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Neues aus Absurdistan

Putin ist eigentlich ganz anders. Er kommt nur so selten dazu.

So könnte man eine gute Zeile von Udo Lindenberg anwenden, wenn man das neuste Friedensgedöns in der «Weltwoche» liest. Da behauptet doch Wolfgang Koydl: «Dokumente belegen: Russland wollte keinen Krieg, sondern Frieden und Stabilität in Europa. Doch der Westen lehnte ab.»

Schon fatal, dass also der kriegslüsterne Westen den friedensliebenden Präsidenten Putin sozusagen dazu zwang, die Ukraine zu überfallen. Pardon, zu entnazifizieren. Nein, eine zeitlich begrenzte Spezialoperation durchzuführen.

Seine kühne Behauptung stützt Koydl auf «Dokumente» die schon lange bekannt sind. Sie wurden im Dezember 2021 den USA und der NATO vorgelegt. Darin waren russische Vorschläge für zwei Verträge enthalten.

Sie umfassten Forderungen wie: «Alle Mitgliedstaaten der Nordatlantikvertrags-Organisation verpflichten sich, von jeder weiteren Erweiterung der Nato abzusehen, einschliesslich der Ukraine und anderer Staaten.»

Oder: «Die Vertragsparteien verzichten auf die Stationierung von Kernwaffen ausserhalb ihrer nationalen Hoheitsgebiete und bringen solche Waffen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrags bereits ausserhalb ihres Hoheitsgebiets stationiert sind, in ihr nationales Hoheitsgebiet zurück. Die Vertragsparteien beseitigen alle bestehenden Infrastrukturen für die Stationierung von Kernwaffen in ihren nationalen Hoheitsgebieten.»

Der NATO sollte es also verboten werden, weitere Beitrittsgesuche wie beispielsweise von nordischen Staaten entgegenzunehmen. Die USA sollten einseitig alle ihre Atomwaffen aus Europa abziehen und beide Seiten sollten sie einmotten. Zur Freude der übrigen Atommächte wie China, Indien, Frankreich, England oder Israel.

Das sind Forderungen, die nicht wirklich als ernsthaftes Verhandlungsangebot betrachtet werden können. Sie sind so absurd, wie wenn Selenskyj heute einen bedingungslosen Abzug aller russischen Truppen und die Einsetzung eines Kriegsverbrechtertribunals ausschliesslich zur Aburteilung russischer Straftaten verlangt – als Voraussetzung für Verhandlungen.

Das als «Beleg» aufzuhübschen, dass Russland keinen Krieg, sondern «Frieden und Stabilität» gewollt hätte, ist ungefähr so glaubwürdig wie Präsident Putin, der noch kurz vor Beginn der Invasion behauptete, dass Truppenzusammenzüge an der ukrainischen Grenze lediglich für Manöver vorgenommen würden.

Selbst unterstellt, Russland habe das gewollt. Selbst unterstellt, es gab Provokationen in der Ukraine, selbst unterstellt, es gab zumindest mündliche Zusicherungen nach der Wiedervereinigung Deutschlands, dass es keine NATO-Osterweiterung geben werde: das alles ändert nichts an dem Fakt, dass Putin unter Bruch internationaler Verträge und der versprochenen Unantastbarkeit des ukrainischen Staatsterritoriums zuerst die Krim annektierte und schliesslich militärisch in die Ukraine einfiel.

In der gescheiterten Absicht, durch eine schnelle Eroberung der Hauptstadt und der Sicherstellung von Versorgungslinien diese Spezialoperation in wenigen Tagen zu beenden. Selten ist ein Invasionsplan kläglicher gescheitert, und die USA sind Meister in gescheiterten Invasionsplänen.

In der Geschichte will offiziell nie jemand einen Krieg. Es wird ausschliesslich verteidigt, zurückgeschossen, allenfalls auf eine Provokation reagiert. Natürlich wird auch immer auf Hilferufe reagiert, werden Massenvernichtungswaffen gesucht, muss ein grausamer Diktator, ein faschistisches Regime beseitigt werden.

Selbstverständlich haben die USA bei ihren unzähligen Militärinterventionen seit dem Zweiten Weltkrieg immer nur Freiheit und Demokratie verteidigt. So wie die UdSSR und später Russland andere hehre Werte in Ungarn, der Tschechoslowakei, Afghanistan, Georgien und schliesslich in der Ukraine.

Das ist das übliche Propagandagedöns. Wir wollten Frieden. Wir kamen in Frieden, aber natürlich bewaffnet, um den Frieden zu verteidigen.

Dabei geht es hier ausschliesslich um imperiale Politik. Um Grossmächte zu bändigen, gibt es nur Verträge und die Hoffnung auf ihre Einhaltung. Die Ukraine hatte so einen Vertrag, sein Bruch macht Russland zum Paria unter den Staaten und Putin zu einem noch grösseren Lügner als Trump.

Das ist so lachhaft und durchschaubar, dass man sich mal wieder wundert, wieso die «Weltwoche» ihre Spalten für eine solch billige, durchschaubare Propaganda hergibt.

Ach, und Roger Köppel verkündet ungefragt, warum er Trump wählen würde. Weil er auf einen notorischen Lügner, einen Betrüger, einen grossmäuligen Narzissten und Versager, einen gescheiterten Geschäftsmann und überführten Kriminellen steht? Wir wollen es gar nicht wissen. ZACKBUM ist nur froh, dass weder Köppel noch wir in den USA wählen dürfen. Denn die Wahl zwischen dem kleineren Biden und dem grösseren Trump, zwischen einem senilen Greis und einem Amok-Greis, ist wirklich nicht einfach.

Assange!

Was geht beim «Nawalny des Westens»?

Überhöhungen hüben und drüben sind einer Qualitätsberichterstattung abträglich. Die geradezu hymnische Heiligsprechung von Nikolai Nawalny als Märtyrer, als neues Idol, nach dem zukünftig Plätze und Strassen benannt, für ihn Denkmäler errichtet würden, wie ein völlig entfesselter Kommentator in der NZZ schreibt, ist natürlich Humbug, zumindest jetzt nicht zu prognostizieren. Denn schon mancher Held des Moments war im nächsten Moment vergessen.

Oder erinnern wir uns nur an den letzten gefallenen Superstar aller Gutmeinenden und sittlich Bewegten: möchten sie noch an ihre Lobhudeleien auf die junge Mutter Theresa, auf die neue Jeanne d’Arc des Umweltschutzes, auf Greta Thunberg erinnert werden? Eben.

Auf die sicherlich vorhandenen dunklen Seiten von Nawalny hinzuweisen, wilde Theorien aufzustellen, dass doch sein Tod ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt Präsident Putin ungelegen komme, ihn von Schuld und Verantwortung freizusprechen, das ist genauso unsinnig wie Vorverurteilungen und Mutmassungen über seine direkte Beteiligung am elenden Tod Nawalnys. Richtig ist einzig, dass Putin als Autokrat für alles Verantwortung trägt in seinem Staat, also auch dafür.

Richtig ist zudem, dass sich Putin auch hier als Versager erweist, dem kein Stein aus der Krone gefallen wäre, wenn er Nawalny mustergültig hätte behandeln lassen und propagandistisch wertvoll darauf hinweisen können, wie brutal der Westen mit den Gefangenen im rechtsfreien Raum Guantánamo oder mit Julian Assange umgehe.

Roger Köppel in seinem «Daily», das er offenbar im holzgetäferten Alpenreduit aufgenommen hat, behauptet hingegen tatsachenwidrig, dass «kaum eine Zeile über die Assange-Anhörung» erschienen sei; in seiner Verteidigungssuada, dass man auch anders und wider den Mainstream über Russland berichten müsse und solle. Zumindest damit hat er halbrecht, denn auch das sollte es nicht rechtfertigen, schlichtweg Unsinn zu publizieren.

Auch bei Assange täuscht sich der Vordenker der WeWo, vielleicht hat er auf der Alp keinen Zugang zur SMD. Die verzeichnet in der letzten Woche immerhin 206 Treffer für den Begriff «Assange». Das ist doch etwas mehr als «kaum eine Zeile».

Es ist hingegen richtig, dass das ein Klacks gegen fast 1600 Treffer für Nawalny ist. Natürlich spielt da westliche Propaganda eine Rolle, natürlich ist das kein Ruhmesblatt für die angeblich so freien und ausgewogenen westlichen Medien, die das immer mehr nur behaupten.

Noch wilder treibt es wie meist sein Nachkläffer Wolfgang Koydl. Über den Gerichtstermin von Assange habe man eigentlich kaum etwas gehört, für die meisten Medien sei das «nicht der Rede wert». Hysterisches Fazit: «Umso gleissender werden Scheinheiligkeit, Verlogenheit, und Doppelstandards des «Wertewestens» erhellt.» Überbeissen macht jede im Ansatz sinnvolle Kritik sinnentleert.

Nimmt man als Zeitraum die letzten vier Jahre, gibt es für Assange 5000 Treffer, etwas mehr als «nicht der Rede wert». Für Nawalny sind es allerdings 22’000.

Unabhängig vom Ausgang der Anhörung: der jahrelange Leidensweg Aassanges, die jahrelange Haft in einem englischen Hochsicheerheitsknast, das ist ein Skandal, der dadurch nicht kleiner wird, dass der Häftling noch lebt.

Das ist auch der richtige Ort, um auf die verdienstvolle Zusammenstellung eines ZACKBUM-Kommentators hinzuweisen, die wir ohne vertiefte Prüfung als plausibel erachten; dazu ist jeder weitere Kommentar überflüssig.

Ausser diesem: Hier hat ZACKBUM alle Prügel verdient, die ihm von Kommentatoren versetzt wurde. Schon eine oberflächliche Prüfung der Liste hätte ergeben müssen, dass man Selenskyj schlecht für Todesfälle verantwortlich machen kann, die vor seiner Amtszeit stattfanden.

Mea culpa. Der Besitzer von ZACKBUM hat extra seine Ferien auf der Yacht in der Karibik unterbrochen und per Satellitentelefon folgende Erklärung abgegeben: «Ich schäme mich für diesen Text. Er ist inakzeptabel.» Vom zuständigen Redaktor fehlt seither jede Spur; er soll in einem nordkoreanischen Umerziehungslager gesehen worden sein. Was von Felix Abt aber dementiert wird.

SoZ verkehrt, NZZaS funkelt

Der Titel ist ein Hilferuf, das Editorial ein Schrei bei der SoZ.

Woran merkt man, wenn einer Sonntagszeitung mal wieder überhaupt kein Aufreger, kein Primeur, kein aufgedeckter Skandal eingefallen ist?

Ganz einfach, aus der Mottenkiste des Stehsatzes wird eines von drei Themen herausgezogen: Meinungsumfrage, Ratgeber oder Sex.

Ene, mene, muh, getroffen hat es den Sex. Nur: Himmels willen, was soll man über dieses Thema denn noch zu einer Titelgeschichte hochzwirbeln? Nun, man nehme ein bescheuertes Symbobild und hole den Titel aus der Abstellkammer, kurz den Staub wegpusten, et voilà:

Welweit hätten die Menschen immer weniger Sex, weiss die «SonntagsZeitung». Ob das an der Genderdebatte und Aufklärungskampagnen über «Catcalling» liegt? Egal, das ist nicht lustig: «Es geht ja nicht nur um Spass, sondern letztlich um nichts weniger als das Überleben der Menschheit.» Also bitte etwas mehr Ernst. Allerdings gibt es da doch eine Erklärung, die zu denken geben sollte: «Die zunehmende weibliche Selbstbestimmung führt dazu, dass Frauen öfter und entschiedener Nein sagen.» Aha. Ist dann die Lösung, es geht ja um das Überleben der Menschheit, doch wieder ein Nein als ein Ja zu nehmen? Rät das etwa die SoZ? Wir sind erschüttert.

Arthur Rutishauser, der zurückgestutzte Chefredaktor der SoZ, ist es auch. Es kommt hier im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Gipfeltreffen:

Ui. ZACKBUM wusste, dass es eher einsam um Präsident Putin steht, aber nur noch Roger Köppel ist sein Freund? Ob das beide wissen?

Rutishauser muss offensichtlich einen Kreischkobold gefrühstückt haben, denn er holzt los wie eigentlich noch nie zuvor:

«Einerseits gibt es auf der linken Seite ein paar Wirrköpfe, die nach wie vor nach Moskau schielen. Andererseits fallen die AfD in Deutschland und ein Teil der SVP in der Schweiz völlig aus der Rolle. Angeführt werden die russophilen SVPler von Roger Köppel, der seine «Weltwoche» zum Propagandablatt umgebaut hat.»

«Der Missverstandene» auf dem Titel, pfuibäh, dann sei die Todesursache von Nawalny noch unklar, schreibe Köppel, dabei weiss doch jeder, zumindest Rutishauser, dass ihn Putin höchstpersönlich umgebracht hat. Natürlich gibt es sicherlich einen kausalen Zusammenhang zwischen der jahrelangen Quälerei in Straflagern, aber nichtsdestotrotz ist die Todesursache tatsächlich noch ungeklärt, was einem Qualitätsjournalisten wie Rustishauser auch auffallen müsste, wären ihm nicht alle Sicherungen durchgebrannt.

Die SVP «inszeniert sich» gerne als «Verteidigerin der Schweiz». Inszeniert, wohlgemerkt, denn ernsthaft tut sie das doch wohl nicht. Nun aber:

«Aber von Putin, da distanziert man sich nicht. Im Gegenteil und mit Verlaub, so Moskauhörig wie Köppel, der noch vor einem halben Jahr für die SVP im Nationalrat sass, waren im Kalten Krieg nicht einmal die Kommunisten Westeuropas. Und das ist sicher nicht im Interesse der Schweiz.»

Moskauhörig, in der Erregung falsch geschrieben, hörten wir das nicht zum letzten Mal im Kalten Krieg, «Moskau einfach», «rote Gefahr», Fünfte Kolonne», «wehret den Anfängen», «die Kommunisten wollen eine rote Schweiz», sie haben nicht die Interessen der Schweiz im Sinn, daher sind sie «Landesverräter».

All das Gequatsche gab es, nun plappert Rutishauser das im Ernst nach? Ist das eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt der «Weltwoche»? Oder soll das einfach eine Schmähkritik sein, ein Rülpser nach schlechter Verdauung?

Die «NZZamSonntag» hat auch nach durchwachter Nacht keine Idee für eine Titelgeschichte gehabt. Sex, das wäre für sie aber doch zu niveaulos. Dann halt so:

Ui. Ist es soweit? Nun ja Theodor Winkler muss in seinem doppelseitigen Rehash aller bekannten Konfliktherde tief Luft holen:

«Schuld an der gegenwärtig prekären Lage tragen Russland, China, Iran und Nordkorea. Unter ihren machtbesessenen nationalistischen Diktatoren bilden diese aggressiven Länder zunehmend einen Bündnisblock. Alle vier ersticken jede Opposition und versuchen, ihren Machtbereich gewaltsam auszudehnen. Alle haben schon vor Jahren gezielt aufzurüsten begonnen – ohne dass der Westen aufgewacht wäre und die Gefahr erkannt Das Resultat ist eine militärische Überlegenheit der Diktaturen, die bis etwa 2035 anhalten dürfte.»

Wie bitte? Militärbudget USA: 877 Milliarden US-Dollar. China: 292 Milliarden, Russland 86,4 Milliarden, alles Zahlen von 2022.

Oder in anderen Worten: das Militärbudget der USA ist grösser als die Militärausgaben der nächsten zehn Staaten zusammengenommen. Wobei Iran oder gar Nordkorea in dieser Statistik gar nicht auftauchen. Wie man da auf eine «militärische Überlegenheit der Diktaturen» kommen kann? Was für Zeugs mag Winkler wohl geraucht haben?

Wohl das Gleiche wie die Bildredaktion:

Eine halbe Seite Gaga-Symbolbild, über einem mässig originellen Titel? Na ja.

Aber. An diesem Wochenende verziehen wir der NZZaS (fast) alles. Nicht wegen dem Inhalt des Stammblattes, der ist mässig. Aber wegen dem «NZZ am Sonntag Magazin». Doch. Das spinnt zwar wie üblich:

Das sei ein «Design von Daunenjacken jenseits der wuchtigen Steppmäntel». Muss haben, lallt der Leser. Wenn er das Gleiche geraucht hat wie alle hier.

Aber:

Das Interview mit der Psychoanalytikerin Erika Freeman ist fantastisch. Nicht unbedingt wegen der erst 22-jährigen Maja Goertz, die sie interviewt hat. Sondern wegen den Antworten der 96-jährigen Erika Freeman, die häufig im Wiener «Imperial» absteigt. Warum? «Es ist meine Rache an Adolf Hitler, dass ich hier bin. Er hat einmal im «Imperial» übernachtet.»

Ob sie mutig sei, bei diesem Lebenslauf? «Ich habe getan, was getan werden musste. Ist es mutig, keine Angst zu haben? Oder ist es mutig, seine Angst zu überwinden? Ich denke, es ist beides.» Was für eine Frau, was für altersweise, abgeklärte, dennoch messerscharfe Einsichten, ein seltener Hochgenuss, dringend empfohlen.

 

 

 

Alles Missverständnisse

Boderline-Journalismus hat so seine Nachteile.

Es ist absurd, wenn Arthur Rutishauser den Besitzer, Verleger, Herausgeber und Chefredaktor der «Weltwoche» als «Putins letzten Freund» verunglimpft.

Es ist peinlich, wenn Rutishauser als Beleg dafür anführt, dass Roger Köppel schreibe, dass die Todesursache von  Nawalny noch nicht feststehe. Dabei ist das eine völlig richtige Feststellung. Ausser, man ist der Ansicht: völlig egal, was sich herausstellt, natürlich hat ihn Putin persönlich umgebracht.

Richtig ist hingegen, dass Putin die volle Verantwortung für den Tod Nawalnys trägt und sich damit ein weiteres Mal als Versager erweist. Das räumt auch Köppel ein, übrigens. Hätte Putin Nawalny in einem Sanatoriumsknast aufbewahrt, mit allen Annehmlichkeiten ausser der Freiheit, hätte der Kremlherrscher höhnisch darauf hinweisen können, wie der Westen Julian Assange behandle, wie in der Ukraine der US-Journalist Gonzalo Lira umgekommen sei. Während man in Russland respektvoll und korrekt mit solchen Gefangenen umgehe.

Aber nein, Putin liess es geschehen, dass Nawalny in immer brutalere Straflager verlegt wurde, viele Tage im Isolator verbrachte, es also immer offensichtlicher wurde, dass seine Lebenszeit begrenzt ist.

Nun schreibt (und redet) aber Köppel nicht nur selbst, wobei er sich zunehmend eines frömmlerischen Tons bedient. Er lässt auch schreiben. Zunächst Wolfgang Koydl, der his master’s voice imitierte und «Der Missverstandene», Teil zwei, absonderte. Nach dem Grosserfolg von Teil eins, der von einem Geschäftsmann mit wirtschaftlichen Interessen in Russland geschrieben worden war, was dessen Objektivität natürlich überhaupt nicht infrage stellte. Beide unverständlichen Missverständnisse erschienen zu einem, nun ja, etwas unglücklichen Zeitpunkt.

Nun noch der Journalist Guy Mettan, der schon länger durch seine prorussische Einstellung auffällt. Die darf er haben, aber Unsinn schreiben sollte er deswegen nicht.

Der chilenisch-amerikanische Journalist Lira sei in «einem ukrainischen Gefängnis gestorben», behauptet Mettan, «weil er Lügen und Schandtaten des Selenskyj-Regimes aufgedeckt hatte». Tucker Carlson behauptet hingegen, dass Lira zwar wegen angeblich illegalen Handlungen verhaftet worden sei, aber in einem Spital an einer Lungenentzündung starb. Was vielleicht nicht ganz das Gleiche ist, wie in einem sibirischen Straflager zu krepieren.

Dann erinnert Mettan an diverse Verurteilungen Nawalnys. Nun ist wohl ausserhalb der «Weltwoche» unbestritten, dass es sich bei Russland nicht um einen Rechtsstaat mit unabhängiger Justiz handelt. Wie korrekt also diese Verurteilungen zustande kamen, müsste untersucht werden. Noch schlimmer, für seine «angebliche Vergiftung» habe es «verschiedene und widersprüchliche Erklärungen von seinen Freunden» gegeben. Wahrscheinlich hat sich Nawalny das nur so massiv eingebildet, dass Russland ihn ausreisen liess und er in der Berliner Charité gesundgepflegt wurde. Der Nachweis von Gift in seinem Körper wurde von unabhängigen Labors bestätigt.

Schliesslich sei Nawalnys aufsehenerregende Streifen «Putins Palast» in Wirklichkeit «eine plumpe Fälschung, die in einem virtuellen Videolabor im Schwarzwald mit amerikanischem Kapital zusammengeschnitten wurde».

Steile Behauptungen, Beweise? «All diese Fakten lassen sich leicht anhand von authentischen Videos überprüfen, die im Netz kursieren, aber den Nachteil haben, dass sie auf Russisch sind.» Ist aber auch blöd, der so gefürchtete Propagandaapparat Putins ist nicht mal in der Lage, die «authentischen Videos» auf Deutsch zu übersetzen? Sind die vielleicht so authentisch wie der tatsächlich existierende Palast, bei dem Putin allerdings bestreitet, sein Besitzer zu sein?

Köppel tut sich mit solchen Fantastereien keinen Gefallen. Es wäre einer seriösen Untersuchung wert, was hier Propaganda und was Wirklichkeit ist. Aber doch nicht so. Damit bewirkt die WeWo, dass ihre Glaubwürdigkeit ganz allgemein leidet, obwohl sie unbestreitbar differenzierte Positionen einnimmt. Unter anderen. Wer so gegen den Strom schwimmt, darf sich keinen falschen Zungenschlag erlauben. Kann doch nicht so schwer zu kapieren sein.

Broder rides again

Henryk M. Broder schreibt in der «Weltwoche».

Na und, sagt da der uninformierte Laie. Der kann aufgeklärt werden: Im Juni 2022 kündigte Broder mit Getöse an, dass er mit Bedauern, aber aus Gründen der Konsequenz, nicht mehr für die «Weltwoche» schreiben werde. Da gäbe es zu zu viele «Putinisten», die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine russische Postionen vertreten würden.

«Ich bin dann mal weg», so durfte Broder – immerhin in der WeWo – mit Geschimpfe seinen Abgang verkünden. «Schade, aber es geht nicht anders», bedauerte er.

Aber siehe da, was liest man in der neusten Ausgabe der WeWo?

Wer seinen Augen nicht traut: doch, der Autor heisst Henryk M. Broder, es gibt keinen Doppelgänger und der Text ist echt. Ausgerechnet in der Ausgabe, in der Roger Köppel Putin zum zweiten Mal als den «Unverstandenen» aufs Cover klatscht, ist Broder dann mal wieder da.

Lustig. Ist der Mann zu Kreuze gekrochen? Gab es ein Versöhnungsbesäufnis in Berlin? Ist Broder den Schalmeiengesängen von Köppel erlegen? Konnte er nicht umhin, wieder in seinem angestammten Organ, das er über 20 Jahre mit Texten bediente, aufzutauchen? Ist Broder inzwischen auch tendenziell «Putinist» geworden?

Nein, es ist eine süsse Rache der WeWo, die nun wirklich nicht von schlechten Eltern ist. Die Auflösung steht ganz am Schluss des Artikels im Kleingedruckten: «Dieser Text erschien zuerst in der Welt. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Axel Springer SE».

He, he. Denn in Deutschland entäussert sich der Autor normalerweise des Copyrights seines Artikels; das Organ, das ihn kauft (und publiziert), kann über seine weitere Verwendung entscheiden, wobei dem Autor höchstens ein Bakschisch aus den Einnahmen zusteht.

Also hat sich die WeWo, zur Feier der neuen Putin-Ausgabe, den Scherz geleistet, einen Broder-Text einzukaufen. Oder vielleicht konnte Köppel seine alten Beziehungen als ehemaliger «Welt»-Chefredaktor spielen lassen. Oder wie der frömmelnde Verleger, Herausgeber, Besitzer und Chefredaktor wohl sagen würde: mein ist die Rache, spricht der Herr.

Köppel rides again

Ist es Sturheit, Beratungsresistenz oder Tollkühnheit?

Die «Weltwoche», ein Problem von fehlenden Checks and Balances, titelt «Der Missverstandene» über Präsident Putin. Wem das bekannt vorkommen sollte: richtig, so titelte die WeWo schon mal. Roger Köppel hat seit dem unsterblichen Titel «La crise n’existe pas», passgenau zum zweiten UBS-Desaster, ein Händchen dafür, im genau falschen Moment ein Cover in den Sand zu setzen.

Als er im Februar 2022 sich einfühlsam mit der sensiblen Seele des Kremlherrschers befasste, beziehungsweise völlig unparteiische Autoren wie Thomas Fasbender damit befassen liess, marschierte der Missverstandene gerade in die Ukraine ein. Schon damals musste ZACKBUM Köppels bedingten Reflex kritisieren:

«Wenn alle dafür sind, bin ich dagegen. Worum geht es eigentlich? Keine Ahnung, macht aber nix

Putin stehe für eine Abrechnung zwischen «Tradition, Familie, Patriotismus, Krieg, Religion, Männlichkeit, Militär, Machtpolitik und nationale Interessen» und dem «Zeitgeist», der für die «Woke»- und «Cancel-Culture»» stehe, «der unsere Intellektuellen und viele unserer Politiker so inbrünstig huldigen», schwurbelte damals mannhaft-martialisch Köppel.

Also hier der Naturbursche mit nackten Oberkörper, dort die verweichlichten Memmen des Westens. Nun könnte man meinen, dass Köppel nach diesem Sprung mit beiden Beinen in einen riesengrossen Fettnapf am liebsten Gras über die Sache wachsen lassen möchte. Aber da kennte man ihn schlecht.

Sozusagen zum Jahrestag meint er da capo, nochmal, weil’s so schön (unsinnig) war. Köppel selbst legt im Editorial mit diesem frömmlerischen Ton los, den er sich in letzter Zeit zugelegt hat: «Siehe, die Welt ist noch nicht verdammt». Siehe, Köppel hat immer noch nicht die Kriminalgeschichte des Christentums gelesen.

Dann darf, soll, muss, will Wolfgang Koydl eine Eloge, ein vermeintlich verständnisvolles Porträt über die «Persönlichkeit des Kremlchefs» schreiben. Der Ferndiagnostiker ist ihm ganz nahe gekommen und horcht in Herz und Seele:

«Putin ist und bleibt Herr des Narrativs über sich selbst und sein Leben … Auf Putins Privatleben trifft zu, was Winston Churchill über Russland sagte: ein Rätsel innerhalb eines Geheimnisses, umgeben von einem Mysterium … Gerhard Schröder schwärmte von einem «lupenreinen Demokraten», US-Präsident George W. Bush erkannte bei einem Blick in Putins Seele einen vertrauenswürdigen Partner … Vielleicht aber ist er es auch nur müde, vom Westen ständig missverstanden zu werden …»

Die WeWo muss mal wieder Hosianna singen, weil es der ins Religiöse abgeglittene Chef so will. Apotheose von Koydl: «Putin ist absolut berechenbar: Er tut, was er sagt – sei es Versprechen oder Drohung. Und er wird einen Weg finden, beides einzulösen. Daher lohnt es sich, ihm genau zuzuhören.»

Wer ihm genau zuhörte, bekam von diesem Lügner erzählt, dass nicht beabsichtige, die Ukraine zu überfallen. Wenn ein Staatsvertrag, der die territoriale Integrität der Ukraine gegen die Rückgabe der Atomwaffen zusichert, kein gebrochenes Versprechen ist, was dann? Wenn einer einen inzwischen über ein Jahr andauernden Krieg als «militärische Spezialoperation» tituliert, die in wenigen Tagen vorbei sei, was ist der dann? Ein Versager, jemand, der eine Situation völlig falsch eingeschätzt hat. Der US-Präsident Johnson, dem das gleiche mit Vietnam passierte, hatte immerhin das Rückgrat, das Amt aufzugeben. Putin klammert sich an die Macht, bis man ihn aus dem Kreml tragen oder putschen wird. Denn es ist nur den wenigsten Autokraten vergönnt, wie Fidel Castro im Bett zu sterben.

Am lächerlichsten wird Koydl, wenn er Putin über dessen angeblich mehrfache Lektüre der «Toten Seelen» von Nikolai Gogol zu erklären versucht. Offensichtlich hat das Koydl kein einziges Mal gelesen, sonst wüsste er, dass dieses Provinzschelmenromanfragment keinen Deut dazu beiträgt, dass man das heutige, «das chaotische, das träge, das gleichgültige, das letztlich unregierbare Russland» verstünde.

«Es würde sich lohnen, Putin zuzuhören», behauptet die «Weltwoche». Damit hat sie natürlich ein Stück weit recht; die keifige Reaktion auf das über zweistündige Interview von Tucker Carlson in den Mainstream-Medien ist kein Ruhmesblatt für die.

Auf der anderen Seite ist es doch sehr ermüdend, wenn man dem historischen Mäandern des Präsidenten zuhört, der geschichtliche Ereignisse wie die Teilung Polens zwischen Hitler-Deutschland und der UdSSR in einer Art umbiegt, dass man wirklich an seinem Geisteszustand zweifeln muss. Das ist sicherlich Ausdruck eines Problems, das jeder autokratische Herrscher hat: keiner traut sich, ihm zu widersprechen, wenn er Blödsinn verzapft.

Also, Sturheit, Beratungsresistenz oder Tollkühnheit? Ein mutiges «hier stehe ich immer noch und kann weiterhin nicht anders?» Ein echter Versuch, Putin zu verstehen? Leider nein. Es ist viel schlimmer. Es enthält keinerlei Erkenntnisgewinn, erklärt nicht, wieso sich Putin dermassen desaströs verschätzen konnte. Er gleicht darin dem von ihm bewunderten Stalin. Der war nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion, der ihm bis aufs exakte Datum von mutigen Spionen vorhergesagt worden, was er aber als feindliches Täuschungsmanöver vom Tisch gewischt hatte, einige Tage nicht handlungsfähig. Und verachtete die anderen Mitglieder des von ihm gesäuberten Politbüros umso mehr, als die ihn nicht einfach als unfähig wegräumten, sondern anflehten, endlich die Führung im Kampf gegen Hitler zu übernehmen.

Putin hat, da nützt alles Schönschwätzen von Kriegswirtschaft und Umorientierung nach Asien nichts, der russischen Wirtschaft einen Schaden zugefügt, an dem das Land noch viele Jahre zu leiden haben wird. Vom Blutzoll dank unfähigen Generalen ganz zu schweigen. Welche katastrophale Auswirkungen das offensichtliche Ungenügen der russischen Waffen auf die Waffenexportindustrie – neben Rohstoffen die wichtigste Einnahmequelle – hat, ein Desaster. Das Fehlen von Ersatzteilen und Chips, die Russland nicht selber herstellen kann: verheerend.

Russlands Führung, als Lügner, wortbrüchig, brutal unfähig und beratungsresistent gebrandmarkt, wer wird denn Putin noch jemals glauben oder vertrauen, wenn er einen bindenden Staatsvertrag unterzeichnet?

Es ist lachhaft, die Verteidigung der Ukraine als Frage von Freiheit, Demokratie und westlichen Werten gegen ein slawisches Unrechtsregime misszuverstehen. Die Ukraine, zutiefst korrupt, undemokratisch, geführt von einem schlecht beratenen Präsidentendarsteller, der unbedingt an der Macht bleiben möchte, ist nicht einmal die Karikatur dieser Werte.

Aber noch dramatischer ist, wie sich Putin in eine Falle locken liess, wie mit Milliardengeldern aus den USA und der EU (und einem schrecklichen Blutzoll der Ukrainer) Russland als unfähige Regionalmacht vorgeführt wird, die nicht mal mit einem militärischen Zwerg fertigwird.

Wie schreibt Koydl am Schluss: «Deshalb sind alle Vorhersagen, dass das Volk Putin stürzen werde, ebenso falsch wie alle anderen Prognosen, Einschätzungen und Urteile über den Herrn im Kreml.» Inklusive seine. Wenn der Kremlherrscher etwas Ehre und Anstand im Leib hätte, würde er nach dieser Katastrophe selber die Konsequenzen ziehen. Was er aber nicht tun wird.

Primitive Demagogie

Auch auf die Gefahr hin, als Extremist beschimpft zu werden: das ist dummes Geschwätz.

Fabian Renz leitet das Ressort «Analysen und Meinungen» von Tamedia. Das ist der Kopfblattsalat, bei dem schon mal die Todesanzeigen von Zürich in der «Basler Zeitung» erscheinen. Höchste Qualität eben.

Analysen sind hier eher selten, Meinungen kommen gehäuft vor, meistens aus München übernommen. Renz ist so ein Meinungsträger, und daran trägt er schwer.

Er wurde schon mehrfach verhaltensauffällig. Nun ist er aber über ein gefundenes Fressen gestolpert:

Niemand muss darüber reden, Renz will aber. Das darf er natürlich, nur sollte er mit seinem «Leitartikel» den Leser nicht leiden lassen. Aber solche Rücksichtnahme ist im modernen Mainstreamjournalismus unbekannt.

Hier geht es weder darum, originelle Gedanken zu formulieren, erhellende Analysen, erkenntniserweiternde Erläuterungen. Noch darum, differenziert eine Meinung zu einem Ersturteil einer unteren Instanz abzugeben, das wie angekündigt weitergezogen wird und daher nur zeitlich sehr begrenzte Bedeutung hat.

Dass der Richter immerhin völlig richtig erwähnte, dass eigentlich die Beurteilung, ob jemand als «Gaga-Rechtsextremer» bezeichnet werden darf oder ob das eine Persönlichkeitsverletzung sei, eigentlich mehr eine politische Frage sei, die nicht unbedingt vor Gericht ausgetragen werden sollte, auf diesen Hinweis verzichtet Renz.

Er rempelt den SVP-Nationalrat Andreas Glarner lieber als «Kneipenschläger der Schweizer Politik» an. Und mokiert sich: «Andreas Glarner, SVP-Nationalrat aus Oberwil-Lieli AG, ist fürwahr kein Mann des gehobenen Salondiskurses». Bis hierher ist es nicht falsch, was Renz schreibt. Ab hier dafür extrem: «doch diesmal hat er, wenn auch unfreiwillig, eine wichtige Debatte in Gang gebracht».

Debatte? Wichtig? Wer «debattiert» eigentlich, ausser Renz? Dabei debattiert nicht mal der, sondern arbeitet mit Pseudofragen: «Ist, erstens, das Urteil zu begrüssen? Und ist, zweitens, Andreas Glarner also ein Rechtsextremist? Sollen wir ihn so betiteln – hier, jetzt und an dieser Stelle?» In logischer Reihenfolge fährt Renz fort: «Die Antwort auf die zweite Frage lautet: nein.»

Aber: «Es geht im Kern um den Politikstil, den wir uns wünschen. Krawallanten wie Glarner sind hierzulande zum Glück die Ausnahme.»

Dass Renz es nicht so mit Genauigkeit und Kenntnis und Kompetenz hält, beweist er hier: «Glarner will das Urteil weiterziehen – doch solange ihm eine höhere Instanz nicht recht gibt, darf er offiziell als Rechtsextremist tituliert werden.» Quatsch, nicht «offiziell», wenn schon amtlich, und nicht strafbar ist nicht dasselbe wie öffentlich, und öffentlich wäre nicht deckungsgleich mit offiziell. Aber korrekter Gebrauch von Sprache und Begrifflichkeiten, Himmels willen, Renz doch nicht.

Nun fliegt Renz einen logischen Looping nach dem anderen: «Gerade weil wir mit dem Vorwurf des Rechtsextremismus überaus zurückhaltend umgehen, tendieren wir zum Selbstbetrug: Das Problem existiert bei anderen, nicht aber bei uns.» Es existiere also in der Schweiz kein wahrgenommenes Problem namens Rechtsextremismus? Gaga.

Zweiter Looping: «Ins Bewusstsein ruft das Urteil hoffentlich auch beunruhigende Tendenzen innerhalb der grössten Schweizer Rechtspartei: Andreas Glarners SVP. Viele Jahre lang hat die SVP, was ihr hoch anzurechnen ist, zu zweifelhaften Kräften im Ausland sorgfältig Distanz gehalten. Diese Vorsicht ist geschwunden, seit einigen Jahren knüpft man Netzwerke über die Grenzen hinweg. Als Ungarns ultrarechter Autokrat Viktor Orban jüngst auf Einladung von SVP-Publizist Roger Köppel in Zürich referierte, machten ihm die Parteioberen fast in corpore die Aufwartung.»

Der «ultrarechte Autokrat» kann im Rahmen der Meinungsfreiheit durchaus so bezeichnet werden. Gleichzeitig ist er aber der gewählte Ministerpräsident Ungarns. Auch im Rahmen der Meinungsfreiheit darf man den in die Schweiz einladen, ihn eine Rede halten lassen und ihr sogar zuhören, was nicht mit «die Aufwartung machen» zu verwechseln ist, wenn man kommentieren und nicht polemisieren wollte.

Dritter Looping mit krachender Bruchlandung: «Rechtsextremismus höhlt die Demokratie aus und beraubt Minderheiten ihrer Rechte. In seinen krassesten Ausprägungen wird er zur Mordideologie.» Die Bruchlandung erfolgt, weil Renz einäugig lediglich auf Rechtsextremismus einprügelt. Seine Zwillingsschwester, den Linksradikalismus, blendet er dabei völlig aus. Der wird und wurde auch schon zur Mordideologie, oder hat Renz so ein Kurzzeitgedächtnis, dass er die Morde von Linksterroristen wie der RAF bereits vergessen hat?

Dass er vergessen hat, dass die auch in der Schweiz ihre linksradikalen Unterstützer hatte? Vergisst er die Gewalttaten von Linksradikalen in der Schweiz? Ihre ausartenden Demonstrationen, physische Angriffe auf ihrer Meinung nach zu rechte Politiker? Noch nie etwas vom Schwarzen Block gehört?

Wieso erwähnt Renz nicht wenigstens, dass der Herr, gegen den Anzeige erstattet wurde, auch schon Gegner der von ihm erhofften Subventionsmilliarde für reiche Medienclans (und auch ein wenig für seine absaufenden Projekte) als «Freunde des Faschismus» verunglimpfte?

Ist das zumindest nicht auch ein Umgangston, den sich Renz verbitten sollte? Von Schwachmaten in seiner eigenen Redaktion wie Philipp Loser ganz zu schweigen, dessen Wirken wir hier aus hygienischen Gründen nicht mehr kommentieren.

Man kann Glarner und seine verbalen Zweihänder mit Fug und Recht kritisieren. Man kann sich auch fragen, ob er sich einen Gefallen getan hat, den Wüterich Hansi Voigt, den ja ausserhalb seiner klitzekleinen Gesinnungsblase niemand mehr ernst nimmt, einzuklagen.

Aber dermassen einseitig und an diesem Beispiel auf die Gefahren des Rechtsradikalismus hinzuweisen, dabei gar eine freie Meinungsäusserung eines gewählten Politikers als Beispiel für seine Gefährlichkeit herbeizuziehen, das ist erbärmlich. Einseitig. Unredlich. Hat ein bedenkliches intellektuelles Niveau, quält den denkenden Leser (ausser, er gehört zur auch nicht viel grösseren Gesinnungsblase von Renz). Es ist noch schlimmer. Es ist flach und dumm, nutzlos, leblos, ein Buchstabenfriedhof. Schadenersatzpflichtig.

Ganz richtig peinlich wird es, wenn man dieses Gewäsch mit dem Kommentar zum gleichen Thema in der NZZ kontrastiert:

Hier ist in wenigen Worten mehr Gehalt und Denkstoff als in einer ganzen Ausgabe des «Tages-Anzeiger». Zwei kurze Auszüge:

«Gerade die sonst ach so sprachsensiblen linken Aktivisten verzichten mit Absicht auf Differenzierung. Die Kampagnenorganisation Campax, die in Zürich für Demokratie auf die Strasse ging, setzte vor ein paar Monaten sogar die FDP indirekt mit Nazis gleich. Als Strafe dafür, dass sie vor den nationalen Wahlen Listenverbindungen mit der SVP eingegangen war.»

«Wenn Bürgerliche zu Rechten, Rechte zu Rechtspopulisten, Rechtspopulisten zu Rechtsextremen und schliesslich alle zu Nazis werden, werden nicht nur die Verbrechen der Nationalsozialisten und Neonazis verharmlost, sondern ganze Wählerschichten schrittweise beleidigt, diskreditiert und schliesslich delegitimiert. Spätestens dann gilt Demokratie nur noch für Menschen links der politischen Mitte.»

Auch diese Position muss man nicht teilen. Aber statt Gedöns gibt es hier Argumente, elegant formuliert.

«Weltwoche» revisted

Das ist Englisch für: wir beckmessern sie.

Da ZACKBUM-Redaktor René Zeyer auch zwei kleine Beiträge in der aktuellen WeWo hat, kann man unserer Medienkritik eine brutalstmögliche Objektivität nicht absprechen. Um da Missverständnisse zu vermeiden, nehmen wir sie von dieser Blattkritik aus.

Ausser: Dass sich die «Weltwoche» in den eigenen Spalten die Kappe waschen lässt (wer den Beitrag sucht, er ist auf S. 45), weil sie im Fall Seipel versagte, ist in der Schweizer, ach was, deutschsprachigen Presselandschaft einmalig.

Aber zur Sache. Als Titelstory eine launige Kolumne von Oskar Lafontaine, der schon länger wie weiland Statler und Waldorf bei der Muppetshow von der Loge aus giftige Bemerkungen in alle Richtungen streut – na ja. Muss wohl recht alternativlos gewesen sein. Vielleicht war man noch versucht, die «Selenskyj-Festspiele» als Cover zu nehmen, liess es aber dann doch.

Es ist natürlich auch in der Wiederholungsschleife richtig, dass ein Friedensgipfel in der neutralen Schweiz keinen Sinn macht. Erstens ist die Schweiz mit der Befolgung aller US- und EU-Sanktionen nicht neutral, zweitens macht ein solcher Gipfel ohne Russland keinen Sinn, und drittens sind die Maximalforderungen der Ukraine als Gesprächsgrundlage dermassen absurd, dass darüber nicht gesprochen werden kann.

Das Inhaltsverzeichnis, wenn man diesen Ordnungsruf einwerfen darf, sollte dem Leser die Möglichkeit geben, einzelne Artikel zu finden – und ihn nicht in die Irre führen.

Dass die WeWo dem Schaumschläger Marc Friedrich Gelegenheit gibt, sein neustes Buch zu promoten, spricht nicht gerade für eine funktionierende Qualitätskontrolle. Super hingegen mal wieder Peter Rothenbühler, der als bilingue Bakom-Chef Bernard Maissen anrempelt.

Die ewigen Lobeshymnen von Amy Holmes «Trump holt aus zur Revanche» haben langsam den Charme der Verlesung des Wetterbereichts von gestern. Man kennt den Inhalt und gähnt höchstens gelangweilt.

Nun kommen wir zu einer Reihe von bedauerlichen Platzverschwendungen im Blatt. Sie fängt mit der «Weisheit des Herzens» von Michael Bahnerth an. Schwulstgeschwurbel, höchst nervig. Julie Burchill, die das Thema «Frauen» repräsentieren soll, sucht auch immer krampfhafter nach Themen und den persönlichen Aspekt bei der Person, an der sie sich abarbeitet. Duftmarke: «Mit Jodie Foster habe ich nie etwas anfangen können», aber dann füllt sie doch eine Seite über sie. Zeitgeist-Schönschreiber Pascal Morché (wer ein solches Pseudonym verwendet, gehört sowieso disqualifiziert), schreibt über seinen Köter. Himmels willen. Dann Anabel Schunke. Sie widmet sich der Frage, ob der Mann beim ersten Date zahlen solle. Ihre Antwort ist ja. Womit eigentlich der Inhalt der Seite vollständig wiedergegeben wäre.

«Körzis Hollywood», ach ja, «Pratt Pitt sagte mir mal», auch das ist so von gestern. Dann Tom Kummer. Dazu können wir nichts sagen, weil wir prinzipiell keine Texte von mehrfach überführten Schwindlern und Fälschern lesen. Und schliesslich Tamara Wernli, zu der wir nichts sagen können, was nicht sofort als frauenfeindlich, sexistisch und diskriminierend verurteilt würde. Denn Männer stecken mehr weg als Frauen, gähnschnarch.

Vier Seiten über das Liebesleben von Stefan Wimmer. Da fragt man sich schon, welche verbotenen Substanzen der Redaktor zu sich genommen hat, der das ins Blatt hob. Und ob die ganze Redaktion inklusive Roger Köppel im Vollsuff war, als sie das abnickte.

«Literatur und Kunst» mag ZACKBUM dermassen, dass wir uns nicht in der Lage fühlen, hier zu beckmessern. Höchstens: dass die Schweinerei, dass ein Psychiater über seine Gespräche mit einem Patienten unter Bruch des Arztgeheimnisses plaudert, nicht aufs schärfste verurteilt wird, ist ein kleiner Fleck auf der weissen Weste.

Ob es sinnvoll ist, Alberto Venzago beim Ausräumen seines Fotoarchivs zu helfen, wir wagen kein Urteil. Die «Zeitzeichen» von David Schärer, «Ende des Mittelmasses»; schön wär’s. Zwei Seiten «wer war adabei», hoffentlich hilft das bei der Akquisition von Inseraten.

Kassensturz: 18 wertvolle Seiten von 82 sinnlos verschwendet. Da hilft auch kein gemurmeltes «Heftmischung, wir brauchen auch leichte Themen, Sex ist immer gut, Frauenstimmen, Blabla». Das Blatt würde noch besser, wenn man hier klare Schnitte ansetzte.

Denn eigentlich alles, was hier nicht erwähnt wurde, ist durchaus lesenswert.

Frömmelnde «Weltwoche»

Kreuzzug im Geiste von anno dazumal.

Die christlichen Kreuzzüge waren eines der vielen Verbrechen, die die christliche Kirche verübte. Kreuz- und Raubritter wateten im Blut, um Jerusalem zu «befreien». «Deus lo vult», Gott will es. Damit rechtfertigte die Kirche dieses Morden und Metzeln und Brandschatzen und Rauben zwischen 1095 und dem 13. Jahrhundert.

Nun soll es aber angeblich einen «Kreuzzug gegen die Kirche» geben. Statt Gotteshäuser stehen nur noch rauchende Ruinen, Priester werden abgeschlachtet, fromme Gläubige massakriert. Oder wie Roger Köppel fromm barmt: «Niemand stellt sich vor die katholische Kirche. Niemand verteidigt die älteste und erfolgreichste Organisation der Welt. Wehrlos taumelt sie in den Seilen.»

Himmels willen, und Gott hilf. Zumindest Köppel eilt der taumelnden Kirche zur Seite. Gut so. Allerdings ist es durchaus eine erfolgreiche Organisation. Es ist die erfolgreiche und älteste Verbrecherorganisation der Welt.

Vielleicht sollte sich Köppel eine Buchempfehlung seines eigenen Blatts zu Herzen nehmen: «Deschner ist der wohl kompromissloseste Autor und Denker im deutschsprachigen Raum.»  Gemeint ist damit Karlheinz Deschner, der wohl bedeutendste Kirchenkritiker des 20. Jahrhunderts. 1986 legte er den ersten Band seiner «Kriminalgeschichte des Christentums» vor. 2013 beendete er die Reihe aus gesundheitlichen Gründen mit dem 10. Band.

Niemals wurde das Walten und Wüten der Verkünder von Gottes Wort fundierter, kritischer und vor allem so unwiderlegbar seziert. Nur schon die völkermörderische Eroberung Lateinamerikas, von der Kirche gefeiert. Der 30-jährige Krieg. Die Hexenverfolgungen, die ungeheuerlichen Perversionen im Vatikan, der obszöne Reichtum der Kirche. Immer fanden sich Pfaffen, die Kanonen den Segen spendeten, das Mordhandwerk als gottgefällig weihten. Ihr – glücklicherweise vergeblicher – Versuch, Aufklärung, Naturwissenschaften, Fortschritt, Moderne unter dem Leichentuch einer Erzählungssammlung aus längst vergangenen Jahrhunderten zu begraben. Ihre Bigotterie, ihre mörderische Inquisition, ihre Heuchelei, ihre liebedienerische Unterstützung aller Mächtigen, wenn sie nur die Kirche walten liessen. All das macht – nicht nur, aber in erster Linie – die christliche Kirche aus.

All das blendet Köppel aus, wenn er zum «Widerstand der Christen gegen die neuen säkularen Heilslehren» aufruft. Und die Kirche als Lordsiegelbewahrer frommer Tugenden sieht: «Der konservative Katholizismus steht, unter anderem, für Familie, für Tradition, für Freiheit vom Staat, für die klare Unterscheidung zwischen Mann und Frau.»

Der konservative Katholizismus steht in Wirklichkeit für alles Muffige, Miefige, Überkommene, Menschen- und Frauenfeindliche in der Gesellschaft. Seine Freiheit vom Staat äussert sich darin, dass er vom Staat die Kirchensteuer eintreiben lässt. Dann schäumt Köppel, wir kritisierten das schon, zur Apotheose auf: «Die Schauprozesse gegen die Katholiken und ihre Kirche erinnern an den Tugendterror der Französischen Revolution. Wie ihre Vorfahren an der Guillotine verfolgen die «Woke»-Jakobiner rabiat das Ideal einer absoluten Gleichheit: gleiche Meinungen, gleiche Gesinnungen, gleiche Lebensstile, gleiche Vermögen, gleiche Werte und Gesetze auf der ganzen Welt.»

Kreuzzüge, Schauprozesse, Tugendterror, Guillotine, Robespierre, der Mann kennt kein Halten, und keiner kann ihn halten, wenn er ins Abseits galoppiert.

Wenn Kreuzritter Köppel wie Don Quijote losreitet, braucht er seinen Sancho Pansa. Der versucht aber nicht, ihn vor wildem Wahnsinn abzuhalten, sondern doppelt nach.

«Der Kirchen-Skandal ist ein Uni-Skandal», die Titelgeschichte von Christoph Mörgeli.

Man muss ihm lassen: mit gewichtigen Argumenten zerpflückt Mörgeli den «Pilotbericht» eines Forschungsteams der Uni Zürich. Der entspricht tatsächlich kaum ernsthaften wissenschaftlichen Kriterien, behauptet unbelegt, verwendet völlig unscharfe und nicht definierte Begriffe wie «problematische Grenzüberschreitungen» oder gar «verbal übergriffiges Verhalten». Dazu beträgt der so untersuchte Zeitraum mehr als 70 Jahre und beginnt 1950.

Mörgeli kommt dann zum polemischen Fazit: «Zweifellos ist die Gefahr, die von Familienvätern und Onkeln bezüglich sexuellen Missbrauchs ausgeht, entschieden grösser als jene von Priestern.»

Bis hierher kann man seiner Autopsie eines offensichtlich allen wissenschaftlichen Ansprüchen Hohn sprechenden Machwerks noch folgen. Aber dann muss auch er noch einen drauflegen: «So ungefähr haben sich dereinst Kreuzzüge, die Inquisition und Hexenprozesse abgespielt.»

Nein, lieber Historiker Christoph, so haben die sich nicht abgespielt. Da wurde gehauen und gestochen, geschlachtet und gequält, massakriert, aufgeknüpft und erschlagen, gefoltert mit allen Methoden, die sich kranke menschliche Hirne ersinnen konnten. Da wurde glühendes Blei in Münder gegossen, Menschen an auf den Rücken gefesselten Armen hochgezogen, bis die Gelenke krachten, da wurde aufs Rad geknüpft, Augen ausgestochen, Zungen herausgerissen, gevierteilt. Da wurden Menschen in blutige Krüppel verwandelt, die mit gebrochenen Gliedmassen vor Schmerzen zuerst schreiend, dann wimmernd darauf warteten, dass der Scharfrichter ihrem Elend endlich ein Ende machte. Da wurden ganze Urbevölkerungen abgeschlachtet im Namen des Herrn. Deus vult.

Und einem Deschner wäre es wie einem Giordano Bruno (und so vielen, allzu vielen anderen) ergangen, wenn diese Kirche heute noch die Macht hätte, die sie einmal missbrauchen konnte: auf den Scheiterhaufen mit dem Ketzer, Sünder, Zweifler, Denker.

Eine solche Verbrecherorganisation, die nur davon abliess, weil sie Gott sei Dank von der Aufklärung endlich in die Schranken gewiesen wurde, einen solch heuchlerischen Haufen als Bollwerk vermeintlicher Tugenden und guter Sitten missverstehen: das ist nun wirklich jenseits von Gut und Böse.

Das ist nicht mal wider den Stachel gelöckt. Wider den angeblichen Zeitgeist gestänkert. Das ist viel schlimmer. Es ist einfach falsch und dumm.

Gottesdienst, nicht stören

Gluck, gluck, gluck. Mal wieder Untergang bei der WeWo.

Nehmen wir an, das Interview zwischen Tucker Carlson und Urs Gehriger habe stattgefunden. Leichte Zweifel sind bekanntlich erlaubt.

Wie auch immer, hier gibt es 22’000 Anschläge zum Thema Journalist interviewt Journalist. Das ist zunächst einmal Ausdruck davon, dass sich Journalisten unnatürlich wichtig nehmen. Nicht die Botschaft, der Bote ist die Message. Das ist zwar Unsinn, wird aber gerne wiederholt.

Zunächst einmal singt Carlson das Loblied auf den Diktator der VAE: «Die interessanteste und weiseste Führungspersönlichkeit, mit der ich je gesprochen habe, ist der Herrscher von Abu Dhabi, MBZ. Ich habe noch nie eine bescheidenere Führungskraft getroffen [als Scheich Muhammad bin Zayid, d. Red.].»

Blutiger Krieg im Jemen, enge Verbindungen mit dem brutalen Herrscher Saudi-Arabiens, der auch mal einen Oppositionellen in seiner Botschaft ermorden und zerstückeln lässt: sicher ein weiser Mann. Vor allem ein sehr, sehr reicher Mann.

Carlson ist überhaupt für saftige Storys gut: «Das [Joe Bidens Duschen mit der Tochter, d. Red.] ist ein Sexualverbrechen. Ich habe drei Töchter, ich kann Ihnen versichern, dass es nicht normal ist, dass ein Vater mit seinen Töchtern duscht. In ihrem Tagebuch schrieb Ashley: «Ich glaube, ich bin sexsüchtig, weil mein Vater mit mir geduscht hat.»»

Das ist nun ziemlich unappetitlich, aber Carlson kann noch einen drauflegen: «Larry Sinclair hat meiner Meinung nach auf sehr glaubwürdige Weise gesagt, dass er Sex mit Barack Obama hatte.» Sinclair ist ein verurteilter Hochstapler.

Seinen ersten grossen Coup nach seinem Rausschmiss bei Fox News landete Carlson mit einem Interview mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Er (und die «Weltwoche») sieht das sicher anders, aber dieses Interview zeigt jedem, der es schafft, es durchzustehen, dass Trump ein seniler alter Mann ist, der ständig den Faden verliert, wenn man ihn einfach quatschen lässt.

Zwei Höhepunkte aus diesem Interview:

«Und der Grund dafür ist, dass ich glaube, dass sie mich mögen, und ich weiss, dass sie meine Politik lieben. Ich hoffe, sie mögen mich auch. Wissen Sie, viele Leute sagen, sie mögen mich nicht, aber sie mögen meine Politik, ich glaube, sie mögen mich. Aber ich habe noch nie so eine Stimmung erlebt wie jetzt. Und der Grund dafür ist, dass der korrupte Joe Biden so schlecht ist.

Nun, er (Präsident Biden, Red.) kann nicht durch den Sand laufen. Weisst du, Sand ist nicht so einfach zu durchlaufen. Aber wo geht man denn hin, wenn man nicht durch den Sand laufen kann?»

Eine tolle Ausgangslage in den USA. Ein seniler Präsident und ein nicht minder seniler wahrscheinlicher Herausforderer. Und ein Interviewer, der schlimmer als Larry King seine Gäste einfach alles sagen lässt. Dass er damit Millionen von Zuschauern erreicht, sei ihm gegönnt. Aber das als Qualitätsmerkmal hochzuschreiben und Tucker zum «erfolgreichsten Journalisten der Welt» zu ernennen, das ist – nun, auch etwas senil.

Gibt es noch etwas, wo die WeWo zwanghaft gegen den Strom schwimmen muss? Richtig geraten: «Verteidigung der katholischen Kirche», so hebt Roger Köppel fromm in seinem Editorial an: «Niemand stellt sich vor die katholische Kirche. Niemand verteidigt die älteste und erfolgreichste Organisation der Welt. Wehrlos taumelt sie in den Seilen

Wir bekreuzigen uns bestürzt. Köppel versucht’s mit etwas Dialektik: «Die Absicht, Missbräuche zu rechtfertigen, habe ich nicht. Im Gegenteil. Ich verurteile sie. Aber ich beobachte einen Missbrauch des Missbrauchs

Aber wieso verteidigt der selbst ernannte Calvinist Köppel denn die katholische Kirche, die älteste Verbrecherorganisation der Welt? Kennt er Karlheinz Deschners zehnbändige «Kriminalgeschichte des Christentums» nicht? Mag sein, aber schnell kommt Köppel zum Punkt: «Ziel der Angriffe ist die Schwächung der Kirche als Bollwerk gegen den Zeitgeist. Der konservative Katholizismus steht, unter anderem, für Familie, für Tradition, für Freiheit vom Staat, für die klare Unterscheidung zwischen Mann und Frau. Den ersatzreligiösen Klimakult machen viele Katholiken nicht mit

Familie? Abtreibungsverbot, Wiederverheiratungsverbot, Mittelalter? Freiheit vom Staat? Von dem die Kirche in der Schweiz gerne die Kirchensteuer eintreiben lässt? Was für ein Bullshit. Aber wenn Köppel mal in Fahrt ist, hält ihn in seinem Lauf weder Ochs noch Esel auf: «Die Schauprozesse gegen die Katholiken und ihre Kirche erinnern an den Tugendterror der Französischen Revolution.» Gleich stalinistische Schauprozesse mit der Terreur des entfesselten Bürgertums vermischen? Wo finden denn diese Schauprozesse statt, wo arbeiten die Erschiessungskommandos, wo stehen die Guillotinen? Was für ein Bullshit.

Und wo Köppel wie Don Quijote gegen imaginäre Drachen reitet und dabei viel Wind macht, braucht er auch einen willigen Adlatus, sozusagen seinen Sancho Pansa. Den gibt Giuseppe Gracia. Der hyperaktive Kommunikationsberater stösst ins gleiche Horn. Natürlich sei jeder Fall in der katholischen Kirche einer zu viel. «Aber die entrüstete Berichterstattung zur aktuellen Missbrauchsstudie ist heuchlerisch

Weil: «Die säkulare, moralisch entgrenzte Gesellschaft von heute bringt jeden Tag so viele Opfer sexueller Gewalt hervor wie keine religiöse Gruppe in Jahrzehnten.» Moralische entgrenzte Gesellschaft, sozusagen die moderne Fassung von Sodom und Gomorra, Sittenverluderung, furchtbar. Keine Zucht mehr, keine Ordnung. Perversion und Promiskuität. Pfui.

Denn es ist doch schrecklich: «Jeder weiss, dass allein Hollywood jährlich Tausende Opfer produziert und in fast allen westlichen Metropolen täglich mehrere tausend Frauen und Kinder missbraucht werden

Auch in Bern, Zürich, Basel und St. Gallen? Wahnsinn.

Weiss das jeder? Nun, zumindest einer. Nun noch ein Sprutz Dialektik: «Wenn nun die Medien für ihre Stimmungsmache gegen die Kirche den Hauptort sexueller Gewalt ausblenden, dann schützen sie indirekt die Mehrheit der Täter, deren Verbrechen und deren Opfer nicht öffentlich aufgeklärt werden.»

Stimmungsmache, Schutz der Mehrheit der Täter? Was für ein Bullshit. Aber auch Gracia kann sich noch steigern: «Dass der Zölibat zu Missbräuchen in der Kirche führe, ist falsch.» Das habe ein Professor an der Charité mit einer Studie nachgewiesen. Ach, die widernatürliche Unterdrückung sexueller Bedürfnisse hat keine ungesunden Auswirkungen? Unglaublich, was in der WeWo für ein Stuss erzählt werden darf.

Aber auch Gracia geht’s natürlich um das Grundsätzliche: «Der Missbrauch des Missbrauchs ist Teil des gegenwärtigen Kulturkampfs. Im Zeitalter von Konsumismus und Totalverwertung muss alles verfügbar gemacht werden. Auch der Katholizismus soll durchlässig werden für die Wünsche einer Erlebnis- und Optimierungsgesellschaft, die als obersten Massstab nur noch sich selber akzeptiert. Eine Kirche, die es wagt, Unverhandelbares und Unverfügbares zu verkünden – etwa die Unauflöslichkeit der Ehe, die Priesterweihe mit Zölibat nur für Männer oder überhaupt den Anspruch der Zehn Gebote –, so eine Kirche gehört abgeschafft. Finden ihre Gegner.»

Wer hat den Missbrauch des Missbrauchs wem abgeschrieben? Der Hirte Köppel dem Schaf Gracia oder umgekehrt? Aber Gracia ist doch eher resigniert: «Gegen die machtvollen Dynamiken dieser Gesellschaft können die Hirten der Kirche wenig ausrichten.» Oh Herr, gibt es denn keine Hoffnung hienieden? Doch: «Die Liebe ist stärker als der Tod und als alle Mächte des Bösen

Wunderbar, da braucht es in dieser Ausgabe den wiedergeborener Katholiken Matthias Matussek gar nicht, der sogar aus dem finster-fanatischen Gottesmann Ratzinger eine Lichtgestalt erdichtet.

Aber so wollen wir hier auch eingedenken, milde werden und sowohl Köppel wie Gracia einen Bruderkuss auf die Wange hauchen. Denn auch sie sind doch nur Sünder vor dem Herrn, wie wir alle.