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Du nix verstan?

Kann man Feminist und Rassist sein? Aleksandra Hiltmann weiss Rat.

Es gibt anscheinend einen Sturm im Wasserglas. Denn die deutsche Autorin Sophie Passmann hat in einem Interview etwas gesagt. Wer in die Sektensprache des modernen Feminismus nicht eingeweiht ist, hat vielleicht etwas Mühe, den Satz zu verstehen: «Wenn Redaktionen im Namen des Antirassismus eine schwarze Frau zum vermeintlichen Sprachrohr von rassistischen Erfahrungen in Deutschland machen, führt das dazu, dass wieder nur ein Standard reproduziert wird: Wer spricht am lautesten, am funkiesten in ein Interview­mikrofon hinein

Item, das sei rassistisch, ein Shitstorm brandete über die Autorin, die sich beleidigt aus der Erregungsmaschine Twitter zurückzog. Hat niemand so richtig verstanden, aber nun will Tamedia-Autorin Aleksandra Hiltmann einordnen. Und ZACKBUM darf eine Fortsetzung zum Thema «Tagi-Leser sind Masochisten und zahlen dafür, dass sie gequält werden» schreiben.

Denn die Mit-Rädelsführerin der unbelegten Verleumdungen von 78 Tamedia-Frauen äussert nun Unverständliches über Unverständliches. Den diesen Shitstorm auslösenden Satz mag sie gar nicht zitieren, sie setzt offenbar voraus, dass der jedem Tagi-Leser geläufig ist:

Soweit ZACKBUM Hiltmann verstanden hat, findet sie es wichtig und richtig, dass Passmann für diese Aussage, die eigentlich keiner versteht, kritisiert wird. Denn: «Unkonstruktive Kommentare bedeuten nicht, dass sämtliche Kommentare zu einem Thema unangebracht oder nichts wert sind.» Das mag wahr sein, nur: na und?

Bisher können selbst alte, weisse Männer vielleicht noch folgen. Ab hier wird’s dann schwierig: «Es geht darum, wie oft und wo People of Color, Women of Color, im Feminismus, in den Medien und in der Öffentlichkeit repräsentiert sind – oder eben nicht.» Hier wird’s dann unmöglich: «Es geht um Intersektionalität, also darum, dass es Menschen gibt, die verschiedenen Unterdrückungsmechanismen gleichzeitig ausgesetzt sind.»

Nun wird’s zur unverhohlenen und offenen Quälerei des Lesers (doch, da müsst Ihr durch; hier ist’s wenigstens gratis):

«Es geht also auch um weisse Privilegien, ebenso um weissen Feminismus. Also «einen Feminismus, der die Interessen weisser Frauen ins Zentrum stellt» und der «einer Gruppe zugutekommen soll, die in vielerlei Hinsicht privilegiert ist», das heisst oft auch Frauen, die keine Behinderungen haben und über genügend finanzielle Ressourcen verfügen, formulierte es die Autorin, Afrikawissenschaftlerin und Lehrbeauftragte Josephine Apraku neulich beim deutschen Radiosender Cosmo. Privilegiert aber vor allem auch deswegen, weil weisse Frauen zwar benachteiligt werden von patriarchalen Strukturen, nicht aber von rassistischen. Women of Color hingegen sowohl als auch.»

Weisse Frauen leiden unter dem Patriarchat, sind aber privilegiert und haben keine Behinderungen. Andersfarbige Frauen werden doppelt benachteiligt, behauptet Hiltmann. Das nennt man Schwarzweissdenken.

Aber im Ernst: wie kann es ein Publikumsmedium zulassen, das von seinen Konsumenten Geld einfordert, dass ein solches Sektengeschwätz ungefiltert Hunderttausenden Lesern serviert wird? Wo bleibt da die vielgerühmte Qualitätskontrolle? Traut sich denn kein zurechnungsfähiger Blattmacher (m,w,d) mehr, solche Hirnrissigkeiten abzulehnen? Oder soll das ein Belastungstest sein, wie stark man das Publikum quälen kann, bis es schreiend das Weite sucht?

Wohin dieser Sektenwahnsinn führt, zeigt gerade ein absurdes Theater, dass der «Tages-Anzeiger» doch tatsächlich zur Frontmeldung macht:

Das Stürmchen im Wasserglas: In einer Alternativbeiz zu Bern genossen Alternative ein Alternativkonzert. Bis das in der Pause abgebrochen wurde. Ein Musiker unpässlich geworden? Stromrechnung nicht bezahlt? Kä Luscht? Nein, schlimmer. Ein paar Gäste hätten sich beschwert, dass es ihnen «unwohl» geworden sei. Zu viel geschluckt? Falsches geraucht? Nein, schlimmer. Ihnen sei unwohl, weil ihnen die «kulturelle Aneignung» einiger Mitglieder der Band übel aufgestossen sei. Die seien nämlich weiss, aber trügen Dreadlocks und spielten Reggae. Nun dürfen diese Stinklocken offenbar nur nicht-weisse Jamaikaner tragen. Oder so. Auf jeden Fall entschuldigten sich die Veranstalter und beklagen «Sensibilisierungslücken».

Nein; ZACKBUM hat keine verbotenen Substanzen inhaliert, so etwas kann man nicht halluzinieren oder erfinden. Aber damit ist der Wahnsinn ja noch nicht zu Ende. Nach Hiltmann serviert das Qualitätsmedium Tagi diesen Stuss seinen Lesern auf Seite eins. Denn diese Debatte habe nun auch die Schweiz erreicht. Nein, diese Debatte findet nur innerhalb kleinster Sektenzirkel von verpeilten Fanatikern statt.

Und wenn dem Tagi im Sommerloch wirklich keine Story mehr einfällt, hätten wir zumindest einen Alternativtitel für die Front zu bieten: «Käufer, verpisst euch und lest was Anständiges». Das wäre wenigstens ehrlich.

NZZaS: kleines Zwischenhoch

ZACKBUM ist unparteiisch und so objektiv wie ein Objektiv. Daher Lob, wem Lob gebührt.

Die ersten Bünde der aktuellen NZZaS kann man überblättern. Nicht schlecht, nicht wirklich gut. Besser als die übrige Sonntagspresse. Das ist allerdings ein Kompliment wie: ein Burger von McDonald’s ist besser als kein Burger.

Aber dann kommt der Kultur-Bund. Von erschreckendem 10-Seiten-Umfang. Auf der letzten Seite noch Leserbriefe, Wetter und Impressum. Wo ist Jonas Projer, fragt man sich dort. Aber wer kennt schon alle Sitten des Hauses.

Aber vorher, da geht die Post ab. Es sind zwar zwei Leihstücke, aber das macht ja nichts; man muss auch richtig auswählen können. Zunächst Sophie Passmann mit einem Essay über die sozialen Netzwerke. Sie seien so wie «früher das Fischessen am Aschermittwoch: Statt Freiheit herrschen Kontrolle und Gruppenzwang».

Kann man aus diesem nun doch nicht neuen Thema noch Neues herauskitzeln? Durchaus, wenn man kann. Schon alleine, um die Fallhöhe zu bestimmen, die hier zum Flachsinn existiert, der bei Tamedia, «Republik», CH Media das Wort Essay missbraucht, sollte man das lesen.

«Jede Botschaft auf Facebook, Twitter oder Instagram funktioniert als Ich-Botschaft. Es geht nicht um den Artikel, den ich teile, sondern die Gefühle, die ich beim Lesen des Artikels habe. Es geht auch nicht darum, wie der Inhalt des Artikels in der Welt funktioniert, sondern darum, wie die Tatsache dass ich den Artikel teile, mich im digitalen Raum positioniert. Ich, ich, ich.»

Ein Vorspiel zu einem grossen Essay

Das ist keine schlechte Ergänzung zu dem, was wir hier als das Betasten des eigenen Bauchnabels bezeichnen. Das Ich bekommt eine ganz neue, auch ausgeliehene Wichtigkeit. Früher war sich der Schreiber an «mein liebes Tagesbuch» bewusst, dass der Leserkreis doch sehr überschaubar bleibt. Er also etwas mit sich selbst ausmachen wollte. Heute, dadurch, dass diese Tagebücher öffentlich geworden sind, meinen leider allzu viele, dass ihre völlig unerhebliche, uninteressante persönliche Befindlichkeit zu irgendwas eine Bedeutung hätte. Indem andere Witzfiguren ein Smiley, einen Daumen oder gar einen Kommentar dazustellen.

Aber das ist nur ein Vorspiel zu einem wirklichen Essay. Das ist von Daniel Kehlmann (nur googeln, liebe Frau Zukker). Es ist gleichzeitig ein Vorabdruck, denn Kehlmann hat es zu einer Neuedition der «Stoffe» geschrieben. Nicht googeln, Frau Zukker, das ist oberhalb Ihrer Gehaltsklasse.

Als wär’s ein Stück von Dürrenmatt

Ich gebe zu: die «Stoffe» von Friedrich Dürrenmatt waren mir als Gesamtwerk zu monströs. Als er mir in seinem letzten Interview vor dem Tod sagte, dass ihn das Stoffe-Projekt irgendwie entwuchert war, er sich wohl noch länger, aber vergeblich darum bemühen müsse, es zu bändigen, es halt nicht zuletzt ein typischer, absurder Dürrenmatt geworden sei, da beschloss ich, «Turmbau» und «Labyrinth» so sein zu lassen.

Bis mir hier Kehlmann erklärt, dass das ein Fehler ist. Völlig überzeugt bin ich nach diesem Vergleich:

«Seine späte Prosa mit ihren Labyrinthen, Minotauren und unablässig lockenden Weltuntergängen hat wohl kaum einen engeren verwandten als den argentinischen Magier Jorge Luis Borges.»

Obwohl Borges in meinem privaten Götterhimmel der ganz Grossen hell leuchtet, wäre ich nie auf diesen Vergleich gekommen. Der aber sofort einsehbar und  richtig erscheint. Es wäre natürlich nicht ein Stück von Dürrenmatt und hier über Dürrenmatt, wenn es nicht eine Monstrosität enthalten würde.

Das ist der Anlass des Essays; eine Neu-Edition des Stoffe-Projekts. Fünf Bände, 2208 Seiten, erweiterte Online-Version. 483 Franken. Danke, Diogenes. Aber es gibt auch weniger umfassende Ausgaben der Stoffe. Und die müssen nun natürlich gelesen werden. Danke, NZZaS.