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China zensiert brutal

Oder westliche Medien schreiben sich Fake News ab.

Von Felix Abt

Enthüllung: Das repressive China hat einen beliebten Spielzeugbären unterdrückt — oder waren es doch eher die Fake-News-Medien?

Als ich vor Jahren auf dem Markt einer mittelgroßen chinesischen Stadt zufällig einen großen Stand mit vielen Winnie-the-Pooh-Produkten sah, blieb ich stehen und war erstaunt. Hatte ich nicht kürzlich in den westlichen Medien gelesen, dass Winnie the Pooh in China verboten worden war?

Die Geschichte von den verbotenen Plüschbären, T-Shirts und anderen Winnie-the-Pooh-Utensilien ist seitdem immer wieder in den Medien zu vernehmen. Eine der ersten war die BBC, die 2017 «berichtete», dass Winnie the Pooh in China verboten worden sei.

Ein Jahr später, im Jahr 2018, «berichtete» Der Spiegel, dass der «chinesische Machthaber» Angst vor Winnie the Pooh hatte und der niedliche Spielzeugbär deshalb verboten werden musste. «Weil der Bär wie der Machthaber aussieht«, behauptete das Blatt, ohne zu scherzen. Und die Tatsache, dass Chinesen mit bärenähnlichen Gesichtszügen eine rassistische Beleidigung sein könnten, störte den ansonsten woken Moral-Spiegel nicht.

Er stellte die Behauptung auf, dass «Bilder von Winnie the Pooh in China seit langem verboten sind – eben um systemkritische Xi-Memes zu verhindern

Besser spät als nie: Ganze 5 Jahre später, also im Jahr 2023, «berichtete” auch die Neue Zürcher Zeitung über die unheimliche Bärenangst des chinesischen Staatsoberhauptes. Die NZZ führte das Winnie-the-Puuh-Verbot als hieb- und stichfesten Beweis für die allumfassende chinesische Repression an.

Winnie-the-Pooh  wurde auch anderswo verboten, weil der Bär als «unangemessener Zwitter» mit «fragwürdiger Sexualität» beschuldigt wurde. Da dies in einer polnischen und nicht in einer chinesischen Stadt geschah, war es in den westlichen Medien keine Schlagzeile wert.

Keiner dieser “Berichterstatter”, die über die Unterdrückung des Bären und seiner Fans in China schrieben, war vor Ort, um die Angelegenheit zu klären. Ideologische Überzeugungen haben die Macht, Fakten in den Medien zu ersetzen wie nie zuvor.

Glücklicherweise gibt es heute soziale Medien, die nicht nur Unsinn und Unwahrheiten verbreiten wie die traditionellen Medien, sondern auch Wahres, das in letzteren nicht zu finden ist.

In China lebende Ausländer, die westliche Medien weniger zur Information – das wäre Zeitverschwendung – als vielmehr zur Belustigung konsumieren, haben es gewagt, in den sozialen Medien Winnie Puuh zu posten, wie man ihn auf chinesischen Märkten oder auf von Chinesen getragenen T-Shirts sieht.

Der Brite Lee Barrett, der in Shenzhen lebt, twitterte beispielsweise kürzlich Fotos aus einem chinesischen Geschäft, in dem Winnie-the-Puuh-Produkte verkauft werden.

Und die in China lebende Amerikanerin Katrina twitterte ein Bild des mit Winnie the Puuh bemalten Autos ihres chinesischen Nachbarn.

Wo bleibt denn da die Repression, liebe NZZ? Wahrscheinlich ist ein neuer Artikel mit dem sinnigen Titel fällig: «Im unberechenbaren China kann man sich nicht einmal mehr auf die Repression verlassen

Sackschwach

«Cyprus Confidential»: Neuer Name, alte Leier.

Immerhin: für Hubert Seipel gibt es ein Leben vor und eines nach den Enthüllungen darüber, dass er Hunderttausende aus kremlnahen Kreisen in Russland erhalten hat. Natürlich für seine Buchprojekte, ohne dass ihm inhaltliche Vorgaben gemacht worden seien. Blöd nur, dass er immer entrüstet abstritt, für seine Russland-Erklärungen von dort bezahlt zu werden.

Das ist nun echt peinlich; ungefähr so peinlich wie die Enthüllungen, welche deutschen Journalisten indirekt von den USA bezahlt werden.

Damit hat nun der «Spiegel» einen schönen Hammer gelandet, der allerdings vor allem in Journalistenkreisen interessiert. Für Seipel ist zu hoffen, dass auch eine Leibrente ausgesetzt wurde, denn als Publizist war’s das für ihn.

Tamedia hat allerdings wie meist die Arschkarte gezogen. «Der Mitbesitzer von Putins Propagandasender war UBS-Grosskunde», «Diese 20 sanktionierten Russen hatten Schweizer Konten». Eingeschlafene Füsse, frisch aufgewärmt. Das übliche Team bemüht sich, mal wieder zu erklären, wieso sie monatelang auf der Payroll standen, ohne gross Output zu leisten. Aber jetzt können Christian Brönnimann, Sylvain Besson, Arielle Peterhans, Oliver Zihlmann und Sophia Stahl wieder Artikel am Laufmeter absondern.

Da «Papers» und «Leaks» und «Secrets» nun wirklich abgenudelt sind (und sich auch nicht schön stabreimen würden) diesmal also «Cyprus Confidential». Man macht sich gar nicht mal grosse Mühe, zu erklären, von wem mit welchen Motiven man mit gestohlenen Geschäftsunterlagen zugeschüttet wurde. Dafür macht die Arbeit mit dieser Hehlerware viel zu viel Spass.

Da es die ewig gleiche Leier ist, will ZACKBUM nicht auch ins Leiern geraten. Keinem der geouteten russischen Geschäftsleute kann offenbar eine strafbare Handlung oder eine Verurteilung vorgeworfen werden. Ausser, dass sie früher oder später auf irgendwelchen Sanktionslisten der USA oder der EU landeten. Wie man da drauf kommt, ist längst bekannt. Eine Erwähnung unter den 500 Reichsten des «Forbes» Magazins, russischer Name, reicht. Oligarch, kremlnah, Kriegsverbrecher mindestens Verbrecher.

So tauchen auch russische Reiche auf, die oft jahrelang völlig legal in der Schweiz lebten, eine Niederlassung besitzen, brav ihre Steuern zahlen, ihren Firmensitz sogar in die vermeintlich neutrale und rechtsstaatliche Schweiz verlegten – und sich nie etwas zuschulden kommen liessen. Bis sie im eilfertigen Nachvollzug von der Schweizer Regierung ebenfalls sanktioniert wurden.

Das führte dann einfach dazu, dass die sich enttäuscht von der Schweiz abwandten und an deren Rechtsstaatlichkeit zweifeln. Denn gegen diesen Beschluss des Bundesrats, sanktioniert zu werden, gibt es keine Rekursmöglichkeit, kann kein ordentliches Gericht angerufen werden. Und wer beim Bundesrat selbst protestiert, bekommt nicht mal eine Antwort.

Das wäre nun durchaus eine interessante Geschichte, die Tamedia eigenständig recherchieren könnte. Sie hat nur zwei Nachteile. Sie entspricht nicht dem gepflegten Narrativ reich, Russe, Räuber. Und sie wäre mit etwas Aufwand verbunden, der über das Aktenstudium in Datenbergen hinausginge.

Aus Erfahrung weiss man: auch «Cyprus Confidential» wird genauso spurlos verschwinden wie seine Vorgänger. Oder erinnert sich noch jemand an die «Panama Papers» und wie die gestohlenen Datenberge alle hiessen?

Eben. Bloss für Seipel ist die Sache ziemlich blöd gelaufen. Dabei sollte er doch wissen, dass das Bankgeheimnis auch nicht mehr das ist, was es einmal war.

China-Missversteher, Teil 1

Und gefürchtete Agenda-Journalisten.  Ein Versuch, Missverständnisse zu klären.

Von Felix Abt

In Zeiten, in denen Verstehen verpönt ist – man denke nur an die vielgeschmähten Putin-Versteher – sind die China-Missversteher gefragt. Selbst die in China ansässigen «Spiegel»-Journalisten müssen sich dem China-Narrativ ihrer auf strikt atlantisch (d.h. antichinesisch) getrimmten Redakteure in Deutschland unterordnen. Deshalb lesen sich Artikel über China im «Spiegel» so, als wären sie in Hamburg von ausgewiesenen China-Missverstehern geschrieben worden.

Ich habe auch über China geschrieben. Aber kann jemand, der sieben Jahre lang in Nordkorea gelebt hat, China verstehen? Nein, sagt der Ökonom und freie Autor Thomas Baumann, der auch für die NZZ schreibt, in seinem Zackbum-Artikel «Ein Breitbandantibiotikum namens KPCh«. Auf den ersten Blick hat er recht. Aber lassen Sie mich dieses und einige andere Missverständnisse ausräumen, um gleichzeitig zu einem etwas ungetrübteren Bild von China zu kommen.

Unvermeidbares China

Wenn ein Ausländer wie ich eine Fabrik in Nordkorea aufbaut und Maschinen und andere Ausrüstungen, Verbrauchsmaterialien und Software benötigt, die er in Nordkorea nicht finden kann, wo bekommt er sie dann? Genau, in China, wo alles verfügbar ist. Wo schult er seine nordkoreanischen Mitarbeiter, bevor die Fabrik in Betrieb geht? Auch in China, bei befreundeten Unternehmen, denn in keinem anderen Land kann man das modernste Produktions- und Logistik-Know-how besser erlernen als dort (zu den Freunden komme ich gleich noch). Wenn die Produktion anläuft, aber schlecht ausgelastet ist, weil der heimische Markt noch zu klein ist, sucht er sich anderswo einen guten Absatzmarkt, also wieder China. Wenn es im Verwaltungsrat des Joint-Venture-Unternehmens unterschiedliche Meinungen über die Unternehmensstrategie und -führung gibt, was macht dann der Ausländer: In meinem Fall habe ich einen erfahrenen und kompetenten chinesischen Geschäftsmann in den Verwaltungsrat geholt. Während der Kulturrevolution wurde der neue Verwaltungsrat, der damals Chef eines großen chinesischen Unternehmens war, von den damaligen roten Wächtern – heute wären sie wohl grün – abgesetzt und zu einem Arbeiter an einem Arbeitsplatz degradiert, an dem er giftigen Dämpfen ausgesetzt war. Als Chinas woke Kulturrevolution vorbei und sein Unternehmen ruiniert war, wurde er zurück an die Spitze des Unternehmens geholt, um es wieder aufzubauen. Er war der erste in seiner Branche, der ein Joint Venture mit einem ausländischen (amerikanischen) Unternehmen einging. Henry Jin wurde ein enger Freund von mir, dem ich den Artikel im “Diplomat” gewidmet habe: “When Capitalism came to North Korea. How a Chinese businessman helped spark North Korea’s pharmaceutical industry.”

Außerdem habe ich vereinzelte VR-Sitzungen in China abhalten lassen. Dies gab uns die Möglichkeit, für meine nordkoreanischen VR-Kollegen Informationsbesuche bei chinesischen Unternehmen zu organisieren.

Bei einem Treffen mit dem Vorstandsvorsitzenden eines großen Staatsunternehmens fragten die Nordkoreaner ihn, welche Anweisungen er von der Partei und der Regierung erhalte. Der Vorstandsvorsitzende wusste, worauf sie anspielten: Auch in China mischten sich in der Vergangenheit Ministerien und andere staatliche Stellen in das Tagesgeschäft ein, und der Vorstandsvorsitzende war lediglich ein Befehlsempfänger, kein Gestalter. Die Antwort verblüffte meine nordkoreanischen Kollegen: «Die einzige Erwartung der Regierung ist, dass wir das Unternehmen so führen, dass es rentabel und nachhaltig bleibt. Wenn nicht, bin ich meinen Job los

Gefürchtete Agenda-Journalisten

Ich hatte schon lange vor meiner Nordkora-Zeit geschäftlich mit China zu tun. Jahrelang hatte ich eine in Hongkong registrierte Firma, die für die Geschäfte in China zuständig war. Wir bauten ein in diesem Teil der Welt unverzichtbares, und deshalb wertvolles Netzwerk von Freunden und Bekannten im Reich der Mitte auf, über das ich auch all die Informationen bekam, die in westlichen Zeitungen nicht zu finden sind. In einer Karaoke-Halle hatte ich einmal ein Gespräch mit einem chinesischen CEO eines erfolgreichen Unternehmens. Er erzählte mir: «Der Satz ‹Kein Zutritt für Hunde und Chinesen!›, den westliche Kolonialisten am Eingang ihrer Banken und in chinesischen Parks angebracht hatten, ist in die Seele vieler Westler eingebrannt.» Ich fragte ihn, ob er westlichen Journalisten keine Interviews gebe, worauf er antwortete: «Wir haben kein Interesse daran, denen zu helfen, die uns schlecht machen wollen.» Auf meine Frage, warum er mit einem Westler wie mir spreche, antwortete er: «Sie und ich sind Geschäftsleute, die keine politischen Ziele verfolgen. Wir haben Geschäftsinteressen, die sich gegenseitig ergänzen, also sind wir Partner und können Freunde sein. Und alles, worüber wir sprechen, bleibt unter uns.» Andere chinesische, koreanische, indonesische und vietnamesische Unternehmer haben sich mir gegenüber so oder ähnlich geäußert.

Als Anna Fifield, eine Journalistin der «Financial Times«, eine mehrteilige Reportage über Nordkorea machen wollte, half ich ihr, das einzige Interview zu führen, das ein nordkoreanischer Geschäftsmann jemals einem westlichen Medium gegeben hatte. Der Chef eines Industriekonglomerats, das damals in Südkorea als das nordkoreanische Pendant zu Samsung angesehen wurde und das bereits erfolgreich Produkte in China vermarktete, war auf der Suche nach weiteren Exportmärkten. Ich sagte dem fließend Englisch und Chinesisch sprechenden Geschäftsmann, dass die Financial Times sicher Leser hat, die sich für sein Unternehmen und seine Produkte interessieren könnten. Selbst wenn das Produkt und der Preis stimmen, gibt es in den ostasiatischen Ländern noch eine weitere Bedingung, um Geschäfte zu machen oder die Türen zu öffnen: Vertrauen. Wenn der Nordkoreaner mir nicht vertraut hätte, wäre das Treffen mit der Journalistin nicht zustande gekommen. Und wenn die Journalistin ihn in die Pfanne gehauen hätte, wäre das als Vertrauensbruch meinerseits gewertet worden mit den entsprechenden Konsequenzen für mich. Was für Asiaten gilt, gilt auch für Westler in diesem Teil der Welt: Man lässt nicht jeden an seine wertvollen Kontakte heran.

Zusammen mit dem Chef des nordkoreanischen Industriekonglomerats, das nach seinen Worten auch «coole Motorräder» herstellt. Ausnahmsweise sprach er mit der Financial Times.

Fortsetzung folgt.

Archäologie des Verschwindens

Was weg ist, fehlt nicht. Oder doch?

Wer erinnert sich noch an die grossen Debatten, ob eine Impfung gegen Corona nützt oder schädlich ist? Ob Ungeimpfte potenzielle Massenmörder seien? Da liefen Corona-Kreischen wie Marc Brupbacher zu Höchstformen auf, sahen völlige Verantwortungslosigkeit herrschen («Der Bundesrat ist völlig übergeschnappt») und das Ende der Welt nahen.

Vorher völlig unbeachtete Wissenschaftler überboten sich in Ankündigungen von Todeszahlen (Wissenschaftler Althaus gewann mit dem Höchstgebot von 100’000 Toten in der Schweiz).  Eine Task Force ermächtigte sich, verantwortungsfrei allen Politikern, inklusive Bundesrat, der sie eigentlich zwecks stillen Beratungsdienstleistungen ins Leben gerufen hatte, Noten, Ratschläge und besserwisserische Forderungen zukommen zu lassen.

Das Maskentragen war nicht nur obligatorisch, sondern Nicht-Träger wurden öffentlich an den Pranger gestellt; alle Dissidenten von der medial unterstützten Regierungslinie wurden als Corona-Leugner, Aluhutträger, Verschwörungstheoretiker und willige Gefolgsleute von üblen Rechtspopulisten beschimpft. Wer an bewilligten Demonstrationen teilnahm, war ein nützlicher Idiot, wer sie mit Treicheln begleitete und den eidgenössischen Schlachtruf «Horus» anstimmte, ein Faschist.

Welche Schäden die hysterische und überzogene Politik wirtschaftlich und gesellschaftlich angerichtet hat – Schwamm drüber.

Vorbei, verweht, vergessen.

«#metoo», die grosse Bewegung gegen männliche Herrschaft, Übergriffe von Mächtigen auf Abhängige, der Aufschrei lange schweigender Frauen. Neben wenigen sinnvollen Anklagen produzierte die Bewegung eine Hexenjagd, diesmal aber auf Männer. Harvey Weinstein, als Sexmonster entlarvt und in den Knast gesteckt. Kevin Spacey und so viele andere: falsch beschuldigt, ruiniert, fertiggemacht, und wenn sie Jahre später von allen Anwürfen freigesprochen werden, interessiert das niemanden mehr wirklich. Die doppelte Endmoräne dieser Bewegung trägt die Namen Anuschka Roshani und Till Lindemann. Sie als Falschbeschuldigerin, er als Falschbeschuldigter.

Erinnert sich noch jemand daran, dass der heruntergekommene «Spiegel» dem Rammstein-Sänger sogar eine Titelgeschichte widmete, Roshani ihre grösstenteils frei erfundenen und längst widerlegten Anschuldigungen dort veröffentlichen durfte? Dass nun auch noch ein gefallener linker Starreporter seine Karriere beenden musste, weil ihm anonym verbale Übergriffe und ein angeblicher körperlicher Übergriff vorgeworfen werden, wobei eine medienbewusste Medienanwältin eine zwielichtige Rolle spielt: war da mal was?

Vorbei, verweht, vergessen.

«We stand with Ukraine», jede bessere WG machte neben der Pace-Fahne Platz für eine Ukraine-Flagge. Der ehemalige Schauspieler Volodymyr Selenskyj, an die Macht bekommt dank der Millionen eines ukrainischen Oligarchen, der sich damit eine Amnestie von gewaltigen Unterschlagungen erkaufte, wurde zum neuen Superhelden des Widerstands. Selbst eine Modestrecke in der «Vogue» mitsamt vor zerschossenen Flugzeugen posierender Gattin konnte diesem Image keinen Abbruch tun. Endlich war die Welt wieder in Ordnung. Nach dem bösen chinesischen Virus nun der böse russische Autokrat.

Seither dürfen Ukrainer und Russen in einem Stellvertreterkrieg verbluten. Der völkerrechtswidrige Überfall hat bislang Schäden in der geschätzten Höhe von 1000 Milliarden US-Dollar angerichtet. Zahlen wird die nicht Russland, auch nicht die Ukraine. Und erst recht nicht China oder Indien. Wer bleibt? Genau, in erster Linie die EU. Da gab es neulich eine gross angekündigte ukrainische Offensive. Wie geht’s der, wo steckt sie, ist sie erfolgreich, erfolglos, ist die Ukraine am Ende oder Russland oder beide? Wen interessiert’s im Moment, der arme Selenskyj versucht verzweifelt, darauf aufmerksam zu machen, dass es Hamas-Terrorismus und russischen gäbe. Dabei zählen seine westlichen Verbündeten ihre Munitions- und Waffenlager durch und fragen sich, womit sie allenfalls Israel unterstützen wollen.

Vorbei, verweht, vergessen.

Ein Treppenwitz ist dagegen, dass der grosse Shootingstar der Schweizer Literatur, der mehrfach preisgekrönte Kim spurlos verschwunden ist. Das eint ihn mit dem anderen grossen Gesinnungsblasenschreiber Lukas Bärfuss, von dem man auch noch kein ordnendes Wort zu den aktuellen Weltläufen gehört hat. So viel zu der gesellschaftspolitischen Verantwortung des Schriftstellers, die immer als Begründung herhalten muss, wenn mehr oder minder begabte Schreiber meinen, ihre persönliche Meinung zu diesem und jenem interessiere eine breitere Öffentlichkeit. Ach, und wo bleibt Sibylle Berg, die nach Plagiatsvorwürfen und leichten Zweifeln an der Authentizität von Reportagen auch deutlich leiser geworden ist.

Ein Treppenwitz im Treppenwitz ist, dass die Webseite von «Netzcourage» seit Tagen nicht mehr erreichbar ist, und ausser ZACKBUM ist das noch niemandem aufgefallen, bzw. keiner hält es für nötig, darauf hinzuweisen, dass nun Tausende, na ja, Hunderte, öhm, Dutzende, also eine Handvoll von Cybermobbing-Opfern unbeholfen und ungeholfen rumstehen. Ach, und es können wieder ungehemmt «Cockpics» verschickt werden, wovon angeblich bereits jede zweite Frau belästigt wurde. Nun kommt auch noch die andere Hälfte dran.

Vorbei, verweht, vergessen.

Sich prügelnde Eritreer, überhaupt Nachrichten aus den Elendslöchern dieser Gegend, aus Äthiopien, Sudan, Somalia, aber auch Tschad, Niger? Ach ja.Falsche Hautfarbe, keine nennenswerten Rohstoffe, Pech gehabt. Hat noch nie gross interessiert, interessiert aktuell überhaupt nicht. Armenier? Ach ja, die Armenier, war da nicht neulich was? Der religiöse Autokrat Erdogan, der die Errungenschaften Atatürks aus reiner Machtgier rückgängig gemacht hat und die Türkei ins Mittelalter zurückführen will, bombardiert als Kriegsverbrecher kurdische Lager in Syrien? Na und, ist aber doch in der NATO, hilft bei den Flüchtlingsströmen und daher ein Guter. Mohammed bin Salman, auf dessen Befehl hin ein Dissident unter Bruch aller diplomatischer Regeln in einer saudischen Botschaft brutal ermordet und zerstückelt wurde – nun ja, ein Freund des Westens, Waffenkäufer und Besitzer von Ölquellen. Da sehen wir ihm doch sein Gemetzel im Jemen auch gleich nach.

Vorbei, verweht, vergessen.

Hunderttausende von Kindern, denen bei der Kakaoernte Gegenwart und Zukunft gestohlen wird, die missbraucht, gequält, geschlagen, erniedrigt werden? Das wurde vom Läderach-Skandal überstrahlt, von der erschütternden Enthüllung, dass Läderach Senior als Mitglied einer Freikirchen-Sekte mitverantwortlich dafür war, dass vielleicht zwei oder drei Dutzend Zöglinge eines Internats ein wenig psychisch oder physisch misshandelt wurden.

Das Zurich Film Festival kündigte sofort erschreckt die Partnerschaft. Das gleiche Filmfestival, das den geständigen Vergewaltiger einer Minderjährigen Roman Polanski noch einige Jahre zuvor den Ehrenpreis fürs Lebenswerk überreicht hatte. Das gleiche Filmfestival, das ohne Skrupel solche Schoggi verteilt hätte, wenn das Problem nur darin bestanden hätte, dass sie mit ausbeuterischer Kinderarbeit gewonnen wird. Na und, Westafrika, Schwarze, who cares.

Vorbei, verweht, vergessen.

Israel, Israel, Israel. Ein bestialischer Überfall, das Abschlachten von Zivilisten. Das Vorgehen einer Mörderbande, wie es nur mittels der mittelalterlichen Todesreligion Islam möglich ist. Und schon wieder werden die Fundamente der Aufklärung in Frage gestellt. Es ist diskussionslos widerwärtig, dass in Deutschland (und in kleinerem Umfang auch in der Schweiz) antisemitische Ausschreitungen stattfinden. Wer die Sache Palästinas mit radikalfundamentalistischen Wahnsinnigen wie Hamas vermischt, ist ein Vollidiot und schadet der Sache Palästinas schwer. Aber wer Antisemitismus als wohlfeiles Totschlagargument gegen jede, auch gegen berechtigte Kritik an Israel verwendet, schadet einer fundamental wichtigen Sache unserer westlichen Gesellschaft: dem freien Diskurs. Der Überzeugung, dass nur im Austausch von Argument und Gegenargument, von Meinung gegen Meinung Erkenntnis und somit Fortschritt möglich ist.

Niemand hat das anschaulicher auf den Punkt gebracht als der ehemalige Pfaffenbüttel Giuseppe Gracia: «Wer Israel für Dinge kritisiert, die er bei anderen Staaten akzeptiert, ist ein Antisemit.» Wer Israel kritisiert, muss also zuerst Vorbedingungen erfüllen, die von Gracia und seinen Gesinnungsgenossen selbstherrlich aufgestellt werden. Wer Israel kritisiert, muss zuerst eine Litanei herunterbeten, welche anderen Staaten er auch kritisiert. Wer Israel kritisiert, muss zuerst Bekenntnisse ablegen. Zu oder gegen oder über. Sonst sei er Antisemit. Wer sagt «Israel verübt im Gazastreifen Kriegsverbrechen», dürfte das laut diesen Zensoren allenfalls nur sagen, ohne als Antisemit beschimpft zu werden, wenn er vorher sagt «Russland verübt Kriegsverbrechen in der Ukraine, die USA verüben Kriegsverbrechen überall auf der Welt, der Iran verübt Kriegsverbrechen, Saudiarabien, die sudanesische Regierung» usw. usf.

So wie früher die Inquisition forderte, dass Bekenntnisse abgelegt werden mussten, bevor in von ihr bestimmtem engem Rahmen Kritik an der Kirche geübt werden durfte. Bis man ihr dieses Recht wegnahm. So wie man es heute all diesen Anti-Aufklärern wegnehmen muss. Denn wer da zuschaut, wenn freie Rede beschränkt werden soll, ist das nächste Opfer.

Oder ganz einfach: grausame Kriegsverbrechen, die gegen Israel begangen werden, rechtfertigen, erklären, beschönigen nicht Kriegsverbrechen, die Israel begeht. Dass für persönlich Betroffene Hamas-Anhänger Tiere sind, die vernichtet werden müssen, ist menschlich verständlich. Dass der israelische Verteidigungsminister von menschlichen Tieren spricht, die als solche behandelt werden müssten, ist inakzeptabel. Ein militanter Israel-Verteidiger hat vor Kurzem in der NZZ eine richtige Frage gestellt: Wie kann Israel auf monströse Taten reagieren, ohne selbst zum Monster zu werden?

Auch beim Kampf gegen Monster darf man nicht selbst zum Monster werden. Auch gegen Palästinenser gab es Massaker, oder hat man die Namen Sabra und Schatila samt der üblen Rolle Israels bereits vergessen? Erinnert man sich schon nicht mehr an den Werdegang des aktuellen israelischen Ministerpräsidenten, den nur sein Amt vom Knast trennt? Entschuldigt, relativiert, verniedlicht, erklärt das die bestialischen Massaker der Hamas? In keiner Art und Weise. Aber es hilft dabei, nicht auf Stammtischniveau dumm zu schwätzen.

Das Schlimmste, was den Palästinensern in den letzten Jahren passiert ist, ist die Machtübernahme durch fundamentalistische Islamisten, durch Anhänger einer menschenverachtenden Todesreligion. Was Hamas will, ist Zerstörung, sie haben keinerlei positive Perspektive. Weder für Israel, noch für die Palästinenser. Was will aber Israel? Wo bleibt hier der gesunde Menschenverstand, der freie Diskurs, die konstruktive Debatte?

Einfache Frage: sollte es Israel gelingen, die Hamas zu liquidieren, wie es sein erklärtes Ziel ist: und dann?

Vorbei, verweht, unmöglich.

Recht und Moral

Wenn Medien auf dem ungeordneten Rückzug sind.

Nehmen wir als exemplarisch den Kommentar von Michael Graber in den CH Medien: «Verfahren eingestellt: Das ist kein Grund zum Jubeln».

Die CH Medien, das muss gesagt sein, waren im Fall Till Lindemann zurückhaltender als die übrigen Medien der Schweiz. Bei Tamedia forderte ein Amok gleich die Absage von Konzerten von Rammstein in der Schweiz. Der NZZ rutschte heraus, dass Lindemann ein «Täter» sei. Und der «Blick» musste zu Kreuze kriechen, einen Artikel löschen und ein schleimiges Interview mit einem der Anwälte des Sängers ins Blatt heben. Kommt halt davon, wenn man sich mit jemandem anlegt, der mehr Geld hat als ein Journalist.

Wir fassen kurz zusammen: eine Frau legte mit unklaren Behauptungen Feuer an die Zündschnur, dann explodierte die übliche Beschuldigungsorgie. Entweder in den asozialen Medien oder aber in der Mainstreampresse, wo sich sogar Journalisten der «Süddeutschen Zeitung» oder des «Spiegel» nicht entblödeten, angeblichen Opfern von Lindemann eine Plattform für anonyme, wildeste Beschuldigungen zu bieten.

Davon animiert, wurden Strafanzeigen eingereicht. Eine von der Brandstifterin, dann noch weitere von gar nicht selbst Betroffenen, die aber dennoch furchtbar betroffen waren. Nun ist’s vorbei, und Graber behauptet kühn: «Die Rammstein-Welt ist wieder in Ordnung. … Alles vom Tisch. Die grosse Show kann weitergehen.»

Ist das so? Nein, anschliessend legt er den Rückwärtsgang ein: «In der ganzen Affäre gibt es eigentlich nur Verlierer. Beginnen wir mit der Selbstkritik: Ja, die Medien haben teilweise übermarcht.» Lustig, dass die Medien immer zunächst an sich selbst denken, nicht an das eigentliche Opfer dieser Hetze.

Dann kommt eine ganz üble Nummer: «Die Einstellung eines Verfahrens ist kein Freispruch. Es heisst, dass nicht genügend Beweise gesammelt werden können, die ausreichen würden, um ein richtiges Verfahren einzuleiten

Das ist ein wenig richtig und kreuzfalsch. Richtig ist, dass es kein Freispruch ist. Weil es den gar nicht braucht. Denn dieser Fall verröchelte bereits an der ersten Hürde der Strafverfolgung: dass überhaupt eine Strafuntersuchung begonnen wird. Wäre das der Fall, käme es dann allenfalls zu einer Anklage, dann zu einem Prozess, und schliesslich zu einem Schuld- oder Freispruch. Und dann würde es nochmal eine Weile dauern, bis das nach dem Instanzenzug rechtsgültig würde. Und bis dahin, selten so gelacht, würde die Unschuldsvermutung gelten.

Aber die ist in solchen Fällen längst durch die Schuldbehauptung abgelöst worden. Meistens haarscharf an der Grenze des Einklagbaren formuliert. Und sollte sich die als purer Rufmord, als Verleumdung, als unqualifizierte Übernahme und Publikation von unbewiesenen Behauptungen herausstellen, dann wird im Nachhinein gerechtfertigt, dass sich die Balken biegen.

«Wir sprechen hier nur von justiziablem Missbrauch. Also wenn eine Frau gefügig gemacht worden ist. Das System hinter der sogenannten Row Zero, bei dem Frauen vorgängig selektiert worden sind und später teilweise auch Lindemann zugeführt wurden, war nicht Teil der Untersuchungen. Auch darüber gab es Medienberichte.»

Und wenn es darüber Medienberichte gibt, dann entspricht das natürlich der Wirklichkeit. Weil die Medien nur und ausschliesslich überprüfte Tatsachen rapportieren. Für wie blöde hält dieser Graber eigentlich seine Leser?

Schliesslich kommt er unweigerlich zum Argument der Argumente: «Nur weil etwas rechtlich in Ordnung ist, muss es das nicht unbedingt auch moralisch sein.»

Immerhin, in diesem Satz kristallisiert sich die ganze Problematik. Denn er ist nicht zu Ende gedacht. Grundsätzlich ist er richtig. Alles, was nicht strafbar ist, ist erlaubt. Aber das bedeutet tatsächlich nicht, dass es auch moralisch-ethischen Massstäben einer zivilisierten Gesellschaft entspricht.

Nur: wer legt die fest? Wer darf das richten? Wer darf moralische Urteile, moralische Verurteilungen abgeben? Die Medienschaffenden? Ausgerechnet die Gesinnungsjournalisten, die Gutmenschen, die sich über alles erhaben fühlenden Schreiber in ihren Verrichtungsboxen im Newsroom? Deren Kenntnisse von Moral und Ethik, von moralischen Grundsätzen und deren Herleitung, von Immanuel Kant oder anderen Philosophen, vom Unterschied zwischen Gesinnungsethik oder Verantwortungsethik auf einer Nadelspitze Platz haben?

Ausgerechnet Journalisten, die eins übers andere Mal unter Beweis stellen, dass sie zu fast allem eine Meinung, aber von fast nichts eine Ahnung haben? Die dem Herdentrieb folgen, sich in jedes beliebige Framing ergeben, Narrative nachplappern, wenn die von Vorreitern vorgegeben werden?

Wie lachhaft. Überhaupt nicht lustig ist dann die Schlussfolgerung von Graber am Ende seines Kommentars:

«Am Ende gehen alle verwundet aus der Schlacht. … Die mutmasslichen/angeblichen (je nach Schwarz-oder Weiss-Schattierung ankreuzen) Opfer von Lindemann, die nun endgültig zur Internet-Hetzjagd freigegeben sind. Und, fast am wichtigsten: Alle Opfer von sexuellem Missbrauch ganz generell.»

Nun, wer eine Internet-Hetzjagd eröffnete oder fleissig an ihr teilnahm, muss sich dann nicht beklagen, wenn ihm das Gleiche passiert. Und die Opfer generell? Richtig, darin besteht diese bodenlose Schweinerei von Möchtegern-Opfern, die sich damit ihre vergänglichen 15 Minuten Ruhm abholen wollen, indem sie sich entweder selber als Opfer präsentieren oder Opfergeschichten weitergeben wie diese unsägliche deutsche Bloggerin, der ihre rufschädigenden Verleumdungen verboten werden mussten. So wie sie diversen Presseorganen verboten werden mussten.

Viel wichtiger als das ist die Tatsache, dass nur jemand, der über so viel Geld (und eine treue Fanbasis) wie Lindemann verfügt, einen solchen Sturm stehend überleben kann. Der Schweizer Ex-Chefredaktor, dem genauso übel mitgespielt wurde, hat schlichtweg das Geld nicht, um gegen den «Spiegel» weiter vorzugehen, der eine ganze Latte von nachweislich falschen Behauptungen veröffentlichte. Der «Spiegel» kräht nun Triumph, dabei hat die Schmiere über Anstand und Moral gesiegt.

Opfer sind die zu Unrecht Angeschuldigten, auf lange Zeit an Ruf und Ehre beschädigt, oftmals wirtschaftlich ruiniert, sozial geächtet, stigmatisiert und mit einem Makel behaftet.

Während sich die daran Schuldigen mit ein paar launigen Sprüchen («Ja, die Medien haben teilweise übermarcht») aus der Affäre ziehen können. Was fehlt, ist die völlig richtige Forderung des deutschen Juristen und Bestsellerautors Ferdinand von Schirach von allen Zinnen zu rufen und alles dafür zu tun, dass sie umgesetzt wird. Drakonische Strafen für alle Medienorgane, die falsche Anschuldigungen im Bereich «sexuelle Übergriffe» kolportierten.

Nein, das unterbindet nicht jegliche Verdachtsberichterstattung. Aber es zieht diejenigen zur Verantwortung, die bislang Existenzen vernichten können, dann mit den Schultern zucken und zur nächsten Hetzjagd weiterziehen.

Der Oberheuchler als Chef

Die «Republik» hat ein Problem. Teil zwei der Sonntags-Serie.

Gut, sie hat viele Probleme. Sie hat Geldprobleme. Sie hat ein Faulheitsproblem; ihre 55-köpfige Crew, verstärkt durch zwei Dutzend ständige Mitarbeiter, hat einen Output, der kleiner (aber nicht besser) ist als der von ZACKBUM, und wir sind eine One-man-Show, oder sagten wir das schon.

Sie muss immer wieder auf Betteltour, sagt aber trotz Transparenzversprechen erst zu «gegebener Zeit», wer denn schon wieder 250’000 Franken lockermachte, um ein klimaneutral ausstossfreies «Klimalabor» im Wachkoma zu erhalten.

Aber nun hat sie noch ein Chefproblem. Ein gravierendes. Denn einer ihrer Mitarbeiter wurde nach wochenlanger Untätigkeit der Führungsspitze freigestellt. Er wird anonym beschuldigt, sexuelle Übergriffe begangen zu haben. Verbal und in einem Fall auch körperlich. Das weist er «vehement» zurück, zudem weist er darauf hin, dass niemals Strafuntersuchungen gegen ihn aufgenommen wurden.

Hier gilt die Unschuldsvermutung, obwohl die in den Hetzmedien schon lange nicht mehr gilt. Aber das ist nicht das Problem der «Republik».

Ihr Problem hat einen Namen: Daniel Binswanger. Obwohl er das nicht wollte, ist er der Notnagel-Chefredaktor der «Republik» bis das Findungskomitee, das so tut, als ginge es hier um die Bestallung der Chefetage von Apple, einen geeigneten Kandidaten durch alle Assessments, Prüfungen, Eignungstests und Survivalcamps geschleift hat.

Aber auch das ist nicht das Problem der «Republik», das ist bloss lächerlich.

Das Problem der «Republik» ist ungeheuerliche Heuchelei, ganz oben. Denn der amtierende Co-Chefredaktor ist seit den Anfängen des Organs zur Rettung der Demokratie und der Bekämpfung des Faschismus dabei. Die schreibende Schmachtlocke war zuvor lange Jahre Mitarbeiter beim «Magazin», mit dem langjährigen Chefredaktor Finn Canonica sehr eng.

Als die gefeuerte Mitarbeiterin Anuschka Roshani im «Spiegel» eine ganze Wagenladung von Jauche über Canonica ergoss, schrieb sie unter anderem, dass es Vorfälle gegeben habe, bei denen die Redaktion anwesend gewesen sei, als Ohren- und Augenzeuge von unerträglichen verbalen Übergriffigkeiten Canonicas.

Also waren auch Binswanger und der inzwischen freigestellte «Republik»-Reporter, der auch für das «Magazin» arbeitete, dabei. Also hätte man doch von ihnen erwarten können – insbesondere, da es keinerlei Abhängigkeiten von Tamedia mehr gab –, dass sie öffentlich Zeugnis abgelegt hätten. Entweder: ja, es war so, wie Roshani das beschreibt. Oder: Nein, es war nicht so, es ist richtig, dass Canonica das bestreitet.

Sicher, es gibt da noch das Geschäfts- und Redaktionsgeheimnis, aber gälte hier Anstand und Moral nicht mehr? Wenn man schon ungefragt als Zeuge verwendet wird, wäre es da nicht selbstverständlich, zu widersprechen oder zu bestätigen? Vor allem, wenn man wie Binswanger (und wie der Reporter auch) fast nie ohne den erhobenen Zeigefinger anzutreffen ist, wie verächtlich und verurteilenswert Sexismus sei, vor allem auf Redaktionen. «Hic Rhodos, hic salta», hätten sich die beiden sagen müssen, und zumindest Binswanger als Feuilleton-Redaktor sollte genug Latein können.

Aber nein, beide duckten sich feige weg, reagierten nicht auf Anfragen von ZACKBUM (oder von anderen). Da sind zwei Journalisten in einem Infight, und einmal geht es nicht darum, dass Dinge berichtet werden, die nur zwei Zeugen hätten, wobei dann gälte: sie sagt, er sagt, wer weiss es denn. Hier hätte endlich einmal eine Anschuldigung verifiziert – oder falsifiziert werden können. Ein «so war es» oder ein «so war es nicht» hätte genügt.

Haltung, Anstand, minimale Anforderungen an Moral. Nichts da. Einzige Erklärung: beide wollen sich die Türe zu Tamedia nicht ganz zuschlagen – wenn es die «Republik» mal lupft, braucht es ja ein warmes Plätzchen. Zumindest bei einem der zwei hat sich das allerdings erledigt.

Alleine dadurch wäre Binswanger eigentlich für eine Führungsposition disqualifiziert. Wobei schon seine absurde Meinung, dass das Tragen eines Kopftuchs im Westen als freie Entscheidung der daruntersteckenden Frau gesehen werde müsse, dafür ausreichte: «Nikab-Trägerinnen in Europa sind typischer­weise unabhängige und selbst­bestimmte Frauen, die ihren Fundamentalismus gegen den Willen ihrer Familie praktizieren.» Das glaubt man nicht, selbst wenn man es liest.

Aber angesichts des Sexismus-Skandälchens gibt es noch ein zweites Problem für Binswanger. Er ist seit dem Stellenantritt des Freigestellten bei der «Republik» an Bord. Er weiss damit auch davon, dass den bereits zuvor entsprechende Gerüchte umwehten. Er weiss zudem, dass die «Republik» denen nachging. Er weiss schliesslich, dass eine Redaktorin der «Republik» sogar recherchierte, ihr Artikel aber nie erschien, weil die «Republik» den in linken Kreisen kultigen Reporter unbedingt von der WoZ abwerben wollte – was ihr auch gelang.

Das alles weiss Binswanger. Oder aber, immer bewährt, auch in der Geschichte, er hat von nichts gewusst. Nichts gesehen, nichts gehört, natürlich nichts gesagt. Ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber angenommen, es sei so. Dann ist er aber ungeeignet für seinen Job, Denn ein Chefredaktor, der von all dem nichts mitbekommt, sich schon vorher in verschiedenen Beziehungen disqualifizierte, aber dennoch jede Woche Moralinsäure, Gutmenschentum, Rechthaberei, Aufrufe zu angeblich richtigem und guten Verhalten über seine Leser regnen lässt, der ist untauglich.

Eine Belastung. Der Aufgabe nicht gewachsen. Eine Hypothek wie die drohende Busse für Steuermauscheleien. Und mehr Mühlsteine um den Hals kann die «Republik» zurzeit wirklich nicht vertragen, wenn sie den Kopf über Wasser halten will. Aber will sie das überhaupt?

 

Relotius Reloaded

Beim Fall Fabian Wolff führten die gleichen Mechanismen zum Desaster.

Die Geschichte in Kurz: Der Feuilletonist und gern gesehene Gast bei «Zeit», «Süddeutsche», «Tagesspiegel» oder «Spiegel» Fabian Wolff ist nicht der, für den er sich ausgab. Nämlich als Jude.

Das ist in Deutschland bis heute ein ganz heikles Gebiet. Vor allem, da Wolff sich unter Berufung auf sein Judentum als israelkritischer («Apartheitsystem») und den Aktivitäten der antiisraelischen BDS-Kampagne sympathisierend gegenüberstehender Jude ausgab. Wer ihn dafür kritisierte, war natürlich «rassistisch» oder «rechts».

Er selbst als Jude könne dagegen per Definition kein Antisemit sein. So seine Erzählung. Bis er selbst einräumte, dass er kein Jude sei; eine beiläufige Bemerkung seiner Mutter habe ihn mit 18 annehmen lassen, einer jüdischen Familie zu entstammen.

Nun wird’s nochmal sehr deutsch: dieses Eingeständnis darf er in einem 70’000 Anschläge langen Text in der «Zeit» machen. Wobei Eingeständnis fast übertrieben ist, es ist ein sich windendes Geschwurbel.

Daraufhin wird’s richtig deutsch. Alle Redaktionen, die auf seine Verkleidung als Kostüm-Jude reingefallen sind, winden sich nun auch. Wie mit seinen in den letzten zehn Jahren veröffentlichten Texten umgehen? Wie mit Wolff umgehen? Ist da zuhanden der Leserschaft eine Entschuldigung fällig? Wenn schon nicht vom Hochstapler selbst, dann von den Redaktionen, die es mal wieder an Hintergrund- und Faktencheck missen liessen?

Oder ist das ein unfairer Vorwurf? Nein, denn eine ehemalige Lebensgefährtin von Wolff war schon vor Jahren auf Ungereimtheiten und Widersprüche in seinen biographischen Angaben gestossen. Nach dem Ende der Beziehung wandte sie sich an diverse Journalisten und Redaktionen. Ohne Reaktion.

Nun tun natürlich alle Verantwortlichen in den Medienhäusern so, als hätten sie nichts davon gewusst, als seien sie wenn schon selbst Opfer, keinesfalls verantwortlich für diesen neuerlichen Skandal. Aber die NZZ schreibt dagegen ganz richtig: «Die Medien wurden nicht getäuscht, sondern haben sich täuschen lassen.» Nur ein in dieser Beziehung unbelastetes Schweizer Organ kann dann den Finger auf die Wunde legen:

«Das grosse Vertrauen und die Nibelungentreue deutscher Medien zum Autor Wolff erklärt sich auch dadurch, dass er mit seinen Gedanken und Texten letztlich antijüdische Ressentiments bedient hat, die in Teilen des deutschen Bürgertums weit verbreitet sind

Womit wir bei der Parallele zum Fall Relotius angelangt wären. Auch dieser Schwindler und Fälscher bediente mit seinen erfundenen Reportagen Klischees und Vorurteile der «Spiegel»-Verantwortlichen. Die hatten sich zum Beispiel ernsthaft vorgenommen, den damaligen US-Präsidenten Trump «wegzuschreiben». Sie sahen in seiner Wahl das «Ende der Welt», zumindest, «wie wir sie kennen». Sie waren fassungslos, dass all ihre angeblichen Kenner und Könner den Wahlsieg Trumps nicht vorhergesagt hatten.

Daher glaubten sie Relotius unbesehen jedes Wort, wenn der sich in die US-Pampa aufmachte, um dort die dumpfen Amis aufzuspüren, die diesen Idioten zum Präsidenten gemacht hatten. Wirklich erholt hat sich der «Spiegel» von diesem Skandal bis heute nicht. Seine kreischige #metoo-Berichterstattung, in der er einer Journalistin die Plattform für einen Rachefeldzug bietet, Prominente reihenweise in die Pfanne haut, trägt auch nicht dazu bei, sein Renommee zu retten.

Nun sind aber auch die ehrwürdige «Zeit» (die sich im Schweizer Split allerdings auch im Roshani-Skandal instrumentalisieren liess), die SZ, der «Tagesspiegel» beteiligt an diesem neuerlichen Skandal.

Relotius hat nicht seine eigene Identität erfunden, sondern einfach Quellen und Zitate und Begebenheiten. Das hat Wolff nicht getan, dafür streifte er sich eine Identität über, die erlogen ist. Beide haben aber Ressentiments der sie betreuenden Redaktionen (und deren Leserschaft) bedient. Ob man es in Deutschland wirklich liebe, «Israel zu hassen», das ist vielleicht eine zu dramatische Schlussfolgerung der NZZ.

Dass es ein deutsches Problem sei, das trifft solange nicht zu, als ein Tom Kummer in der Schweiz weiterhin sein Unwesen treiben darf. Hier handelt es sich um die Marotte eines Chefredaktors, in Deutschland geht das Problem tatsächlich tiefer.

Denn dass eine Redaktion keinen in die Intimsphäre eingreifenden Faktencheck über die jüdische Herkunft eines Autors macht, ist noch verständlich, obwohl Wolff nicht der erste Fall eines solchen Betrugs in Deutschland ist. Dass aber deutliche Indizien, ein ganzes Dossier der ehemaligen Lebensgefährtin keine Beachtung fand, sondern wohl als Rache einer verschmähten Geliebten abgetan wurde, das ist bedenklich.

Einerseits veröffentlicht der «Spiegel» Behauptungen einer rachsüchtigen, gefeuerten Schweizer Redaktorin, die sich bei genauerer Betrachtung fast vollständig als nicht haltbar herausstellen. Andererseits ignorieren diverse Redaktionen in Deutschland ein ihnen vorliegendes Dossier mit belegten Anschuldigungen. Was ist der Unterschied? Das eine entspricht dem Narrativ von #metoo, das andere widerspricht diesem Framing. Obwohl in beiden Fällen eine Frau einen Mann anschuldigt.

Ungeprüft oder nicht überprüft, zweifaches Versagen.

 

Menschenverachtend

Die Gutmenschen sind Bösmenschen.

«Kevin Spacey im freien Fall. Seit Jahren hat der Schauspieler junge Männer belästigt und genötigt.» Tamedia, November 2017.

«In London laufen polizeiliche Ermittlungen gegen Spacey, der sich einer Sprecherin zufolge in therapeutische Behandlung begeben hat.» Tamedia, Dezember 2017.

«Soeben hat Scotland Yard Ermittlungen gegen Kevin Spacey aufgenommen, der als künstlerischer Leiter des «Old Vic» einen anderen Mann sexuell angegriffen haben sollTamedia, November 2017.

«CNN hatte von acht aktuellen oder früheren Mitarbeitern am Set von «House of Cards» berichtet, die Spacey mit Blick auf sexuelle Annäherungen ein «räuberisches» Verhalten vorwerfen. Sie beschuldigten ihn unter anderem, ein giftiges Arbeitsklima erzeugt zu haben.» Tamedia, November 2017.

«Kevin Spacey hat sich für einen sexuellen Übergriff auf einen 14-Jährigen entschuldigt – und zur Ablenkung sein Coming-out bekannt gegeben.» Tamedia, Oktober 2017.

Vorsicht vor Beschädigungen, Respekt vor der Unschuldsvermutung? Klarer Hinweis darauf, dass es sich um unbewiesene, teilweise Jahrzehnte zurückliegende Anschuldigungen handelt, deren Motivation nicht zuletzt Ruhm- und Geldgier ist?

Ach was. Nun Freispruch auf ganzer Linie in London. Sämtliche Anschuldigungen in den USA hatten sich schon zuvor in Luft aufgelöst. Nein, nicht in Luft. Spacey, einer der begabtesten Schauspieler unserer Zeit, der in «House of Cards» die Rolle seines Lebens gefunden hatte, wurde geächtet, von Hollywood ausgespuckt, aus fertigen Filmen geschnitten, in der Erfolgsserie gefeuert. Er hat sieben Jahre seines Lebens verloren – und all sein Geld, das für Anwälte draufging.

Hört man da bei Tamedia und bei allen anderen Blätter, die die damalige Hetze befeuerten und willig mitmachten, mit dem moralischen Zeigefinger wackelten, Behauptungen als Tatsachen darstellten, hört man da ein leises Wort des Bedauerns, der Entschuldigung gar?

Schlimmer noch, hat man gelernt? Wie der Fall Rammstein beweist: null und nichts wurde gelernt. Dem «Blick» wurde eine Verfügung um die Ohren gehauen, einen Schmierenartikel zu löschen. Selbst die NZZ vergriff sich und schrieb nassforsch vom Sänger als «Täter». Das wurde dann immerhin schnell korrigiert, aber der Fleck bleibt.

Inzwischen gehen Lindemanns Anwälte weiterhin konsequent gegen Kolporteure, Schmierer und Hetzer vor. Dem «Spiegel» – inzwischen einschlägig für solche Unterleibsstorys bekannt – wurden diverse Aussagen verboten. Einer Videobloggerin, die auch die Welle reiten wollte, um bekannter zu werden, wurden diverse kolportierte Aussagen untersagt.

Aber gibt es Anzeichen von Lernfähigkeit? Bei den grossen Medienkonzernen in der Schweiz null. Noch viel weniger bei «Republik», WoZ und Konsorten. Mit einer lobenswerten Ausnahme – wie meist. richtig, natürlich die NZZ.

Claudia Schwartz nimmt sich die Berichterstattung nach dem Freispruch Spaceys vor. Und urteilt so scharf wie richtig:

«Auch am Dienstag hielten manche Medien nicht inne. Freispruch vor Gericht? Das gilt jedenfalls für Prominente wie Kevin Spacey offenbar nicht mehr, ist die Meinung einmal gemacht. «Kein üblicher Verdächtiger» titelte das deutsche Magazin «Stern» wenige Stunden nach Prozessschluss, um dann, fett hervorgehoben, nochmals die Anschuldigungen in voyeuristischen Details aufzuwärmen. Dass Spacey bereits im vergangenen Oktober in einem ersten Zivilprozess von dem Vorwurf freigesprochen worden ist, den damals vierzehnjährigen Schauspieler Anthony Rapp sexuell belästigt zu haben: Wen interessiert’s?»

Schwartz geht noch weiter und sieht Anlass, «sich die Frage zu stellen, wie eine Gesellschaft zugerichtet ist, in der manche die Vorverurteilung höher gewichten als ein gerichtliches Urteil. «Ich verlor meinen Job, ich verlor meinen Ruf, ich verlor alles in nur wenigen Tagen. Noch bevor eine einzige Frage gestellt wurde», sagte Spacey zum Auftakt des Strafprozesses.»

Dann kommt sie zur einzig richtigen Schlussfolgerung: «Die Cancel Culture stösst nicht nur historische Figuren vom Sockel und verbannt Bücher, sondern sie geht – Kevin Spacey ist ein mahnendes Beispiel dafür – ans Lebendige und zerstört in moralischer Überheblichkeit Menschen, Karrieren, Existenzen. Deshalb sollte man auch das Urteil in derzeit diskutierten Fällen wie Til Schweiger oder Till Lindemann den Gerichten überlassen

So gut auch eine Stimme der Vernunft tut: sie geht unter im wilden Gekreisch und Gehetze auf den sozialen Plattformen, wo die Mainstream-Medien aus billigen Gründen mitschwimmen, wo jeder Kurzdenker und Kleinredaktor sich zum moralischen Grossinquisitor aufschwingen kann, vor Entrüstung beben, vorverurteilen – um dann feige zu schweigen.

Das ist verantwortungslos, erbärmlich und ein weiterer der vielen Sargnägel für diese Art von Medien, die keinerlei Mehrwert mehr enthalten. Ausser, Erregungsbewirtschaftung und wohlfeile Vorverurteilungen, das Errichten von Schandmalen, an denen sich das Publikum gütlich tun kann, sei ein Mehrwert.

 

Canonica streckt die Waffen

Moderner Schmierenjournalismus siegt.

Die Methode ist bis zum Erbrechen bekannt. Eine Frau greift tief in die Vergangenheit und stellt eine Reihe von unbewiesenen, unbelegten, rufschädigenden Behauptungen über – wenn überhaupt – längst verjährte angebliche Übergriffe auf.

Sie sei verbal sexuell belästigt, erniedrigt, beleidigt, gemobbt worden. Diese angeblich unerträglichen Zustände habe sie zwar viele Jahre ausgehalten, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber nun reiche es; so wie die Opfer von Weinstein ihre Stimme fanden, habe sie nun auch den Mut gefunden, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Dann findet die Frau ein «#metoo»-besoffenes Organ, das diese Anschuldigungen abdruckt und damit eine öffentliche Hinrichtung des wahren Opfers, nämlich des Angeschuldigten, veranstaltet. Dass diese Behauptungen mehrfach untersucht und ins Reich der Fantasie verwiesen wurden, dass ausser dümmlichen Hakenkreuz-Kritzeleien als Kritik an germanischen Ausdrücken nichts belegbar ist, dass angebliche Augen- und Ohrenzeugen feige schweigen oder in den Untersuchungen die Behauptungen nicht bestätigt haben, was soll’s.

Dass sich diverse Behauptungen einfach widerlegen lassen – so hat eine angebliche beleidigende Äusserung des Chefredaktors an einer Weihnachtsfeier gar nicht stattfinden können, weil die Weihnachtsfeier nicht stattfand –, was soll’s.

Dass sich herausstellt, dass die Denunziantin sich – vergeblich – auf die Stelle ihres Vorgesetzten beworben hatte, obwohl der keinerlei Absichten hatte, sie zu verlassen, was soll’s. Dass es sich offensichtlich um die Rache einer beruflich verschmähten Frau handelt, die nicht gemobbt wurde, sondern ihren Chef wegmobben wollte, was soll’s. Das schaffte sie zwar, Tamedia trennte sich von ihm. Aber statt Triumph – endlich selber Chef werden – kam die Tragödie, auch sie wurde gefeuert.

Was bleibt? Der Ruf des Mannes ist unrettbar ruiniert, auf Jahre hinweg, wohl lebenslänglich findet er keinen Job mehr im Journalismus. Das gilt natürlich auch für die Denunziantin. Zurück bleiben – unter Mithilfe des einschlägig bekannten «Spiegel» – zwei beschädigte Menschen.

Dass die übrige Medienmeute wie meist mithetzte, losraste, belegfrei mit angeblichen weiteren «Zeugen» operierte, die natürlich anonym bleiben mussten und höchstwahrscheinlich erfunden sind, was soll’s. Dass sich neben dem «Spiegel» auch die «Zeit» von der Denunziantin via eine einschlägig bekannte, schlechte Journalistin für den Rachefeldzug einspannen liess, was soll’s.

Der Betroffene versuchte, mit einer Klage zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Auch Tamedia setzt sich juristisch zur Wehr, der Big Boss ist etwas angefasst, dass er in die Nähe von Harvey Weinstein, einem verurteilten Sexualstraftäter, gerückt wurde. Das Schicksal seines ehemaligen Chefredaktors ist ihm hingegen, pfeif auf die Fürsorgepflicht, schlichtweg egal.

Der lässt nun via Anwalt ausrichten, dass er seine Klage gegen den «Spiegel» zurückzieht. Die Belastung sei «sowohl finanziell wie psychisch» zu gross geworden. Das vermeldet «Inside Paradeplatz», der Finanzblog, der auch im Medienbereich die Konkurrenz abtrocknet. So kann das Schmierenblatt aus Hamburg triumphieren. Auch ein weiterer übler Denunziant, der immerhin den Journalismus verlassen hat, kann aufatmen.

Hat jemand gesiegt? Alle haben verloren.

Zunächst die Anklägerin; zu offensichtlich ist ihr Motiv, so unglaubwürdig ihre Erzählung, zu erfunden, konstruiert, zumindest nicht belegbar sind fast alle ihrer Vorwürfe.

Dann der Beschuldigte. Er konnte sich zwar erklären und fand einen Journalisten, dessen Reflexe noch funktionieren und der sich nicht von Narrativen leiten liess, sondern das tat, was ein Journalist tun muss: recherchieren, konfrontieren, analysieren. Aber er – und seine Familie – sind beschädigt, Opfer einer Kampagne geworden, öffentlich hingerichtet, gevierteilt und geteert und gefedert.

Dann das einmalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg, das sich in letzter Zeit nicht entblödet, eine angebliche Enthüllungsgeschichte nach der anderen im besten #metoo-Framing zu veröffentlichen. Storys, die unter Augstein, unter Aust niemals erschienen wären. Aber die Würstchen, die sich seither in der Chefredaktion die Klinke in die Hand geben, haben jeden Massstab, jedes Niveau, jede Klasse verloren.

Schliesslich die übrigen Medien, hier zuvorderst CH Media und die «Zeit», die mit unbewiesenen Behauptungen, üblen Vermutungen, anonymen und erfundenen Zeugen («es war alles noch viel schlimmer») sich an der Hetze beteiligten und sogar einen Nasenstüber einfingen. CH Media musste einen Schmierenartikel löschen und sich öffentlich entschuldigen.

Entschuldigt sich jemand beim Betroffenen? Wird wenigstens dieser Fall zum Anlass genommen, über Vorverurteilungen, über den Verlust aller journalistischen Massstäbe, über das Kolportieren unbewiesener Behauptungen, über die Rolle angeblicher anonymer Zeugen nachzudenken?

Niemals. Schlamm drüber, die nächsten Säue sind schon längst durchs Dorf getrieben, Til Schweiger, Rammstein, ein Koch, der Sänger einer Brachialband, keiner ist heutzutage vor dieser Meute sicher.

Welch ein beschämender Anblick. Die Medien verwandeln sich in eine Horde von kläffenden, japsenden, geifernden Kötern, die einem Popanz nachrennen, jagen, zur Strecke bringen, sich verbeissen. Um dann plötzlich von der Beute abzulassen, um einer neuen Schimäre nachzujagen. Auf ein Neues. Auf ein Neues, bis Ruf, Ansehen, Renommee, Image genauso ramponiert, ruiniert sind wie die der Opfer dieser Hetzjagden.

Lang lebe die Unschuldsvermutung. Was für ein schaler Witz.

Jetzt fahren schon Anwälte Trittbrett

Und finden Dumme, die drüber schreiben.

Dr. Stefanie Schork ist «Fachanwältin für Strafrecht». Im juristischen Fachblatt Linkedin hat sie sich zu Wort gemeldet:

«Wenn es nicht so bitter wäre, würde man über die Presseerklärung der Kollegen für #Rammstein fast lachen müssen. Sie wissen es natürlich besser. Eine Strategie zur Rechtewahrnehmung für #Lindemann kann dahinter nicht stehen. Die wird es auch nicht mehr geben, so wie die Dinge liegen. Dem Mann ist presserechtlich nicht mehr zu helfen.»

Starke Worte, damit kommt man in die Medien, wenn es ein aufmerksamer Journalist liest. Schork behauptet munter: «Die öffentlich gewordenen Schilderungen sind so deutlich geeignet, einen hinreichenden Mindestbestand an Tatsachen zu begründen, dass sich niemand daran gehindert sehen muss, über die Vorwürfe zu berichten.»

Schork erreichte schon eine gewisse mediale Berühmtheit als Vertreterin des Mannes, der das sogenannte Ibiza-Video erstellt und verbreitet haben soll. Damit wurde der damalige österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache zum Rücktritt gezwungen, der sich angetrunken um Kopf und Kragen geredet hatte.

Schorks Kanzlei vermeldet unter Aktuelles: «Das LG Berlin hat gegen zwei Presseverlage einstweilige Verfügungen wegen der Verbreitung von anonymen Anschuldigungen zum Nachteil der Band sowie ihres Sängers Monchi erlassen.» Hier handelt es sich um «Feine Sahne Fischfilet», eine radikale Punkband mit Hang zur Gewaltverherrlichung. Ihrem Sänger waren anonym sexuelle Übergriffe vorgeworfen worden. Da geht das natürlich nicht.

Aber bei Rammstein dann doch, so ist halt die juristische Logik. Kann man so oder so sehen. Der Schweizer «Blick» hat diese Meldung über die Behauptungen von Schork im «Focus» gesehen. Das schreiben dann die beiden Mitarbeiter fmü/bang brühwarm ab, natürlich ohne Quellenangabe.

Aber mit «Blick»-typischer Zuspitzung: «Rechtsanwältin zerlegt Rammstein-Statement». Immerhin einer der bekanntesten Medienanwälte Deutschland hatte hier alle Anschuldigungen als «ausnahmslos unwahr» zurückgewiesen und rechtliche Schritte gegen alle angekündigt, die solche Behauptungen aufstellen oder verbreiten.

Da möchte «Blick» auch gerne dabei sein, und Rechtsanwältin Schork hat offenbar Entzugserscheinungen bezüglich medialer Aufmerksamkeit. Alles ein Beitrag zum modernen Pressesumpf, in dem täglich das Niveau niedriger gelegt wird.

Auch der «Spiegel» mischt kräftig mit. Früher war eine Titelgeschichte noch ein Ereignis und eine Auszeichnung. Aber heute:

In der «Hausmitteilung» vermeldet der «Spiegel» sensibel: «Viele der weiblichen Fans, mit denen sie gesprochen hat, hätten sich inzwischen von der Band abgewandt: »Einige bekommen jetzt schon von der Musik Panikattacken.«»

Dann verschwendet das ehemalige Nachrichtenmagazin acht bunt bebilderte Seiten auf diese Story, die sich sicherlich in  der «Bunten» gut machen würde. Ganze 13 «Spiegel»-Mannen und -Frauen haben sich ins Zeug gelegt, auf knapp 40’000 Anschlägen wiederzukäuen, was schon länger kursiert. Auch hier arbeitet das Blatt mit Andeutungen und Vergleichen, die ihm schon beim Roshani-Skandal kräftig Ärger einbrockten:

Indem der verurteilte Sexualstraftäter Harvey Weinstein und der Schock-Rocker Manson, gegen den ein Verfahren läuft, in den Text gestreut werden, insinuiert der «Spiegel», dass es sich bei Till Lindemann doch wohl um einen vergleichbaren Fall handelt könnte – obwohl bislang keine einzige Klage eingereicht, keine Strafanzeige gestellt wurde.

Auch sonst arbeitet der «Spiegel» mit viel Konjunktiven, Andeutungen, zitiert ja bloss. Um zum drakonischen Urteil zu gelangen:

«Die Rockmusik hat jetzt also ihren #MeToo-Skandal.»

Um dann richtig hinterfotzig zu werden: «Und genau wie im Fall Weinstein geht es um mehr als nur um einen einzigen mächtigen Mann.»

Was hat denn das Riesenteam vom «Spiegel» ausgegraben? «Der SPIEGEL hat mit rund zwei Dutzend Personen gesprochen, einige aus dem engeren Arbeitsumfeld von Rammstein. Darunter sind viele Frauen, die von ihren eigenen Erfahrungen mit der Band und vor allem mit Till Lindemann berichten. Manche davon haben ihre Geschichte bereits anderen deutschen Medien erzählt.»

Dann geht der übliche Sound los: «Da ist zum Beispiel Zoe, ihr Name lautet eigentlich anders. … Oder es gibt Anna, eine junge Frau aus Wien, ebenfalls ein großer Rammstein-Fan (ihr echter Name ist der Redaktion bekannt)

Oder solche Stückchen: «Makeeva (bei Rammstein für die Row Zero zuständig, Red.) sei bei Manson für die Rekrutierung junger Frauen zuständig gewesen. Auch gegen Manson haben einige Frauen Anschuldigungen erhoben, sie reichen von psychischer Gewalt und Freiheitsberaubung bis zu Vergewaltigung und Folter. Manson bestreitet die Vorwürfe und hat kürzlich einen Prozess gewonnen.»

Und was liegt eigentlich an Verwertbarem auf dem Tisch, gab es Vergewaltigungen, strafbare Übergriffe? Da gibt es nur Gedöns: «Wird Till Lindemann angeklagt werden? Einige der Vorwürfe wiegen schwer. Mittlerweile beschäftigt sich die Polizei in Litauen mit Shelby Lynns Schilderungen.»

Was der «Spiegel» nicht schreibt: laut «Bild» sind die Ermittlungen eingestellt worden. Es wird interessant sein, welche Auslegung die «Verdachtsberichterstattung» bei den sicherlich folgenden Auseinandersetzungen vor Gericht erfahren wird.

Dass Lindemann zweifellos mit seinem brachialen Pathos und martialischen Texten sowie Auftritten und einer sexuellen Obsession nicht gerade ein Sympathieträger ist, ist das eine. Ob er sich sexuelle Übergriffe zuschulden kommen liess, wäre das andere. Das noch Zu-Beweisende – Behauptungen reichen nicht.

Kleiner Tipp: Wer wie der NZZ-Redaktor Ueli Bernays titelt «Der Künstler als Täter», hat ganz schlechte Karten bei einem allfälligen Prozess …