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Sloterdijk in Hochform

ZACKBUM gesteht: wir halten ihn für aufgeblasen. Aber hier ist er in Bestform.

Peter Sloterdijk könnte über die Zubereitung eines Eis eine philosophische Abhandlung aus dem Ärmel schütteln, die gleichzeitig eine Zeitreise durch 2000 Jahre Geschichte des Nachdenkens wäre.

Sloterdijk weiss, wie man sich mit wehender Haartracht, sorgfältig auf der Nasenspitze platzierter Brille und edel geknitterten Anzügen (unsere Vermutung: Miyake) gut in Szene setzt. Wer ihn zum Gespräch bittet, weiss, dass er Worte wie Perlenketten aneinanderreihen kann und auf die blödeste Frage noch eine intellektuell-aufgeschäumte Antwort liefert.

Also in einem Wort: Selbstdarsteller. Eitel, sicher im Jargon, Dampfplauderer. Also näherten wir uns dem NZZ-Interview mit ihm vollbeladen mit Vorurteilen. Und wurden angenehm enttäuscht.

Der Mann ist in Hochform, man möchte am liebsten gar nicht aufhören zu zitieren. Aber wir beschränken uns auf ein paar Höhepunkte.

Auf die Frage, was seine Erklärung für die Lage der Welt sei:

«Philosophisch kompetent wäre die Bemerkung, dass die Lösungen nie schlimmer sein dürften als die Probleme

Zum Funktionieren von Verschwörungstheorien: «Ja, was die Erklärungsökonomie anbelangt, sind Verschwörungstheorien optimal gebaut. Sie fungieren als perfekte Gedankensparprogramme. Man erklärt einen Missstand durch den direkten Rückschluss auf einen verborgenen Verursacher, effektiver kann man es sich nicht machen. Wer so erklärt, gewinnt immer. Das wäre sehr schön, wenn nur die «Theorien» auch wahr wären.»

Geradezu genialisch ist diese Passage:

«Ihre Utopie ist ein Art Helvetisierung der Welt. Sehen Sie irgendeine Chance für ihre Verwirklichung?

Nein. Aber Utopien sind nicht dazu da, verwirklicht zu werden. Sie liefern Bilder, die den Menschen ihre gesunde Unzufriedenheit erhalten. Hände weg von der Verwirklichung, zumal was deutsche Ideen angeht. Deutschland ist, als Heimat von Karl Marx, die grösste Exportnation für Irrtümer, die die Welt bewegten. Das möchte man kein weiteres Mal riskieren. Deswegen wäre es mir nicht recht, wenn gesagt würde, ein deutscher Philosoph habe die Helvetisierung der Welt gefordert. Ideen, die aus Deutschland kommen, haben eine gefährliche Neigung zur Verwirklichung.»

Als Absackchen topf Sloterdijk dann noch die Journalisten ein. Anlass dafür gibt ihm die Frage, ob er vor der Vorstellung Angst habe, dass im kommenden Winter die Energie knapp werden könnte: «Ich neige in diesen Dingen zu einer robusten Tonart. Es gibt auch so etwas wie eine berechtigte Verachtung, und mir scheint klar, dass man auch Menschen verachten muss, die den Unterschied zwischen grossen und kleinen Sorgen nicht mehr verstehen. Leider gehören dazu auch viele Journalisten als berufsmässige Betreiber von Verwechslungen.»

Wer sich durch das unsäglich lange und streckenweise langweilige Interview mit einem anderen, etwas älteren Philosophen in der «Weltwoche» quälte, findet hier Labsal und Trost. Hätten wir von Sloterdijk nie erwartet, aber man täuscht sich gerne.

 

Wumms: Barbara Bleisch

Schreibalter null? Ein echter Versuch.

Barbara Bleisch ist Philosophin. Das verpflichtet zum Philosophieren. Nur: womit – und worüber? Auf die Gefahr hin, frauenfeindlich zu wirken: womit ist schwer erkennbar. Worüber: «Stimmrechtsalter null? Es gibt gute philosophische Argumente, selbst Kinder wählen und abstimmen zu lassen», meint Bleisch.

Nämlich welche? Zunächst eine Frage: «Während im Abstimmungskampf zur Debatte stand, weshalb wir das Stimm- und Wahlrecht auch Jugendlichen zugestehen sollten, lautet die philosophische Frage, was uns eigentlich legitimiert, andere von diesem grundlegenden Recht auszuschliessen.»

Vielleicht die Tatsache, dass Kleinkinder nicht unbedingt die Voraussetzungen mitbringen, um über den bilateralen Weg abzustimmen? Ach was, meint Bleisch, da müsse man nur etwas mehr in «politische Bildung investieren». So im Stil: liebe Kinder, heute reden wir mal über das Proporzsystem, Pumuckl kommt dann später vorbei.

Dann gäbe es noch das mit Rechten und Pflichten. Aber hallo, auch Kinder haben Pflichten. Was ist denn mit der Schulpflicht, merkt Bleisch an. Dann wird es allerdings etwas dunkel, das Philosophenwort: «Sie haben Strassen und Parkplätze zu räumen, auch wenn ihnen der Freiraum fehlt zum Spiel.» Kinder räumen Parkplätze?

Während sie sich so an den Kleinsten abmüht – vielleicht mal an die erwachsene ausländische Wohnbevölkerung gedacht? Müsste man Bleisch nicht einer gewisse Fremdenfeindlichkeit – gehobener Xenophobie – verdächtigen?

Wie immer gegen Schluss ihrer philosophischen Exkurse auf Kindergartenniveau fällt es Bleisch auf, dass sie noch gar keine Philosophen erwähnt hat. Also noch schnell Benjamin Kiesewetter zitiert (doch, DER Kiesewetter, Sie philosophischer Banause), und zur Sicherheit noch einen John Stuart Mill nachschieben. Hat der denn etwas über Kinderstimmrechte gesagt? Nicht direkt, aber «der liberale Vordenker» preise «den Wert exzentrischer Ideen». Na dann.

Die Schlusspointe: «John Stuart Mill war übrigens ein Verfechter des Wahlrechts für Frauen – eine Idee, die zu seiner Zeit als komplett absurd abgetan wurde.» Bevor Bleisch noch für den Führerschein ab Alter null plädiert, fragt sich ZACKBUM allerdings, ob es nicht Sinn machen würde, eine Schreibreifeprüfung einzuführen, unabhängig vom Alter …

Westentaschen-Philosophie

Barbara Bleisch ist eine Schande für die Philosophenzunft.

Wir müssen das Panoptikum der Tamedia-Mitarbeiter erweitern. Also Zihlmann, von Burg, Brupbacher und Wiget, rüberrutschen, hier kommt noch Barbara Bleisch dazu.

Leider ist der Begriff «Philosoph» nicht geschützt, aber von Platon an rotieren alle Philosophen in ihren Gräbern, und lebende wenden sich mit Grausen ab, wenn «Philosophin» Barbara Bleisch das Wort ergreift.

Das tut sie regelmässig im «Tages-Anzeiger», der bekanntlich jegliche Qualitätskontrolle verloren hat, obwohl Wendehals Res Strehle in seinem Renten-Aufbesserungstool das Gegenteil behauptet.

Bleisch weiss nun, dass zu heftige Ausflüge in philosophische Gefilde regelmässig mit Bruchlandung und Totalschaden enden. Also probiert sie es mit Alltagsgesumms. Unter dem auch für Hardcore-Philosophen nicht leicht verständlichen Titel «Kundenzufriedenheit top, Umgang miteinander Flop» versucht sie sich dekonstruktivistisch an der Frage, welche Auswirkungen das Bewerten der Mitarbeiter durch die Kundschaft habe. Dabei hält sie erkenntnistheoretisch nichts zurück:

«Letztlich schadet dies der Freundlichkeit mehr, als es ihr nützt.»

Eine kleine Erkentnnis für Bleisch, eine grosse für Kunden und Mitarbeiter. So brabbelt sie sich durch die sowohl tiefen- wie oberflächenphilosophisch wichtige Thematik der Mitarbeiterbewertung. Eigentlich müsste das an die Seite der Fragen «wer sind wir, woher kommen wir und wohin gehen wir» gestellt werden.

Wo bleibt die Philosophie im Alltag?

Nun fällt Bleisch so im unteren Drittel ihres Versuchs, aus einem Flop ein Top zu basteln, ein, dass ihre Ausführungen vielleicht doch etwas philosophischen Tiefgangs ermangeln. In solchen Fällen gibt es nur eins: Zitiere einen Soziologen und runde das mit Kant ab.

Kann Bleisch Kant?

«Soziologe Steffen Mau spricht deshalb vom «metrischen Wir».» Wahnsinn, aber nun muss noch der grosse Königsberger dran glauben:

«Damit sind wir bei einem Paradebeispiel dessen, was Immanuel Kant in seiner «Metaphysik der Sitten» als Verletzung der Pflicht gegen sich selbst kennzeichnet: eine Form von Selbstentwürdigung, um im Kampf um die Sterne nicht zu verlieren.»

Aber hallo, wusste Kant (1724 bis 1804) bereits um die Möglichkeit, Dienstleistungsqualität per Sternchen zu bewerten? Bezieht sich darauf sein berühmter Satz: «Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir»? Da bleibt Bleisch etwas dunkel, aber sie erwähnt ja die «Metaphysik der Sitten». Es ist richtig, dass sich Kant hier mit der Tugendlehre befasst. Das wird’s ein bissl kompliziert, aber man kann vielleicht für den Leser, möglicherweise nicht für Bleisch, so zusammenfassen, dass Kant unter der Tugendpflicht gegen sich selbst die Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit versteht. Das ist für ihn eine sittliche Absicht.

Was ist Metaphysik? Was sind Sitten? Was weiss schon Bleisch?

Wichtig vielleicht noch, dass es hier nur um selbstgesetzte Zwecke geht, also innere, subjektive Massstäbe, ohne Zusammenhang mit anderen Subjekten. Oder schlicht: was Kant hier meint und wie Bleisch das anwenden will, hat miteinander ungefähr so viel zu tun wie ein Malergeselle mit Picasso. Nämlich nichts, überhaupt nichts, nicht mal im philosophischen Sinne ein Nichts.

Sollte man lesen. Dann verstehen. Dann schreiben.

Ist das peinlich? Das ist peinlich. Aber wer Tamedia-Leser ist, ist inzwischen weitgehend abgestumpft und schmerzfrei. Die wenigen Glücklichen, die Kant nicht für einen Mitarbeiter bei Aldi halten, sind entsprechend beeindruckt und nicken sinnig, wie man das halt so tut, wenn man etwas nicht kapiert, das aber nicht zugeben will.

Wie diese Bleisch banalen Alltag mit hoher und tiefer Philosophie verbindet, sagenhaft, murmelt der philosophisch nicht ganz unbeleckte Leser. Und merkt nicht, dass Bleisch zuerst sich selbst, dann aber auch alle, die diesen Flachsinn für tief halten, auf die Schippe nimmt.

Wer echt etwas zu knabbern haben will, kann gerne im Einleitungssatz des zweiten Hauptstücks herumturnen:

«Die größte Verletzung der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, bloß als moralisches Wesen betrachtet (die Menschheit in seiner Person), ist das Widerspiel der Wahrhaftigkeit: die Lüge (aliud lingua promptum, aliud pectore inclusum gerere). Daß eine jede vorsätzliche Unwahrheit in Äußerung seiner Gedanken diesen harten Namen (den sie in der Rechtslehre nur dann führt, wenn sie anderer Recht verletzt) in der Ethik, die aus der Unschädlichkeit kein Befugnis hernimmt, nicht ablehnen könne, ist für sich selbst klar.»

Nicht leicht verständlich? Stimmt, aber das ist Philosophie schnell einmal. Aber flach und blöd, das ist sie eigentlich nie.

 

 

Die Westentaschen-Philosophin

Barbara Bleisch tut etwas, was man unbedingt vermeiden sollte: In der falschen Gewichtsklasse boxen.

Nun gut, sie ist keine Boxerin, sondern prügelt auf die Philosophie ein. Die musste zwar schon vieles ertragen, aber wieso sie alle paar Wochen in den Organen von Tamedia misshandelt wird, bedürfte wohl einer tiefenphilosophischen Analyse.

Aber machen wir es banal-verständlich, denn Banalisierungen sind Bleischs Steckenpferd. In ihrer neusten Kolumne gründelt sie über der Frage, ob impfen vernünftig sei oder nicht. Das Ergebnis ist absehbar: «Sich impfen zu lassen, ist sicher vernünftig. Und wer will schon mit Zwang zur Vernunft gebracht werden, wenn er aus eigenen Stücken vernünftig sein kann?»

Das ist eine gute Frage; versuchen wir, sie am Beispiel Bleisch zu beantworten. Allerdings ist sie weder aus eigenen Stücken vernünftig, noch dürfte es Sinn machen, sie mit Zwang zur Vernunft zu bringen.

Ein Paradoxon aus der Spieltheorie: Gehen Sie ins Gefängnis. Gehen Sie nicht über Los.

Denn sie verheddert sich auf dem Weg zu dieser Schlussfolgerung einmal mehr rettungslos in halb verstandenen, halb verdauten philosophischen Begriffen. Sie behauptet kühn, dass der Einzelne das geringste Risiko trage, wenn sich alle anderen impfen und er von der Herdenimmunität profitieren könne, ohne sich selbst der Gefährdung einer Impfung auszusetzen.

Aber wenn alle so denken würden, gäbe es keine Herdenimmunität. Soweit banal trivial richtig. Nun ist das aber noch viel zu kurz, um die Kolumne zu füllen. Daher muss Bleisch noch ein paar Raketen steigen lassen. Die Impfung sei «der klassische Fall eines Paradoxons, das aus der Spieltheorie bekannt» sei.

Eigentlich ist das nicht bekannt, es ist auch kein Paradoxon, und die Spieltheorie befasst sich nicht mit banalen Dingen wie «Mensch ärger dich nicht». Sondern sie befasst sich mit Situationen, in denen verschiedene Subjekte miteinander interagieren, kooperativ oder nicht-kooperativ. Das wird dann ziemlich schnell sehr mathematisch und sehr komplex.

Natürlich darf Immanuel Kant nicht fehlen

Also nichts für Bleisch. Die kann sich offenbar dunkel daran erinnern, dass die Entwicklung der Spieltheorie mal etwas mit dem «homo oeconomicus» zu tun hatte, also mit dem postulierten Wirtschaftssubjekt, das rundum informiert zweckrational nur die besten Entscheidungen für sich fällt. War zwar nur Quatsch, damit der Faktor Mensch in die schönen Algorithmen passte, mit denen die Voodoo-Meister der Ökonomie alles erklären wollten.

Ist längst als Schwachsinn entlarvt und ad acta gelegt. Nur nicht für Bleisch. Die behauptet: «Die Spieltheorie baut auf einen Vernunftbegriff, der sich gänzlich am Eigeninteresse orientiert.» Das ist leider so falsch, dass nicht mal das Gegenteil richtig ist. Der Spieltheorie geht es vielmehr darum, an Beispielen wie dem berühmten Gefangenendilemma aufzuzeigen, dass kooperatives Verhalten erfolgreicher ist als nicht-kooperatives.

Nachdem Bleisch einen unsinnigen Vernunftbegriff eingeführt hat, fällt es ihr nicht schwer, ihm Unsinn, bzw. ein «schweres Defizit» vorzuwerfen: Er halte «uns für ausschliesslich eigeninteressierte Individuen». Das sei natürlich falsch. Das sage übrigens nicht nur Bleisch, sondern, in solchen Zusammenhängen immer gern genommen, das sage auch Immanuel Kant.

Der – schüttel – «moralische Impf-Imperativ»

Nun hat Kant tatsächlich ziemlich viel gesagt, und das auch nicht gerade leicht verständlich formuliert. Er hat es aber ganz sicher nicht verdient, dass Bleisch aus seinem grossartigen kategorischen Imperativ einen «moralischen Impf-Imperativ» macht. Spätestens damit hat sie den Boxkampf gegen die Philosophie nicht nur nach Punkten, sondern durch k.o. gewonnen.

Wo soll das alles enden? Tamedia stellt eine neue Literaturleiterin ein, die wohl Günter Grass nicht von Heinrich Böll unterscheiden kann, die keine Ahnung hat, wer Gregor von Rezzori oder Robert Neumann war, wie viele Pseudonyme Tucholsky benützte, wie man den Unterschied zwischen Heinrich und Thomas Mann auf den Punkt bringen könnte oder welche Schreibtechnik Alfred Döblin verwendete. Nein, «Berlin Alexanderplatz» ist nicht von Rainer Fassbinder.

Und dann schlägt eine Westentaschenphilosophin eins ums andere Mal die Philosophie nieder, als sei sie ein Punchingball für Flachdenker. Woraus das Publikum den falschen Schluss zieht: Literatur und Philosophie, das kann man doch vergessen, wer braucht schon solchen Quatsch.