Schlagwortarchiv für: Sklaverei

Aneignung der Aneignung

Es gibt noch so viel zu denunzieren.

Das Ausgrenzen hat sich eingebürgert. Dabei wird angeeignet, was nicht niet- und nagelfest ist. Weisse tragen Rasta-Locken. Das ist pfui, sehr pfui.

Das hingegen ist Carola Rackete. Eine Lichtgestalt für alle Menschenfreunde und Befürworter offener Grenzen. Ein Held. Sogar eine Heldin. Nur: sie trägt Rasta. Und ist weiss. Ist halt kompliziert.

Es soll angeblich über 160 verschiedene Gender geben. Da hat’s der heutige Jugendliche nicht leicht, die zu ihm passende Orientierung zu finden. Aber schön, dass ein Gang aufs Einwohnermeldeamt genügt, und schon kann man mit einem neuen Geschlecht herumspazieren. Diskriminierend ist allerdings, dass die Wahlmöglichkeiten sehr beschränkt sind.

Allerdings: wenn ein Mann eine Frau sein will, ist das nicht auch übergriffig? Eine nicht nur kulturelle Aneignung? Dann wäre ja Cis gut, Trans schlecht. Dabei sollte es doch umgekehrt sein. Es ist kompliziert.

Selbstverständlich reichen gegenwärtige Diskriminierungen, Ausgrenzungen und Unterdrückungen nicht aus, um das Leidensbedürfnis verwöhnter weisser Kids zu befriedigen. Es gibt ja noch eine ganze Latte, einen Kübelwagen voll historischer Schuld. Alleine die Sklaverei bietet ein unerschöpfliches Reservoir für schuldbeladenes, niedergedrücktes Wehklagen. Auf die Knie und «Black lives matter» grölen.

Aber zählen dann weisse Leben nicht? Und sind Neger, pfuibäh, sind Schwarze, würg, sind Persons of Colour, nun ja, sind so gelesene Menschen (endlich, so stimmt’s) denn alle gleich? Schon rein farblich? Oder unterscheidet sich ein Schwarzer aus Afrika von einem in den USA? Und wie steht es mit den Asiaten? Zählen deren Leben auch weniger? Es ist kompliziert.

Der Modeausdruck der Stunde lautet: Ich fühle mich unwohl. Hört man diesen Satz, sollte man sofort diese Gesellschaft verlassen. Alles andere wäre von Übel.

Dann gibt es Frauen, die sich tatsächlich als Frauen lesen lassen. Einfach so. Ihnen eröffnen sich ganz neue, ungenannte Karrieremöglichkeiten. Beförderung nicht mehr nach Kompetenz, sondern nach Genital. Wer hätte gedacht, dass das Tragen eines Pimmels von Nachteil sein kann? Noch so kampffeministisches Geschrei, die konsequente Anwendung des Gender-Sterns, die kräftige Kritik an patriarchalen Strukturen und an Männerherrschaft – nutzt nix. Das Einzige, was hülfe, wäre umoperieren. Aber wäre das nicht wieder eine Aneignung? Es ist kompliziert.

Zum ganzen Elend kommt noch hinzu, dass die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Diskriminiert, exkludiert, ignoriert. Was ein weiterer Skandal ist. Denn wer kümmert sich inzwischen noch um die Rechte der sogenannten Normalen? Wer kämpft für den heterosexuellen Mann mit Hang zu Familienleben und Biertrinken? Gibt es neben der diskriminierten Minderheit nicht sachlogisch auch eine diskriminierte Mehrheit? Die doch auch ihre Rechte hat?

Nehmen wir nur den Kampfplatz Redaktion. Hier der konservativ gekleidete Mann, der niemals auf die Idee käme, die Fingernägel zu lackieren. Nicht, weil er das als übergriffig empfände. Sondern schlichtweg peinlich. Er ist heterosexuell, leicht übergewichtig, höflich, betritt vor der Begleiterin das Lokal, hält ihr beim Abgang die Türe auf, vergisst nicht, ihr den Stuhl zurechtzurücken und deutet mindestens ein Aufstehen an, wenn sie mal wieder das Näschen pudern muss. Er ist pünktlich, zuverlässig, besucht fleissig Weiterbildungskurse, hat Bestnoten in den jährlichen Assessments, sagt immer Verständliches, wenn er gefragt wird, wo er sich in fünf Jahren sehe.

Dort die Frau. Sie ist sich nicht sicher, ob sie sich als non-binär definieren soll. Sie verweigert sich dem männlichen Schönheitsideal und der Körperpflege. Sie kümmert sich um die Gratis-Abgabe von Tampons und Binden, besteht auf Schonung während ihrer Tage, bricht auch schnell in Tränen aus, wenn männlicherseits ein schwachsinniger Themenvorschlag von ihr kritisiert wird. Sie entdeckt allerorten sprachlichen Sexismus und verfasst längliche kritische Schreiben dazu. Das schränkt ihre eigentliche Tätigkeit, das Verfassen von Artikeln, natürlich ein. Schafft sie es dennoch einmal, ist sie tödlich beleidigt, wenn ihre Schilderung des feministischen Kampfkollektivs «Zusammen Monden» als Schulaufsatzgekritzel ohne Relevanz kritisiert – und dennoch veröffentlicht wird.

Aber eigentlich weiss sie: das spielt alles keine Rolle. Auch nicht, dass sie wochenlang keine Zeile absondert, weil sie gerade im Kampf um die Errichtung eines «Safe Space» auf der Redaktion engagiert ist. Ihr Kampfruf «hier ist kein sicherer Ort für Frauen» erschallt durchs Grossraumbüro. Sie ist siegessicher, nachdem sie die Installation einer genderneutralen Toilette durchgesetzt hat und damit drohte, dass das erst der Anfang sei.

Geht es um die Beförderung auf die nächste Hierarchiestufe, ist völlig klar, wer gewinnt.

Das ist ein neues, weites Feld der Diskriminierung. Die Diskriminierung des Normalen. Die Diskriminierung der Kompetenz. Der Vernunft. Des gesunden Menschenverstands. Hier gilt es, sich neu zu engagieren. Klimakleben war gestern, heute ist Kampf fürs Überleben des Normalen. Mit allen Mitteln. Auch mit den Waffen einer Frau. Oder der Körperkraft des Mannes.

Schweiz, Sklaverei, Kirche

In den Medien wird die Rolle eines der wichtigsten Beteiligten in der Schweiz und anderswo unterschlagen.

Haben Sie’s gewusst? Walenstadt und Bellinzona waren zwei Umschlagplätze für Sklavenhandel. Leider erinnert (noch) kein Denkmal an diese Schande. Gut, das war im 9. und 10. Jahrhundert, aber verjährt ist es deswegen noch lange nicht.

Die Liste der Schweizer, die in irgendeiner Form in Sklavenhandel, in Sklaverei verwickelt waren, wird von der Stiftung cooperaxion geführt. Leider zwang Geldmangel unlängst dazu, dass langjährige Mitarbeiter entlassen werden mussten. Den Stiftungsrat präsidiert übrigens der Kommunikationsfachmann Johannes Rechsteiner.

Wer unter K sucht, wird nicht fündig

Der betreut auch die Kommunikationsstelle der katholischen Kirche Bern. Ganze 262 Einträge verzeichnet die Datenbank der Stiftung. Vom «1. Bataillon der 3. Helvetischen Halbbrigade», das auf Befehl Napoleons 1803 einen Sklavenaufstand auf Hispaniola (dem späteren Haiti und Santo Domingo) bekämpfen sollte. Das überlebten allerdings nur 11 der 635 ausgesandten Schweizer. Bis hin zu «Zürich (Stadt)», deren Untaten schon in einem Bericht zuhanden des «Präsidialdepartements der Stadt Zürich» festgehalten wurden. Im Jahre 2007.

Wer allerdings unter K sucht, sucht die wohl bedeutendste und wichtigste Kraft hinter Sklaverei und Sklavenhandel vergeblich: die Kirche. Das ist ungefähr so absurd, wie wenn man die moderne Schweiz ohne den Sonderbundkrieg historisch herleiten würde.

Am Rande wird gelegentlich die Basler Mission erwähnt, wobei immer fleissig betont wird, dass das «Basler Mutterhaus» gegen Sklaverei gewesen sei, sie aber bedauerlicherweise doch in Afrika in Sklavenhaltung verwickelt war.

Sklaverei wird schon in der Bibel gerechtfertigt

Wer aber auch in der aufbrandenden Aufarbeitung der Verwicklung der Schweiz in Sklaverei und Sklavenhaltung nach der Rolle der Kirche sucht, sucht weitgehend vergeblich. Dabei begleitet Sklaverei, ihre Rechtfertigung, die Kirche seit der Bibel.

Wie heisst es schon im Alten Testament:

«Die Sklaven und Sklavinnen, die euch gehören sollen, kauft von den Völkern, die rings um euch wohnen; von ihnen könnt ihr Sklaven und Sklavinnen erwerben.»

Wer meint, im geoffenbarten Wort von Jesus komme das nicht vor, täuscht sich ebenfalls:

«Ihr Sklaven, gehorcht den irdischen Herren mit Furcht und Zittern und mit aufrichtigem Herzen, als wäre es Christus.»

Sklaverei mit päpstlichem Segen

Lassen wir die Kreuzzüge beiseite und konzentrieren uns auf die Sklaverei und den Sklavenhandel nach der Entdeckung der Neuen Welt. Papst Nikolaus V. und dann nochmal Rodrigo Borgia 1493 gaben den päpstlichen Segen, alle Einwohner von Kolonien zu Sklaven zu machen. Dieser Borgia war zudem für sein zügelloses Sexualleben bekannt, seine Orgien waren legendär. Auch sein Nepotismus, so machte er einen seiner zahlreichen Söhne zum Kardinal.

Paul III., ebenfalls mehrfacher Vater, der sogar für seine Enkel kirchliche Pfründe besorgte, verbot dann – wohl unter dem Eindruck der Reformation – immerhin 1537 die Versklavung der indianischen Urbevölkerung in Amerika. Allerdings war die schon durch das Wüten der Konquistadoren dezimiert oder bereits ausgerottet. Und gegen Sklavenhandel aus Afrika wendete er sich ausdrücklich nicht.

Die Kriminalgeschichte des Christentums

Wer die üble und verbrecherische Rolle der Kirche bei der Ausrottung der Ureinwohner in Amerika und den Sklavenhandel genauer nachschlagen will, dem sei das monumentale Werk von Karlheinz Deschner empfohlen. In seinem Lebenswerk, der zehnbändigen «Kriminalgeschichte des Christentums», zeigt Deschner akkurat diese dunkle Seite des Christentums seit seinen Anfängen bis heute auf.

Seine Faktendarstellung ist übrigens weitgehend unbestritten. Einzig der Dominikanermönch Bartolomé de Las Casas begehrte gegen die unvorstellbaren Grausamkeiten der Eroberer auf, abgesegnet von sie begleitenden Kirchenmännern. Ihm verdanken wir den heute noch erschütternden «Bericht über die Verwüstung der westindischen Länder». Als Augenzeuge hatte er das miterlebt, als er im Gefolge von Kolumbus nach Mittelamerika kam, das damals noch als östlicher Teil Indiens galt.

Natürlich durfte dieser Bericht in Spanien nicht veröffentlicht werden; er erschien erst 1822 auf Spanisch – in Paris. De Las Casas war eine tragische Figur; denn in seinem Kampf für das Überleben der Ureinwohner Amerikas befürwortete er den Import von afrikanischen Sklaven. Ein schreiender Widerspruch zwischen guten Absichten und bösen Folgen.

Wer nach der Rolle der Schweizer Kirchen im Zeitalter der Sklaverei sucht, wird nicht fündig

Wer nach Werken sucht, die die Rolle der Schweizer Kirchen und Missionen bei der Sklavenhaltung, dem Sklavenhandel, dem Absegnen solcher Tätigkeiten als gottgefällig sucht, wird nicht fündig. Auch im «Historischen Lexikon der Schweiz» ist die Beteiligung von Kirchen nur eine Randnotiz, wobei eilfertig ergänzt wird, dass sich Teile der Kirche schon früh gegen Sklaverei ausgesprochen hätten.

Da die in der ersten Etappe der Kolonisation und der Eroberung der Neuen Welt dominierenden Königshäuser von Spanien und Portugal tiefreligiös waren, sahen sie sich natürlich von der zustimmenden Haltung der katholischen Kirche bestätigt, dass es sich bei den Ureinwohnern in Amerika nicht um menschliche Wesen handle, auch wenn sie eine verblüffende Ähnlichkeit aufwiesen.

Kirchenmänner sorgten für geistlichen Beistand beim Gemetzel in der Neuen Welt

Seit den ersten Entdeckungsreisen nahmen Kirchenmänner an den Eroberungs- und Vernichtungsfeldzügen teil und sorgten für geistlichen und moralischen Rückhalt und Beistand, wenn die Konquistadoren ihre gottgefälligen Blutbäder anrichteten. Nur gelegentlich sahen es die Priester als ihre Aufgabe, eine allenfalls unsterbliche Seele durch Bekehrung zu retten.

Am liebsten aber kurz vor der Hinrichtung dieses Menschen, damit ihm anschliessend wenigstens der Zugang zum Himmelreich möglich war. Und selbstverständlich hielten Kirchenmänner, auch de Las Casas, auf ihnen übereigneten Ländereien Sklaven.

Von ihm sind die letzten Worte des kubanischen Indianerführers Hatuey überliefert, bevor er auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, nachdem Kubas Ureinwohner fast vollständig ausgerottet worden waren. Er erkundigte sich beim Priester, der noch im letzten Moment seine Seele retten wollte, ob er dann in den Himmel komme. Als der Priester das bejahte, fragte Hatuey, ob er dort auch auf Christen treffen werde. Als ihm auch das bestätigt wurde, sagte Hatuey, dass er in diesem Fall liebend gerne in die Hölle fahren würde, das sei immer noch besser, als mit solch grausamen Menschen das ewige Leben zu teilen.

Die Kirche war damals der einzige moralische Kompass

All das soll selbstverständlich allfällige Beteiligungen von weltlichen Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel nicht relativieren oder entschuldigen. Man muss aber, vor allem, wenn man diese Handlungen aus heutiger Sicht völlig ahistorisch auch moralisch und ethisch verurteilt, dabei bedenken, dass vor der Aufklärung die Kirche der einzige moralische Kompass war, die mit Autorität unterscheiden durfte, was gut und richtig, was böse und falsch ist.

Wie soll nun ein Mensch im 15. oder 17. Jahrhundert Sklaverei, Sklavenhandel als etwas moralisch Verwerfliches empfunden haben, durch seine Beteiligung daran ein besonders verachtenswertes, unethisches Verhalten an den Tag gelegt haben, wenn er sich durch die damalig höchste Instanz in Fragen der richtigen, gottgefälligen Lebensführung bestätigt und legitimiert sah?

Im bedenklichen, oberflächlichen Gejapse, zu dem mediale Berichterstattung über kompliziertere Themen verkommen ist, fallen solche Widersprüchlichkeiten niemandem mehr auf. Das ist bedauerlich, ärmlich und elend.

Wie man ein Framing installiert

Schweiz – Sklaverei. Ein neues Begriffspaar erobert die Medien.

In der Verhaltenspsychologie ist der pawlowsche Hund das Paradebeispiel für Konditionierung. Einer unbedingten Reaktion, beispielsweise dem Schwanzwedeln bei Freude, kann man eine bedingte Reaktion hinzufügen.

Das erreichte Pawlow, indem er immer eine Glocke ertönen liess, wenn einem Hund Futter gegeben wurde. Nach einer Lernphase begann der Hund auch dann zu sabbern, wenn nur die Glocke läutete – ohne Futter.

Auch Journalisten fangen an zu sabbern

Zurzeit passiert das Gleiche in der Schweiz mit dem Begriffspaar Schweiz – Sklaverei, Sklavenhandel. Moderndeutsch nennt man es nicht mehr pawlowschen Reflex, wenn Journalisten zu sabbern beginnen, sobald dieses Begriffspaar auftaucht. Sondern man nennt es das Entstehen eines Narrativs oder Framing.

Schubladendenken, die Herstellung einer vorhandenen oder neuen Assoziationskette. Eine vorhandene ist zum Beispiel die Farbe Gelb zu Zitrone, sauer. Allerdings gab es bis vor Kurzem keine Assoziationskette von Schweiz über Kolonialismus zu Sklaverei und Sklavenhandel. Denn bekanntlich hatte die Schweiz spätestens nach Marignano anno 1515 allen Grossmachtsfantasien abgeschworen; von da an verdingten sich Schweizer nur noch als Reisläufer fremden Herren.

Pas d’argent, pas de Suisses; nur noch die Bezahlung entschied, für wen die Eidgenossen in den Krieg zogen. Aber die Teilnahme an Eroberungszügen, an der Knechtung und Ausbeutung von Völkern in der Dritten Welt, aktive Beteiligung am Sklavenhandel, das warf niemand der Schweiz vor.

Niemand kam bis vor Kurzem auf die Idee, die Schweiz mit Sklaverei zu verbinden

Ein enges, zu enges Verhältnis zum Apartheitstaat Südafrika, das Lagern von Blutgeld und Reichtümern von Potentaten der Dritten Welt, das waren die schlimmsten Vorwürfe, die man der Schweiz machen konnte. Und dass sie Sitz von Handelshäusern war und ist, die die Warenströme der globalisierten Welt lenken.

Aber niemand, von wenigen Irrläufern abgesehen, wäre auf die Idee gekommen, der Schweiz eine Beteiligung an Sklaverei, an Sklavenhandel vorzuwerfen. Bis die «Black lives matter»-Welle auch über die Schweiz hereinbrach und sich mit dem Kampf gegen Klimaleugner ein Gefecht um die Lufthoheit der dringlichsten Anliegen lieferte.

Man sah auch in der Schweiz tapfere Eidgenossen niederknien, gebeugt unter jahrhunderteschwerer Kolonialschuld, und inbrünstig den Nonsense-Slogan skandierend, dass schwarze Leben Bedeutung haben. Es gab da aber anfänglich ein kleines Problem: Schuldbewusstsein, Leidensdruck, dafür braucht es nicht nur einen Slogan, sondern auch einen Grund.

Man muss heimisch leiden, nicht fremdleiden

Stellvertretend für die unterdrückten Schwarzen in den rassistischen USA leiden, das ist zwar ein Ansatz, aber viel besser wäre es, wenn man sozusagen heimisch leiden könnte. Daher probierte man es zunächst mit dem strukturellen Rassismus. Strukturell ist Rassismus, wenn er irgendwie ist, es aber schwerfällt, ihn dingfest zu machen. Auch der Stellvertreterkrieg gegen Begriffe, Mohrenkopf, Schwarzfahrer, Nickneger, vermochte diese Leerstelle nicht wirklich zu füllen.

Da erinnerte man sich daran, dass die Zeiten der Sklaverei und des Sklavenhandels doch schon länger zurückliegen. Zumindest in Europa und in den USA, denn in Schwarzafrika oder Lateinamerika hielt sich Sklavenhandel noch über viele Jahrzehnte, nachdem er von weissen Männern in aufgeklärten Staaten abgeschafft worden war.

Ein erster Durchbruch für die Sklavereiforschung

Also war es naheliegend, die Annalen der Schweiz zu durchforsten; da müssten sich doch Sklavenhändler, Besitzer von Sklaven, Ausbeuter von Sklaven finden lassen. Allerdings: die Suche gestaltete sich zäher als erhofft. Einen Durchbruch erzielte die Sklavereiforschung in der Schweiz erst, als sie den Neuenburger Mäzen David de Pury als üblen Sklavenhändler enttarnte.

Nun gut, der hatte fast sein ganzes Leben in Lissabon verbracht und als geschickter Geschäftsmann von der portugiesischen Krone gewisse Handelsmonopole erhalten. So ganz direkt war er dann auch nicht in Sklavenhandel verwickelt, man konnte ihm auch nicht vorwerfen, auf seinen Ländereien in der Dritten Welt Sklaven schuften zu lassen.

Schliesslich hatte er der Stadt Neuenburg auch ein gewaltiges Vermögen hinterlassen, als er kinderlos in Lissabon starb. Damit stellte die Stadt einige sinnvolle Dinge an und würdigte ihren spendablen Sohn auch mit einem Denkmal. Aber das muss natürlich weg, dieses Mahnmal für einen Sklavenhändler; Schande über ihn. Nun gut, die Monumente seiner spendablen Erbschaft, die müssen nicht unbedingt niedergerissen werden, denn auch heute noch gilt: pas d’argent, pas de Suisses.

Mit «ein de Pury» misst man nun die Schuldhaftigkeit

Damit war aber der erste Schritt im Framing geglückt. Wir haben einen Massstab gefunden, mit dem sich Schuldhaftigkeit in der Sklaverei messen lässt. Damit kann man skalieren. So entblödet sich die NZZ nicht, anlässlich der aktuellen Scheindebatte um angeblich dunkle Sklavereigeheimnisse Zürichs zu schreiben, dass Alfred Escher «nicht zu vergleichen» sei «mit Figuren wie dem Sklavenhändler David de Pury, dessen Denkmal mitten in Neuenburg zu Recht zur Disposition» stünde.

Damit will die NZZ immerhin das Escher-Denkmal vor dem Hauptbahnhof in Sicherheit bringen, dessen Abbruch selbstverständlich schon gefordert wird. In seltener Einigkeit mit dem «Tages-Anzeiger» fantasiert dann der NZZ-Kommentator wortgleich davon, dass «Zürich seit dem 17. Jahrhundert in mannigfacher Weise mit der Sklaverei verbunden» gewesen sei. Das müsse genauer erforscht werden, behauptet die NZZ, will aber gleichzeitig verhindern, dass diese Selbstbeschuldigung aus dem Ruder läuft: «Moral und Anklage braucht es dafür jedoch nicht.»

Wie soll man anders anklagen als aus heutiger Sicht?

Ein wundersamer Satz, ein entlarvender Satz, ein exemplarischer Satz, wie beim Umgang mit dem Thema Schweiz und Sklaverei es selbst der NZZ die Sinne verwirrt. Wie denn anders wird mit diesem Thema umgegangen als mit heutiger Moral und einem anklagenden Zeigefinger?

Anders ist das gar nicht möglich, denn als sich die Stadt Zürich an einer der damaligen Handelsgesellschaften beteiligte, so wie de Pury, war es weder moralisch verwerflich noch gesellschaftlich geächtet, Sklavenhandel zu betreiben. In Schwarzafrika existierte Sklavenhandel schon Jahrhunderte vor der Kolonisation, und dort existierte er auch noch, als die aufgeklärten Staaten Europas und die USA Sklavenhandel und den Besitz von Sklaven verboten.

Verstehen heisst nicht billigen der entschuldigen

Das macht die Beteiligung damals, und sei sie auch noch so gering gewesen, aus heutiger Sicht nicht weniger abscheulich. Aber eben aus heutiger Sicht. Geht man nicht wie die christliche Religion von einem über die Jahrhunderte und Jahrtausende unveränderlichen und unveränderten Menschenbild aus, dann muss man geschichtliche Epochen aus sich heraus verstehen, um Erkenntnisgewinn zu erzielen. Verstehen heisst natürlich nicht billigen oder entschuldigen. Es heisst aber auch nicht, billig mit der moralischen Überlegenheit der Jetztzeit damalige Verhaltensweisen und Einstellungen abzukanzeln.

Wie absurd das ist, kann man einfach mit einer Komplettierung der damaligen Mentalität exemplifizieren. Für de Pury war Sklavenhandel so selbstverständlich wie die Tatsache, dass der portugiesische König qua göttliches Recht über die Portugiesen herrschen durfte, ohne dass ihm Recht oder Gesetz Fesseln auflegen könnten. Für de Pury war es selbstverständlich, dass alleine durch königliche Geburt sein Nachfolger die Regentschaft übernehmen durfte. Für Escher war es selbstverständlich, dass Frauen weder in der Politik, noch in der Wirtschaft etwas zu sagen haben. Für ihn war es selbstverständlich, dass nur Besitzbürger politische Rechte haben. Für ihn war der Gedanke an Sozialwerke eine irrwitzige Forderung von verwirrten Geistern.

Escher als prägende Figur oder als Sklaventreiber?

Alfred Escher war für Zürich und für die Modernisierung der Schweiz eine prägende Gestalt von gewaltiger politischer und wirtschaftlicher Wirkungskraft. Dass er im Umgang kein angenehmer Mensch war und auch mit vielem scheiterte, so wie er vieles bewegte, das gehört zu seiner Biographie. Dass er zur Symbolfigur zu missraten droht, an der pawlowsche Reflexe antrainiert werden sollen, wenn es um die Herstellung einer Verbindung zwischen Zürich und Sklaverei, Schweiz und Sklavenhandel, Schweizer und Kolonialismus gehen soll, ist unerhört.

Ein Rückschritt, ein Rückfall, eine wahre Bankrotterklärung des Historischen Seminars der Uni Zürich, dessen Mitarbeiter sich für einen solchen unwissenschaftlichen Unfug wie der Spurensuche nach «mannigfaltigen Verwicklungen» Zürichs und der Zürcher in die Barbarei der Sklaverei sklavisch dem Zeitgeist gehorchend hingeben. Dass die NZZ ins gleiche Horn stösst, ist bedenklich.

Sklaven der Schwarzweiss-Sicht

Immer wieder für Fake News gut: Alfred Escher, Zürich und die Sklaven auf Kuba und anderswo.

Wenn sich Autoren mit eher leichtem Rucksack an schwere Themen wagen, kommt aus der dadurch entstehenden Kollision meistens beschädigte Ware zum Vorschein.

Der «Tages-Anzeiger» (Artikel hinter Bezahlschranke) bietet gerade eine volle Dröhnung, was herauskommt, wenn Gesinnung über Sinn oder Unsinn triumphiert.

Da wäre mal die Kolumne von Babara Bleisch. Die Philosophin greift darin weit nach oben und will abrechnen: «Kant, Voltaire oder Hegel seien eben «Kinder ihrer Zeit» gewesen, heisst es, um ihre rassistischen und frauenfeindlichen Aussagen zu entschuldigen.» Aber so leicht entkommen die Denker Rächerin Bleisch nicht: «Das Argument verfängt nicht.»

Angstfreies Denken führt nicht immer zu überzeugenden Resultaten

Denn, so gründelt sie, «Kind seiner Zeit», «so dachte man damals halt», das stünde ja nur für «die Angst davor, frei zu denken», sei gar «selbstverschuldete Unmündigkeit», um mal Kant gegen Kant in Stellung zu bringen. Womit Bleisch mal kurz rund 200 Jahre Erkenntnistheorie in die Tonne haut.

Überhaupt seien die Schriften von Kant, Voltaire, Hegel «teilweise gespickt mit sexistischem, rassistischem oder antisemitischem Gedankengut», weiss Bleisch, verzichtet aber auf jeden Beleg dafür. Also wenn ohne Angst frei gedacht wird und dabei solcher Unsinn herauskommt, kann davon nur dringlich abgeraten werden.

Jetzt ist das dunkle Geheimnis gelüftet: Zürich im Sklavenhandel

Ebenfalls auf Treibsand, vermeintlich historisch abgestütztem Gefilde wandelt der «Tages-Anzeiger», und mit ihm eigentlich die gesamten Deutschschweizer Medien, bei der Berichterstattung über die «Verwicklung Zürichs in den Sklavenhandel» (Artikel hinter Bezahlschranke).

Nachdem das «Magazin» vor drei Jahren die Fake News in die Welt setzte, Alfred Escher habe von Sklaverei profitiert, steht natürlich auch sein Denkmal vor dem Zürcher Bahnhof nicht mehr ganz sicher auf seinem Sockel.

Für den Hobby-Historiker David Sarasin von der Lokalredaktion des Tagi steht fest, dass «für viele hundert Jahre die Verknüpfungen der Stadt Zürich mit dem Sklavenhandel und der Sklaverei weitgehend im Dunkeln» gelegen seien. Aber seitdem man wisse, dass «der Vater von Alfred Escher in Kuba eine Plantage mit 80 Sklaven besass», habe sich das geändert.

Historische Tatsachen ändern sich nicht, nur ihre Interpretation

Was sich allerdings nicht ändert, ist die historische Tatsache, dass der Vater von Alfred Escher keine Plantage mit 80 Sklaven auf Kuba betrieb. Was sich auch nicht ändert, ist die historische Tatsache, dass sich sowohl sein Vater wie Alfred Escher schon erfolgreich vor Gericht gegen entsprechende Verleumdungen zur Wehr setzten.

Was sich schliesslich nicht ändert, ist die weitere Tatsache, dass beide schon ziemlich lange tot sind und sich gegen diesen Unsinn nicht mehr wehren können. Aber diese Fake News nahm – Überraschung – die Zürcher Stadtpräsidentin Corinne Mauch zum Anlass, das Historische Seminar der Uni Zürich damit zu beauftragen, der Sache mal auf den Grund zu gehen. Der Bericht liegt nun vor, und er zeige, «wie mannigfach die Stadt mit diesem dunklen Kapitel der Geschichte verbunden war».

Muss die Geschichte Zürichs umgeschrieben werden?

Es rauschte mal wieder gewaltig im Blätterwald; «Wie Zürich von der Sklaverei profitierte», empört sich srf.ch, «Zürich hatte «vielfältige und relevante Verbindungen» zur Sklaverei», übernimmt «watson» der Einfachheit halber den Titel der SDA-Meldung. «Zürich profitierte vom Sklavenhandel», weiss selbst «zentralplus».

Das ist ja furchtbar; muss nun die Geschichte Zürichs umgeschrieben werden? Haben die Zürcher, schon lange bevor in ihren Banken an der Bahnhofstrasse Blutgelder afrikanischer Potentaten gelagert wurden, die deren Vorfahren durch Sklavenhandel angehäuft hatten, auch selber von Sklaverei und Menschenhandel profitiert? Gab es denn sogar Handelsplätze in Zürich, wo schwarze Sklaven wie Tiere vorgeführt und verkauft wurden?

Lachhafte Erkenntnisse von Gesinnungshistorikern

Gemach, so schlimm war’s dann nicht. Denn bei aller Mühe der Historiker, das grelle Licht der Anklage ins Dunkel leuchten zu lassen, haben sie nur geradezu lachhafte «Verknüpfungen» zu Tage gefördert. So habe die Stadt Zürich 1727 Anteile an der South Sea Company erworben. Gemeinhin ist dem Historiker dieser Name wegen der South Sea Bubble geläufig, einer der ersten Wirtschaftsblasen, deren Platzen viele Investoren ruinierte.

Diesem Schicksal entging Zürich immerhin, aber mit dieser Geldanlage sei Zürich «an der Verschleppung von 36’494 Afrikanerinnen und Afrikanern finanziell beteiligt» gewesen. Noch schlimmer trieb es die halbstaatliche Bank Leu, denn sie investierte in die Compagnie des Indes. Die verschleppte von 1720 bis 1750 insgesamt 42’467 Sklaven nach Amerika, haben die Historiker ausgerechnet. Allerdings räumen sie ein, dass Bank Leu erst «einige Jahre später bei der Firma einstieg». Aber das ist sich gleich, Sklavenhandel ist Sklavenhandel, basta.

Noch kühner ist die nächste Verknüpfung, nämlich in Form des Ankaufs dänischer Staatsanleihen. Denn, was Bank Leu natürlich hätte verhindern müssen, mit diesem Geld kaufte die dänische Krone dann zwei karibische Inseln, auf denen Sklaven arbeiteten.

Bunte Tücher aus Zürich im Sklavenhandel

Geht’s noch absurder? Aber immer. Zürich war ein bedeutender Hersteller von sogenannten Indienne-Stoffen. Diese bunten Tücher wurden nach Frankreich und in andere Länder exportiert. Wo ist da die Verknüpfung? Geduld, hier kommt sie: diese Tücher wurden dann nach Afrika verschifft und dort gegen Sklaven eingetauscht.

Muss man noch erwähnen, dass die Baumwollspinnerei Escher, Wyss & Cie. von Alfred Eschers Vater gegründet wurde? Na und? Also bitte, wie urteilt der Tagi: «Es ist ein Nachweis dafür, dass die hiesige Industrie mit der atlantischen Wirtschaft und damit mit der Skalverei verbunden war.» Vor lauter Erregung verwechselt der Autor hier Sklaverei mit skalpieren, wobei das die Ureinwohner der USA mit den Weissen, aber das ist wieder eine andere dunkle Geschichte.

Auf jeden Fall entstand aus der Spinnerei die Maschinenindustrie, und die trug ja bekanntlich «massgeblich zum Schweizer Wohlstand bei», weiss der Tagi. Interessant, da muss der Historiker und ehemalige Leiter der Alfred-Escher-Stiftung, Joseph Jung, in seinem gerade erschienenen Standardwerk «Das Laboratorium des Fortschritts. Die Schweiz im 19. Jahrhundert», zu völlig falschen Schlussfolgerungen, Einsichten und Herleitungen gekommen sein.

900 Zürcher waren Helfershelfer bei irgendwas

Gut, dass das nun zurechtgerückt wird. Und mit anklagenden Gesten auf «900 Zürcher» gezeigt wird, die zwischen 1638 und 1794 «bei der Unterwerfung, Kolonialisierung und Verwaltung von Gebieten Afrikas und Asiens mithalfen». Pfuibäh, sie «halfen bei der Unterwerfung von Sklaven», ist sich der Tagi mit den Historikern einig. Man fragt sich allerdings, wie viele der tapferen Ankläger in den Medien tatsächlich die 56 Seiten dieses Berichts gelesen haben.

In solchen Fällen ist es üblich, sich zu schämen. Daher schäme ich mich dafür, an diesem Historischen Seminar der Uni Zürich Geschichte studiert zu haben. Sagenhaft, wie das inzwischen runtergewirtschaftet wurde. Denn dieser «Bericht», so gelehrt mit umfangreichen Fussnoten und ausführlicher Bibliographie er auch daherkommt, müsste wegen methodologischen, strukturellen, ahistorischen und argumentativen Fehlern selbst als Seminararbeit zurückgewiesen werden.

Wir müssen einen Ausflug in die Psyche machen

Diese «Beweise», diese hergewürgte «Verknüpfung» Eschers, Zürichs in Sklaverei und Sklavenhandel ist dermassen absurd, dass man sie eigentlich nur psychopathologisch erklären kann.

Offensichtlich leiden diese Forscher – und die Berichterstatter in den Medien – unter dem Diktum, dass die Schweiz für grosse Verbrechen einfach zu klein sei. Also möchte man wenigstens einen Grund haben, wieso sich die Schweiz, Zürich, die Nachfahren Eschers, die SKA, der Gotthardtunnel sich schuldig fühlen und schämen müssen.

80 Sklaven auf einer Plantage auf Kuba, über deren Lebensumstände nichts bekannt ist. Angeblich 900 Zürcher, die irgendwelche Funktionen in Afrika und Asien ausübten. Investitionen in Firmen, die wie eigentlich alle Handelsgesellschaften damals auch in Sklavenhandel verwickelt waren.

Nullsummenspiel: Was man in die Geschichte trägt, holt man aus ihr heraus

Wie es der damaligen Mentalität und Auffassung entsprach. Der es auch entsprach, Tiere so zu halten, dass ein heutiger Tierschutz Amok laufen würde. Der es auch entsprach, Frauen als unmündige, zu keiner eigenen Entscheidung fähige Wesen anzusehen. Der es auch entsprach, Blaublüter als durch Geburt und Herkunft über dem Pleps stehende Menschen zu sehen. Der es auch entsprach, Hexen zu verbrennen, Folter als probates Mittel zur Erlangung von Geständnissen anzuwenden.

Alles aus heutiger Sicht gesehen Abscheulichkeiten. Aber die Geschichte der Sklaverei wäre unvollständig ohne die Erwähnung, dass es weisse Männer waren, die ihr Ende forderten, durchsetzten und dafür sogar einen Bürgerkrieg führten. Während die schwarzen Sklavenhändler in Afrika diesem Geschäft schon lange vor der Kolonialisierung nachgingen und auch dazu gezwungen werden mussten, es aufzugeben.

Angesichts all dieser Barbareien ist es schichtweg lächerlich, ja geradezu unverschämt gegenüber den Tätern und Opfern, mit diesen dünnen Beispielen eine Verwicklung Zürichs in Sklavenhandel und Sklaverei und daraus eine bis heute auf uns lastende Schuld herbeizufantasieren.

Völlig verrutschte Perspektiven

Was ist von «Historikern» zu halten, die einen solchen Stuss schreiben: «Sein 200. Geburtstag im Jahr 2019 wurde durch neue Forschungen des Historikers Michael Zeuske überschattet, die belegen, dass der Onkel Alfred Eschers, Friedrich Ludwig Escher, über knapp drei Jahrzehnte die Kaffeeplantage Buen Retiro auf Kuba mit über 80 Sklavinnen und Sklaven betrieb.» Bei der Bedeutung Eschers für die moderne Schweiz ist das ungefähr so absurd, wie wenn man schreiben würde, Gedenkfeiern für den US-Revolutionär Thomas Jefferson, der in der Unabhängigkeitserklärung der englischen Kolonien unsterbliche Worte über unveräusserbare Rechte des Menschen fand, seien überschattet worden von der Tatsache, dass er nicht nur Sklaven hielt, sondern sich auch mit Sklavinnen fortpflanzte.

Unsere Tugend-Taliban

Das ist kein Kalauer, sondern echte Besorgnis

Eine masslose Übertreibung, zugespitzt, überspitzt? Keineswegs. Im verzweifelten Versuch, die Lufthoheit in der öffentlichen Meinungsbildung zu behalten, sind inzwischen fast alle Mittel erlaubt. Alle, von denen wir uns mühsam in den letzten Jahrhunderten getrennt haben.

Zunächst die fallengelassene Unterscheidung zwischen Mensch und Meinung. Wer Ansichten äussert, die anders, provokativ, vielleicht sogar falsch sind, von fehlenden Kenntnissen zeugen, der sollte auf Widerrede stossen. Auf Gegenargumente.

Stattdessen werden angebliche Haltungen, Auffassungen, die ganze Wesensart kritisiert. Nach dem primitiven Muster: Wer das sagt, ist (hier kann Rassist, Hetzer, Populist, Unmensch, Kommunist, Faschist oder was auch immer eingesetzt werden). Vermeintlich werden damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Es müssen keine Gegenargumente gesucht, der so Kritisierte kann aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden.

Dann der Rekurs auf angeblich unbezweifelbare Werturteile. Der fatale Ersatz von richtig oder falsch durch gut oder böse. Es gibt keine Letztbegründung für moralische Werturteile; wer das Gegenteil glaubt, könnte sich gleich für die Wiedereinführung der Inquisition stark machen.

Statt echten Problemen Sprachreinigung

Als Drittes die Dialogverweigerung, wenn der andere nicht aus sogenannter persönlicher Betroffenheit sprechen kann. Nur Schwarze dürfen ermessen, was Rassismus gegen Schwarze ist. Nur waschechte Mexikaner dürfen einen Sombrero tragen, sonst ist das kulturelle Aneignung. Nur Frauen dürfen mitreden, wenn es um Feminismus oder um die Unterdrückung durch patriarchische Strukturen geht.

Dann wird einer Wehleidigkeit und Sentimentalität gefrönt, die in den übelsten Zeiten der Innerlichkeit nicht vorhanden war, als ein zu lautes Wort schon zu Tränen führen konnte. Moderner sind das Mikroaggressionen, kleinste Verletzungen des Wohlbefindens. Wobei nur und ausschliesslich der Verletzte das Recht hat, das zu beklagen. Der Täter kann sich niemals herausreden, indem er behauptet, dass da gar keine Verletzung sichtbar wäre.

Hinzu kommt die wohlfeile Verlagerung von eingebildeten oder echten Problemen auf Sprachprobleme. Männersprache, weisse Sprache, Unterdrückersprache, hier muss ausgemistet werden, am falschen Wort erkennt man die falsche Meinung, dahinter die falsche Haltung. Also hinweg mit dem Wort. Oder hinweg mit der angeblich männlich dominierten Syntax und Grammatik, auf zur Verunstaltung der Sprache, wie sie nicht einmal Orwell erahnte.

Geradezu faschistisch ist das Bedürfnis nach Reinigung. Der Ausmerzung von allem Schlechten. Vor allem dort, wo sich keiner mehr wehren kann: in der Vergangenheit. Filme, in denen gequalmt wird, was die Lunge hergab: zensieren oder verbieten. Anstössige Textstellen, auch in Klassikern der Weltliteratur: ausmerzen oder mindestens mit Kommentaren und Warnhinweisen versehen.

Denkmäler stürzen wie bei Bilderstürmen

Und schliesslich kulminiert dieser Wahn im Bildersturm, in der Forderung, Denkmäler zu stürzen, Plätze und Strassen umzubenennen. Wenn Namen von angeblichen Rassisten, Befürwortern der Sklaverei, von Generälen der falschen Seite, also den Verlierern, das Auge des sensiblen Betrachters beleidigen.

Thomas Jefferson soll unsterbliche Zeilen über fundamentale Menschenrechte formuliert haben? Mag sein, aber er war ein verdammter Sklavenhalter, weg mit ihm. Platon soll irgendwelche Sachen über Philosophie gesagt haben? Aber auch er hatte Sklaven, und dann die Knabenliebe, weg mit ihm. Karl Marx soll ein paar interessante Sachen über die Ökonomie herausgefunden haben? Aber war der nicht Antisemit, und dann hatte er auch noch ein Verhältnis mit seiner Dienstmagd. Weg mit ihm.

Der Rütlischwur der drei Eidgenossen? Gab’s den wirklich, und wieso war kein Schwarzer dabei, auch keine Frau? Rassisten und Patriarchen, weg damit.

De Pury, Agassiz, Escher, General Guisan, ja selbst Dunant, Pestalozzi oder Rousseau hatten bei genauerer Betrachtung dunkle Flecken auf der weissen Weste. Weg damit. Gandhi? Ein übler Rassist. Wo soll dieser Wahnsinn enden? Im Wahn, aber niemals in einer sinnvollen Verbesserung des Menschen, der Welt oder der Geschichte.

Aber auf dem Irrweg dorthin sollen die wenigen Errungenschaften, die uns aufgeklärte Europäer vor Finsternis, Dummheit, Glaubensdoktrinen als Ersatz für Erkenntnisse, vor dem Rückfall in absolutistische Zeiten, in Meinungsterror schützen, wieder über Bord geworfen werden. Dagegen muss sich jeder wehren. Mit allen Mitteln. Mit aller Stimmkraft. Denn so lieb und sensibel nur um die Förderung des Besseren bedacht diese intellektuellen Terroristen auch daherkommen: Sie sind unsere Tugend-Taliban, nur ohne Bart und Turban.