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Die Nicht-Antwort

Die Medienstelle der NZZ hat geruht zu antworten.

Das hätte sie vielleicht besser nicht getan. Denn natürlich steigt die Erwartungshaltung, wenn sie mehr als zwei Tage braucht, um auf ein paar konkrete Fragen zu antworten.

Die da lauteten:

Der Titel über dem Artikel von Ueli Bernays lautete ursprünglich:
«Till Lindemann und Rammstein: Aus dem Künstler ist ein Täter geworden».
Der wurde nachträglich geändert in:
«Till Lindemann und Rammstein: Was ist Tat, was ist Fiktion?».
Dazu habe ich folgende Fragen:
1. Wie ist es möglich, dass der erste Titel mit einer ungeheuerlichen Unterstellung durch alle Kontrollinstanzen der NZZ rutschte?
2. Unbelegte Vorverurteilung, Missachtung der Unschuldsvermutung, Übernahme von Behauptungen anderer Medien ohne die geringste Eigenrecherche; ist das das Niveau, dass die NZZ einhalten möchte?
3. Normalerweise werden solche nachträglichen Eingriffe (deren gab es auch im Lauftext) transparent kenntlich gemacht, weil der spätere Leser die Veränderung nicht bemerkt. Wieso macht das die NZZ nicht?
4. Hat dieser Vorfall für den verursachenden Redaktor arbeitsrechtliche Konsequenzen? Schliesslich ist er Wiederholungstäter (Stichwort Roger Waters).
5. Im Text von Ueli Bernays heisst es:
«Ob es sich dabei um einvernehmlichen Sex gehandelt hat, ist kaum zu eruieren. Jedenfalls gab es kaum ein klares Ja.»
Das ist nun ein wörtliches Zitat aus dem entsprechenden Artikel der «Süddeutschen Zeitung», das aber nicht als Zitat gekennzeichnet ist. Handelt es sich hier nicht auch um einen journalistischen Faux-pas, der öffentlich korrigiert werden müsste?
Trommelwirbel, Tusch und Fanfare, die Antwort des Weltblatts:
«Vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Berichterstattung und Ihre Anfrage, die wir gerne beantworten.
Das Vorgehen entspricht selbstverständlich den üblichen redaktionellen Prozessen
Schön, dass wir nun wissen:
– einen nicht mal Angeschuldigten unter krasser Missachtung der Unschuldsvermutung als «Täter» zu bezeichnen
– diesen ungeheuerlichen Titel nachträglich zu ändern, ohne das dem Leser gegenüber transparent zu machen
– wortwörtlich aus einer anderen Zeitung zitieren, ohne das als Zitat kenntlich zu machen, was man gemeinhin Plagiat nennt,
das alles entspricht inzwischen bei der NZZ «den üblichen redaktionellen Prozessen». Da kann man nur hoffen, dass sie durch unübliche ersetzt werden. Zum Beispiel durch Prozesse, die die primitivsten journalistischen Regeln berücksichtigen.
Aber ZACKBUM wird nicht mehr nachfragen, solche Nicht-Antworten entsprechen nicht unseren Vorstellungen von redaktionellen Prozessen.

Kontraproduktive SBB-Medienmitteilung

Wie aus dem Lehrbuch. Wer einen Abbau beschönigt, bekommt Haue.

Wie verpacke ich eine Negativnachricht positiv? Das hat sich die Medienstelle der SBB gedacht, als sie vor wenigen Tagen die Botschaft der Reservationspflicht für Velos in SBB-Zügen ab 21.3.2021 an die Medien zu senden gedachte. Das Hauptproblem: So viele Bahnpassagiere nehmen ihr Velo mit, dass es vor allem am Wochenende sehr eng wird. Doch anstatt primär das Angebot zu erhöhen, wie das im Kundenfokus eigentlich normal wäre, baut der Staatsbetrieb lieber eine Reservationspflicht auf und erhöht unter dem Strich die Gebühren. Das wäre, wie wenn das Astra, das Bundesamt für Strassenbau, den Autobahnbau einstellen und eine Gebühr auf überbreite SUV einführen würde.

Dem Unsinn zum Trotz titeln die Bundesbahnen: «SBB bietet Kundinnen und Kunden mehr Platz und Sicherheit beim Velo-Transport».

Der Lead beginnt noch besser: «Die SBB verbessert das Angebot für Reisen mit Velos im Hinblick auf die Velosaison 2021. Sie reagiert damit auf die hohe Nachfrage und Kapazitätsengpässe im vergangenen Sommer».

Kein Wunder, wurde die verkappte PR-Meldung praktisch gar nicht so abgedruckt, wie von der SBB erhofft. Ein Nebensatz in der Medienmitteilung zeigt auf, warum nicht: «Die SBB hat heute Velo-, Konsumenten- und Branchenorganisationen das verbesserte Angebot vorgestellt und Perspektiven für das Reisen mit Velos aufgezeigt.»

NZZ brachte Thema aufs Tapet

Mit anderen Worten. Es gab keinen Dialog, keine Verhandlungen, nichts. Velo-, Konsumenten- und Branchenorganisationen wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Weil diese schon vorher vom SBB-Plan wussten, lancierten sie gleichentags eine Petition gegen die Reservierungspflicht. Beigetragen dazu hat die NZZ. Diese machte das Anliegen am 28. Februar 2020 publik und konkretisierten die SBB-Idee im November 2020. Die NZZ-Rechercheleistung: sehr gut.

Trotzdem werkelten die SBB im stillen Kämmerlein vor sich hin und überraschten nun die Öffentlichkeit, wie auch die Velo-, Konsumenten- und Branchenorganisationen. Kein Wunder, war das Medienecho sehr negativ. Der Staatsbetrieb mit Sitz in Bern-Wankdorf wird es zu verkraften wissen. Im Gegensatz zum Bahnpersonal an der Front, das den Schimpftiraden der Fahrgäste ausgesetzt ist. Man kann nur hoffen, dass sich die SBB dem Veloboom besser anpassen wird. Erinnert sei an das Desaster mit den Nachtzügen, als die SBB (unter Chef Andreas Meyer) 2010 die Hotelzug AG zusammen mit der DB und der ÖBB liquidierten. Elf Jahre später jubillieren die ÖBB: Mit dem neuen Angebot hat ÖBB-Chef Andreas Matthä den Nerv der Zeit getroffen. «Nachtzüge sind gelebter Klimaschutz», sagt er im Gespräch mit der NZZ vom 18.2.2021.

Der Tipp an die Medienstelle der SBB: Mehr Ehrlichkeit, mehr Kundenbezug. Dann wird auch das Medienecho positiver.