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Gspürsch mi?

Ein Interview, aus dem der Schleim tropft.

Der SP-Co-Präsident Cédric Wermuth ist von seiner zweimonatigen Auszeit zurück. Die genoss er auf Kosten des Steuerzahlers und unter Missachtung seiner parlamentarischen Verpflichtungen in Vietnam und auf den Philippinen. Da es sich um einen Langstreckenflug handelte, fällt der nicht unter seine Forderung nach Flugverboten. Flugscham scheint aber auch kein Thema bei Familie Wermuth zu sein.

Immerhin wird in einem Erklärkasten ganz neutral das Thema «Lohnabzug» angesprochen. Aber ansonsten erreicht Jacqueline Büchi einen neuen Tiefpunkt des Lobhudel-Journalismus, wie er auch der «Prawda» gut anstünde, wenn sie den russischen Präsidenten interviewte.

Wenn es gegen Kritiker der offiziellen Corona-Politik oder vor allem gegen den damaligen Bundesrat Maurer ging, konnte niemand Büchi an Schärfe toppen: «Die Gesamtregierung muss Haltung zeigen und den Brandstifter in die Schranken weisen. Sonst riskiert sie ihre eigene Glaubwürdigkeit – und den Frieden im Land.»

Glücklicherweise kam die Schweiz, wohl wegen dieser dröhnenden Warnung vor dem «Zeusler» Maurer, knapp an einem Bürgerkrieg vorbei.

Ganz anders, nämlich auf Sanftpfoten, nähert sich Büchi aber nun ihrem Idol Wermuth, den sie gleich am Anfang anschmachtet: «Sind Sie schon wieder angekommen in Bundesbern?» Da kann er gleich den kräftigen Macher geben, am Donnerstagabend von den fernen Philippinen angekommen, gleich nach Genf, Parteitag, Montag Session.

Aber vorher, fasst Büchi sanft nach, stand er in Gefahr eines Burnout, wurde alles zu viel, hat er mit sich gerungen? Da darf er ganz den sensiblen Politiker geben, der Mensch geblieben ist: «Ich hatte ein schlechtes Gewissen Mattea gegenüber.» Interessant, nicht etwa dem Steuerzahler und Wähler gegenüber, der ihn eigentlich nicht für eine zweimonatige Fernreise bezahlt oder gewählt hat.

Aber Wermuth ist eben ein sehr woker Mann: «Unsere ganze Arbeitswelt ist geprägt von einer ungesunden, sehr männlichen Vorstellung davon, wie man führt.» Aber nicht mit ihm, er inkludiert sensibel: «Wir haben als Familie viel über die Zukunft gesprochen.»

Das kann man halt am besten etwas ab vom Schuss. Und wie war denn so das innigliche Familienleben, tastet Büchi weiter ab: «Es war wohl das erste Mal, dass meine Töchter, meine Partnerin und ich zwei Monate lang 24 Stunden am Tag zusammen waren. Dieses ständige Aufeinanderhocken ist natürlich nicht ganz reibungsfrei. (lacht)»

Wunderbar, ein Mensch mit Schwächen und dem Mut, das öffentlich zu machen. Dann noch die obligate Schlussfrage:

«Und welche Eindrücke nehmen Sie aus Vietnam und von den Philippinen mit?
Vor allem: viel Demut. Die Reise führte mir nochmals vor Augen, wie viel Glück und Zufall es ist, in der Schweiz geboren zu sein

Man muss ja einen Weltenbummler nicht gleich zum Empfang so abwatschen, wie das Büchi mit ihr missliebigen Politikern tut. Aber ein Interview zu führen, bei dem der Schleim aus jeder Zeile tropft, das ist nun doch so unappetitlich, dass sie damit Wermuth keinen Gefallen getan hat. Sich selbst auch nicht, aber Qualitäts- und Niveaukontrolle bei Tamedia war gestern, heute ist ungehemmter Gesinnungsblasenjournalismus.

Vorsicht, Tiefflug

Früher war ein Kommentar noch was.

Heute ist Beatrice Bösiger. Sie wurde bereits in ihrer Berichterstattung übers WEF verhaltensauffällig. Jetzt darf sie noch den grossen Schlusskommentar für Tamedia in den  Sand setzen.

Warnhinweis und Packungsbeilage für empfindliche und gendersensible Leser: ab hier wird es leicht toxisch. Das liegt aber nicht am Schreiber, sondern am zu Beschreibenden.

Denn wenn ein Kleingeist versucht, die grosse Welt in Worte zu fassen, dann wird es eher peinlich; das Wort fremdschämen stösst in neue Bedeutungsdimensionen vor.

Bösiger kommt zunächst zur umwerfenden Erkenntnis, dass «viele Teilnehmende Aufmerksamkeit statt Austausch suchten». Dabei war das WEF doch bislang dafür bekannt, dass niemand, vielleicht mit der Ausnahme von Donald Trump, hier nach Aufmerksamkeit giert, sondern alle haben früher ihr Ego zu Hause gelassen und sich in den Dienst der Sache gestellt.

Das WEF war und ist schon immer ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem jeder Teilnehmer nur zwei Pendenzelisten abarbeitet. Wie bekomme ich grösstmögliche Performance in den Medien, und wie viele Kontakte kann ich in den wenigen Tagen knüpfen. Ist schliesslich ein sauteurer Spass.

Bösiger hingegen scheint nur eine Pendenzenliste zu haben: wie mache ich mich mit möglichst wenig Worten maximal lächerlich. Das fängt schon mit der mangelhaften Sprachbeherrschung an: «Davos hat seinen normalen Aggregatzustand zurück.» Fest, flüssig, gasförmig oder als Plasma?

«Zu unterschiedlich ging es auf der Bühne zu und her.» Unterschiedlich zu was? Meint sie vielleicht kontrovers, verschiedenartig? Man weiss es nicht, sie weiss es nicht. Wie ging es denn auf der Bühne zu und her? «So warnte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski zwar eindringlich vor dem russischen Aggressor.» Zwar, aber? «Zuvor hatte er … einen Friedensgipfel für die Ukraine angekündigt.» Wir üben den Gebrauch des Adverbs «zwar». Oder nein, wir lassen es, hoffnungslos.

«Und auch der israelische Präsident Isaac Herzog verdammte bei seinem Auftritt den Terror der Hamas.» Wir üben den Gebrauch der Konjunktion «und auch». Oder nein, wir lassen es.

Das war dann doch recht kontrovers, oder nicht? Nicht: «Zwischendurch wurde es jedoch deutlich kontroverser.» Noch kontroverser? Ach ja, Auftritt Lieblingsfeind von Bösiger, Präsident Milei aus Argentinien. Der habe seine erste Reise ins Ausland dazu genutzt, «den Sozialismus im grossen Saal des Kongresszentrums nach Kräften zu verdammen und sämtliche staatlichen Eingriffe zu verteufeln.» Nach den Fake News über seinen Auftritt nun eine hochklassige Zusammenfassung des Inhalts seiner Rede.

Dann noch der polnische Präsident, also genauer der «rechtskonservative Duda» und der abstreitende iranische Aussenminister. «Ob derartige Auftritte dem Motto des Forums entsprechen, darf getrost bezweifelt werden.» Tja, auch wenn die Kommentatorin nicht recht bei Trost ist …

Aber immerhin, das scheint doch eine klare Position zu sein. Selenskyj und Herzog gut, Milei und iranischer Aussenminister Amir-Abdollahian schlecht. Das dürfte auch Bösiger unangenehm aufgefallen zu sein, also verwedelt sie: «Dass es in Davos Platz für unterschiedliche Ansichten und Positionen geben muss, ist klar.»

Das ist ein edler Gedanke; noch schöner wäre es, wenn die Berichterstatterin in der Lage wäre, diese unterschiedlichen Ansichten wenigstens korrekt wiederzugeben. Aber lieber mäkelt sie: «Doch das Agenda-Hopping macht das Forum beliebig. Im Kongresszentrum folgt Rednerin auf Redner, die Themen wechseln andauernd. Echter Austausch kommt bei einer solchen Übungsanlage schwerlich zustande.»

Ähm, ist es nicht Sinn der Sache, dass bei einer solchen Veranstaltung Redner auf Redner folgt? Sollte es zwischendurch Momente geben, in denen sich alle auf der Bühne umarmen? Gemeinsam den «Schacher Sepp» singen? Oder «Freude schöner Götterfunken»?

Aber gut, nun zum Wesentlichen, also zur Schweiz. Auch da hat Bösiger vielleicht eine klare Ansicht, die kann sie aber nur unklar formulieren: «Der Schweiz ist es gelungen, während des  Forums wieder eine stärker wahrnehmbare Rolle zu spielen als auch schon. Im vergangenen Jahr geriet die Schweiz wegen ihrer Haltung, die Weitergabe von Munition in die Ukraine zu ermöglichen, in die Defensive.» Ähm, mit der Ankündigung einer Friedenskonferenz, an der höchstens ein Kriegsteilnehmer anwesend sein wird? Und war es nicht die Haltung der Schweiz, die Weitergabe nicht zu ermöglichen, mit der sie in die Defensive geriet? Beziehungsweise sich gegen Anschläge auf die Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung Schweizer Gesetze zur Wehr setzen musste?

«Gegen den Friedensgipfel, den die Schweiz für die Ukraine organisieren will, kann zumindest öffentlich niemand anreden.» Ähm, doch, Russland bezeichnet ihn als «Farce», China und die USA sagen überhaupt nichts dazu, und die Schweiz ist schon längst als neutraler Ort für Konferenzen ausgefallen, weil sie sich ohne Not an den absurden Sanktionen gegen Russland beteiligt.

Nach diesen Ritten durch holpriges Sprachgelände, bei denen die Reiterin mehrfach vom Pferd fiel, kommt nun noch die grosse Schlussbilanz, Posaunen und Trompeten, schmettert los: «Es zeigt sich, dass das Forum – auch ohne genuin wirtschaftliche Themen ganz oben auf der Agenda – ein kommerzieller Anlass ist und bleibt. Andere Erwartungen sind da schlicht zu hoch gegriffen.»

Mit dieser originellen, tiefschürfenden und geradezu vernichtenden Analyse entlässt Bösiger den verwirrten Leser. Der fragt sich nur, ob er hier absichtlich gequält wurde – oder aus Unfähigkeit. ZACKBUM ist gnädig und plädiert fürs zweite.

Qualitätskontrolle? Sprachbeherrschung? Niveau? Originalität? Widerspruchsfreiheit? Verständlichkeit? Flughöhe? Auf alle diese Fragen gibt es leider bei Tamedia eine einfache Antwort: Frau.

Hi, Hi, Hitler

Immer für eine Doublette gut.

Vor hundert Jahren, also 1923, reiste Adolf Hitler durch die Schweiz; in erster Linie, um Geld einzusammeln.Das war im August, und wenn Journalisten auf etwas wie Pavlowsche Hunde reagieren, dann sind es runde Jahrestage. Und 100 ist sehr rund.

Ausserdem ist bekanntlich Sommerloch. Also hat der «Tages-Anzeiger» eine historische Idee:

Das Werk von Andreas Tobler, Sandro Benini und Sebastian Broschinski (das ist ein «Interactive Storytelling Developer») ist 12’000 Anschläge lang, bebildert und erzählt den Kurzaufenthalt von Hitler in der Schweiz.

Zufälle gibt’s. Auch die NZZ klatscht die üppig bebilderte Story von Hitlers Kurzaufenthalt in der Schweiz zuoberst auf die Homepage. Sie braucht dafür nur einen Autor; Marc Tribelhorn.

Aber im Gegensatz zu den Hobbyhistorikern bei Tamedia führt Tribelhorn die Geschichte über Hitlers missglückten Putschversuch in München von 1923 fort. Denn damals titelten deutsche Zeitungen: «Der Hitlerputsch von der Schweiz bezahlt». Zumindest gab es logischerweise eine zeitliche Koinzidenz.

Was die kurzatmigen Historiker von Tamedia auch tunlichst zu erwähnen vergessen, reibt dem Blatt die NZZ genüsslich unter die Nase:

«Erinnert sei auch an den «Tages-Anzeiger», auf dessen Titelseite Hitler im Dezember 1931 einen Meinungsartikel publizieren konnte: «Was wollen wir Nationalsozialisten?». Der Putsch, der Faschismus, der Antisemitismus – grosszügig ausgeblendet.»

Das wird dort auch heute noch grosszügig ausgeblendet. Auf 33’000 Anschlägen geht’s dann in der NZZ weiter zur Reise des ehemaligen freisinnigen Bundesrats Edmund Schulthess nach Berlin, wo er nach einer Audienz beim Führer sehr angetan von ihm ist: «Ich glaube, sagen zu dürfen, dass Hitler aufrichtig den Frieden will und alles vermeiden wird, was ihn stören könnte

Schliesslich der amateurhafte Attentatsversuch von Maurice Bavaud, der von der Schweizer Botschaft in Berlin völlig im Stich gelassen und im Mai 1941 geköpft wurde. Dass Niklaus Meienberg als Erster an dessen Schicksal erinnerte, das wiederum erwähnt die NZZ nicht.

Dann schliesslich nochmal die Angriffspläne Hitlers auf die Schweiz, der vom Hauptmann Otto Wilhelm von Menges ausgearbeitet – aber niemals umgesetzt wurden. Schliesslich geistern noch nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder Gerüchte durch die Schweiz, dass der Führer gar nicht umgekommen, sondern sich hierher geflüchtet habe. In der Akte «Adolf»Hitler», die das Kriminalkommisariat III in Zürich angelegt habe, wurde ganz am Schluss ein Kreuz neben «Hitler, Adolf» gesetzt. Im Mai 1963.

So endet die NZZ. Kurzatmiger verweilt der «Tages-Anzeiger» am Schluss auf den unterschiedlichen Angaben, wie viel Geld Hitler seine Betteltour in der Schweiz eingebracht habe. Von 123’000 Franken sie damals die Rede gewesen, andere gehen von lediglich 11’000 Franken aus; grösstenteils von Deutschen in der Schweiz und ein paar Schweizer Antisemiten.

Es ist belustigend, dass die beiden Tageszeitungen am gleichen Tag die gleiche Idee publizieren. Beide Autoren habe ja einschlägige Erfahrungen, sie produzierten schon die Doublette der alternativen Geschichtsschreibung zum 1. August. Weniger lustig ist’s dann für den «Tages-Anzeiger», der im Nahvergleich mal wieder ganz klar auf dem letzten Platz landet. Abgeschlagen und zweifellos in einer tieferen Liga spielend.

Die Doublette

Wenn zwei das Gleiche tun – zeigt sich das Niveau.

Zufälle gibt’s … Geht man nach der Chronologie, hatte die NZZ um wenige Stunden die Nase vorn:

Variationen zur Schweizer Geschichte, wenn sich entscheidende Ereignisse anders abgespielt hätten.

Variationen zur Schweizer Geschichte, wenn sich entscheidende Ereignisse anders abgespielt hätten. Oder sagten wir das schon?

Einmal NZZ, einmal Tamedia.

Hoppla. Nun ist es so, dass bei Tamedia der verantwortliche Redaktor Andreas Tobler heisst. Das sagt eigentlich schon alles. Der kennt einmal seine Grenzen und hat «Intellektuelle sowie renommierte Historikerinnen und Historiker gefragt …»

Die Resultate sind, gelinde gesagt, durchwachsen. Markus Somm macht sich Gedanken, wie’s weitergegangen wäre, hätte die Schweiz 1515 bei Marignano gewonnen. Ist durchaus unterhaltsam. Josef Lang, nein, muss man nicht lesen. Marco Jorio. Marco who? Brigitte Studer, emeritierte Geschichtsprofessorin, geht der Idee nach, dass das Frauenstimmrecht schon 1919 eingeführt worden sei. Historisch absurd, das macht die NZZ dann viel besser.

Und schliesslich der unsägliche Jakob Tanner, der eigentlich darüber fantasieren möchte, was wäre, wenn Hitler die Schweiz erobert hätte. Aber statt dem nachzugehen, ist er viel zu selbstverliebt und schreibt eigentlich nur über sich: «In meiner Mitte der 1980er-Jahre vorgelegten Dissertation … Um den analytischen Durchblick zu schärfen, zielte ich … Meine kontrafaktische Modellierung bezog sich auf die Frage … Dieses Nachdenken über «roads not taken» hat es mir erleichtert …». Geschichtsschreibung als Bespiegelung des eigenen Bauchnabels, lachhaft.

Eine Franziska Rogger (sieht sich als «Historikerin und Feministin») fantasiert darüber, dass das Frauenstimmrecht 1971 nicht eingeführt worden wäre und irrlichtert in die Zukunft: «2041 schliesslich kappte man in einer ausgleichenden Gerechtigkeit das männliche Stimmrecht, von nun an waren nur noch Frauen stimmberechtigt». Geschichte als Wahnvorstellung. Regula Bochsler (bezeichnet sich als «Historikerin, Künstlerin und TV-Journalistin») überlegt sich, was passiert wäre, wenn Christoph Blocher nicht die EMS Chemie übernommen hätte. Auch das macht die NZZ viel besser.

Und Moritz Leuenberger schliesslich leckt wie immer leicht weinerlich eine alte Wunde: «Bei einem Ja zum EWR hätte sich diese Spirale in die andere Richtung gedreht. Wir hätten ein unverkrampftes Verhältnis zur EU und wären nicht bis zur Verhandlungsunfähigkeit gelähmt und müssten ständig Unterhändlerinnen austauschen.» Wenn Wünschen helfen würde, wäre Leuenberger ein erfolgreicher Politiker gewesen.

Insgesamt eine naheliegende Idee zum 1. August, weitgehend versemmelt durch mediokres Personal. Also genau das, was Tamedia halt ist.

Die drei Autoren der NZZ hingegen sind selbst ans Gerät gegangen und haben durchaus niveauvolle alternative Szenarien entwickelt. Sie legen mit einem hübschen Nietzsche-Zitat schon gleich mal die Latte hoch: «Die Frage «Was wäre geschehen, wenn das oder das nicht eingetreten wäre» wird fast einstimmig abgelehnt, und doch ist sie gerade die kardinale Frage.»

Auch bei ihnen erobern 1940 die Nazis die Schweiz. Das wird aber nicht aus der Bauchnabelperspektive erzählt, sondern den wahren Geschehnissen entlang, angefangen bei der historischen Figur Hauptmann Menges, der den Auftrag erhalten hatte, einen Angriffsplan gegen die Schweiz auszuarbeiten. Die kontrafaktische Darstellung endet mit der Feststellung, dass sich die Historiker bis heute streiten, wieso Hitler den Angriffsbefehl nicht gab: «Was immer der Grund war: Die Neutralität ist bis heute identitätsstiftend für das Land. Die Zustimmung lag Anfang 2023 bei 91 Prozent.»

Viel näher an der Realität ist auch die Erzählung, dass Christoph Blocher nicht nur eine Lehre als Bauer gemacht hätte, sondern tatsächlich auch Bauer geworden wäre und deshalb keine Zeit gehabt hätte, in die SVP einzutreten, bzw. dort aktiv zu werden. An dem Tag, als er gewinnbringend eine Kuh verkauft, tritt die Schweiz 1992 dem EWR bei.

Eine weitere spannende Geschichtsumschreibung ist die Aufgabe des Schweizer Bankkundengeheimnisses bereits im Februar 1936 auf französischen Druck hin. Am Anfang steht eine Razzia in Paris, die tatsächlich stattgefunden hat und als «Pariser Skandal» in die Geschichte einging. Nächste interessante Etappe: wie wäre es weitergegangen, wenn die Schwarzenbach-Überfremdungsinitiative 1970 angenommen worden wäre.

Entlang der historischen Figur Antoinette Quinche entwickelt die NZZ ein realistisches Szenario, was passiert wäre, wenn nicht zuletzt aufgrund ihres Kampfes die Frauen 1931 das Stimmrecht bekommen hätten.

Darin sind so grossartige Trouvaillen wie Auszüge aus einer 136-seitigen Botschaft des Bundesrats zum Frauenstimmrecht aus dem Jahr 1957: «Das Denken der Frau lässt vielleicht hie und da an logischer Konsequenz vermissen … Wenn gesagt wird, die Frau gehöre ins Haus, so ist das sicher richtig. Nicht richtig wäre es aber, daraus zu schliessen, dass das Frauenstimmrecht abgelehnt werden müsse.»

Und schliesslich, auch viel sinnenhafter als ein Sieg bei Marignano, was wäre, wenn die Schweiz beim Wiener Kongress 1815 nicht als Pufferstaat wiederhergestellt worden wäre, sondern der Plan des Freiherr von Stein angenommen worden wäre, die Schweiz auf die Nachbarstaaten aufzuteilen. «Und weil die Kantone wenig verbindet, kommt es danach nie mehr zum Versuch, die alte Eidgenossenschaft wiederzubeleben. Die moderne Schweiz gibt es nie. Der Gotthard bildet heute die Grenze zwischen Deutschland und Italien.»

Die NZZ erinnert dann daran, wie es wirklich war: «1815 wurde in Wien die Grundlage für die moderne Schweiz geschaffen – und zwar hauptsächlich auf Initiative eines griechischen Diplomaten im Auftrag des russischen Zaren. Die Eidgenossen hatten wenig dazu beigetragen.»

Das sind Szenarien, die Spass machen und zum Denken anregen. Kompetent nahe an den wirklichen historischen Ereignissen entlanggeschrieben, wohldokumentiert und erkenntnisfördernd, statt Ideologien, Steckenpferde und persönliche Meinungen der Autoren zu bedienen.

Lustiger Zufall der Geschichte, und erst noch wahr, dass NZZ und Tamedia am gleichen Tag die gleiche Idee veröffentlichen. Was für ein Pech auch für den Konzern an der Werdstrasse, dass seine Mediokrität mal wieder so schmerzlich vorgeführt wird. Aber Redaktoren wie Tobler sind scham- und schmerzfrei, das hat er schon zur Genüge unter Beweis gestellt.

Dem Leser sei aber dieser Direktvergleich ans Herz gelegt, auch wenn er dafür einmal bei einem der beiden Blätter (oder gar bei beiden) einen Obolus entrichten muss. Das lohnt sich schon alleine wegen der Entscheidung, wofür man zukünftig Geld ausgeben will …

 

Versuch der Einordnung

Auch hier wird’s kriegerisch, wenn es um die Ukraine geht.

Es ist wie bei einer Wahl oder Abstimmung. Bei allem Für und Wider muss man sich für einen Kandidaten entscheiden. Oder für ein Ja oder Nein. Abgesehen von Stimmenthaltung, aber das würde im Publizistischen einfach Schweigen bedeuten. Nun hat aber wohl (fast) jeder eine Meinung zum Ukrainekrieg.

Auch hier sind letztlich binäre Entscheidungen gefragt. Für welche Seite will man Partei ergreifen, mit welchen Argumenten. Unabhängig davon, ob man auf der Seite Russlands oder der Ukraine steht: bei 99 Prozent, ach was, 99,99 Prozent der hier Streitenden ist das völlig egal, spielt keine Rolle, hat keinen Einfluss auf die Geschehnisse. Verlängert oder verkürzt den Krieg um keine Sekunde. Ändert null an seinem Verlauf.

Dennoch ist es geboten und nötig, sich Gedanken darüber zu machen. Schon alleine deswegen, weil der Ukrainekrieg auch Auswirkungen auf uns hat. Auf unser Leben, unser Budget, unsere Zukunft. Oder gar auf unser Ende.

Wir können die Ereignisse nicht beeinflussen. Aber wir können das Niveau und die Qualität der Argumente und Meinungen messen und beurteilen. Sowie versuchen, unter Anwendung von gesundem Menschenverstand und Logik aus intellektuellem Spass Analysen, Einschätzungen und Meinungen zum Besten zu geben. Wobei jede solche Äusserung einen unbestreitbaren Vorteil hat: niemand ist gezwungen, sie sich anzuhören oder zu lesen.

Alles freiwillig – und hier gratis. Das berechtigt den Betreiber der Plattform und den grossartigen Content Provider, für Zucht und Ordnung in den Kommentarspalten zu sorgen. Nebenbei gesagt.

Vor der binären Entscheidung – dafür oder dagegen, ja oder nein – steht eine möglichst hochklassige Erwägung. Solche gibt es. Aber sie sind begraben unter einem wahren Schuttberg von flachbrüstigen Krakeelern, Bedienern von Narrativen, Wiederholern von Banalitäten, Schreibtätern, die ungeniert nach mehr Gemetzel, Massakern und Zerstörungen in der Ukraine gieren. Mutigen Kriegsgurgeln, die ein direktes Eingreifen der NATO fordern und somit einen Dritten Weltkrieg in Kauf nehmen.

Bei ihnen ist es segensreich, dass auch ihre Meinungen und Forderungen ungehört verhallen.

Dann gibt es ganze Heerscharen, die ihre Aufgabe nicht in erster Linie darin sehen, eigene Gedanken zur Debatte beizusteuern, sondern in ihren Augen falsche Meinungen zu denunzieren. Dahinter vermuten sie meist unmenschliche, dumme, menschenverachtende, manipulierte Haltungen. Nassforsch fordern sie, dass solche Ansichten, gerne auch als Verschwörungstheorien denunziert, von der öffentlichen Debatte auszuschliessen seien.

Gleichzeitig kritisieren sie die in Russland herrschende Meinungszensur aufs schärfste. Übersehen, dass die auch in der Ukraine herrscht – und dass ein Verbot einer TV-Station wie Russia Today den gleichen Geist des obrigkeitshörigen Zensors atmet, der das Volk ja nur vor schädlichen Einflüssen beschützen möchte.

Wenn sich also ZACKBUM gelegentlich zu eigenen Meinungsäusserungen hinreissen lässt, so sind sie immer von zwei Faktoren begleitet. Der erste und wichtigste: wir zweifeln in erster Linie an allem. Natürlich auch an uns. Niemals wollen wir die einzige, richtige, wahre Wahrheit verkünden. Wir sind auch lernfähig, ein zweites Alleinstellungsmerkmal. So ist der Kommentar von Andreas Rüesch «Wer auf den Knien um Putins Gas bettelt, ruft zur Kapitulation gegenüber Russlands Grossmachtpolitik auf», ein auf einsamer Flughöhe geschriebenes Denkstück. Schade, dass es hinter der Bezahlschranke der NZZ steht, schade, dass eine Spur Parteipolitik den Leser leicht verstimmt.

Aber der Inhalt, die Stringenz der logischen Argumente, das ist herausragend. Zunächst zerpflückt Rüesch die Argumente der Unternehmerin und SVP-Nationalrätin Martullo-Blocher, die sich für Verhandlungen mit Putin starkmacht. Ein Deal sei vor allem im Interesse Europas, argumentiert die Politikerin. Rüesch hält dagegen:

«Zunächst ist festzuhalten, dass Putin kein Dummkopf ist. Dass man ihn dazu bewegen könnte, wenigstens die Energieversorgung bis nächsten Frühling zu garantieren, wie dies die Nationalrätin fordert, mag man sich in helvetischer Schlaumeierei erhoffen. Aber Putin weiss selbstverständlich, dass seine Energiewaffe jetzt am schärfsten ist, solange Europa noch Anpassungsprobleme hat. Schon 2023 ist sie wesentlich stumpfer. Wer jetzt eine Vereinbarung mit ihm sucht, zahlt entsprechend einen viel höheren Preis am Verhandlungstisch.

Zudem ist es keineswegs so, dass mit Moskau niemand Gespräche über eine Friedenslösung geführt hat. Das Problem ist vielmehr, dass Russlands Forderungen unerfüllbar hoch sind. Die Ukraine bietet an, ihr Nato-Beitritts-Gesuch zurückzuziehen und ihre politische Neutralität zu erklären. Doch der Kreml ist darauf nicht eingestiegen und setzt auf eine militärische Lösung, um sich einen möglichst grossen Teil des Landes einzuverleiben.

Denn wer das Grundprinzip einmal akzeptiert hat, dass Grenzen gewaltsam verschoben werden dürfen, muss mit einer Wiederholung jederzeit rechnen. Putins Wort oder Unterschrift ist nicht zu trauen. Er hat eine zweistellige Zahl von völkerrechtlichen Abkommen gebrochen, von der Uno-Charta und der Europäischen Sicherheitscharta über die Nato-Russland-Grundakte bis hin zu diversen Verträgen, in denen er die territoriale Integrität der Ukraine hoch und heilig anerkannt hatte. Eine Hinterzimmer-Vereinbarung mit dem Kreml würde Europa zu langfristiger Unsicherheit verdammen – und damit auch zu massiv höheren, volkswirtschaftlich belastenden Militärausgaben.»

Das ist nur ein – längerer – Ausschnitt aus dem Argumentarium von Rüesch. Er macht damit vor allem bewusst: Die Auswirkungen des Ukrainekriegs gehen uns alle an. Es ist kein lokal begrenzter Konflikt, wo ein Hegemon seinen Hinterhof aufräumen möchte. Es geht auch nicht um das Hinaufstilisieren eines korrupten, von Oligarchen beherrschten Pleitestaats Ukraine zum grossen Heldenballett. Es geht nicht um die Dämonisierung eines wahlweise kranken, verrückten, verbrecherischen, dummen, gescheiterten Kreml-Herrschers, der demnächst von seinem Posten entfernt werden wird.

Das ist dummes Geplapper, daran halten wir fest. Der Krieg wird mit Verhandlungen enden, das ist sonnenklar. Oder mit dem Einsatz von Atombomben, und dann ist alles egal. Aber wann diese Verhandlungen beginnen, und aus welcher Position heraus, das ist durchaus entscheidend. Der Westen, auch die Schweiz, hat dabei ein Problem. Bislang wurden alle Sanktionen und Waffenlieferungen so gesteuert, dass sie einerseits der Bevölkerung in Europa nicht zu sehr schaden. Die Benzinpreise sind zwar gestiegen, aber dank dem Wegfall der Corona-Sanktionen war die Reiselust im Sommer seit Jahren nicht so gross wie heuer.

Alleine die Unfähigkeit der Flugindustrie, also Airlines und Flughäfen, sorgt hier für Wermutstropfen im Glücksferiengefühl. Aber richtig weh würde Russland nur ein möglichst rascher Stopp aller Gas- und Ölimporte tun. Denn eine «Umleitung» nach Asien, konkreter nach China, das dauert laut russischen Angaben rund drei Jahre, bis die dafür nötige Infrastruktur steht. Das ist also das Zeitfenster, das der Westen hat. Anschliessend schliesst es sich …

Das wiederum hätte keine tödlichen, aber dramatische Auswirkungen auf die europäische Volkswirtschaft. Doch wer von den Ukrainern Helden- und Todesmut fordert und sie dafür mit Waffen beliefert, sollte so ein Opfer nicht scheuen.

Auch das ist natürlich nur eine Meinung, die mit Denkfehlern behaftet sein kann. Aber es scheint uns nur konsequent: wer aus der Ukraine eine Auseinandersetzung zwischen West und Ost, Freiheit und Demokratie gegen Unterdrückung und Autokratie macht, wer also oberhalb des Schiesskriegs einen Systemkrieg sieht, der sollte konsequenterweise die Umstellung auf Kriegswirtschaft fordern. In Europa und in der Schweiz.

Alles andere wäre nicht zu Ende gedacht, wäre das wohlfeile Fordern, dass sich die Ukrainer doch bitte für die Sache des freien Westens totschiessen lassen sollen. Während wir dann mal bereit wären, uns finanziell am Aufräumen des Schlamassels zu beteiligen. So denken all die, die wir hier weiterhin als dümmliche Kriegsgurgeln beschimpfen werden.

Wobei der Betreiber der Plattform sich das Privileg herausnimmt, zwar immer konkret und argumentativ, aber doch auch mit Schärfe zu kommentieren. Wer in den Kommentarspalten abstrakt formuliert, aber ohne Argumente auf den Mann spielt, wird zukünftig konsequent gekübelt.

Wichtiges und Unwichtiges

Früher waren Tagi und NZZ Konkurrenten. Vorbei.

Natürlich wurde diese Konkurrenz vor allem am Platz Zürich wahrgenommen. International hatte der «Tages-Anzeiger» nichts zu husten. Aber zumindest im Bewusstsein der Redaktionen sah man sich meistens auf Augenhöhe.

Da ist nun Peinliches zu vermelden. Der Riesenkonzern Tamedia gewinnt in jedem Qualitätsranking den ersten Preis. Wenn von unten nach oben prämiert wird.

 

Name und Gebäude kommen und gehen …

Während sich die NZZ von ihren Lokalblättern getrennt hat und die in ein Joint Venture mit CH Media überführte, hat sich Tamedia eine ganze Kollektion von Kopfblättern zugetan, mit denen nun auch Basel oder Bern beschallt werden. Die Installation einer «Zentralredaktion» hat allerdings nichts zu einer Qualitätsverbesserung beigetragen. Im Gegenteil.

Augenfällig wird die zunehmende Distanz beim aktuell wichtigsten Thema überhaupt. Tamedia reagiert kreischig, besserwisserisch und mit einem apokalyptischen Unterton auf die Pandemie. Die Redaktion fordert, urteilt, kritisiert oder lobt, als hätten Journalisten irgend eine Verantwortung für ihr Tun. Stellt sich eine Prognose mal wieder als falsch heraus: man ist doch haftungsfrei, und her mit der nächsten.

Zudem darf offenbar jeder Redaktor sein Steckenpferd reiten. So wurde doch vom ehemaligen Leiter des ehemaligen Wissen-Bundes ernsthaft eine Debatte darüber angestossen, dass das Schmatzen im ÖV aufzuhören habe. Sekundiert wurde er von einem Wirtschaftsjourni, der zudem monierte, dass heisse Getränke in «kleinen Schlückchen» geschlürft würden.

Statt etwas über Wirtschaft zu schreiben oder an seiner Sprachkompetenz zu arbeiten, bspw. am Vermeiden eines doppelten Diminutivs. Aber irgendwie scheint das Programm zu sein bei Tamedia. Die allgemeine Einführung des doppelten Diminutivs.

Die NZZ teilt die Meinung von Karl Marx

Viel zurückhaltender, ausgewogener und vernünftiger berichtet hingegen die NZZ. Sie lässt nicht nur renommierte Gegner der Corona-Gesetzgebung zu Wort kommen (was Tamedia nicht im Alptraum einfallen würde).

Gleicher Name, gleiches Gebäude.

Zudem ist die NZZ mit Karl Marx der Auffassung, dass der materielle Unterbau, die Produktionsverhältnisse, die Wirtschaft ziemlich wichtig in einer Gesellschaft sind. Das meinen vielleicht auch die Pseudolinken bei Tamedia, aber meinen, wollen und können sind halt verschiedene Paar Schuhe.

Die einen erregen sich übers Schmatzen, die NZZ schreibt über die sagenhaften Gewinne bei Big Pharma.

Big Pharma kann nur noch Geld zählen

Für die ist die Pandemie der Jackpot, der feuchte Traum jedes leitenden Managers. Noch nie durften Pharmariesen ihre Produkte haftungsfrei verkaufen. Notfallregelungen und Ausnahmen erlauben das. Denn die Staaten wollten so schnell wie möglich an Impfstoffe kommen. Bitte sehr, sagte Big Pharma, aber da wir das nicht ordentlich austesten können, müssen wir haftungsfrei gestellt werden bei Neben- und Folgewirkungen. Sonst gibt’s keinen Tropfen von dem Zeugs.

Aktuell macht die NZZ auf einen Nebenverdienst aufmerksam, der noch risikoloser Geld in die Kassen spült:

«Mit Tests zum Nachweis von Sars-CoV-2 werden Milliarden verdient. Hersteller wie Roche sprechen von einer «sprunghaft» gestiegenen Nachfrage.»

Während es Mitte letzten Jahres noch so aussah, als ob die Nachfrage nach Tests langsam zurückginge, hat Omikron wieder richtig Schub reingebracht: Der Testkit-Hersteller «Abbott gehört in der Gesundheitsbranche ähnlich wie die Impfstoffhersteller Pfizer, Biontech und Moderna zu den grossen Profiteuren der Pandemie. Auch Roche zählt dazu – nicht nur wegen der Corona-Tests, sondern auch wegen der Medikamente, die das Unternehmen zur Behandlung schwerer Krankheitsfälle anbietet.»

Vorne und hinten.

Alles eine Frage von Angebot und Nachfrage, von Bedarf auch. Besonders an Flughäfen kann man sich mit einem Sars-CoV-2-Test mehrere goldene Nasen verdienen.

Man rechne kurz nach

Ein PCR-Schnelltest kostet am Flughafen Zürich mindestens 300 Franken. Handelsüblich sind in der Schweiz 140 Franken, als Discount gilt schon ein Angebot für 90 Franken mit Auswertung im Ausland.

Dabei herrscht starker Margendruck; ein Schnelltest ist im Grosseinkauf schon für unter 1 Franken erhältlich, ein PCR-Test für 10 oder weniger. Also dürften bei der branchenüblichen Gewinnspanne von mindestens 30 Prozent die Herstellungskosten entsprechend niedriger liegen.

Man rechne.

Ungeheuerliche Extraprofite, teilweise unverschämte Preise für Impfstoff, risikoloses Geldscheffeln, Wertschöpfung bei Tests von Hunderten von Prozent des Herstellungspreises: paradiesische Zustände, finanziert vom Steuerzahler und von Krankenkassen.

Wäre das nicht ein etwas interessanteres Thema als schmatzende Mitreisende im ÖV? Vielleicht schon. Aber eben, das übernimmt dann die NZZ. Und Tamedia schluckt höchstens trocken. Aber in kleinen Schlückchen, bitte.

Die einen gehen rauf, die anderen runter.

 

Unter Tagi-«Kollegen»

Wer abweicht, wird niedergemacht. Der kollegiale Stil der Qualitätszeitung.

Marc Brupbacher ist ein leitender Redaktor bei Tamedia. Er ist weder Virologe, noch hat er eine Ahnung von Epidemiologie. Das hindert ihn nicht daran, als Corona-Kreische öffentlich durchzudrehen. Der Bundesrat? «Komplett übergeschnappt.» Der Gesundheitsminister? «Mit dem bin ich fertig.» Uni-Koryphäen wagen es, eine von seiner abweichende Ansicht zu vertreten? «Nehmt diesen Dreck runter und entschuldigt euch.»

Ein Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs, und keiner kümmert sich um seine Behandlung. Wer nicht seiner Meinung ist, «verfügt über die Hirnleistung eines Einzellers». Nun hat Brupbacher einen neuen Anlass zum Kreischen gefunden. Eine neue Mutation habe «das Potenzial, Delta wie ein Kindergeburtstag aussehen zu lassen», hyperventiliert er, ohne Rücksicht auf den Akkusativ.

Da haut es dem Kollegen Kurt Pelda auch den Nuggi raus: «Seit bald zwei Jahren sagt Brupbacher den «Weltuntergang» voraus. Panikmache der übelsten Sorte, von der Realität widerlegt.»

Das tut er nicht ungestraft, denn nun rollt Dampfwalze Sandro Benini herbei: «Sorry, aber das ist polemischer Unsinn», rempelt er Pelda polemisch nieder, «passt du dein Niveau schon mal deinem neuen Arbeitgeber an?»

Dazu muss man wissen, dass Pelda von Tamedia wieder zur «Weltwoche» zurückkehrt, wo man ihm offenbar mehr Freiheiten lässt. Die er schon jetzt ausnützt, indem er seine Meinung zu Brupbacher offen kundtut. Der wiederum seine herumposaunt. Was wiederum Benini, auch in leitender Funktion bei Tamedia, zu Tritten unter die Gürtellinie veranlasst.

Das ist das Niveau, auf dem die sogenannte Qualitätszeitung aus dem Hause Tamedia angelangt ist. Da wäre tatsächlich eine Niveausteigerung dringend nötig.

Eine öffentliche Keilerei wie eine Wirtshausschlägerei unter gut abgefüllten Krakeelern, bevor sie vom Wirt zur Ausnüchterung auf die Strasse geworfen werden.

Es geht gar nicht darum, wer hier recht oder nicht. Es geht darum, dass man selbst unter «Kollegen» kein Erbarmen kennt, wenn jemand den Gottesdienst der einzig richtigen Meinung stört. Solchen Fanatismus gab es zuletzt in der katholischen Kirche oder in kommunistischen Parteien.

Sind wir froh, dass weder Brupbacher noch Benini über deren Machtmittel verfügen. Sonst müsste man sich echt Sorgen um das Wohlergehen von Pelda machen, obwohl der Kriegsreporter ist.

Offenbar verbreitet Mike Müller ein ansteckendes Niveau («Frage an ein ungeimpftes Arschloch»). Will wirklich jemand so einen Komiker sehen? Will wirklich jemand diese Belferer mit B im Nachnamen lesen?

NZZ: Textromanza!

Weniger Fotos, mehr Buchstaben. Aber auch die NZZ war schon mal von höherem Niveau geprägt.

Gut, wir wollen zuerst die Latte mal richtig hoch legen:

«Philosophiegeschichtlich kompetent konstruierte Butler den argumentativen Bogen des eigenen Theorie-Entwurfs aus Elementen der Werke von Hegel («Verkörperung»), den sie in Heidelberg studiert und in Yale zum Thema ihrer Doktorarbeit gemacht hatte, John L. Austin («Rollen»), Michel Foucault («diskursiver Widerstand») und Jacques Derrida («Aufhebung binärer Unterscheidungen»).»

Diskursiv könnte man einwenden, dass man natürlich Habermas nicht unerwähnt lassen kann, und ich persönlich finde immer, ein Sprutz Luhmannsche Systemtheorie hat noch keinem Schwulstschwatzen geschadet. Aber das mag Geschmacksache sein.

Man muss da sowohl die Relationen wahren wie auch die Prioritäten klar setzen. Biden, Bundesrat, Kampfjets. War da noch was? Ach ja, wie hiess der Zwerg schon wieder? Putin? Der war irgendwie auch noch da.

 

Was macht man als NZZ, wenn gerade der Freisinn mit seiner neuen Klima- und Umweltpolitik baden gegangen ist und eine neue Parteispitze braucht? Logo, einfach nicht drüber reden, sondern ein schlaumeierisches Einerseits-Andererseits ins Blatt sossen.

 

Was macht man als NZZ, wenn sie die Ausgrenzung von sexuellen Minderheiten in Ungarn an den Pranger stellt? Dabei auch den «Weltfamilienkongress» erwähnt, aber statt diese Dunkelkammer auszuleuchten, lieber der Unsitte frönt, riesige, aber aussagelose Fotografien auf die Seite zu hebeln?

Dabei würde es sich durchaus lohnen, diese Fanatiker mal genauer anzuschauen. Statt es bei Orbán-Bashing bewenden zu lassen.

 

Nachdem die NZZ das als Altersfurz eines Radiopioniers abtat, legt sie sich auch hier kommentarlos in eine enge Kurve. Tut so, als sei die Aussage des Titels der geheime Wunsch von Roger Schawinski gewesen. Auch nicht gerade souverän.

Aber, immerhin gibt es noch das Feuilleton. Und wenn selbst dem Feuilleton nicht wirklich was einfällt, dann denken wir wieder gemeinsam darüber nach, ob Nero wirklich so ein schlimmer Finger war – oder ein frühes Opfer von Fake News und übler Nachrede.