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Wenn zwei Frauen in Champagnerlaune geraten

Dann erreicht der Kulturteil von Tamedia einen neuen Tiefpunkt. Denn es handelt sich um die neue Literaturchefin und eine «watson»-Kolumnistin.

 

«Sowas wie das RTL-Dschungelcamp 2021 hast du noch nie gesehen»

«Die dänische Sex-App ist gut gemeinter Schwachsinn»

«Ist Bill Kaulitz dauerspitz? Seine Autobiografie klingt ganz danach …»

«Der aufwühlende Dokfilm «Framing Britney Spears» und der Tod des Models Kasia Lenhardt sind beispielhaft für die Demütigung von Frauen in den Medien.»

Die Kolumne «Glamour, mon amour»: «Die Weihnachtsbeleuchtung hing noch, leuchtete aber schon lange nicht mehr, Regen begann zu fallen, und die erblindeten Leuchtkörper schimmerten von oben herab wie erstarrte Tropfen. Der silberne Schlangenkopf der Medusa, die neben dem Eingang von Versace auf der nassen Mauer prangte, blickte uns so hart ins Gesicht, dass wir fürchteten zu versteinern.»

Früher einmal gab es Literaturkritik

Ich weiss, das war ein Stahlbad für die Leser, aber da muss man durch. Eine kleine Auswahl aus dem aktuellen journalistischen Schaffen von Simone Meier. Um eines Gags willen kennt sie nichts. Wenn sie über Cancel Culture schreibt, dann hält sie es für einen passenden Geschichtsausflug, dass im Dritten Reich «die Juden gecancelt» wurden.

Früher einmal, ist gar noch nicht so lange her, gab es Literaturkritik. Wo ein flamboyanter Marcel Reich-Ranicki mit jeder Buchbesprechung bewies, ob mündlich oder schriftlich, dass Literaturkritiker Beruf und Berufung ist, die unter anderem sehr viel Bildung voraussetzt.

In der Schweiz prägten Hanno Helbling, Werner Weber und bis heute wache Geister wie Manfred Papst in der NZZ die Literaturkritik, bei der der Kritiker dem Schriftsteller mindestens auf Augenhöhe begegnet. Ich kann’s beurteilen, ich habe bei Weber Literaturkritik studiert.

Zwei Frauen zeigen, was sie können

Das schafft Nora Zukker auch. Ob sie über einen Liebesroman von Herzogin Fergie berichtet oder sich mit Simone Meier auf dem Friedhof Sihlfeld mit «einer Flasche Rosé-Champagner» die Kante gibt. Was für ein Einstieg: «Simone Meiers Romane sind Rosé-Champagner: Sie lesen sich leicht, man merkt kaum, wenn man nachschenkt, und zum Schluss ist man verzückt tipsy

Wie lautet schon wieder mein Lieblingstitel im «Blick», viele Jahre her: «Frauen, Alkohol, Wahnsinn». Wie wahr, denn auf 7100 Anschlägen zeigt die neue Literaturchefin von Tamedia, was sie kann. Gleich viel wie Simone Meier. Also eigentlich nichts. Meier versucht nicht ganz erfolglos, sich als eine Mischung zwischen Charlotte Roche (Feuchtgebiete) und Martin Suter (Allmen) zu verkaufen. Also als Gebrauchsliteratin mit noch weniger Tiefgang als Lukas Bärfuss, aber viel mehr Sex in ihren Werken.

In ihren Kolumnen bei CH Media und bei «watson» greift sie gelegentlich so was von daneben, dass einem das Lachen im Hals steckenbleibt. Dass sie vom abgetakelten «Schweizer Journalist» zur Kulturjournalistin des Jahres ernannt wurde, wird es zukünftig jedem Kulturjournalisten schwer machen, diesen Preis anzunehmen.

Mit welchem Alkoholpegel hat Zukker was geschrieben?

Was passiert, wenn Zukker ihr literaturkritisches Besteck auspackt?

«Die Dialoge sind nie meta, sondern nahe an der Alltagsrealität.»

Hä? Hier vermisse ich zum ersten Mal eine Angabe über die Promille, mit denen das geschrieben wurde. Vor den nächsten beiden Flachsätzen muss aber sicherlich ein grosser Schluck aus der Pulle erfolgt sein: «Meier kann Popkultur. Ihre Kritiken sind die wirkliche Unterhaltung. Echte Satire mit beinahe persiflierendem Charakter.» Hä? Was wäre dann unechte Satire, und wo genau liegt der Unterschied zu einer Persiflage? Oder was wäre Satire ohne persiflierenden Charakter?

Kann Zukker noch mehr? Locker: «Ob journalistisch oder literarisch: Ihre Texte sind sinnlich, sehnend und schlau.» Hicks. «Wenn in Meiers neuestem Buch «Reiz» ein Google-Street-View Männchen auftritt oder Herz-Emojis verschickt werden, ist das stilistisch konsequent.» Ich muss nun selber eine Flasche Dom Pérignon öffnen.

Gibt es denn kein Entkommen? Doch, dem Wettergott sei Dank und Preis: «Plötzlich regnet es frontal unter das Vordach.» Hä? Wie das wohl geht? Aber egal, das zwingt die beiden Wortschmiede (Pardon, Wortschmiedinnen) in die Flucht, wofür der Leser ausgesprochen dankbar ist.

Die Tragödie ist nicht, dass Meier sich bei CH Media bejubeln lässt: «Eine Schriftstellerin, die dank ihrer pointierten Formulierungslust sowohl das erschreckend Ruppige wie das Verträumte in Szene setzen kann. Immer im Auge: unsere Gegenwart, die sie in einem Panoptikum spiegelt.» Man kann nur hoffen, dass das weit jenseits von 0,8 Promille geschrieben wurde.

Eigentlich müsste man Schmerzensgeld verlangen

Die Tragödie ist, dass nicht Meier, aber Zukker schmerzlich zeigt, dass auch die Literaturkritik bei Tamedia erschreckend tiefergelegt keinerlei Orientierung dem nach Lektüre suchenden Leser gibt. Wer aufgrund dieser angetüterten Lobeshymne Lebenszeit verschwendet und den Roman wirklich liest, müsste eigentlich bei Tamedia Schmerzensgeld verlangen. Leider: In den USA stünden die Chancen nicht mal schlecht. In der Schweiz wäre das aussichtslos. So wie die Zukunft der Literaturkritik bei Tamedia.

Wer möchte nach Meier den Preis «Kulturjournalist des Jahres» entgegennehmen? Wer möchte sich von Nora Zukker rezensieren lassen? Vielleicht liegt die Rettung darin, dass beide wohl kaum einen Thomas Pynchon, Marcelo Figueras, einen Martin Cruz Smith, einen George Packer, einen Ismael Kadare kennen. Vielleicht haben sie von Hilary Mantel gehört, aber das sind verdammt dicke Wälzer. Alle diese Autoren dürften sowohl einem Schlammbad in Meiers Kolumnen wie auch einem Alkoholbad von Zukker entgehen. Darauf einen kräftigen Schluck Krug Rosé!