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Was für Heuchler

Journalisten werden zu Moralschleudern.

Die Zeiten sind noch nicht so lange her, dass jede anständige Weihnachtsfeier einer Redaktion mit mehreren Ehebrüchen, Quickies auf der Toilette, offenen Knutschereien und gemeinsamen Heimfahrten  im Taxi von verheirateten Paaren (nur nicht miteinander) begleitet war.

Dazu wurde in unglaublichen Mengen Alkohol vertilgt, es schneite Koks, ältere Semester brachten gerne Viagra zum Einsatz. Der nächste Morgen war dann erfüllt von hektischem Zusammensuchen von Kleidern, genialischen Lügengeschichten und auch ein paar Geständnissen und grossen Schwüren, dass das aber ganz sicher das letzte Mal gewesen sei, und der Alkohol, man weiss es ja.

Einige Teilnehmer versuchten, sich verzweifelt zu erinnern, was eigentlich geschehen war, in den Zeiten, als der Filmriss stattfand. Mindestens einer konnte sich jeweils nicht mehr erinnern, wo er sein Auto stehengelassen hatte. Es gab hektischen SMS-Verkehr, zwecks Alibi-Sicherung oder zwecks Erforschung, ob sich jemand anders erinnern konnte, was man so ab zwei Uhr morgens getan hatte.

Praktikantinnen wurden von erfahrenen Redakteuren in die Geheimnisse des Artikelschreibens eingeweiht, und in die Geheimnisse, wie man auch anders Karriere machen kann. Mindestens eine Groupie-Journalistin belagerte den Chefredaktor, um ihn als Trophäe mitzunehmen. Männer wurden zu Schweinen, Frauen willig.

All das gab es. Die gleichen Teilnehmer, ein gewisses Alter vorausgesetzt, schreiben heute entrüstete Artikel über unglaubliche Zustände im Rock-Business. Sex, Drugs and Rock’n’Roll, echt? Findet das denn immer noch statt? Ist es keine Mär, dass kreischende, meistens weibliche Fans ihre Idole anhimmeln, Slips auf die Bühne werfen, ihre Brüste zeigen, Plakate hochhalten mit der Inschrift «ich will ein Kind von dir»?

Gibt es denn ehrlich After-Show-Partys, und dort wird nicht nur Eistee oder Ingwer-Smoothies getrunken, während man eine Patience legt? Dort müssen Rockstars tatsächlich rabiat werden, um ein Groupie flachzulegen? Dort gibt es tatsächlich Teilnehmer, die nicht gedacht hätten, zu welchen libidinösen Taten es da kommen könnte?

«Es gibt strafrechtlich relevante Vorwürfe gegen das Umfeld einer der erfolgreichsten deutschen Bands», schreibt der «Spiegel» mit spitzen Fingern und zugehaltener Nase. Obwohl eine grosse Anzahl von Leser-Kommentatoren sich darüber echauffiert, was denn dieses Thema in einem seriösen Pressorgan zu suchen habe. Wieso es dermassen Raum einnimmt, ob es denn nicht vielleicht Wichtigeres zu berichten gäbe.

Scheint nicht der Fall zu sein, denn wann hätte die  «Süddeutsche Zeitung» das letzte Mal ganze sechs Mitarbeiter auf ein Thema angesetzt. Der «Spiegel» lässt sich nicht lumpen und versammelt ganze 13 Namen bei der Autorenzeile zu «Sex, Macht, Alkohol – was die jungen Frauen aus der «Row Zero» berichten».

Selbst als darum ging, Trump «wegzuschreiben», gab es keinen solchen Massenauflauf von Journalisten. Ukraine, Sudan, Heizschlamassel, Waffenlieferungen, Putin, alles in den Hintergrund gedrängt, sekundär. Vorherige Skandale? «Feine Sahne Fischfilet», andere Bands? Ach was, das Rudel verbellt Till Lindemann, alles andere ist nebensächlich.

Da wird von Machtgefälle gemunkelt, die Verantwortung eines Rockstars angemahnt, die strafrechtliche Verurteilung durch eine moralische Vorverurteilung ersetzt. Man (und frau) entrüstet sich, ist moralisch zutiefst angewidert, kann gar nicht aufhören, mit dem Zeigefinger zu wackeln. Tut so, also wäre gerade eben der Sex zu den Drogen im Rockbusiness gekommen.

Die Journalisten benehmen sich wie die Prostituierte, die beschlossen hat, von nun an die ehrbare Gattin zu spielen. Um jede Form des Verkaufs des Körpers entschieden zu verurteilen, während sie fröhlich mit der Kreditkarte des Gatten shoppen geht.

«Sex, Macht, Alkohol». Ist das neu, ist das interessant, ist das ein Skandal, ist das wahr? Die heuchelnde und hechelnde Meute hat bislang ein blödes Problem. Es gibt in Wirklichkeit keine strafrechtlich relevanten Vorwürfe bislang. Sonst wäre Strafanzeige gestellt worden. Wieso tut das kein Groupie, das sich damit seine 15 Minuten Ruhm abholen könnte, wenn es mit Namen dazustünde?

Könnte das etwas damit zu tun haben, dass Rammstein alle diese Behauptungen als «unwahr» zurückweist? Dass die Anwälte der Band angekündigt haben, gegen alle, die man identifizieren kann, rechtlich vorzugehen? Inklusive Medien, die die Verdachtsberichterstattung mal wieder viel zu weit getrieben haben, die Unschuldsvermutung wieder mal mit Füssen traten, durch die Schuldvermutung, die Schuldunterstellung, die Schuldzuweisung ersetzten.

Aber schlimmer als alles andere sind die Journalisten, die Kreide gefressen haben, sich moralisch entrüsten, dass es eine Unart hat. Verurteilen, wofür sie selbst schon mehrfach hätten verurteilt werden können. Aber sie schützt, dass sie überwiegend keinen Promi-Status besitzen. Wenn ein bekannter deutscher TV-Moderator, angriffig und gnadenlos in seinen Interviews, mit Koks und ukrainischen Elendsnutten im Hotelzimmer erwischt wird, dann macht der mal ein wenig Pause. Um inzwischen wieder auf allen medialen Hochzeiten zu tanzen, als wäre da nichts gewesen.

Journalisten, das ist immer mehr ein verkommener, versiffter Haufen von Heuchlern.

Hoch die Flaschen!

Aber bitte mit ohne Alkohol.

Feiertage, Feiern, anstossen. Aufstossen, Kater spazierenführen, «was für ein Kopfweh» sagen, «nie mehr» schwören. Man weiss es: Alkohol hat schreckliche Auswirkungen. Kann schreckliche Auswirkungen haben.

Dabei ist er das Einzige an legalen Betäubungsmitteln, was Journalisten geblieben ist. Schon seit Jahren müssen sie sich in zugigen Orten für Randständige und Aussätzige versammeln, wenn sie mal das tun wollen, was Journalisten seit der Erfindung des Journalismus immer taten: eine neue Zigarette an der Kippe der alten anzuzünden. Oder zumindest einen Glimmstengel nach dem nächsten inhalieren.

Vorbei, verweht, gecancelt, schöne Gewohnheit ade.

Nun sind die Zeiten allerdings auch schon länger vorbei, dass der Redaktor in den Tiefen seines Pults ein Flascherl Hochprozentiges versteckt hielt. Die Zeiten sind auch vorbei, dass der Chefredaktor zur Feier des Anlasses aus seiner Schublade einen edlen Cognac mit ein paar Schwenkern holte.

Nach dem Rauchen ist nun auch das Saufen dran. Auf der Redaktion tun das nur noch Alkoholiker. Aber viele frönen immer noch dem alten Brauch, nach getaner Arbeit sich mit einem Glas oder zweien oder dreien den Frust von der Seele zu spülen, dass das, was sie tun, eigentlich nur noch am Rande mit Journalismus zu tun hat.

Dafür müssen sie nun auch büssen:

Denn nachdem das Theater als Besserungsanstalt abgedankt hat, müssen natürlich Qualitätsmedien, hier die aus dem Hause «Tamedia», für die Volksgesundheit besorgt sein.

Passt auch gut zur Sauren-Gurken-Zeit vor den herannahenden Feiertagen (saure Gurke ist eines der Mittelchen gegen, aber lassen wir das). Also wird flugs eine Serie gebastelt: «Treibstoff Alkohol»:

«Der Dezember ist ein geselliger Monat mit vielen Anlässen – an denen fast immer Alkohol fliesst. Es ist eine Zeit, in der viele Menschen auch ihren Konsum hinterfragen. Bis Weihnachten beleuchten wir in einer Serie die ganz unterschiedlichen Rollen, die der Konsum von Alkohol in unserem Alltag spielt: sozialer Treibstoff, Genussmittel, Krankmacher. Geht Daten, ohne zu trinken? Wie wirkt er im Körper? Und was ist das Schöne am Rausch? Alle Artikel der Serie finden Sie auf unserer Website.»

Da wird gleich zum Start kein Thema ausgelassen. Der geläuterte Ex-Trinker, der nicht mehr auf ex trinkt und überhaupt keinen Alkohol mehr mag («Ich habe es oft bereut, zu viel getrunken zu haben. Ich habe es noch nie bereut, nichts zu trinken»). Aber auch – Nutzwert! – Ratschläge zur Bekämpfung des Katers. Und, besonders putzig, ein angeblich neuer Trend unter Jugendlichen: «dry dating». Kommt unbezweifelbar wie alles Gute aus den USA.

Beim ersten Treffen einen klaren, alkoholfreien Kopf bewahren. Kein romantisches Dinner mehr in einem schnuckeligen Lokal. Nein, besser ein Spaziergang in Eiseskälte durch Feld und Wald. Wenn das aufkeinende Liebesgefühle nicht erkalten lässt, dann muss es etwas Ernstes sein.

Natürlich ist in solchen Serien auch Platz für Rezykliertes. Wer beim ersten Mal nicht genügend abgestossen war, darf  nun den wieder aufgeschalteten Artikel «Eine besoffene Frau gilt nach wie vor als abstossend», von und mit Nora Zukker, wiederlesen. Vielleicht eine Dienstleistung für Alkoholiker, denen die Vergangenheit nebulös erscheint.

Allerdings wird vor allem eine Dame diese Entwicklung sehr bedauern. Sanija Ameti kann sich dann definitiv keinen SVP-Bundesratskandidaten mehr «schöntrinken». Aber das meinte sie ja auch nur «politisch gesehen».

Darauf einen Doppelten.

2021: Das Geschäftsmodell für Journalisten

Dreifach am Stuhl festschnallen. Auf die Frühpensionierung hoffen. Mit PR liebäugeln. Kann das alles sein?

Der Journalist als solcher neigt gerne dazu, allen anderen grossmäulig Ratschläge zu erteilen. Da sollte man sofort, es ist unverständlich, dass, unbedingt müsste man, fahrlässig und unverantwortlich, wenn man nicht.

Das gilt nicht nur für Corona, sondern ziemlich allgemein im Leben. Und weltweit. Wie konnten die Amis nur so dämlich sein, Trump zu wählen. Was haben sich die Brasilianer dabei gedacht, Bolsonaro zum Präsidenten zu machen. Wieso haben die Venezolaner nicht schon längst Maduro zum Teufel gejagt. Wieso lassen sich die Chinesen eine Diktatur gefallen.

Vom Corona-Bier zum Corona-Spezialisten

Wie schön und wohlgeordnet wäre die Welt, wenn man nur auf Journalisten hören würde. Wie frustrierend muss es sein, eigentlich alles besser zu wissen, die Lösungen zu kennen, Abhilfe schaffen zu wollen. Aber leider, leider, man hört kaum auf sie. Das schafft ganz schön Frustrationspotenzial.

Selten sind Journalisten häufiger öffentlich ausgeflippt als 2020. Aber es hilft ja nichts. Wer will, dass seinen Ratschlägen Gehör geschenkt wird, sollte eine gewisse Kompetenz ausstrahlen. Nicht einfach vom Corona-Trinker zum Corona-Spezialisten ungesattelt haben.

Schlimmer noch: wenn Journalisten eigentlich alles in Wirtschaft und Gesellschaft regeln könnten, wieso schaffen sie das im eigenen Leben nicht? Wieso hört man immer wieder bittere Klagelieder, weil sie es nicht mal vorhersehen konnten, dass nach dem grossen Rausschmeissen vor dem grossen Rausschmeissen ist?

Wer will schon abgehalfterte Journalisten?

Dass das Renommee, die Reputation eines Journalisten, seine Glaubwürdigkeit, ungefähr auf gleicher Flughöhe mit Politikern liegt, schon zur Kenntnis genommen? Dass eigentlich niemand Bedauern hat, wenn eines dieser Grossmäuler, das gestern noch von für einzelne Branchen brutalen, aber insgesamt unumgänglichen Massnahmen schrieb, heute selbst Opfer davon wird?

Wenn’s nicht mit Hängen und Würgen bis zur Frühpensionierung gereicht hat, was nun? Das RAV, sicher. Aber wer will schon einen abgehalfterten Journalisten, der sein Leben lang nicht viel mehr getan hat als Rechthaberei zu betreiben, unterbrochen von gelegentlichen Recherchen mit Google, skype und copy/paste in den Weiten des Internets?

Einige liebäugeln dann damit, auf die andere Seite des Ufers zu schwimmen. Also sich in die weite Welt der PR, der Mediensprecher, der Kommunikationsfuzzis im Dienste von Firmen zu begeben. Da habe man doch gerade auf so einen gewartet, meinen viele. Kontakte, kennt die Handy-Nummern von Chefredaktoren und Ressortleitern, weiss, wie man Propaganda und Werbung in journalistische Form bringt. Hat er ja auch vorher bei Autos, Reisen, Kosmetika und allen Grossinserenten schon getan.

Krisenkommunikation will gelernt und gekonnt sein

Nur: Was nützt es, die Handynummern zum Beispiel der beiden Co-Chefredaktoren vom Tagi zu haben? Kennt keiner, haben keinen Einfluss. Was nützt es, Werbesprache in Redaktionssprache umzumünzen? Kann heutzutage eigentlich jeder, denn überraschenderweise sind schon sehr viele Journis hierher geflüchtet. Ach, da bliebe aber noch Krisenkommunikation. Grosses Problem, grosse Kunst, grosse Lösung.

Dummerweise gibt es allerdings fast nur Beispiele, wie das von ehemaligen und gut vernetzten Journalisten mit grosser Klappe und kleiner Kompetenz grauenhaft gegen die Wand gefahren wird. Wer sich auf solche Cracks verlässt, gerne würden wir hier Namen nennen, der kann sich nur bei einem sicher sein: Er wird einen Riesenhaufen Geld los.

Was bleibt also? Mal ein Buch schreiben? Meine schönsten Reportagen? Meine meinungsstärksten Kommentare der letzten 20 Jahre? Interessiert doch auch nicht wirklich. Also ist der Weg nach unten vorgezeichnet.

Wieso nicht aktiv in eigener Sache?

Verblüffend ist nur, dass allzu wenige auf die naheliegende Idee kommen. Wieso mache ich nicht mein eigenes Ding? Einen Blog kann heute jeder Depp mit Bordmitteln basteln. Hosting, AGB, Verlinkungen, alles kein Problem, alles da. Dann muss nur noch Traffic kommen, und bald einmal kann man Werbung schalten, ein Bezahlmodell einführen, sich finanziell über Wasser halten.

Schafft doch eigentlich jeder, zumindest zum Beispiel Lukas Hässig. Es gibt allerdings einen Grund, wieso das in der Schweiz nur sehr zaghaft versucht wird. Lieber werden Mäzene angebaggert, die mit ein paar Millionen für ein Sicherheitsnetz sorgen. In das die meisten solcher Versuche früher oder später auch reinfallen.

Leute, die ihren Beruf verfehlt haben

Der eigentliche Grund ist: Trotz aller Rechthaberei, trotz allen schnell erteilten Ratschlägen, trotz Expertentum auf eigentlich allen Gebieten: einige, vielleicht sogar viele Journalisten sind zur Selbsterkenntnis fähig, dass auf sie die Feststellung von Karl Kraus zutrifft: Journalisten sind Leute, die ihren Beruf verfehlt haben. In besseren Zeiten in dieses Metier hineinrutschten, aber in Wirklichkeit immer Lücken hinterlassen, die sie völlig ausfüllen.

Weil ihre Kompetenz nicht weiter reicht als bis zum Ende des Schreibtischs, dessen Fläche in der modernen Käfigtierhaltung im Newsroom auch deutlich geschrumpft ist. Aber während bei so gehaltenen Schweinen sofort der Tierschutz auf der Matte stünde und Zeter und Mordio toben würde, interessiert das bei Journalisten eigentlich keinen. Denn das Mitleid mit ihnen hält sich in sehr überschaubaren Grenzen.