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Kriegsberichterstattung, reloaded

Kann man absurd steigern? Die Medien probieren’s.

Neues vom Sändele im militärischen Sandkasten. Das Kriegsglück schwankt, die Meldungen sind widersprüchlich, aber energisch vorgetragen.

In der militärischen Kommandozentrale des «Blick», aka Samuel Schumacher, «Ausland-Reporter» mit Einsatzgebiet Newsroom, herrscht Konsternation:

Statt Triumphmeldungen von den tapferen Ukrainern muss Schumacher Trauriges vermelden: «Das Fiese am russischen Killer-Kopter: Er kann seine Raketen aus bis zu zehn Kilometern Entfernung abfeuern und sie mit seinem integrierten Laserstrahl auf jedes erdenkliche Ziel in seinem Blickfeld lenken – bei Tag und bei Nacht. Damit liegt der Alligator ausserhalb der Reichweite der allermeisten ukrainischen Flugabwehrgeräte an der Front. Ein verzweifelter ukrainischer Soldat sagte gegenüber der «Bild»: «Wir haben nichts, um die russischen Helikopter in acht Kilometern Entfernung zu bekämpfen

Ist ja wirklich fies von den Russen, eine neue Wunderwaffe einzusetzen, mit der niemand gerechnet hat. Wobei: «Seit 2008 wird der 310-Stundenkilometer schnelle Killer-Heli in Russland seriell hergestellt.» Also eher ein Oldie auf dem Schlachtfeld.

Schon am 21. Juni musste Chiara Schlenz, «Ausland-Redaktorin» mit Einsatzgebiete Bildschirm, Unerwartetes von der Front vermelden:

Da sind die fernen «Kriegsbeobachter» mal wieder «überrascht», diese schwankenden Gestalten. Sie können ja auch nur abschreiben, was geschrieben steht: «Berichte über eine heftige russische Gegenoffensive zur Gegenoffensive häufen sich in den letzten Tagen.» Und versuchen, das Beste draus zu machen: «Diese aufwendigen Verteidigungsanlagen zeugen aber nicht nur von guter russischer Vorbereitung – sondern auch von russischer Angst.»

Wechseln wir zu Organen, die wenigstens behaupten, Journalismus in langen Hosen zu betreiben. In der neu benannten Rubrik «Russlands Krieg» zeigt Tamedia Tierliebe («Tiere suchen nach der Flut von Cherson ein neues Zuhause», was man als Tierporno bezeichnen könnte). Dann erholen sich «Ukrainierinnen, die von Russen missbraucht worden sind, im Zistertienserinnenkloster in Freiburg». Putin gebe «sich ganz volksnah», und im «Ticker» wird auch nur Pipifax vermeldet. Alles ruhig an der Front, wenn man Tamedia glauben will.

Auch CH Media berichtet weitab vom Kampfgeschehen: «Rache ist süss – Putin liquidiert das Wirtschaftsimperium des Söldner-Chefs». Auch der «Ukraine-Newsblog» muss News zusammenkratzen: «Selenski will Ukraine für Basis für Rakentschutzschirm in Europa machen» und «Bedrohter Getreidedeal: EU -Staaten erwägen Zugeständnis an Europa». «Will» und «erwägen», die beiden Allheilverben für: alles reine Spekulation. Eine knallharte Reportage hingegen ist das hier: «Die besten Skiakrobaten der Ukraine trainieren in der Schweiz – was macht der Krieg mit ihnen

Ach, und: «Rätselhafter Angriff in der Wüste – der Druck auf die Wagner-Söldner ausserhalb von Russland steigt». Das haben wir noch vergessen: «Druck steigt», die Allerweltsformel für «nichts Genaues weiss man nicht».

Nun ein militärstrategischer Zwischenruf der Kriegsmaschine «watson»:

Das trifft sich gut; da Putin bekanntlich auch wahnsinnig ist, müssten sich die beiden ausgezeichnet verstehen.

«20 Minuten» hat die geheimen Operationskarten des ukrainischen und des russischen Generalstabs durchgeblättert und versucht es mit einer grafischen Darstellung der Lage:

Korrekt ist sicherlich Transnistrien eingezeichnet, der Rest ist allerdings gegendarstellungsfreier Vermutungsraum.

Weit in die Vergangenheit blickt hingegen die NZZ, um weit in die Zukunft zu schauen:

Tatsächlich korreliert der Rückzug aus Afghanistan mit der Auflösung der UdSSR, wieweit er auch kausal daran beteiligt sein soll, weiss nur Ulrich Schmid, der Russland-Experte auf allen Kanälen. Noch wilder ist sein Blick in die Zukunft: «Was geschieht mit dem Vielvölkerstaat Russland nach einer Niederlage in der Ukraine?» Wenn man das auch historisch sehen will: nichts. Abgesehen davon, dass es zu einer Niederlage noch weit, sehr weit hin ist. Und zur Voraussetzung hätte, dass auch Russland, wie die USA in Vietnam oder Korea, gegen den Ratschlag der Militärs auf den Einsatz von Atomwaffen verzichten würde.

Aber die NZZ sorgt sich auch um die Heimatfront: «Die Schweiz wird als Spionage-Drehscheibe für Russland wichtiger – müssen die Behörden härter durchgreifen?» Die Frage stellen, heisst natürlich für die NZZ, sie auch beantworten.

Wer sich die Mühe machen würde, die Kriegsberichterstattung im Ersten oder Zweiten Weltkrieg durchzublättern, würde wenig überrascht zur Kenntnis nehmen: dass die Wahrheit im Krieg zuerst stirbt, ist eine ewig gültige Wahrheit.

Stromereien und Zockereien

ZACKBUM legt sich mit seinen Lesern an. Sollte man nicht tun.

Tun wir aber. Denn wir empfinden uns hier doch noch als Erziehungsanstalt und der Aufklärung verpflichtet. Schliesslich unterscheiden wir uns auch von Organen wie die «Republik» oder Tamedia, die nur im Rahmen des von ihrer Gesinnungsblase Erlaubten die Wirklichkeit zurechthübschen und niederschreiben.

Richtig geraten, es geht nochmals um die Axpo. Nach vertiefter Beschäftigung und mithilfe der NZZ haben wir bereits eingeräumt, dass wir uns in der ersten Analyse getäuscht haben. Die Firma hat schlichtweg ein Liquiditätsproblem, das durch die Besonderheiten des Strommarkts verursacht wurde. Oder einfach gesagt: wer vor einem Jahr prognostiziert hätte, dass der Strompreis von 60 Franken die MWh auf über 1000 explodiert, wäre mit Elektroschocks behandelt worden.

Das wurde soweit verstanden, aber im Chor wird weiterhin der Vorwurf erhoben: «Wer fremden Strom zu angenommenen Preisen auf Termin kauft oder verkauft, ist ein Spekulant. Die Axpo hat mehr Energie gehandelt, als sie selber erzeugt, also ist das Spekulation.»

Das ist richtig, und das ist auch gut so. Fangen wir von hinten an, beim privaten Stromkonsumenten. Der ist nämlich auch ein Spekulant. Warum? Ganz einfach, er schliesst einen Terminkontrakt ab. Macht also genau das, was der Axpo vorgeworfen wird. Der Terminkontrakt besteht darin, dass sein Stromlieferant sich verpflichtet, bis weit in die Zukunft hinein Strom zu einem heute fixierten Preis zu liefern. Wobei nicht einmal die Menge bekannt ist. Spart der Konsument wie wild oder lässt er fünf Elktroöfeli laufen? Das weiss der Stromlieferant alles nicht; er weiss nur, dass er ohne Pleite zu gehen eine unbekannte Menge Strom zu einem fixierten Preis zu liefern hat. Ob auf dem Strommarkt die Preise noch weiter durch die Decke gehen oder nicht.

Nun könnte man einwenden, dass die Axpo dann halt um des Stromes willen Terminkontrakte handeln darf, die ausreichen, um ihren eigenen geschätzten Strombedarf zu decken. Aber handelt sie mit grösseren Volumen, dann sei das eben Spekulation, Zockerei, pfuibäh.

Stellen wir dagegen ein konkretes Beispiel:

Nehmen wir an, die Axpo hat auf Termin 1 Jahr 1 GWh Strom verkauft für Euro 200.- die MWh und nach 3 Monaten sieht sie, dass sie ½ GWh auf denselben Termin kaufen kann zu Euro 150.- die MWh, umgekehrt für einen Termin ein paar Tage später Euro 250.- bekommt die MWh; warum soll sie dann nicht ½ GWh billig zurückkaufen und für einen ähnlichen (ein paar Tage längeren Termin) ½ GWh wesentlich teurer verkaufen? Man müsste den VR entlassen, wenn er solche Gelegenheiten nicht wahrnehmen würde. Es ist so, dass bei der Axpo ein Tradingroom besteht, wo den ganzen lieben Tag gehandelt wird und Arbitragemöglichkeiten wann immer möglich wahrgenommen werden.

CEO Brand hat nun ein kitzliges Kommunikationsproblem. Gesteht er ein, dass die Axpo mit dem Trading hübsche Gewinne macht, versteht niemand, wieso dann die nächste Stromrechnung um 30 Prozent aufschlägt. Dieser geldgierige Wegelagerer. Müsste er einräumen, dass es im Trading Verluste gegeben habe, wäre er ein Versager und sollte entlassen werden.

Wie er’s auch macht, er kriegt von meinungsstarken, aber wissensschwachen Populisten eine rein. Termingeschäft, Spekulation, Zocker, Schweinerei. So geht die Mär.

Der Kurzschluss fängt schon bei dem beliebten Vorurteil an, dass Spekulation als solche des Teufels sei. Geldgierige Spekulanten manipulieren die Preise, treiben sie hoch und runter, je nachdem, wie sie zocken. Eine verdammte Sauerei, eine bodenlose Sauerei, wenn es dabei sogar um Nahrungsmittel oder eben um Bestandteile der Grundversorgung wie Strom geht. Denen muss man das Handwerk legen. Noch schlimmer, wenn sie dann auch noch mit dem Geld des Steuerzahlers gerettet werden müssen, wenn sie sich verzockt haben.

Der zweite Teil trifft schonmal, da sind sich wohl alle einig, auf die Axpo nicht zu. Die hat sich nicht verzockt, sondern macht hübsche Gewinne mit dem Trading. Welche die Besitzer, also die Kantone, gerne einstecken. Aber die Axpo hat ein mögliches Liquiditätsproblem, weil im Strommarkt abgeschlossene Terminkontrakte mit Sicherheiten unterlegt werden müssen, wenn der Preis steigt. Trivial.

Nun ist es so, dass ein Terminkontrakt keinesfalls des Teufels ist, sondern Handlungssicherheit schafft. So wie der Stromkonsument ein Jahr im Voraus weiss, welchen Preis er für eine MWh bezahlen wird, weiss zum Beispiel ein Bauer bereits ein halbes Jahr vorher, welchen Preis er für seine Ernte erzielen wird. Mit dieser Garantie kann er beispielsweisse Düngemittel kaufen. Ist der Preis für eine Tonne Reis zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Terminkontrakts höher als bei Abschluss, hat der Bauer allerdings etwas Pech gehabt.

Liegt der Preis aber niedriger, geht das auf Kosten des sogenannten Spekulanten. Denn er muss den höheren, vereinbarten Preis bezahlen. Natürlich ist das von beiden Seiten Spekulation. Und das ist gut so. Hilfreich. Sinnvoll.

Vielleicht hilft auch der Hinweis auf eine banale Tatsache: alle Spekulationen sind Wetten. Wetten auf eine zukünftige Entwicklung. Und Wetten brauchen immer mindestens zwei Beteiligte. Denn man kann ja schlecht gegen sich selbst wetten. Also gibt es immer Gewinner. Genau wie Verlierer. Wobei der Gewinn von den Verlusten bezahlt wird.

Und damit allenfalls der Leser richtig aufschäumt: Es hat viele Versuche gegeben, den Einfluss von Spekulationen, Termingeschäften, vom Handel mit Derivaten ganz allgemein auf die Preisbildung von Produkten, natürlich in erster Linie Rohstoffe, nachzuweisen. Denn das Bild vom hemmungslosen, geldgierigen Spekulanten, der für den eigenen Profit Grundnahrungsmittel unerschwinglich macht, wodurch in der Dritten Welt Hungersnöte ausbrechen, ist zu verführerisch, als dass man es nicht ständig bedienen würde.

Kleines Problem: dieser Nachweis ist nicht gelungen. Im Gegenteil, auch die Analyse grösster Datenbanken hat immer wieder ergeben, dass es keine signifikante Korrelation zwischen Spekulationsmustern und der Preisentwicklung gibt.

Das ist natürlich blöd, weil es einem allgemein anerkannten Feindbild etwas die Farbe nimmt. Aber die Realität ist halt immer viel bunter, wenn man sie wirklichkeitsnah zu analysieren versucht – statt sie mit der ideologischen Brille zu betrachten. Die gibt zwar Halt in haltlosen Zeiten. Behindert aber Erkenntnisgewinn ungemein.

Medien als Gerüchteküche

Die Medien hecheln allem nach.

Der Finanzblog «Inside Paradeplatz» platzierte am frühen Nachmittag des 8. Juni einen Knaller: «Will State Street die Credit Suisse kaufen?» Basierend auf den Informationen eines «Insiders» wolle der US-Finanzmulti ein freundliches Übernahmegebot abgeben: «Der Preis liege bei 9 Franken pro Titel, sagt ein Insider auf dem Platz Zürich. Der Aufpreis um gut 40 Prozent gegenüber den aktuellen 6.30 Franken würde die CS mit 23 Milliarden bewerten.»

Vorsichtig endete Lukas Hässig: «Ob es zu einem Deal kommt, bleibt ungewiss, auch wenn die Quelle über gute Beziehungen auf dem Finanzplatz verfügt. Solche Informationen sind naturgemäss ungesichert.»

Daraufhin spielte sich Unglaubliches ab. Obwohl die CS gerade mal wieder eine Gewinnwarnung veröffentlicht hatte, was den Aktienkurs nicht dramatisch, aber leicht in den Keller schickte, zog er nach dieser Meldung wieder an.

«Cash» hechelt hinterher.

Die gesamte Fachpresse echote die Information von IP. Nach der Devise: Wenn’s nur ein Scherz ist, sind wir ja nicht dran schuld, also können wir ohne Hemmungen ein paar Klicks damit generieren.

Die NZZ hechelt hinterher.

Die «Handelszeitung» fasste die Kapriolen zusammen: «Am Vortag hatten CS zunächst zeitweise bis zu über 7 Prozent verloren, nachdem die Bank am Morgen einen Verlust für das zweite Quartal angekündigt hatte. Am Mittwochnachmittag vollzogen die Aktien dann einen Kurssprung und schlossen 3,8 Prozent im Plus.»

Tamedia hechelt hinterher.

Natürlich beschränkten sich sowohl State Street wie die CS auf ein «no comment». Was freie Bahn für weitere Spekulationen ermöglichte.

Eigentlich gibt es gewisse Regeln, was börsenrelevante Meldungen betrifft. Eigentlich wäre es ein Zeichen von Seriosität, wenn man eine Meldung, die auf den Angaben eines angeblichen «Insider» beruht, nicht gleich raustrompeten würde. Ganz abgesehen davon, dass dieses Gerücht nicht von IP erfunden wurde, sondern schon länger herumgeistert.

Aber der heutige Zustand der klickgetriebenen Online-Medien erlaubt solche Nachdenklichkeit natürlich nicht. Zwei Kommentatoren auf IP haben die beiden wichtigsten Aspekte der Angelegenheit perfekt zusammengefasst.

Kommentator eins:

«Denke, der Insider hat heute Mittag Call-Optionen auf CS gekauft und dann dieses Märchen erfunden. Damit will er dann in die Ferien.»

Schwer zu toppen, aber dieser Kommentar ist auch nicht schlecht:

«Neuestes Gerücht: IP wird die CS übernehmen!
VRP: Lukas Hässig
CEO: Hans Geiger
CFO: Beni Frenkel
Chief Communications: Klaus J. Stöhlker»

ZACKBUM hofft, mit dieser Prognose keine neue Spekulationswelle auszulösen.

Unsere Nationalbank beim Eierquetschen

Vornehmer heisst das Short Squeeze und bedeutet, Spekulanten in die Hose zu fassen.

Das ist normalerweise ein Spiel für die Big Boys an den Börsen. Zu denen gehört aber auch unsere gute, alte Nationalbank. Wenn ganz grosse Hedgefunds grün und blau vor Ärger und Angst werden, hält sich das Mitleid in Grenzen. Citron Resarch, Melvin Capital oder Citadel sind solche Giganten, die normalerweise unter dem Radar fliegen. Zurzeit aber eher unbekleidet dastehen und sich die Hände vors Gemächt halten.

Wie so häufig hat die «Financial Times», eines der wenigen Organe, in dem Wirtschaft noch kompetent analysiert wird, den Fall aufgeblättert. Wie so häufig hat «Inside Paradeplatz» als bislang einziges Schweizer Organ darauf hingewiesen.

Die Probleme beim Leerverkaufen sind in der Leere des Journalismus zu kompliziert

Ein Short Squeeze ist eine ziemlich unangenehme Klemme, die beim Shorten entsteht. Shorten heisst, ein Wertpapier auf Termin leer zu verkaufen. Zum heutigen Kurs, weil der Spekulant davon ausgeht, dass er es sich bei fallenden Kursen später billiger besorgen kann und so ohne die geringste Wertschöpfung Reibach macht.

Für Fallschirmspringer ohne Fallschirm ist die Variante des leer Shortens. Der Spekulant geht voll ins Risiko und hat seine Wette auf die Zukunft mit nichts unterlegt. Ein theoretisches, aber naheliegendes Beispiel: Die Aktie der Credit Suisse ist mit 9.85 am Freitag aus dem Markt gegangen. Ich biete sie zu diesem Preis zum Verkauf am Mittwoch. In der Hoffnung, dass ich mir sie dann für 9.75 besorgen kann. Hübscher Gewinn ohne Arbeit.

Peinlich wird’s aber, wenn sie am Mittwoch nur für 9.95 zu haben ist. Denn ich muss mein Verkaufsversprechen halten, mich also mit Verlust eindecken. Der ist hier bitter, aber überschaubar.

Richtig peinlich wird’s aber, wenn der Kurs durch die Decke geht. Das war bei der US-Trümmelfirma Gamestopp vor Kurzem der Fall. Deren Aktienkurs dümpelte friedlich bei rund 20 Dollar vor sich hin. Einige Hedgefonds verloren das Vertrauen ins Geschäftsmodell der Bude und begannen zu shorten. Aber statt dass der Kurs ihnen den Gefallen tat, weiter abzusaufen, explodierte er auf bis zu 480 Dollar. Nun stelle man sich vor, dass ein Spekulant zu diesem Preis sich mit ein paar tausend Aktien eindecken muss, die er für 20 Dollar zu liefern hat.

Ein Short Squeeze ist sehr unangenehm

Zumindest Männer, und die überwältigende Mehrheit der Börsenhaie sind Männer, haben dann ein Gefühl, als würden ihre Testikel in einen Schraubstock geraten. Sehr unangenehm. Das gleiche Spiel läuft zurzeit mit den Aktien der Kinokette AMC. Eigentlich, dank Corona, auch ein Kandidat für fallende Kurse. Aber auch AMC wird zu einer Meme-Aktie. So wiederum nennt man Papiere, deren Börsenwert nichts mehr mit dem inneren Wert der dahinterstehenden Firma zu tun hat.

Hedgefunds müssen ja irgendwie Geld verdienen, und sei es nur, um die exorbitanten Fees und Boni des Managements zu bezahlen. Die sind aber im Allgemeinen sehr gut im Abkassieren, weniger gut im Analysieren und Spekulieren. Das neue beim Gamestopp-Casino war, dass auf der Versammlungsplattform Reddit ein Trader unter dem putzigen Pseudonym «Roaringkitty» (brüllendes Kätzchen) eine Community von Kleinhändlern aufgebaut hatte, die gemeinsam so viel Gewicht bekamen, dass sie den Kurs der Spielefirma nach oben treiben konnten.

Das wiederum trieb ein paar Hedgefonds fast in den Bankrott; einer soll dabei beinahe 50 Prozent seines Wertes verloren haben. Aber da ja die meisten Einnahmen von Händlern weiterhin umsatzabhängig sind (schliesslich ist auch das Verrösten von Geld Umsatz), bedeutet eine verlorene Wette die nächste Wette, diesmal aber in die Vollen.

Auch die AMC-Aktie explodiert – nach oben

Das scheint gerade bei der AMC-Aktie zu passieren. Statt sich gefälligst nach unten zu bewegen, explodiert sie förmlich nach oben. Ganz echt furchtbar blöd wird es dann, wenn Shorties – so nennt man diese Spekulanten – mehr Kontrakte ausgestellt haben, als es überhaupt Aktien gibt.

Wie diverse Finanzkrisen gezeigt haben, kann man an der Börse ziemlich viel anstellen; Aktien aus dem Nichts herbeizaubern gehört aber nicht dazu. Auch bei AMC ist inzwischen rund 80 Prozent der Aktien im Besitz von einer Community von Retailhändlern. Allerdings, unvermeidlich sind auch Big Boys wie BlackRock, die Pensionskasse von Arizona – und die Schweizerische Nationalbank (SNB) eingestiegen. Ihr, also uns, gehören rund 200’000 AMC-Aktien. Ihr Paket hat die SNB erst Anfang Mai verdoppelt.

Auf der anderen Seite, also womöglich auf der Verliererstrasse steht – man möchte fast sagen: logisch – die Credit Suisse. Sie soll zu den grösseren Leerverkäufern der Aktie gehören. Funktioniert auch hier der Short Squeeze, dürfte es diesmal ein paar grosse Hedgefunds lupfen.

Unvergessen: der Short Squeeze mit de VW-Aktie 2008.

Richtig lustig wird’s aber dann, wenn die SNB zwar zu den Gewinnern gehört. Aber der CS unter die Arme greifen muss, too big to fail, nicht wahr. Gewinne kassiert das Management, Verluste deckt der Staatsbürger mit seiner SNB ab. Ein Scheissspiel? Aber sicher. Nur hätte es der Staatsbürger ja in der Hand, kräftiger bei seiner SNB mitzureden. Denn die ist auch eine AG. Aber eben, von «da sollte man mal» bis zur Aktion ist es ein weiter Weg.

Vor der Aktion stehen auch Horden von Bedenkenträgern, die ein Hindernis nach dem anderen aufstapeln. Und den Gründungszweck der SNB völlig aus den Augen verloren haben.

Immerhin; endlich ist die Schweiz mal wieder Weltspitze. Mit Abstand. Die Bilanz ihrer Notenbank ist bedeutend grösser als das BIP. Und die SNB ist der grösste Hedgefonds der Welt. Mit ganz tiefen Taschen. Und mit der Lizenz zum Drucken. Zum Gelddrucken.

Dieser Artikel erschien zuerst auf «Die Ostschweiz».