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Unerhört! – im falschen Film?

So geht Pluralismus in der Meinungsbildung.

Am Freitag war die Premiere des Dokumentarfilms «Unerhört!». Gedreht hat ihn Reto Brennwald, immer noch bekannt als «Arena»-Dompteur.

Es sei ihm um eine anwaltschaftliche Perspektive gegangen, stellt er klar. Eigentlich hat er jedoch eine viel bessere Begründung. Nachdem er selbst in der Beurteilung der getroffenen Massnahmen, im Widerstreit der Meinungen immer unsicherer geworden ist, machte er das, was er kann: einen Film.

Dass man das speziell hervorheben muss, ist schon ein Armutszeugnis für den Elends-Journalismus der heutigen Tage.

Allgemeine Verunsicherung kocht hoch

Selbstverständlich gibt es auch seriöse Quellen zur Thematik, selbstverständlich kann jeder in Eigenverantwortung entscheiden, was und in welchen Dosen er zum Thema Corona zu sich nehmen will, wie Comedian Stefan Büsser zum Missfallen von Teilen des Publikums bei der Podiumsdiskussion richtig festhielt.

In der Kakophonie der veröffentlichten Meinungen kocht eine allgemeine Unsicherheit, Angst, Zukunftsangst hoch, bis hin zu den üblichen Dummheiten über Weltverschwörung, dunkle Mächte im Hintergrund.

Voller Saal bei der Premiere des Dokumentarfilms

Wie gross das Bedürfnis nach anderen Blickwinkeln ist, zeigte sich daran, dass die Samsung-Halle in Dübendorf voll war – so voll, wie es unter den aktuellen Corona-Massnahmen möglich ist. Bei 950 Teilnehmern regelten die Veranstalter den Ticketverkauf ab. Es erscheint aber durchaus möglich, dass sogar die maximal 5000 Plätze hätten gefüllt werden können.

Veranstaltet wurde der Anlass von coronadialog.ch. Das ist eine Plattform, die vom Unternehmer Marcel Dobler (Digitech) ins Leben gerufen wurde. Das Publikum war, um es höflich auszudrücken, animiert und emotional. Es wurde geklatscht und bravo gerufen, wenn im Film von den Protagonisten heftige Kritik an der offiziellen Corona-Politik geübt wurde.

Es wurde gepfiffen und gebuht, wenn andere Meinungen vertreten wurden, so vom ehemaligen «Mister Corona» Daniel Koch. Der kam nicht nur im Film vor, sondern wagte sich anschliessend bei der Podiumsdiskussion in die Höhle der Bettvorleger-Löwen.

Brennwalds Erfahrung als Moderator

Hier konnte Reto Brennwald seine ganze Erfahrung als Moderator ausspielen, das war auch dringend nötig. Denn auf dem Podium war eine gut ausgewählte Gruppe versammelt: Daniel Koch, Hans-Ulrich Bigler, Chef des Gewerbeverbandes, Stefan Büsser, Comedian, der sich wie Marco Rima schon pointiert geäussert hatte, und Christoph Schmidli, Hausarzt.

Das Dokumentarfilmerglück wollte es, dass Brennwald den Film Ende September fertiggestellt hatte; er umfasst die Aktualität bis Ende August, als sich die Indikatoren der Pandemie auf einem sehr niedrigen Stand eingepegelt hatten. Er greift in die Debatte ein zu einem Zeitpunkt, als wieder die gleiche Stimmung herrscht wie vor dem ersten Lockdown.

Aus den Reaktionen des Publikums kann man schliessen, dass kaum Zuschauer anwesend waren, die sich ohne feste Meinung einfach mal über eine andere Sicht informieren wollten. Dadurch bekam der Abend etwas Selbstreferenzielles. Ein – im Übrigen auf hohem Niveau gedrehter und geschnittener – Film liefert Bestätigung in Bild und Ton, mit Protagonisten und Antagonisten, mit Fragen und Zahlen.

Weiterhin kindisches Niveau der Debatte

Dass wie zu erwarten war in vielen Medien seine Einseitigkeit am Tag danach kritisiert wurde, zeugt vom weiterhin in weiten Teilen kindischen Niveau der Debatte. Ebenso, dass trotz wiederholter Bitten der Veranstalter, sich an die Vorschriften zu halten, kleinere Teile des Publikums demonstrativ ihre Mundmasken auszogen. Was natürlich wie gewünscht entsprechendes Bildmaterial für Kritiker des Abends lieferte.

Auch während der Podiumsdiskussion zeigte sich, dass zumindest ein harter Kern der Anwesenden keinesfalls an einem Dialog interessiert ist. Reto Brennwald musste mehrfach seine ganze Erfahrung und Autorität einsetzen, um Daniel Koch zu ermöglichen, fertigzusprechen.

Da benahm sich ein Teil des Publikums wie Donald Trump bei der ersten TV-Debatte mit Joe Biden. Auch die abschliessende Fragerunde aus dem Publikum zeigte das ganze Spektrum von Besorgnis, Verunsicherung und aggressiver Kritik an den Massnahmen und natürlich an Daniel Koch. Für einmal wirkte hier sogar seine unerschütterlich ruhige Art nicht einschläfernd, sondern etwas beruhigend.

Zum Beispiel die frühere Stimme des Volkes, der «Blick»

Und nun? Nachdem wir das dumme Gewäffel des Tagi-Chefredaktors schon abgehandelt haben, nehmen wir heute den «Blick». Der Oberchefredaktor Christian Dorer hat eine klare Meinung: «Handeln! Sie! Jetzt!» Moderndeutsch mit drei Ausrufezeichen garniert. Denn: «Eine Katastrophe wäre es, wenn die Menschen auf den Gängen der Spitäler sterben würden.»

Mit solchen Szenarien wurde die Bevölkerung schon vor dem ersten Lockdown geschreckt. Und wie sieht die Berichterstattung über den Event in Dübendorf aus? «Ausgebuhter Mister-Corona Koch und nicht überall Masken bei Premiere von «Unerhört!»: Corona-Skeptiker haben ihren grossen Abend».

Schon an diesem Titel sieht man, dass die Debatte weiterhin aus dem Schützengraben heraus geführt wird. Da ich selbst anwesend war, frage ich mich, an welchem Anlass denn die «Blick»-Journalisten waren.

Brennwald und coronadialog sind schon einen Schritt weiter

Denn was man auch immer von diesem Dokumentarfilm und den Reaktionen des Publikums halten mag: Hier sind die Veranstalter von coronadialog.ch und Reto Brennwald eindeutig einen Schritt weiter: Sie bringen schlichtweg eine andere Sicht ein, und vor allem: sie wollen Dialog, Diskussion, Meinungsbildung im Austausch von Argumenten. Ein kleiner Teil des Publikums wollte das nicht. Die Duopolmedien in der Schweiz, CH Media und Tamedia, sowie der «Blick» wollen das auch nicht.

Übrigens, wer sich selber eine Meinung bilden will: Noch an diesem Abend hat sich Reno Brennwald entschieden, am Montag den Film auf YouTube zu stellen, wo ihn sich jeder gratis anschauen kann.

Lololo, Lockdown

Wie ein Begriff seinen zweiten Frühling im Herbst erlebt.

Im Kampf um die Lufthoheit in der öffentlichen Debatte sind Begrifflichkeiten entscheidend. «Coronaleugner» als Sammelbegriff für alle, die auch nur eine kritische Frage wagen: grossartig stigmatisierend, ein sicherer Blattschuss.

Ergänzen wir noch mit «Experten warnen», «Wissenschaftler fordern», «zweite Welle», «immer mehr Infizierte»; irgendwas oder irgendwer ist dann auch schon «am Anschlag». Was hilft?

Logisch, ein Lockdown. Beziehungsweise: «Wie reagiert die Baubranche auf die zweite Welle?» – oder Restaurants und Hotels? All diese Fragen beantwortet eine einzige Ausgabe des «Blick», und es bleibt erst noch genügend Platz übrig, um ein Thema anzuschneiden, das schon die alten Griechen beschäftigte: «Bin ich ungeeignet für Analsex?»

Lockdown ist lieblich für Massenquarantäne

Ein Lockdown ist nichts anderes als eine Massenquarantäne, aber hört sich viel lieblicher an. Erst recht, wenn es nur ein «Teil-Lockdown» ist, oder gar bloss ein «Mini-Lockdown». Die NZZ versucht’s mal wieder mit einem ordnungspolitischen Zwischenruf: «Zweite Corona-Welle: jetzt wird es für die Wirtschaft brenzlig – Augenmass ist gefragt».

Normalerweise riecht es brenzlig, aber wenn man Chefökonom der NZZ geworden ist, kann man auch mit schiefen Bildern den richtigen Riecher haben. Oder so.

«BAG prüft ein- bis zweiwöchige Lockdowns», weiss CH Media. Man fragt sich, wie diese Prüfung aussieht: «Äxgüsi, wir prüfen hier mal einen einwöchigen Lockdown, bleiben Sie gefälligst in Ihrer Wohnung.»

Bericht von der Spitalfront in Basel-Land

Aber Scherz beiseite, beide Basel gehören ja auch zum Einzugsgebiet der Wanner-Presse: «Im Kanton Basel-Landschaft befinden sich 12 Menschen im Spital, 2 müssen beatmet werden.» Das ist furchtbar und wird sicherlich nicht dadurch relativiert, dass es im Halbkanton 2019 ingesamt knapp 35’000 Spitalaufenthalte gab, plus 6300 im mit Basel betriebenen Uni-Kinderspital.

Das bedeutet, dass es jeden Tag im Schnitt 113 Spitalaufenthalte gibt. Und wenn man die Ticker-Meldung genauer liest, kann man aufatmend feststellen, dass am Stichtag lediglich 2 neue Patienten wegen Corona ins Spital mussten, was die Gesamtzahl auf 12 heraufsetzt.

Aufatmen kann man ebenfalls in der Ostschweiz: «Kanton St. Gallen lässt weiterhin Grossveranstaltungen zu», vermeldet das St. Galler «Tagblatt». In den letzten sieben Tagen hat sich der Begriff Lockdown wie ein Virus in den Medien vervielfältigt, die Datenbank SMD verzeichnet knapp 3600 Treffer dafür. Sozusagen auch dagegen; die «Handelszeitung» titelt tapfer: «Fünf Gründe gegen einen Lockdown».

Häppchenweise serviert, wird’s geschluckt

Der Unternehmer Marcel Dobler, unter anderem Besitzer des alteingesessenen Spielwarenhändlers Franz Carl Weber, in der Vorweihnachtszeit normalerweise der Sehnsuchtsort für Kinder, warnt: «Bei einem zweiten Lockdown geht auch Franz Carl Weber in Konkurs», so zitiert ihn «20 Minuten».

Es ist eine alte Erkenntnis aus der Propagandalehre, dass man einen ungeliebten Begriff zuerst häppchenweise wieder aus der Versenkung holen muss. Das kann ganz am Anfang durchaus auch verneinend sein, «ein zweiter Lockdown ist ausgeschlossen». Als Nächstes wird ein angetäuschter Ausfallschritt beliebt gemacht: «Mir müssen alles tun, um einen zweiten Lockdown zu vermeiden.»

Schon fast auf der Zielgeraden ist man dann mit Stufe 3: «Wir können einen Lockdown nicht mehr ganz ausschliessen.» Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Sieg in der Lufthoheit heimzutragen.

Leider kein Diminutiv

Der Begriff ist wieder platziert, nun kann  man entweder den Überraschungs- und Überrumpelungsangriff wagen: «Ab morgen 12 Uhr gilt der Lockdown.» Oder man tänzelt etwas um den Begriff herum, «Teil-Lockdown», «Mini-Lockdown», «Versuchs-Lockdown».

Indem man sich des hässlichen Begriffs Massenquarantäne entledigte, verbaute man sich allerdings die Möglichkeit des Diminutivs, der immer etwas Beruhigendes hat, automatisch einen Jö-Effekt auslöst. Aber ein «Lockdäunchen», das geht nun schlecht.

Die in den Medien breit geführte Debatte, ob, wann, wie, wo, flächendeckend oder teilweise, wie beim ersten Mal oder anders, deckt zudem eine weitere, unangenehme Wahrheit zu. Deshalb bekommt der FDP-Nationalrat und erfolgreiche Unternehmer (Digitech) Dobler, der einem neuen Lockdown kritisch gegenübersteht, viel Gegenwind.

Es gibt auch unangenehme Wahrheiten

Denn er weist darauf hin, dass zumindest Teile der Volkswirtschaft in der Schweiz einen zweiten Stillstand nicht überleben werden. Die zweite Welle damit in eine Pleitewelle übergehen würde, in der Arbeitslosenheere schwömmen. Und ihn kann man schlecht als verkappten Aluhut-Träger oder Rechtsradikalen beiseite räumen.

Eine Debatte über das Wie und Wann, befeuert durch zwar nicht signifikante, aber geeignete absolute Zahlen von positiv Getesteten, soll von einer Tatsache ablenken, die noch beunruhigender als das Virus ist: Bislang hat der erste Lockdown mit allen Folgewirkungen einen Schaden von rund 100 Milliarden Franken angerichtet.

Selbst die wohlhabende Schweiz kann sich das nicht nochmal leisten. Aber davon liest man eigentlich im Medienchor, der Lololo Lockdown singt, kaum etwas.