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Stoppt Campax!

Die Sammel-Plattform dreht durch. Genug von unwahren Kampagnen!

Der «Co-Geschäftsführer» Andreas Freimüller höchstpersönlich hat eine Beschwerde beim Presserat eingereicht. Er behauptet darin, der Beitrag «Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen» verletze die Richtlinie 1.1. (Wahrheitssuche).

Und weil er der Chef ist, hat Campax gleich eine eigene Webseite gebastelt. Die Hetz-Plattform Campax fiel in der Vergangenheit schon durch diverse anrüchige Kampagnen auf. So polterte Mitarbeiter Urs Arnold: «Nazi-Fratzen hinter Folklore-Fassade». So entmenschlichte er die «Freiheitstrychler» die angeblich «offen rechtsradikales Gedankengut» verträten. Beweis: sie verwenden den alten eidgenössischen Schlachtruf «Harus», den auch die Schweizer Frontenbewegung missbrauchte. Das ist etwa so absurd, wie wenn man den Begriff «heilen» nicht mehr verwenden dürfte.

Schliesslich forderte Campax in einer Petition doch tatsächlich die Postfinance auf, den «Freiheitstrychlern» das Konto zu kündigen; ein klarer Rechtsbruch, denn auch Organisationen, die Campax nicht passen, haben Anspruch auf diesen Service Public. Im eigenen Laden geht’s hingegen weniger ordentlich zu, so sammelt Campax zwar fleissig Gelder, ist aber nicht Zewo-zertifiziert; eigentlich ein Must für jeden seriösen Spendensammler.

Und jetzt diese Breitseite gegen die Pressefreiheit. «Genug von unwahrem Sensationsjournalismus!», tobt Campax und holpert in mangelhaftem Deutsch los: mit dem Artikel über eine seriöse Umfrage an ETH und Uni Zürich «wurde zwanghaft probiert irgendwelche antiquierten Rollenbilder zu zementieren».

Zwanghaft? Dieser nicht nur bei Campax vorhandene bedingte Reflex, auf jede Störung des eigenen Weltbilds mit aggressiver Ablehnung zu reagieren, hat etwas Zwanghaftes. Statt sich an den Autor des Artikels oder vielleicht an seinen Chefredaktor Arthur Rutishauser zu wenden, steigt Freimüller gleich ganz oben ein:

«Deshalb fordern wir die Familie Coninx und Pietro Supino, den Verwaltungsratspräsident der TX-Group dazu auf, Massnahmen zu ergreifen, um den journalistischen Standard und die Qualitätssicherung der journalistischen Arbeit zu garantieren.»

Korrekte Verwendung des Akkusativs, Kommaregeln, solche fundamentale Massnahmen zur Qualitätssicherung sind Campax hingegen in der Aufregung scheissegal.

Wie ZACKBUM nicht müde wird zu beschreiben, liegt die Qualitätssicherung im Hause Tamedia tatsächlich im Argen.Aber sicher nicht bei diesem Artikel, der ja nicht auf dem Mist des Autors gewachsen ist, wie Campax insinuiert, sondern die Meinungen zweier hochqualifizierter Wissenschaftlerinnen wiedergibt, zweier Professorinnen, die eine amtierende Präsidentin der Gleichstellungskommission der Uni Zürich, die andere ihre Vorgängerin.

An deren Kompetenz und Unvoreingenommenheit sowie Sympathie für die Sache der Frau kann nun nicht gezweifelt werden (ausser man heisst Jacqueline Büchi, aber die Dame kann man ja nicht ernst nehmen «Finden Sie es anmassend, wenn ich als weisse Journalistin diese Fragen stelle?»). Also muss man auf den Autor losgehen und wilde Behauptungen aufstellen.

Es ist nun jedermann (selbstverständlich auch jederfrau und jedes***) freigestellt, sich von den Schlussfolgerungen einer wissenschaftlichen Untersuchung im eigenen Wohlbefinden in seiner Gesinnungsblase gröblich gestört zu fühlen. Es löst meistens Unwohlsein aus, wenn in einen Mief-Raum unter Luftabschluss plötzlich eine frische Brise weht.

Aber so durchzurasten, und das nicht zum ersten Mal, das disqualifiziert Campax endgültig. Völlig belegfrei behauptet die Hetz-Plattform noch: «Dieser Fall ist nicht der erste von sexistischer, sensationsheischender Berichterstattung. Aber jetzt ist es genug

Anders wird ein Schuh draus. Das ist nicht das erste Mal, dass Campax völlig Mass und Mitte verliert und zur bösartigen Unterstellungs-, Hetz- und Entmenschlichungsplattform wird. Aber jetzt ist wirklich genug. Die wenigen hereintröpfelnden Unterschriften unter diese Petition beweisen, dass selbst die hartgesottenen Gesinnungsgenossen von Campax diesen Unfug nicht goutieren.

 

Zahnlose Medien

Die neuen Möglichkeiten, Medien mundtot zu machen, sind ein Skandal. Die Medien selbst sind mitschuldig.

Lange vor den Abstimmungen im Stände- und nun auch im Nationalrat war klar, dass die Streichung des scheinbar unwichtigen Wörtchens «besonders» aus den Bestimmungen, wann eine Superprovisorische möglich ist, fatale Auswirkungen haben wird.

Für den Laien gibt es keinen gewaltigen Unterschied zwischen «besonders schwerer Nachteil» oder «schwerer Nachteil». Für den Juristen liegen Welten dazwischen. Für den Richter auch, der ohne Anhörung der Gegenpartei entscheiden muss, ob er dem Antrag stattgeben will, dass ein geplanter Artikel nicht erscheinen darf.

Zwar haben sich spät, sehr spät die meisten Medienhäuser der Schweiz, mit ausnahme der staatstragenden SRG, dazu aufgerafft, in einer gemeinsamen Erklärung vor dieser Streichung zu warnen. Zwar hat selbst die zuständige Bundesrätin davon abgeraten. Zwar haben namhafte Juristen sich in seltener Schärfe gegen die Streichung ausgesprochen.

Andererseits gab es auch Juristen wie den Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch, die sich für diese Streichung aussprachen. Wir wollen hier keine Motivforschung betreiben, sondern Manöverkritik.

Dass nun Tamedia mit einem scharfen Kommentar nachklappert «Das Parlament hilft Oligarchen gegen Schweizer Journalisten», ist an Heuchelei schwer zu überbieten. Denn zum einen hetzt Tamedia ungeniert gegen diese Oligarchen, denen man unbesehen vom Einzelfall doch mal gleich ihre Vermögenswerte beschlagnahmen sollte.

Zum anderern hat Tamedia schön leise gegen diese Aufweichung der Voraussetzungen für eine Superprovisorische opponiert. Man wollte ja die Parlamentarier nicht sauer machen, die gerade dabei waren, eine runde Steuermilliarde auf die grossen Medienhäuser herunterregnen zu lassen. Nachdem das in trockenen Tüchern war, verschärfte sich ein wenig der Protest. Als dann aber absehbar war, dass das Referendum nicht nur zustande gekommen war, sondern gute Chancen zur Annahme hatte, konzentrierte man sich auf seine Bekämpfung und verlor den Anschlag auf die Pressefreiheit wieder aus den Augen.

Statt seit der Zustimmung des Ständerats eine gewaltige Kampagne zu fahren, hob man gelegentlich den kleinen Warnfinger und wackelte damit. Nachdem der Schaden nun angerichtet ist, herrscht weitgehend Schweigen im Blätterwald.

Ukraine, Ukraine, Ukraine. Lautes Geschimpfe über Pressezensur in Russland. Leises Geschimpfe über Pressezensur in der Ukraine. Natürlich brechen nun in der Schweiz keine nordkoreanischen Verhältnisse aus. Aber alle Beschwichtigungen, dass das ja nun nicht so eine grosse Sache sei, wollen die Dimension des Anschlags vernebeln.

Es ist bekannt, dass es in der Schweiz obligatorisch ist, vor Erscheinen eines Artikels der kritisierten Person (oder Firma) die Möglichkeit zu geben, dazu Stellung zu nehmen. Wird diese Chance nicht genutzt oder heisst es lapidar «kein Kommentar»: selber schuld. Auch ein routiniertes «weisen sämtliche Vorwürfe entschieden zurück» hilft nicht wirklich. Reputationsschaden, der durch die Publikation eines kritischen Artikels entsteht, kann tödlich sein. Bitter ist es, wenn eine unschuldige Person (oder Firma) buchstäblich in den Dreck gezogen werden.

Aber nehmen wir mal an, Oligarch Iwan erfährt in seiner netten Villa in Lausanne, dass eine Zeitung einen kritischen Artikel über die Herkunft seines Vermögens plant. Er erfährt es deswegen, weil er offiziell angefragt wird, was er denn zu den Vorwürfen sage. Er habe sein Geld durch Korruption, Diebstahl und rücksichtsloses Vorgehen während des Zerfalls der UdSSR gewonnen.

Durch die Anfrage erfährt er zudem, über welchen Informationsstand das Medium verfügt. Nehmen wir an, die ist für ihn durchaus brenzlig. Also hält er eine abwiegelnde Stellungnahme für unzureichend. Also antwortet er nicht auf das Angebot einer Stellungnahme, sondern ruft sofort einen seiner Anwälte an. Der solle umgehend eine Superprovisorische beantragen.

Warum? Na, weil durch die Publikation dieser Recherche ihm ein schwerer Nachteil entstehen würde. Welche Art? Imageschaden, Persönlichkeitsverletzung, Geschäftsschädigung. Einem guten und teuren Anwalt fällt da einiges ein.

Nun muss ein Richter ohne Anhörung der Gegenpartei entscheiden, ob er eine solche Verfügung erlässt und die Publikation präventiv verbietet, was immer sehr heikel ist. Denn das Publikationsorgan hat keine Chance, seine Sicht der Dinge vorzutragen. Das kann dann erst in einem ordentlichen Verfahren geschehen.

Aber zumindest ist mal dem Momentum eines frisch entdeckten Skandals die Spitze genommen. In den zu Tode gesparten Redaktionen wird nun mit juristischem Beistand durchgerechnet, was ein Prozess zur Beseitigung des Publikationsverbots kosten würde. Im Fall, dass das Medium gewinnt – und auch im Fall, dass es verliert.

Meistens ist das Resultat dermassen ernüchternd, dass die Redaktion zähneknirschen auf eine Publikation verzichtet. Und genau das wollte der Oligarch doch erreichen.

Was Stände- und Nationalrat hier geboten haben, ist unterirdisch. Dass es sich Rechtsgelehrte wie Jositsch nicht nehmen lassen, ein solches Engerschnallen des Maulkorbs zu begrüssen, ist beelendend. Die weiterhin ausbleibende massive Gegenwehr der Medienhäuser (nachdem die Abstimmung über die Medienmilliarde den Bach runter ging) bedeutet, dass man sich zähneknirschend mit seinem Schicksal abgefunden hat.

Ein paar wenige motzen noch, aber auch die werden ihre Aufmerksamkeit schnell wieder der Ukraine zuwenden. Den richtigen Zeitpunkt für so eine Schweinerei zu finden, das ist die wahre Kunst von allen, die den Medien einen engeren Maulkorb verpassen wollten.

Wumms: Nationalrat

Das Wort «besonders» gestrichen, die Pressefreiheit gemindert.

Nun hat auch noch der Nationalrat das Wort «besonders» gestrichen. Was ist daran besonders oder aufregend? Das ist besonders aufregend, weil damit ein Stück Pressefreiheit verloren geht.

Dann das Wort stand im Artikel 266 der Zivilprozessordnung. Dort geht es um sogenannte superprovisorische Massnahmen. Es handelt sich hier um den einzigen Gesetzesartikel, der etwas in unserem Rechtssystem sonst Wesensfremdes regelt. Nämlich eine präventive staatliche Massnahme, ohne dass der davon Betroffene Gelegenheit hat, vorab dazu Stellung zu nehmen, Protest einzulegen, seine Position zu verteidigen.

Insbesondere kann versucht werden, der Presse die Berichterstattung zu verunmöglichen oder zu erschweren. Wir haben die Sauerei schon kommentiert, als der Ständerat dieser Gesetzesänderung zustimmte.

Seither ruhten die Hoffnungen auf dem Nationalrat. Denn das Wort «besonders» schränkte die Möglichkeiten von reichen Menschen oder Firmen ein, sich präventiv gegen unliebsame Berichte zu wehren. Dabei geht es nicht mal darum, dass sie damit durchkommen. Aber indem sie die Publikation eines Artikels verhindern können, weil sie einen «besonders schweren Nachteil» befürchten, verzögern sie die Sache, verursachen happige Gebühren und lassen die kaputtgesparten Redaktionen befürchten, dass ungeahnte Zusatzkosten auf sie zukommen.

Um das zu beschränken, gab es eben das Wort «besonders«, das juristisch seine schwerwiegende Bedeutung hat. Nun ist es gestrichen, was heisst, dass es leichter wird, eine solche superprovisorische Massnahme zu erwirken.

Von den Befürwortern wurde argumentiert, dass damit der normale Bürger vor Kampagnenjournalismus oder Fertigmacher-Artikeln besser geschützt werden soll. Das ist Mumpitz; profitieren werden alle, die genügend Geld haben, um sich einen langwierigen Rechtshändel leisten zu können.

Das ist, mit Verlaub, eine verdammte Sauerei.

Hier spricht der Chäf

Tamedia: hier zählt die Meinung. Zuerst die von Pietro Supino. Von wem denn sonst?

Leichter Bauchansatz. Ansonsten locker im Auftritt; Newsroom, Jackett am Finger über den Rücken gehängt. Leicht zerknitterte Hose, blassblaues Hemd, immerhin Manschettenknöpfe. Keine Krawatte, kein sichtbares Monogramm zum Signalisieren: massgeschneidert.

Das ist mal ein Chef als Kumpel, der Mund zum Ansatz eines Lächelns leicht geöffnet. In dieser Haltung entscheidet Pietro Supino sicherlich auch jeweils über die nächste Entlassungswelle. Und beauftragt Corporate Communication, mal wieder das faule Ei, das er gelegt hat, golden anzumalen und mit Schleifchen zu dekorieren («schmerzlich, aber für die mittelfristige, Synergien, noch mehr als zuvor, Qualität, Vertrauen, Blüblü»).

Nun geht’s aber mal wieder um alles, also um: «Die Politik ist gefordert, die Pressefreiheit zu bewahren», behauptet der Verleger, VR-Präsident der TX Group, Oberboss von Tamedia und das Mitglied des Coninx-Clans. Gerade rumpelt der Beschluss, Schweizer Medien noch mehr Steuergelder reinzuschaufeln, durch die beiden Parlamentskammern. Höchste Zeit, findet Supino, in diesem Umfeld noch seinen Senf zu geben; bzw. geben zu lassen. Also griffen die Sprachkünstler in die Harfe und lassen engelsgleiche Töne sprudeln:

«Freie und unabhängig Medien sind für eine Demokratie unerlässlich, vor allem für eine direkte Demokratie, wie wir sie in der Schweiz pflegen.»

Zustimmend eine andere Grösse zu zitieren, das kommt auch immer gut: «Medien sind Weltbilderzeuger, wie es der Präsident der Eidgenössischen Medienkommission Otfried Jarren auf den Punkt bringt. Man könnte auch sagen Marktplätze, die zwischen Bürgern, Politik, Wirtschaft und Kultur vermitteln.»

Fast. Ehrlicher wäre gewesen: Man könnte auch sagen Marktplätze, die das Privatvermögen des Coninx-Clans mehren.

Weiter auf der Schleimspur: «… besondere Verantwortung verbunden … strengen Massstab an unsere Arbeit ansetzen … Erfüllung unseres medienethischen Anspruchs … unsere Glaubwürdigkeit ist unser grösstes Kapital.»

Wenn Tartuffe spricht …

Man leidet mit den armen Schweinen, die so was formulieren müssen und sich dann nicht mal den Finger in den Hals stecken müssen, um sich zu entleeren. So lässt also der nur an der Mehrung des Profits seines Clans interessierte Supino schwurbeln. Will er also der Verabschiedung weitere Millionenfüllhörner, die sich über die Schweizer Medien ergiessen werden, noch den letzten Schub geben? Aber nein, er weiss, dass da die Lobbyarbeit und die Abhängigkeit der Politik vom Transmissionsriemen Medien wie geschmiert funktioniert.

Nein, er will auf zwei weitere Themen hinweisen. Mit der vermeintlich harmlosen Streichung des Wörtchens «besonders» soll die Hürde für das präventive Verbot von Publikationen niedrigergelegt werden. Und der Ständerat will nichts daran ändern, dass das Öffentlichkeitsgesetz zwar den Zugang zu Behördenakten erleichtert, die aber mit prohibitiven Gebühren für das Erstellen eines verlangten Dossiers die journalistische Arbeit bewusst torpedieren.

Beides muss geändert, bzw. verhindert werden. In dieser Ansicht kann man Supino nur mit vollem Herzen, beiden Händen und aller Stimmkraft zustimmen. Dass für ihn aber journalistische Arbeit letztlich eine quantité negligable ist, zweitrangig, wenn es um klare Profitziele, um eine Segmentierung des Konzerns geht, wo jede Einheit unabhängig von der anderen das Vermögen der Familie Coninx mehren soll, das ist die andere, hässliche Seite der Medaille.

Dem alten Schlachtross Tagi sind Stellen-, Immobilien- und Fahrzeuganzeigen ins Internet abgeschwirrt und es wäre mehr als naheliegend, die dort erzielten Gewinne wernigstens teilweise in den Tagi zu stecken? Keine Quersubventionierung, dekretiert Supino, wenn der Tagi nicht rentiert, dann wird halt solange abgespitzt, bis sich das ändert.

Das grosse Vorbild. Nora Zukker, das war …

«Verantwortung, medienethischer Anspruch»? «Glaubwürdigkeit als grösstes Kapital»? Nein, Yacht, Auto, Villa, Kunstsammlung. Wer einen solchen Tartuffe als Chef hat, muss sich um seine Glaubwürdigkeit keine Gedanken machen. Sie ist nicht erkennbar.

 

Endlich: die Medien machen mobil

Still und leise sollte ein Zensurartikel gegen Medienberichte verschärft werden. Nun nimmt der Protest dagegen Fahrt auf.

Vermeintlich harmlos geht es um die Streichung eines Wortes: «besonders». Was hat das mit drohender Zensur zu tun? Besonders viel. Denn dieses Wort legt die Hürde fest, die übersprungen werden muss, um eine vorsorgliche Massnahme zu erreichen.

Allgemein unter «Superprovisorische» subsumiert, bedeutet das, VOR der Publikation eines Berichts sein Erscheinen zu verhindern. Unter weiteren Voraussetzungen gehört dazu bislang, dass ein «besonders schwerer Schaden» nicht anders vermieden werden könnte.

Alles in unserem Rechtssystem, was zunächst einmal dem Betroffenen keine Möglichkeit zur Stellungnahme gegen eine ihn möglicherweise schädigende gerichtliche Anordnung gibt, ist suspekt. Aber in Ausnahmefällen natürlich zulässig. Im Allgemeinen und auch gegen Medien. Da das aber mit dem Grundsatz «Zensur findet nicht statt», mit der Pressefreiheit im Clinch liegt, hat hier der Gesetzgeber absichtlich den «besonders schweren Schaden» zur Voraussetzung gemacht.

Und genau dieses Wort soll auf Antrag des Glarner FDP-Ständerats Thomas Hefti gestrichen werden. Aber damit nicht genug. Auch bereits publizierte Artikel könnten ohne Anhörung der Medienhäuser gelöscht werden.

Zuerst Einzelne, nun auch alle Akteure protestieren

Das ist nichts weniger als ein brandgefährlicher Anschlag auf die Pressefreiheit. Längere Zeit protestierten nur Einzelne, darunter der Medienanwalt Matthias Schwaibold, gegen diese unter dem Radar der Wahrnehmung fliegende Bombe gegen kritischen Journalismus.

Rechtsbüttel wie Daniel Glasl oder Marcel Bärtschi sehen da überhaupt kein Problem. Weil es ihre Arbeit als Vertreter sogenannter Medienopfer erleichtern würde.

Aber nun sind – endlich – die Medien selbst aufgewacht. Haben sich zu einer historisch einmaligen Allianz zusammengeschlossen. Medienunternehmen – darunter SRG, Tamedia, CH Media, Ringier und NZZ – plus eigentlich alle Verbände im Medienbereich sind dabei: Verlegerverband Schweizer Medien, Impressum, Syndicom, Verband Medien mit Zukunft, Telesuisse, Media Forti, Öffentlichkeitsgesetz.ch, Medien für alle, Reporter ohne Grenzen Schweiz, Investigativ.ch, Junge Journalistinnen & Journalisten Schweiz, Radio Régionales Romandes, MAZ, Lobbywatch.ch, Gotham City, SSM, Schweizer Presserat und Verband Schweizer Online-Medien.

Das hat es noch nie gegeben, und es ist dringend nötig:

«Die Allianz bittet den Ständerat sehr, den Medienschaffenden in der Schweiz nicht unnötige Hürden in ihrer für die Demokratie zentralen Arbeit aufzustellen.»

Dieses Communiqué wurde an alle Ständeräte verteilt, denn schon im Juni wird er darüber abstimmen, ob dieser Anschlag auf die freie Meinungsbildung abgesegnet wird.

Verteidigung mit ausschliesslich untauglichen Argumenten

Verteidigt wird das mit untauglichen Argumenten. Die Streichung von «besonders» sei ja nur eine Anpassung an die Hürden, die es für eine Superprovsorische ausserhalb der Medien brauche. Falsch, denn angesichts der Bedeutung der Medien wurde hier absichtlich die Hürde höher gelegt.

Aber die Streichung mache es Medienopfern leichter, sich zur Wehr zu setzen. Falsch, es ermöglicht in erster Linie finanzkräftigen Firmen oder Einzelpersonen, mit einer solchen Superprovisorischen kritische Berichterstattung zu verhindern.

Das betroffene Medium könne sich doch anschliessend vor Gericht gegen eine solche Massnahmen wehren. Richtig falsch. Das ist möglich, kostet aber viel Geld und noch mehr Zeit. Ist der Bericht allenfalls nach Jahren freigekämpft, ist er schon längst veraltet und nicht mehr interessant.

Die Medien hätten zunehmend einen Hang zu Boulevardisierung, Personfizierung, würden die Privatssphäre von Personen immer weniger ehren. Falsch, bereits jetzt haben die genügend Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen.

Aber es sei doch bekannt, dass so stigmatisierte Betroffene diesen Makel nie mehr wegkriegen, wenn ein kritischer Bericht erst mal publiziert sei. Falsch, weil das kein Argument für eine Verschärfung eines Zensurparagraphen ist. Zum Beispiel Pierin Vincenz, der gefallene Starbanker, hätte weder in der aktuellen, noch in einer verschärften Form diese Artikels die Möglichkeit gehabt, sich gegen die völlige Ruinierung seines Rufs zur Wehr zu setzen.

Schliesslich sind Persönlichkeitsrechte, der Schutz der Intimsphäre usw., keine absoluten Rechte. Es ist auch hier abzuwägen, was schwerer wiegt: das öffentliche Interesse oder dieser Schutz. Dass das den Medien nicht immer gelingt, ist eine Binsenwahrheit. Aber bei der Formulierung dieses Artikels hat sich ein mehrköpfige Expertengruppe sehr viele Gedanken gemacht, bevor sie den «besonders schweren Schaden» als Voraussetzung für einen Zensureingriff in die Medien ins Gesetz schrieb.

Ein Anschlag aus der Dunkelkammer

Wieso nun ein FDP-Ständerat, angeblich doch liberaler Freiheit verpflichtet, hier eine Zensur gegen missliebige Medienberichterstattung verstärken will, ist völlig schleierhaft. Genauso, wie die Tatsache, dass in der ständerätlichen Kommission nur zwei Sozialdemokraten dagegen stimmten – während alle anderen Mitglieder diesen Antrag durchwinkten.

Die sollten sich nun vor ihren Wählern dafür rechtfertigen müssen, der Ständerat sollte diesen Anschlag unbedingt bachab schicken. Und die versammelten Medienverbände sollten den Finger weiterhin ausserhalb einer dafür nicht vorgesehenen Körperöffnung lassen und weiterhin kräftig Gas geben. Damit es nicht nur bei Einzelkämpfern bleibt, zu denen auch ZACKBUM von Anfang an gehörte.

Ein Medienanwalt in eigener Sache

Das mit der Pressefreiheit ist für Daniel Glasl nicht so sehr in Stein gemeisselt.

Rechtsanwalt Glasl hat sich einen Ruf als energischer Verteidiger von Medienopfern erarbeitet. Wie den meisten Anwälte ist ihm dabei die wahre Reputation des Klienten ziemlich egal.

Die «Weltwoche» unterstellte zwei Uni-Historikern eine Liaison und deshalb eine Art von Beziehungskorruption. Daniel Glasl als Vertreter der beiden jedenfalls nachmaligen Turteltauben sieht darin eine Persönlichkeitsverletzung. Auch Carl Hirschmann, der verzogene Millionärserbe, von Beruf vor allem Sohn, gehörte zu Glasls Mandanten. Was den armen Tamedia-Konzern teuer zu stehen kam.

Schon anlässlich jenes Falles giftete Glasl gegen den Bannerträger des Boulevard, Matthias Schwaibold, der ein Urteil zugunsten von Hirschmann kritisiert hatte. Der Disput verblieb im exklusiven Leserkreis der einzigen medienrechtlichen Fachzeitschrift.

Nun geht’s um die Pressefreiheit

Kein Wunder, dass er sich nun auf einer grösseren Plattform aus anderem Anlass, aber in gleicher Rollenverteilung abspielt. Schwaibold hatte als einer der Ersten darauf hingewiesen, dass die geplante Streichung des Wortes «besonders» in Artikel 266 der Zivilprozessordnung einen weiteren Schlag gegen die Pressefreiheit darstellt. Denn damit werden Massnahmen gegen Medien noch einfacher, auch und gerade die superprovisorischen Massnahmen. Was Schwaibold als Zensurgefahr kritisierte.

Wogegen Glasl aktuell in der NZZ als die obere Instanz für Medien- und Rechtsfragen auftritt. Sich als Leiter der Fachgruppe Medienrecht des Anwaltsverbands präsentierend und damit quasi höhere Legitimation erheischend. Der zuvor in der NZZ publizierte Gastbeitrag Schwaibolds rufe «nach einer korrigierenden Einordnung». Diesen Ruf hat zwar ausser Glasl niemand gehört, aber kein Grund zu schade, mit einer Replik auch etwas mediales Licht auf sich zu lenken.

Die Streichung des Wörtchens «besonders» sei völlig richtig, meint Glasl. Und glasklar daher das Ergebnis seiner korrigierenden Einordnung: «Die geplante Gesetzesänderung ist geboten und angemessen. Die Zensur bleibt verboten, und nichts wird zu Makulatur.» Auch dann, wenn ein geplanter Beitrag schon superprovisorisch vor Erscheinen (und ohne Anhörung des Medienunternehmens!) verboten werden könne, wofür schon ein schwerer und nicht erst ein «besonders schwerer» Schaden ausreichen soll.

Bevor wir aufatmen, welcher Einordnungsprozess geht denn dem voraus? «Wer behauptet, eine «superprovisorische Massnahme gegen periodisch erscheinende Medien» sei ein Akt der Zensur, vergisst, «dass die Medien eine Verantwortung für die Einhaltung des Rechts haben». Was nirgendwo steht und ausser Glasl vermutlich auch nur andere Medienopferanwälte behaupten.

Drohende weitere Rechtsverletzungen werden erwähnt

Mehr noch: Die Medien seien durch die nur auf sie gemünzte Verwendung des Wortes «besonders schwer» privilegiert – in anderen Zusammenhängen genügen für vorsorgliche Massnahmen «bereits die Annahme eines schweren Nachteils». Bloss geht es in «anderen Zusammenhängen» nicht um Grundrechte wie Meinungs- und Medienfreiheit, und zu deren Schutz war das «besonders» denn auch mit Bedacht 1985 zum Gesetz gemacht.

Dass ausserdem die «drohende Rechtsverletzung» auch noch zu «bestehender oder drohender Rechtsverletzung» erweitert werden soll, erwähnt Glasl zwar. Welche Auswirkungen diese doppelte Änderung aber haben würde, lässt er lieber unter den Tisch fallen. Wie viel einfacher wird doch die Abwägung von Persönlichkeitsrechten und des Informationsauftrags der Medien sein, wenn sie kein Sonderfall mehr sind, weil das «besonders» nicht mehr stört. Was sehr wohl auch eine Bremse gegen die Superprovisiorien ist: Denn wer am Artikel 266 etwas ändert, erweitert damit auch den Anwendungsbereich des Artikels 265, was Glasl zu verschleiern sucht.

Weshalb wir den Positionsbezug von Glasl etwas einordnen wollen. Als Vertreter von «Medienopfern» zieht er für vorzugsweise gut betuchte Mandanten in die Schlacht. Und was vereinfacht seine entsagungsvolle Schwerstarbeit mehr als die völlig neutral und objektiv von ihm befürwortete Streichung eines hinderlichen Wortes?

 

 

 

 

Was verstehen wir unter Meinungsfreiheit?

Dass jeder seine freie Meinung äussern darf, sofern sie von uns akzeptiert wird?

Einer der am meisten missbrauchten Begriffe in der Geschichte der Menschheit ist Freiheit. Er ist am stärksten positiv aufgeladen, ein universeller Wunsch, eine machtvolle Forderung.

Der freie Westen gegen den unfreien Osten. Freiheitliche Demokratie gegen Parteidiktatur. Freie Presse gegen staatlich gelenkte und kontrollierte Medien. Meinungsfreiheit, das Recht, alles sagen zu dürfen, ohne Repressalien befürchten zu müssen.

Natürlich ist Freiheit nicht grenzenlos, dann wäre sie Willkür, rücksichtslos gegenüber der Freiheit der anderen. Also gibt es Regeln, Verbote, was verständlich und richtig ist. Das schützt den Begriff Freiheit auch vor Missbrauch. Im Namen der Religionsfreiheit Sonderrechte einfordern? Geht nicht. Im Namen der Freiheit zu Gewalt und Umsturz auffordern? Geht, ist aber in der Schweiz verboten.

Entwickelt sich aus Meinungsfreiheit auch Pluralismus?

Gerne baden wir uns im Voltaire zugeschriebenen Spruch, dass ein Teilnehmer an einer Korrespondenz zwar eine völlig andere und nach Voltaires Ansicht falsche Meinung vertrete, der alte Aufklärer aber sein Leben dafür einsetzen würde, damit der andere sie frei äussern darf.

Dahinter steht seit dem leuchtenden Zeitalter, wie die Aufklärung so schön auf Spanisch heisst, die Überzeugung, dass die Debatte, das Aufeinanderprallen divergierender Ansichten, das Ausdiskutieren, als stärkster Motor für Erkenntnis und Fortschritt dient. Wo es Denkverbote und Sprechverbote gibt, sind wir wieder im kirchlichen Mittelalter. Schlimmer noch: das behindert Erkenntnis und Fortschritt.

Wie sagte Karl Marx so richtig: Die Idee wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Nicht umsonst arbeitete er immer auch als Journalist, wollte Multiplikatoren für seine Ideen. Er musste immer wieder mit Zensoren kämpfen, ins Exil gehen, neue Organe suchen. Da haben wir’s heute doch entschieden einfacher.

Gleich doppelt. Unsere Medien sind bekanntlich frei, Zensur wird nicht geübt (ausser bei strafbaren Aussagen), und jeder hat das Recht, seinen eigenen Blog aufzusetzen, wenn er seine Meinung sagen will.

Wer legt die Grenzen der Meinungsfreiheit fest?

So war das, so ist das nicht mehr. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel. Die sozialen Plattformen, nachdem sie sich jahrelang an ihm gesundgestossen hatten (Werbeeinnahmen bei dieser Anzahl Follower), entdeckten plötzlich, zwei Wochen vor seinem Amtsende, ihr gesellschaftliches Gewissen und ihre Verantwortung. Und sperrten Noch-US-Präsident Donald Trump seine Accounts.

Der hatte wie kaum ein Politiker vor ihm die klassischen Medien umfahren und vor allem mit Twitter einen direkten Kanal zu seinen Wählern und Anhängern eröffnet. Nun wurde ihm der Stecker gezogen:

Es wird düster ums Blond-Orangefarbene.

Begleitet natürlich von Wutausbrüchen seiner Anhänger und ihm, begleitet von Jubelschreien all seiner Gegner. Jubeln die zu Recht? Zunächst ist es mal wieder eine abgründige Heuchelei, mit dem Verweis auf gewisse Sonderrechte von Politikern jahrelang – und nicht nur bei Trump – übelster Demagogie, Lügen, Fake News, haltlosen Behauptungen eine Plattform zu bieten.  Um dann plötzlich, wo eine Ende der Einkommensquelle sowieso kurz bevorsteht, Verstösse gegen Benimmregeln des Hauses zu entdecken.

Die sozialen Plattformen haften nicht für ihre Inhalte

Ist es jetzt eine bessere Welt, seit Trump nicht mehr twittern darf? Warum darf er nicht mehr, aber Ayatolle, Fundamentalisten, Irre und Wahnsinnige dürfen weiterhin? Während sich alle sozialen Plattformen, von Facebook abwärts, mit Händen und Füssen dagegen wehren, wie alle anderen im Internet für von ihnen multiplizierte Botschaften haftbar gemacht zu werden.

Jedes Organ, jede Plattform haftet auch für Kommentare oder publizierte Äusserungen von aussen mit. Die sozialen Medien nicht. Hat sich nun Trump eines Gesetzesverstosses schuldig gemacht? Hat er zu Gewalt aufgerufen? Hat er die Erstürmung des Capitols gewünscht, befürwortet? Nicht dass ich wüsste.

Auch hier kommt ein zunehmend beunruhigendes Phänomen zum Vorschein. Die Rechtsordnung, an die wir alle uns zu halten haben, wird durch private Polizei per Hausrecht durch deren Willkür ersetzt.

Rauswurf ohne Möglichkeit zur Gegenwehr

Nicht, wer gegen ein Gesetz verstösst, nein, wer gegen die AGB, die Regeln von Facebook, Twitter & Co. verstösst, wird gesperrt. Ohne weiterführende Begründung. Ohne Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Wer von Google und Apple rausgeschmissen wird, kann seine App gleich begraben. So geschieht es einer App, die anscheinend von Rechten und Trumpanhängern fleissig benützt wird. Sie kann nicht mehr heruntergeladen werden.

Warum? Weil auch Google plötzlich seine Verantwortung entdeckt hat. Die erstreckt sich allerdings nicht auf China, dort erfüllt Google willfährig alle Anweisungen des Regimes, um nicht aus dem Riesenmarkt gekübelt zu werden.

Trump ist sicherlich ein Extrembeispiel, wie man ungeniert lügen, schönreden, sich selbst loben, alle anderen als mehr oder minder grosse Versager heruntermachen kann. Dennoch ist eine willkürliche Sperre, beschlossen von unbekannten Dunkelkammern, sehr beunruhigend.

Freie Meinungsäusserung für Corona-Skeptiker?

Nehmen wir noch ein anderes, aktuelles Beispiel. Bekommen Kritiker der Corona-Politik tatsächlich auch Platz und Gehör in unseren freiheitlichen Medien, die sich als Service public auch um angemessene Pluralität der Meinung bemühen wollen?

Bekommen sie nicht in erster Linie auf den Mensch zielende Etiketten angeklebt, ohne dass man auf ihre Argumente überhaupt eingeht? Bekommen nicht in erster Linie alarmistische Wissenschaftler Platz und Gehör, umso düsterer warnend, desto besser. Haben die Medien nicht zuerst, der Vergleich mit Nordkorea ist natürlich übertrieben, drängt sich aber auf, einen Jubelchor zu allen Massnahmen der Regierenden angestimmt? Beamte und Bundesräte zu Helden aufgepumpt?

Wird nicht bis heute am idiotischen Junktim festgehalten, dass Gesundheit als staatliche Aufgabe über alles andere zu stellen sei? Ohne Rücksicht auf Kosten, ohne Rücksicht auf die Effizienz der Massnahmen?

Immer wieder die gleichen Meinungsträger

Melden sich nicht immer wieder die gleichen Rechthaber, Laien, aber meinungsstarke Dummschwätzer zu Wort, die inzwischen wieder im Chor noch strengere Massnahmen fordern? Sozusagen als Selbstgeisselung, nachdem im Sommer Larifari zugelassen wurde. Aber jetzt fordern selbst Sonntagsblätter drakonische Massnahmen, darunter unbedingt das Beibehalten des völligen Lockdowns am Sonntag. Was ihre Verkäufe einbrechen lässt, obwohl niemand sagen kann, ob das wirklich etwas bringt.

Also findet noch ein nur weiträumig durch Gesetze begrenzter, freier Meinungsaustausch statt, eine Debatte, eine Auseinandersetzung? Würden sich die drei Häupter der fast monopolartig den Tageszeitungsmarkt beherrschenden Medienkonzerne – Arthur Rutishauser bei Tamedia, Patrik Müller bei CH Media und Christian Dorer bei Ringier – auch mit ihrem Leben dafür einsetzen, dass andere Meinungen in ihren Blättern zu Wort kommen?

Nicht im Traum, nicht im entferntesten. Lieber der x-te Kommentar, der Trump nochmal in den Hintern tritt. Lieber der x-te Kommentar, der Corona-Leugnern und Impfgegnern die Leviten liest. Das ist allerdings nicht mal mehr eine Karikatur einer freien Debatte. Sondern ihr tägliches Begräbnis.

Das Private und das Öffentliche, Teil drei

Es bleiben nur Opfer zurück. Mit einer Ausnahme.

Hier geht’s zu Teil eins und Teil zwei.

Ein zum Helfer von Jolanda Spiess-Hegglin gereifter Boulevard-Journalist will auf abenteuerlichen Wegen ausgerechnet haben, dass «Blick» alleine online über eine Million Franken an seiner Berichterstattung über Spiess-Hegglin verdient habe. Lassen wir die Frage beiseite, wieso derselbe Helfer aus seiner Erfindung «watson» ein Millionengrab machte, wenn man dermassen einfach Geld im Internet scheffeln kann.

Eine Nebenfront als Bedrohung der Pressefreiheit

An einer Nebenfront ist es Spiess-Hegglin auch gelungen, eine superprovisorische Massnahme einstweilen durchzusetzen, die einer Journalistin präventiv verbietet, diverse Themenkomplexe um diese Landammannfeier publizistisch abzuhandeln. Das ist der wohl massivste Angriff auf die Schweizer Pressefreiheit seit dem Zweiten Weltkrieg.

Anstatt dieser Bedrohung für jeden investigativen Journalisten entgegenzutreten, wird dieses Urteil sogar bis in leitende Positionen von Medienkonzernen, zum Beispiel bei CH Media, begrüsst. Obwohl es bedeuten würde, dass jeder Journalist, der sich schon einmal über eine Person oder eine Firma kritisch geäussert hat, befürchten muss, dass er aufgrund eines Fragenkatalogs an dieses Objekt seiner Berichterstattung sofort mit einer Superprovisorischen überzogen werden kann. Was aus Angst um die Folgekosten die Lähmung der investigativen Tätigkeit bedeuten würde.

Das unschuldige Opfer ist allen Besorgten egal

Fast sechs Jahre nach dieser Feier bleiben eigentlich nur Verlierer und Opfer zurück. Zunächst P.K.*, der sich nichts zuschulden kommen liess, im wahrsten Sinne des Wortes unschuldig war und ist. Vielleicht könnte man sein Verhalten moralisch verurteilen, aber dass er gewaltige Kosten hatte, seine politische Karriere beenden musste, Ruf und soziales Ansehen verlor, das hat er sicherlich nicht verdient.

Es gehört zu den Perversionen dieses Falls, dass das völlig unschuldige Opfer allen Anhängern der Verteidigung von unschuldig in die Klauen der Sensationspresse geratenen Menschen schlichtweg schnurzegal ist.

Es gibt noch viel mehr Opfer

Ein weiteres Opfer ist das Ansehen der Zuger Justiz. Schon vorher nicht wirklich hoch, hat sie sich mit der hemdsärmeligen Auslegung des Umfangs der Privatsphäre einer öffentlichen Person an einer öffentlichen Feier nicht mit Ruhm bekleckert. Noch viel weniger mit dem Betreten von rechtlichem Neuland in Form einer präventiven und putativen Zensur von noch gar nicht Geschriebenem. Das ist die zum Leben erwachte Gedankenpolizei Orwells, die Umsetzung des Science-Fiction-Knallers «Minority Report».

Dann natürlich alle als Mitbeschuldigte oder Zeugen in diese Affäre geratenen Gäste, die doch eigentlich nur vor Weihnachten etwas ausgelassen feiern wollten. Dann die Angehörigen der beiden Hauptbeteiligten, die Kinder der Protagonistin, die Familie des unschuldig Beschuldigten.

Nach der Entschuldigung geht’s nur ums Geld

Alleine bei einer Beteiligten fällt es schwer, sie auch und ausschliesslich als Opfer zu sehen. Nachdem sie die von ihr selbst als moralisch wichtigstes Ziel bezeichnete öffentliche Entschuldigung von Ringier bekommen hat, und nun nur noch um Geld streitet, ist sie doch zumindest Opfer und Täterin. Indem sie ihr wohlgesinnte Journalisten exklusiv mit Informationen und Dokumenten anfüttert, wird ihre Behauptung, dass sie eigentlich nur in Ruhe gelassen werden möchte, sehr fragwürdig.

Hansi Voigt rechnet unlängst einen möglichen Gewinn von über einer Million Franken beim «Blick» aus, der mit Artikeln über Spiess-Hegglin erzielt worden sei. In seinem ausführlichen Interview mit Spiess-Hegglins Ehemann, das er im Juli 2017 auf «watson» veröffentlichte, ging er noch von «einem Bruttoumsatz der 19 Top-5-Geschichten von 80- bis 100’000 Franken» aus. Wie er von dieser Zahl inzwischen auf einen siebenstelligen Gewinn kommen will, ist schleierhaft. Aber Faktentreue, die Bestätigung von Aussagen, die er selbst gerade erfunden hat, Widerspruchsfreiheit, das war noch nie seine Stärke.

Luftnummern und realistische Einschätzungen

Nimmt man dagegen eine realistische Schätzung, begründet in Werbeeinnahmen und Erfahrungswerten, kommen Online-Marketingspezialisten auf einen denkbaren Gewinn von – alle erschienenen Artikel berücksichtigt und mit den jeweils obersten Annahmen – maximal 25’000 Franken. Diese Zahl würde auch mit dem damals von Voigt angenommen Bruttoumsatz von lediglich 19 Artikeln über Spiess-Hegglin korrelieren.

Faktenschwäche gilt auch für die von ihm damals vertretene Theorie, dass alle Indizien für die Anwendung von K.-o.-Tropfen bei Spiess-Hegglin, eventuell bei beiden Beteiligten, sprächen. Sie ist völlig aus der Luft gegriffen und widerspricht diametral dem extra erstellten «Plausibilitätsgutachten» eines ausgewiesenen Fachmanns.

Die absurde Logik eines negativen Verdachts

Da angeblich niemand weiss, was sich genau hinter verschlossenen Türen im Restaurant Schiff vor beinahe sechs Jahren abspielte, weil die Beteiligten einen Filmriss geltend machen, weil man hingegen weiss, dass es zu keinerlei strafbaren Handlungen dabei kam, verdichtet sich der unappetitliche Verdacht, dass hier jemand aus einem Filmriss ein Geschäftsmodell gemacht hat.

Denn es ist mit aller Rabulistik nicht möglich, einen sozusagen negativen Verdacht zu behaupten. Also eine Opferrolle mit der Behauptung zu konstituieren, dass es zwar keinen beweisbaren sexuellen Übergriff gegeben habe. Aber damit ja nicht erstellt sei, dass keiner stattgefunden hätte.

Das ist absurde Logik, nach dem Schema: Keine Katze hat zwei Schwänze. Eine Katze hat einen Schwanz mehr als keine Katze. Daher haben alle Katzen drei Schwänze.

*alle Namen der Redaktion bekannt.

Anschlag auf die Pressefreiheit

Will Spiess-Hegglin eine Fanfare erschallen lassen, ist Pascal Hollenstein immer zur Stelle.

Man sollte natürlich die dritte und vierte Gewalt im Staate respektieren. Ausser, die Justiz greift die Pressefreiheit an, und ein publizistischer Leiter findet das toll.

Worum geht’s? Wie am Freitag bekannt gemacht wurde, hat das Zuger Kantonsgericht den Inhalt einer superprovisorischen Verfügung gegen die Tamedia-Journalistin Michèle Binswanger bestätigt.

In dieser Verfügung wurde Binswanger untersagt, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, daher im Wortlaut:

«Ein Buch, einen Artikel oder eine andersartige Veröffentlichung zu publizieren, zu verkaufen oder zu vertreiben (lassen), in dem bzw. in der Handlungen der Gesuchstellerin anlässlich der Zuger Landammann-Feier vom 20. Dezember 2014

a) in Bezug auf M. H. (in der Verfügung ist sein voller Name erwähnt, Anm. R.Z.),

b) in Bezug auf andere an der Feier anwesenden Männer,

c) in Bezug auf das Mass des Alkoholkonsums der Gesuchstellerin und

d) in Bezug auf das Sexualverhalten der Gesuchstellerin thematisiert werden oder Spekulationen diesbezüglich geäussert werden.»

Aber hallo, da gibt es doch sicher schon einen Raubdruck dieses Werks? Und was stehen da für saftige Details in Bezug auf M. H., andere Männer, den Alkoholspiegel von Spiess-Hegglin oder ihr Sexualverhalten drin? Lechz, hechel.

Ein Geisterurteil gegen Nicht-Existentes

Aber nein, Entwarnung, es handelt sich hierbei um ein Projekt. Also etwas, das noch gar nicht geschrieben ist, weder dem Gericht noch sonst jemandem vorliegt. Eine superprovisorische Verfügung wird ohne Anhörung der Gegenseite erlassen. Wenn nur so ein unmittelbar drohender, schwerer Nachteil abgewendet werden kann.

Das war schon ein kühner Schritt in juristisches Neuland. Nun aber erhebt das Kantonsgericht diesen Schlag mitten in die Fresse der Pressefreiheit zum Urteil. Eigentlich unvorstellbar. Ein «Geisterurteil» nannte Kurt. W. Zimmermann schon die Superprovisorische. Nun wurde sie vom Kantonsgericht bestätigt.

Eine weitere Perversion des Rechts. Die Wiedereinführung der inquisitorischen Gedankenpolizei, die bereits mögliche zukünftige Rechtsbrüche ahndet, bevor sie geschehen. Als wäre der Science-Fiction-Knaller «Minority Report» Wirklichkeit geworden.

Hört man allenthalben Protestgeschrei?

Dagegen erhebt sich sicherlich lauter Protest in allen Medien, die unabhängig von ihrer Einstellung gegenüber Binswanger oder Spiess-Hegglin im Kampf gegen diesen präventiven Übergriff auf die Pressefreiheit eine Einheitsfront bilden?

Weil dieses Urteil im Klartext bedeutet: Wir buchten Sie mal für fünf Jahre ein. Denn wir haben Anlass zur Befürchtung, dass Sie einen Banküberfall planen könnten. Darüber haben Sie ja schon mal nachgedacht. Wer würde da nicht auf die Barrikaden gehen?

Nun, schon mal alle Medien nicht, die nicht einmal das letzte Urteil im Fall Spiess-Hegglin richtig lesen konnten. Und von einem «Sieg» für die Dame schwafelten, obwohl das Zuger Obergericht auch für Laien verständlich urteilte: «Das Obergericht weist die Berufung von Jolanda Spiess-Hegglin vollumfänglich ab.» Das ist eine vollumfängliche Niederlage, kein Sieg. Aber eben, lesen sollte man können.

Was sagt denn Tamedia dazu?

«Das Urteil des Zuger Kantonsgerichts verbietet einer Journalistin von Vornherein über ein Thema zu schreiben, das breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurde und zu dem weit über 1’000 Artikel veröffentlicht wurden. Eine derart weitgehende Einschränkung der Medienfreiheit ist höchst bedenklich. Tamedia wird das Urteil anfechten.»

Pascal Hollenstein reitet mal wieder

Überraschungsfrei reagiert der publizistische Leiter in der Akklamationsberichterstattung, Spiess-Hegglins Büttel Pascal Hollenstein. Er begrüsst das Urteil, das ihm – von wem wohl – zugesteckt wurde: «Es sei, so das Gericht, «glaubhaft erstellt, dass Spiess-Hegglin eine ungerechtfertigte, potenziell besonders schwere Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte fürchtet und ihr aus dieser drohenden Verletzung ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil droht.»»

Seinen Bericht schmückt Hollenstein mit einer für Binswanger unvorteilhaften Illustration als «Tagi-Postergirl» aus, während Spiess-Hegglin exklusiv flöten darf: «Die Verteidigung meiner Rechte in dieser Sache hat mich die letzten Monate enorm absorbiert. Nun bin ich erleichtert.» Hollenstein zeigt schon im Titel wieder mal, dass er von Juristerei schlichtweg keine Ahnung hat: «Gericht verbietet «Tages-Anzeiger»-Journalistin Buch-Publikation», behauptet er forsch.

Werden schon ungeschriebene Bücher verboten?

Das hätten seine Quelle und er wohl gerne, aber das ist natürlich Quatsch. Es sind Binswanger vorläufig die vier Themenbereiche verboten, die in der superprovisorischen Verfügung eingefordert wurden. Was nun passiert: Die Anwältin von Spiess-Hegglin darf eine neue Honorarnote schreiben und muss für die Hauptverhandlung begründen, wieso diese Massnahme richtig sei. Tut sie das in einer engen Frist nicht, entfällt nämlich die Superprovisorische. Aber was interessieren solche Details einen einäugigen und parteiischen publizistischen Leiter.

Dann wird noch lobend erwähnt, dass im Verein «#NetzCourage» diverse wichtige Projekte anstünden, «mit denen wir nachhaltig sehr Gutes für die Gesellschaft tun werden», schaut Spiess-Hegglin in Zukunft. Während Binswanger, die sich als «Jeanne d’Arc der Pressefreiheit» bezeichne, das Urteil anfechten werde.

Die eine tut nachhaltig Gutes, die andere will weiter streiten. So die Message von Hollenstein. Dabei ist es so: Wenn dieses Geisterurteil Bestand haben sollte, ist einer Vermutungsjustiz Tür und Tor geöffnet, kann jedes Medienorgan, jeder Journalist damit eingeschüchtert werden, dass durch einen auch nur geplanten oder angedachten Artikel ganz sicher ein schwerer Nachteil für jemanden entstehen könne und der daher präventiv zu verbieten sei.

Hält das Urteil, ist das nichts weniger als das Ende der Pressefreiheit

Für ein solches Verbot würde schon ausreichen, dass der Journalist sich mit Fragen an das potenzielle Objekt oder dessen Umfeld seiner Berichterstattung wendet, dabei eine Recherche erwähnt und sich vielleicht schon früher mal kritisch über diese Person oder Firma geäussert hat.

Das wäre das Ende der Pressefreiheit, wie wir sie bislang in der Schweiz kennen. Dass Spiess-Hegglin das egal ist, sei dahingestellt. Dass ein publizistischer Leiter des wichtigsten Konzerns im Bereich Tageszeitungen das toll findet, ist so ungeheuerlich wie das Urteil selbst.