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Verlängerter PR-Arm

Branchenportale glänzen durch Verlautbarungsjournalismus.

Tamedia fusioniert die Regionalredaktionen des Tagesanzeigers, der Zürichsee-Zeitung, des Zürcher Unterländers und des Landboten. Damit verschwindet die lokale Sicht auf kantonale Themen. Zürcher Einheitsbrei ist mit diesem neuen Mantelresort programmiert. Nun hat’s natürlich zu viele Journalisten. «Natürliche Fluktuationen, interne Wechsel, Anschlusslösungen», heisst es von der Medienstelle gegenüber Keystone-SDA. Wer nicht kündigt, muss gehen. Möglich sei auch ein Sozialplan. Den braucht‘s laut Gesetz nur bei einer Massenentlassung.

Ein Päckli, ein vorproduziertes Interview?

Soweit, so schlecht. Nicht geglänzt haben bei dieser Hiobsbotschaft bisher die Branchenportale. Persönlich.com hat zwar das Kunststück fertiggebracht, ein langes Interview mit den drei Superchefredaktoren aufzuschalten. Kunststück darum, weil es wenige Stunden nach der Medienmitteilung der TX Group schon online war. Wie war das nur möglich? Wer das zahnlose PR-Interview gelesen hat, kann sich die Entstehungsschichte ausmalen. Die geht etwa so: Die Abbaufirma bietet einem Branchenportal ein Exklusivinterview an. Dafür darf man es gegenlesen. Und ja, wichtig sind die Stichworte «Innovation», «Zeitungsverbund», «Redaktionsnetzwerk» und «Stärkung», wird von der Medienstelle ganz kollegial nachgeschoben. Gesagt, getan. Ein herrliches Beispiel von Verlautbarungsjournalismus.

Neuer Vorgesetzter Benjamin Geiger

Interessant ist die nebenbei erwähnte Personalia. Neuer Chef des hochgelobten Zeitungsverbundes wird das bewährte Schlachtross Benjamin Geiger. Es bestätigt gegenüber persönlich.com, es werde Vorgesetzter von Priska Amstutz und Mario Stäuble. Gerade kürzlich hat man die Beiden als neue Hoffnungsträger für den «Tagi» gefeiert. So schnell kann’s gehen.

Standorterhalt – wer’s glaubt?

Die Beteuerung, dass die bisherigen Standorte behalten werden, ist natürlich Blödsinn. Aus zwei mach eins, die Schrumpfung der Zürichsee-Zeitung vom Standort Stäfa an die Aussenstelle Wädenswil war nur der Anfang. Corona zeigt, dass Journalisten ihr Handwerk auch von zuhause aus ausüben können. Dass die Nähe zum Geschehen leidet, nimmt man in Kauf.

Der Kleinreport

Der  Kleinreport machte sich die Aufgabe noch einfacher. Unter dem Titel «Tamedia gründet Redaktionsnetzwerk Zürcher Zeitungsverbund» übernahm er  grossomodo die Medienmitteilung.

Medienwoche und edito.ch in Schockstarre

Geht’s noch einfacher? Leider. Die einst durchaus lesenswerte Medienwoche brachte  – gar nichts. Ausser in der Unten-links-Rubrik «News» ein Link auf den Persönlich.com-Artikel. Die Katze, die sich in den Schwanz beisst.

Leere gab’s auch auf edito.ch, immerhin die Plattform der Medienberufsverbände Impressum und Syndicom.  Es scheint, wie wenn sich eine Art Schockstarre breit gemacht hätte.

Nachtrag: 24 Stunden nach Erscheinen dieses Textes schob der Kleinreport einen gepfefferten Insiderbericht über den TX-Group-Entscheid nach, aus inoffizieller Redaktionssicht des Tages-Anzeigers.

«Als Eigentümer verantworte ich persönlich alles»

Für Roger Köppel, Herausgeber und Alleinbesitzer der Weltwoche, haben «eigentlich alle Artikel» seit der Gründung 1933 kommentierenden Charakter. Das widerspricht dem Journalistenkodex.

In den Medien wird, zumindest nach aussen, die Vermischung von Fakten und Kommentaren gescheut, wie das auch bei Redaktionellem und Werbebotschaften geschieht – oder auch nicht. Die Richtlinie 2.3 des Schweizerischen Journalistenkodex macht dazu klare Vorgaben.

Richtlinie 2.3 – Trennung von Fakten und Kommentar:

Journalistinnen und Journalisten achten darauf, dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden, kritisierenden Einschätzungen unterscheiden kann.

Eine Richtlinie, die die Weltwoche oft und genüsslich negiert, gefühlt verstärkt, seit Roger Köppel am Ruder ist. Vielleicht ist das aber auch so, weil gerne die Antithese vertritt. Etwa, dass Sepp Blatter ein guter FIFA-Präsident war. Die Antithese gilt auch für Trump, Lukaschenko, Blocher, Bolsonaro und so weiter. Nun hat das seit 87 Jahren erscheinende Wochenblatt vor einigen Wochen noch einen drauf gegeben. «Der Charme der Tradition: Weitere Gefässe aus früheren Epochen kommen rundumerneuert». Seither erscheint wöchentlich der «Blick in die Zeit». Diese Seite gab’s schon von den 1930ern bis in die 60er Jahre: «Eine anekdotisch-feuilletonistische Rubrik, die sich aus Weltwoche-Sicht interessanten Phänomenen widmet.» Speziell ist, dass die sehr wertende Rubrik anonym ist. Man weiss also nicht, wer die Zeilen geschrieben hat. Was sagt Roger Köppel dazu?

 

«Klarer gehts nicht»,  findet Roger Köppel. (Foto: ls.)

 

Zackbum.ch hat ihn (schriftlich) befragt. Köppel (55) ist seit 2006 Verleger und Chefredaktor der Weltwoche. 2001 konzipierte er die Zeitung als Chefredaktor neu. Die Weltwoche erscheint seither als Magazin und nicht mehr als Zeitung.

Roger Köppel, ist noch bekannt, wer die «Blick in die Zeit»-Texte von 1933 bis in die 1960er Jahre schrieb?

«Nein. Texte hatten nicht dechiffrierbare Kürzel oder keine Zeichnung.»

Wer schreibt die Texte heute?

«Die Weltwoche.»

Der Inhalt zum Beispiel in der Weltwoche vom 15. Oktober ist durchaus diskutabel: «Die Medien müssten sich an Thiel, Rima und Spence nicht die Schuhe abputzen, sondern sie würdigen als Helden unserer Zeit.» Warum wird bei einer solch streitbaren Rubrik kein Autor ausgewiesen?

«Ich hoffe, alle Beiträge sind Diskussionsstoff. Die Weltwoche hatte immer Rubriken, die nicht gezeichnet waren oder mit Künstlernamen versehen waren. Ein «Economist» zeichnet die meisten Artikel, vor allem die Kommentare, noch heute nicht.»

Als Einschätzung für den Leser und gemäss Richtlinie 2.3 des Journalistenkodex (Trennung von Fakten und Kommentar): Als welche journalistische Form würden Sie «Blick in die Zeit» bezeichnen?

«Die Weltwoche kennt seit alters her die Trennung von Kommentar und Bericht nicht, weil die meisten, eigentlich alle Artikel kommentierenden Charakter haben. Das ist seit der Gründung dieser Zeitung so.»

Warum wird diese journalistische Form nicht klarer gekennzeichnet?

«Als Eigentümer verantworte ich persönlich alles, was in der Weltwoche steht, gezeichnet oder ungezeichnet, kommentiert oder unkommentiert. Klarer gehts nicht.»

Noch eine allgemeine Frage: Laut einer Meldung des Kleinreport arbeitet die Weltwoche (auch) Kurzarbeit. Stimmt das und wenn ja, wie lange schon und wie lange noch?

«Diese Meldung ist falsch. Fake News. Die Weltwoche arbeitet seit vielen Monaten normal. Die Kurzarbeitsversicherung haben wir lediglich im Mai und Juni beantragt.»