarde auf die grossen Medienhäuser herunterregnen zu lassen. Nachdem das in trockenen Tüchern war, verschärfte sich ein wenig der Protest. Als dann aber absehbar war, dass das Referendum nicht nur zustande gekommen war, sondern gute Chancen zur Annahme hatte, konzentrierte man sich auf seine Bekämpfung und verlor den Anschlag auf die Pressefreiheit wieder aus den Augen.

Statt seit der Zustimmung des Ständerats eine gewaltige Kampagne zu fahren, hob man gelegentlich den kleinen Warnfinger und wackelte damit. Nachdem der Schaden nun angerichtet ist, herrscht weitgehend Schweigen im Blätterwald.

Ukraine, Ukraine, Ukraine. Lautes Geschimpfe über Pressezensur in Russland. Leises Geschimpfe über Pressezensur in der Ukraine. Natürlich brechen nun in der Schweiz keine nordkoreanischen Verhältnisse aus. Aber alle Beschwichtigungen, dass das ja nun nicht so eine grosse Sache sei, wollen die Dimension des Anschlags vernebeln.

Es ist bekannt, dass es in der Schweiz obligatorisch ist, vor Erscheinen eines Artikels der kritisierten Person (oder Firma) die Möglichkeit zu geben, dazu Stellung zu nehmen. Wird diese Chance nicht genutzt oder heisst es lapidar «kein Kommentar»: selber schuld. Auch ein routiniertes «weisen sämtliche Vorwürfe entschieden zurück» hilft nicht wirklich. Reputationsschaden, der durch die Publikation eines kritischen Artikels entsteht, kann tödlich sein. Bitter ist es, wenn eine unschuldige Person (oder Firma) buchstäblich in den Dreck gezogen werden.

Aber nehmen wir mal an, Oligarch Iwan erfährt in seiner netten Villa in Lausanne, dass eine Zeitung einen kritischen Artikel über die Herkunft seines Vermögens plant. Er erfährt es deswegen, weil er offiziell angefragt wird, was er denn zu den Vorwürfen sage. Er habe sein Geld durch Korruption, Diebstahl und rücksichtsloses Vorgehen während des Zerfalls der UdSSR gewonnen.

Durch die Anfrage erfährt er zudem, über welchen Informationsstand das Medium verfügt. Nehmen wir an, die ist für ihn durchaus brenzlig. Also hält er eine abwiegelnde Stellungnahme für unzureichend. Also antwortet er nicht auf das Angebot einer Stellungnahme, sondern ruft sofort einen seiner Anwälte an. Der solle umgehend eine Superprovisorische beantragen.

Warum? Na, weil durch die Publikation dieser Recherche ihm ein schwerer Nachteil entstehen würde. Welche Art? Imageschaden, Persönlichkeitsverletzung, Geschäftsschädigung. Einem guten und teuren Anwalt fällt da einiges ein.

Nun muss ein Richter ohne Anhörung der Gegenpartei entscheiden, ob er eine solche Verfügung erlässt und die Publikation präventiv verbietet, was immer sehr heikel ist. Denn das Publikationsorgan hat keine Chance, seine Sicht der Dinge vorzutragen. Das kann dann erst in einem ordentlichen Verfahren geschehen.

Aber zumindest ist mal dem Momentum eines frisch entdeckten Skandals die Spitze genommen. In den zu Tode gesparten Redaktionen wird nun mit juristischem Beistand durchgerechnet, was ein Prozess zur Beseitigung des Publikationsverbots kosten würde. Im Fall, dass das Medium gewinnt – und auch im Fall, dass es verliert.

Meistens ist das Resultat dermassen ernüchternd, dass die Redaktion zähneknirschen auf eine Publikation verzichtet. Und genau das wollte der Oligarch doch erreichen.

Was Stände- und Nationalrat hier geboten haben, ist unterirdisch. Dass es sich Rechtsgelehrte wie Jositsch nicht nehmen lassen, ein solches Engerschnallen des Maulkorbs zu begrüssen, ist beelendend. Die weiterhin ausbleibende massive Gegenwehr der Medienhäuser (nachdem die Abstimmung über die Medienmilliarde den Bach runter ging) bedeutet, dass man sich zähneknirschend mit seinem Schicksal abgefunden hat.

Ein paar wenige motzen noch, aber auch die werden ihre Aufmerksamkeit schnell wieder der Ukraine zuwenden. Den richtigen Zeitpunkt für so eine Schweinerei zu finden, das ist die wahre Kunst von allen, die den Medien einen engeren Maulkorb verpassen wollten.

Wumms: Nationalrat

Das Wort «besonders» gestrichen, die Pressefreiheit gemindert.

Nun hat auch noch der Nationalrat das Wort «besonders» gestrichen. Was ist daran besonders oder aufregend? Das ist besonders aufregend, weil damit ein Stück Pressefreiheit verloren geht.

Dann das Wort stand im Artikel 266 der Zivilprozessordnung. Dort geht es um sogenannte superprovisorische Massnahmen. Es handelt sich hier um den einzigen Gesetzesartikel, der etwas in unserem Rechtssystem sonst Wesensfremdes regelt. Nämlich eine präventive staatliche Massnahme, ohne dass der davon Betroffene Gelegenheit hat, vorab dazu Stellung zu nehmen, Protest einzulegen, seine Position zu verteidigen.

Insbesondere kann versucht werden, der Presse die Berichterstattung zu verunmöglichen oder zu erschweren. Wir haben die Sauerei schon kommentiert, als der Ständerat dieser Gesetzesänderung zustimmte.

Seither ruhten die Hoffnungen auf dem Nationalrat. Denn das Wort «besonders» schränkte die Möglichkeiten von reichen Menschen oder Firmen ein, sich präventiv gegen unliebsame Berichte zu wehren. Dabei geht es nicht mal darum, dass sie damit durchkommen. Aber indem sie die Publikation eines Artikels verhindern können, weil sie einen «besonders schweren Nachteil» befürchten, verzögern sie die Sache, verursachen happige Gebühren und lassen die kaputtgesparten Redaktionen befürchten, dass ungeahnte Zusatzkosten auf sie zukommen.

Um das zu beschränken, gab es eben das Wort «besonders«, das juristisch seine schwerwiegende Bedeutung hat. Nun ist es gestrichen, was heisst, dass es leichter wird, eine solche superprovisorische Massnahme zu erwirken.

Von den Befürwortern wurde argumentiert, dass damit der normale Bürger vor Kampagnenjournalismus oder Fertigmacher-Artikeln besser geschützt werden soll. Das ist Mumpitz; profitieren werden alle, die genügend Geld haben, um sich einen langwierigen Rechtshändel leisten zu können.

Das ist, mit Verlaub, eine verdammte Sauerei.

Medienopfer

Verwirrspiel um einen Entführten.

So kann’s gehen, wenn Opferschutz und eine superprovisorische Massnahme zusammenspielen. Leidtragender ist hier das Medium, das die News zuerst hatte. So titelte Tamedia bei der Recherche über die Hintergründe zur Bluttat in Wallisellen:

Aber die exklusive Recherche blieb nicht lange im Netz:

Das bedeutet, dass hier der Blitz einer superprovisorischen Verfügung eingeschlagen hat. Denn es ist dem Opfer eines Gewaltverbrechens freigestellt, die Publikation seines Namens zu untersagen. Im Falle einer superprovisorischen Anordnung kann dieses Recht ohne Anhörung der Gegenseite durchgesetzt werden. Ob nun Tamedia übergeordnetes öffentliches Interesse angesichts der Position des kurzzeitig Entführten geltend machen kann oder nicht: das wird erst in einem zweiten Schritt, dem ordentlichen Verfahren, entschieden.

Also entschloss sich Tamedia zu Version drei:

Inzwischen hatten aber andere Medien Leute gerochen und das Thema aufgenommen. Die Nachrichtenagentur SDA, auf die die meisten Schweizer Zeitungen abonniert sind, trompetete:

 

Und auch die vornehme NZZ nannte den Namen:

Dazu kamen dann noch weitere Medien. Wie ist es möglich, dass die meisten anderen Newsquellen den Namen nennen, Tamedia das aber nicht tun kann? Etwas unverständlich, aber einfach: Die anderen Blätter hat offensichtlich keine superprovisorische Verfügung ereilt.

Es gleicht sowieso etwas dem Versuch, die Zahnpasta wieder in die Tube zu quetschen. Denn der Name ist raus, und Tamedia ging sicher nicht zu Unrecht davon aus, dass angesichts der prominenten Person des Entführungsopfers die Nennung seines Namens erlaubt sein sollte. Da die Rechtsabteilung von Tamedia vielleicht nicht über jeden Zweifel erhaben, aber doch kompetent ist, wusste man natürlich um die Gefahr einer Superprovisorischen.

Also spielte man «no risk, no fun». Und geriet damit in die leicht absurde Position, dass Tamedia zwar den Scoop ausgegraben hatte, ihn aber recht schnell nicht mehr anpreisen durfte. Während das die Konkurrenz ungeniert tut.

Die im Volksmund Superprovisorische genannte Massnahme stellt tatsächlich in unserem Rechtssystem eine Ausnahme dar. Denn es ist vernünftiger Brauch, dass der von einer Entscheidung Betroffene immer Gelegenheit haben muss, vor der gerichtlichen Anordnung dazu gehört zu werden. Also seine Argumente vorzutragen, wieso ein richterlicher Entscheid zu seinen Gunsten und nicht gegen ihn gefällt werden sollte.

ZACKBUM hat sich schon mehrfach mit diesem Sonderartikel befasst.

Für die Anordnung einer Superprovisorischen müssen einige Kriterien erfüllt sein:

  • Gegen periodisch erscheinende Medien darf das Gericht eine vorsorgliche Massnahme nur anordnen, wenn:
  • die drohende Rechtsverletzung der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen kann;
  • offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund vorliegt;
  • und die Massnahme nicht unverhältnismässig erscheint.

Inwieweit die drohende Rechtsverletzung, also hier die Namensnennung des Entführungsopfers, einen besonders schweren Nachteil darstellen soll, ist auf den ersten Blick ebenso unerfindlich wie das Nicht-Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes (hier das öffentliche Interesse, ausgelöst durch die exponierte Position des Opfers).

Es stellt sich wieder einmal die Frage, ob unter dem Stichwort Opferschutz nicht allzu freizügig mit Massnahmen hantiert wird, die letztlich nichts anderes als die Zensur eines Mediums bedeuten.

Besonders schwarzer Tag für die Pressefreiheit

Der Ständerat schützt Reiche und Mächtige vor Kritik durch die Medien. Ein Skandal.

Das Unheil kommt manchmal auf ganz besonders leisen Sohlen. Eine Mehrheit in der Rechtskommission des Ständerats (RK-S) beantragte die Streichung eines einzigen Wortes aus dem Artikel 266 der Zivilprozessordnung.

Pipifax? Keinesfalls. Es handelt sich hier um den einzigen Gesetzesartikel, der etwas in unserem Rechtssystem sonst Wesensfremdes regelt. Nämlich eine präventive staatliche Massnahme, ohne dass der davon Betroffene Gelegenheit hat, vorab dazu Stellung zuz nehmen, Protest einzulegen, seine Position zu verteidigen.

Es handelt sich um sogenannte superprovisorische Massnahmen. In der Annahme, dass im Bereich der Medien die Publikation eines Artikels nicht wiedergutzumachende Schäden auslösen könnte. Deshalb wurde Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt, mittels einer sogenannten Superprovisorischen eine Veröffentlichung zu untersagen, sollte die «einen besonders schweren Nachteil» bewirken.

Besonders schwer ist eine eigene juristische Kategorie und kein Pipifax

Wobei «besonders schwer» für Juristen nicht das Gleiche ist wie «schwer». Da ein Richter ohne Anhörung der Gegenpartei entscheiden muss, bedeutet «besonders schwer» eine höhere Hürde als nur «schwer». Federführend bei diesem schweren Anschlag auf die Pressefreiheit ist der Anwalt und Glarner FDP-Ständerat Thomas Hefti. Was ihn dabei geritten hat, sagt er nicht.

Er (mitsamt den anderen verantwortungslosen Gesellen, die bei diesem Frontalangriff auf eine der wichtigsten Kontrollinstanzen einer offenen und demokratischen Gesellschaft mitmachen), behauptet, dass die Medien eben immer übergriffiger und mächtiger würden, der Einzelne ihnen ohnmächtig ausgeliefert sei, daher bessere Möglichkeiten haben müsse, sich schon im Vorfeld einer ungeheuerlichen Beschädigung durch Skandalberichte zu schützen. Eben mit einer Superprovisorischen, bei der er «nur» noch einen «schweren Nachteil» geltend machen müsse.

Das Argument ist so fadenscheinig und falsch, dass es sich nur um den verzweifelten Versuch handeln kann, einen insgeheim geplanten heimtückischen Angriff zu legitimieren, nachdem nun doch der Scheinwerfer der Öffentlichkeit darauf gerichtet ist. Das Argument ist fadenscheinig, weil eine solche Senkung der Hürde weder dem öffentlich hingerichteten gefallenen Raiffeisen-Star Pierin Vincenz genützt hätte. Noch dem schweizerisch-angolanischen Geschäftsmann, der zuerst mithilfe der Panama-Papers ans Kreuz genagelt wurde, dann aber von allen, restlos allen Vorwürfen freigesprochen.

Was sind die eigentliche Motive?

Das Argument ist falsch, weil die Medien gar nicht mehr das Monopol auf solche Schädigungen haben; ein Shitstorm auf den asozialen Plattformen kann viel verheerender sein. Warum dann dieser Angriff? Ganz einfach. Die wenigen verbliebenen Recherchiermedien sollen weiter eingeschüchtert werden. Man muss sich dazu den Ablauf konkret vorstellen.

Ein russischer Oligarch in seiner Villa in Lausanne kriegt mit, dass ein Medium über die schmutzige Herkunft seines Vermögens recherchiert. Er nimmt sich den besten Anwalt, der mit Geld zu haben ist, behauptet eine mögliche, aber sicher schwere Rufschädigung, die Verletzung seiner Privatsphäre, ungeheuerliche wirtschaftliche Nachteile durch die Publikation – und hat gute Chancen, dass sie unterbleibt.

Nordkoreanische Zustände in der Schweiz? Gemach. Der Unterschied ist, dass diese superprovisorische Entscheidung im Nachhinein angefochten werden kann. Aber: das dauert und kostet. Dauert und kostet. Welches der wenigen überlebenden Medien kann sich das leisten? Selbst wenn viele Monate später und mit nicht unbeträchtlichem finanziellen Aufwand die Superprovisorische niedergekämpft wurde – interessiert sich dann überhaupt noch jemand für diesen Artikel?

Also alleine die Drohung «ich habe mitbekommen, dass Sie in meinem Umfeld recherchieren. Passen Sie bloss auf, am besten lassen Sie das. Oder ich nagle sie mit Superprovisorischen solange zu, bis Ihnen der Schnauf ausgeht».

Unrealistisch, alles kein Problem, «nur eine Angleichung», also da soll man sich doch nicht so aufregen, beschwichtigen die Attentäter auf die Pressefreiheit.

Der Gipfel ist: der Ständerat hat am Mittwoch diese Streichung durchgewinkt. Bei den meisten Ständeräten wohl aus einer Mischung von Unkenntnis und Wurstigkeit. Zudem wurde das offenbar als Pipifax im Umfeld der Verabschiedung der neuen Multimillionenhilfe für Medien angeschaut. So ein Zufall aber auch, in dieser brenzligen Situation wollte natürlich kein Organ diese Veränderung als das bezeichnen, was sie ist:

ein hinterhältiger, absichtlicher, bösartiger Anschlag, zugunsten klar identifizierbarer Kreise.

Auch zackbum.ch warnte als eine der ersten Medien davor; aber leider wachten die Grossverlage, die Journalisten-Organisationen und auch einzelne Parteien viel zu spät auf, um dann in einer historisch einmaligen gemeinsamen Erklärung (alle, einfach alle machten mit, ausser SRG, und das ist sogar für einmal verständlich) Bundesrat und Parlament inständig zu bitten, diese Streichung nicht zuzulassen.

Wer ist dafür, wer ist dagegen?

Sogar die federführende Bundesrätin war in der Debatte des Ständerats gegen die Streichung. Nur ganz wenige Stimmen, wie die des Anwalts für ganz schwere (und lukrative) Fälle, Daniel Glasl, erschallten zur Verteidigung dieser Zensur. Ein Skandal im Skandal ist’s, dass zwar zwei SP-Ständeräte in dieser Kommission sich vehement, aber vergeblich gegen die Streichung aussprachen.

Hingegen der Rechtsprofessor, Wendehals und Bundesratsaspirant Daniel Jositsch stimmte sowohl in der Kommission wie im Ständerat dafür. Da das Internet nichts vergesse, liessen sich Fehlinformationen nie mehr beseitigen, behauptete Jositsch. Wieso das mit einer Erleichterung des Verpassens eines Maulkorbs ausschliesslich für regelmässig erscheinende Medien geheilt werden soll, weiss auch nur Jositsch selbst.

Solange das die Medien noch können, sollten Juristen wie Hefti, Glasl, Jositsch sowieso ihre Helfershelfer an den Pranger gestellt werden. Zur Abwahl vorgemerkt, sofern sie öffentliche Ämter ausüben. Alle Medienschaffenden, alle Verlage, alle Journalistenorganisationen haben nun noch die letzte Gelegenheit, die Verabschiedung auch im Nationalrat zu verhindern.

Nach diesem schändlichen Umfallen des Ständerats muss die Antwort massiv, laut, energisch und unmissverständlich sein. Leute wie Jositsch wissen, was sie tun. Das ist würdelos. Andere haben vielleicht nicht die Brisanz des Vorgangs verstanden. Das ist verantwortungslos. Das darf sich im Nationalrat nicht wiederholen. Auch zackbum.ch wird alles uns Mögliche tun, um die Vollendung dieses Angriffs auf unsere Grundwerte zu verhindern.

 

 

 

Endlich: die Medien machen mobil

Still und leise sollte ein Zensurartikel gegen Medienberichte verschärft werden. Nun nimmt der Protest dagegen Fahrt auf.

Vermeintlich harmlos geht es um die Streichung eines Wortes: «besonders». Was hat das mit drohender Zensur zu tun? Besonders viel. Denn dieses Wort legt die Hürde fest, die übersprungen werden muss, um eine vorsorgliche Massnahme zu erreichen.

Allgemein unter «Superprovisorische» subsumiert, bedeutet das, VOR der Publikation eines Berichts sein Erscheinen zu verhindern. Unter weiteren Voraussetzungen gehört dazu bislang, dass ein «besonders schwerer Schaden» nicht anders vermieden werden könnte.

Alles in unserem Rechtssystem, was zunächst einmal dem Betroffenen keine Möglichkeit zur Stellungnahme gegen eine ihn möglicherweise schädigende gerichtliche Anordnung gibt, ist suspekt. Aber in Ausnahmefällen natürlich zulässig. Im Allgemeinen und auch gegen Medien. Da das aber mit dem Grundsatz «Zensur findet nicht statt», mit der Pressefreiheit im Clinch liegt, hat hier der Gesetzgeber absichtlich den «besonders schweren Schaden» zur Voraussetzung gemacht.

Und genau dieses Wort soll auf Antrag des Glarner FDP-Ständerats Thomas Hefti gestrichen werden. Aber damit nicht genug. Auch bereits publizierte Artikel könnten ohne Anhörung der Medienhäuser gelöscht werden.

Zuerst Einzelne, nun auch alle Akteure protestieren

Das ist nichts weniger als ein brandgefährlicher Anschlag auf die Pressefreiheit. Längere Zeit protestierten nur Einzelne, darunter der Medienanwalt Matthias Schwaibold, gegen diese unter dem Radar der Wahrnehmung fliegende Bombe gegen kritischen Journalismus.

Rechtsbüttel wie Daniel Glasl oder Marcel Bärtschi sehen da überhaupt kein Problem. Weil es ihre Arbeit als Vertreter sogenannter Medienopfer erleichtern würde.

Aber nun sind – endlich – die Medien selbst aufgewacht. Haben sich zu einer historisch einmaligen Allianz zusammengeschlossen. Medienunternehmen – darunter SRG, Tamedia, CH Media, Ringier und NZZ – plus eigentlich alle Verbände im Medienbereich sind dabei: Verlegerverband Schweizer Medien, Impressum, Syndicom, Verband Medien mit Zukunft, Telesuisse, Media Forti, Öffentlichkeitsgesetz.ch, Medien für alle, Reporter ohne Grenzen Schweiz, Investigativ.ch, Junge Journalistinnen & Journalisten Schweiz, Radio Régionales Romandes, MAZ, Lobbywatch.ch, Gotham City, SSM, Schweizer Presserat und Verband Schweizer Online-Medien.

Das hat es noch nie gegeben, und es ist dringend nötig:

«Die Allianz bittet den Ständerat sehr, den Medienschaffenden in der Schweiz nicht unnötige Hürden in ihrer für die Demokratie zentralen Arbeit aufzustellen.»

Dieses Communiqué wurde an alle Ständeräte verteilt, denn schon im Juni wird er darüber abstimmen, ob dieser Anschlag auf die freie Meinungsbildung abgesegnet wird.

Verteidigung mit ausschliesslich untauglichen Argumenten

Verteidigt wird das mit untauglichen Argumenten. Die Streichung von «besonders» sei ja nur eine Anpassung an die Hürden, die es für eine Superprovsorische ausserhalb der Medien brauche. Falsch, denn angesichts der Bedeutung der Medien wurde hier absichtlich die Hürde höher gelegt.

Aber die Streichung mache es Medienopfern leichter, sich zur Wehr zu setzen. Falsch, es ermöglicht in erster Linie finanzkräftigen Firmen oder Einzelpersonen, mit einer solchen Superprovisorischen kritische Berichterstattung zu verhindern.

Das betroffene Medium könne sich doch anschliessend vor Gericht gegen eine solche Massnahmen wehren. Richtig falsch. Das ist möglich, kostet aber viel Geld und noch mehr Zeit. Ist der Bericht allenfalls nach Jahren freigekämpft, ist er schon längst veraltet und nicht mehr interessant.

Die Medien hätten zunehmend einen Hang zu Boulevardisierung, Personfizierung, würden die Privatssphäre von Personen immer weniger ehren. Falsch, bereits jetzt haben die genügend Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen.

Aber es sei doch bekannt, dass so stigmatisierte Betroffene diesen Makel nie mehr wegkriegen, wenn ein kritischer Bericht erst mal publiziert sei. Falsch, weil das kein Argument für eine Verschärfung eines Zensurparagraphen ist. Zum Beispiel Pierin Vincenz, der gefallene Starbanker, hätte weder in der aktuellen, noch in einer verschärften Form diese Artikels die Möglichkeit gehabt, sich gegen die völlige Ruinierung seines Rufs zur Wehr zu setzen.

Schliesslich sind Persönlichkeitsrechte, der Schutz der Intimsphäre usw., keine absoluten Rechte. Es ist auch hier abzuwägen, was schwerer wiegt: das öffentliche Interesse oder dieser Schutz. Dass das den Medien nicht immer gelingt, ist eine Binsenwahrheit. Aber bei der Formulierung dieses Artikels hat sich ein mehrköpfige Expertengruppe sehr viele Gedanken gemacht, bevor sie den «besonders schweren Schaden» als Voraussetzung für einen Zensureingriff in die Medien ins Gesetz schrieb.

Ein Anschlag aus der Dunkelkammer

Wieso nun ein FDP-Ständerat, angeblich doch liberaler Freiheit verpflichtet, hier eine Zensur gegen missliebige Medienberichterstattung verstärken will, ist völlig schleierhaft. Genauso, wie die Tatsache, dass in der ständerätlichen Kommission nur zwei Sozialdemokraten dagegen stimmten – während alle anderen Mitglieder diesen Antrag durchwinkten.

Die sollten sich nun vor ihren Wählern dafür rechtfertigen müssen, der Ständerat sollte diesen Anschlag unbedingt bachab schicken. Und die versammelten Medienverbände sollten den Finger weiterhin ausserhalb einer dafür nicht vorgesehenen Körperöffnung lassen und weiterhin kräftig Gas geben. Damit es nicht nur bei Einzelkämpfern bleibt, zu denen auch ZACKBUM von Anfang an gehörte.