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Wohin treiben wir?

Im Meer der Dummheit auf dem Rücken schwimmen.

Vorverurteilung ist der neue Volkssport der serbelnden Massenmedien. Das gehört zur Erregungsbewirtschaftung, mit der sinkende Lesereinnahmen kompensiert werden sollen. Was da der «Spiegel» in vorderster Linie anstellt, müsste eigentlich Augstein aus dem Grab und Aust die Wände hoch treiben.

Groupies beschweren sich darüber, dass ihr Kontakt mit dem angehimmelten Popstar nicht aus einem schlaffen Händedruck besteht? Sie ziehen sich gerne wie verlangt an, kreischen in der ersten Reihe um die Wette, kommen ans Ziel ihrer Träume. Um dann eine Portion vergänglichen Ruhm abzuholen, indem sie belegfrei angebliche Übergriffe behaupten. Sofort finden sich Trittbrettfahrerinnen, Bloggerinnen und andere öffentlichkeitsgeile Weiber, die auf der Welle mitsurfen wollen. Und Massenmedien wie das einstmals angesehene Nachrichtenmagazin «Spiegel» machen eine Coverstory draus. Ein berühmter und begabter Schauspieler wird mit uralten Anschuldigungen fertiggemacht, willig kolportiert von den Medien. Wird er auf ganzer Linie freigesprochen, gibt’s nicht mal eine leise Entschuldigung. How low can you go?

Fürsorgepflicht für öffentlich hingerichtete Mitarbeiter? Ein Fremdwort für Tamedia. Transparenz bei der Personalpolitik? Ein Fremdwort für Ringier. Beförderung nach Qualifikation und Kompetenz, statt nach Nachnamen? Zwei Fremdwörter für das Wanner-Imperium. Eine nachvollziehbare Begründung für das Feuern eines Chefredaktors liefern? Nicht bei der NZZ.

Früher konnte man sich noch darüber beklagen, dass Mittelmass an die Macht kam. Heutzutage sind es Würstchen, die als erstes den Senf rationieren. Eine Literaturchefin, die von Literatur nur wenig Ahnung hat. Kolumnisten, die die Sprache und den Leser quälen. Figuren in leitenden Positionen, die einzig durch den Besitz eines bestimmten Geschlechtsorgans in diese Position kamen. Pimmelträger, die frustriert aufgeben und sich anderswo umschauen, nur nicht im Journalismus.

Das staatliche Farbfernsehen, Pardon, die zwangsgebührenfinanzierte, staatsunabhängige SRG, die entschieden mehr Sesselfurzer als journalistisch Tätige beschäftigt und von einer Frau ohne Vision, aber mit gut ausgebautem Machtinstinkt geführt wird.

Leitartikelschreiber(innen), die den Leser leiden lassen, ausser er gehöre zur Gesinnungsblase und hat weitgehend die Gehirnfunktionen eingestellt. Geschichtsbetrachtungen, die es schrecklich und schmerzlich an historischen Kenntnissen mangeln lassen. Philosophische Weltbetrachtungen, bei denen es von Ockham (1288 – 1347) aufwärts allen Philosophen den Magen umdreht, angesichts solch geistigen Wüstengebieten.

Sandkastengeneräle, Kriegsgurgeln, Militäranalysten, deren Analysen so falsch sind, dass nicht mal das Gegenteil stimmen würde. Prognostiker, die lieber das Wetter von gestern als das von morgen vorhersagen sollten. Interviewer ohne die geringste Sachkenntnis, denen ein Multiversager wie Mark Pieth oder eine durchgeknallte Kreischfeministinnen wie Emilia Roig jeden Mumpitz ernsthaft und unwidersprochen verzapfen können.

Alles Russische wird verteufelt, Kunst und Kultur wird geächtet, das Unwort Putin-Versteher wird jedem angeklebt, der nicht im hysterischen Gejapse der Verdammnis mitkreischt.

Kaum getarnte Publireportagen, bezahlte Inhalte, schamvoll klein als solche ausgezeichnet oder als «Zusammenarbeit» camoufliert, womit sich der Journalismus endgültig als Nuttenboulevard outet. Wirtschaftsjournalisten, die auf Zuruf nicht mal anzugeben wüssten, wo in einer Bilanz das Eigenkapital verbucht wird und was genau der Unterschied zwischen Aktiven und Passiven ist. «Datenjournalisten», die unlauter aus Daten Resultate heraussaugen, die in ihr Weltbild passen.

Genderkreischen, Klimawarner, Heuchler, die Verhaltensänderungen fordern, ausser bei sich selbst. Unbelehrbare Fehlanalysten, grosse Kenner der US-Politik, der Türkei, von eigentlich allem, bloss: meistens liegen sie krachend daneben. Nur: nach kurzem Schweigen oder einem zerknirschten Eingeständnis kommt die nächste «Analyse», vorgetragen mit dem strahlenden Selbstbewusstsein, mit der strahlenden Dummheit eines Wiener Walzers.

Rechthaber, die der Welt leidend vorgreinen, wie sie zu sein hätte, aber leider, leider, niemand hört auf sie. Oberlehrer mit ewig gezücktem Zeigefinger, prustend vor moralgeschwängertem Geschwurbel. Sie haben Antworten auf alle Fragen, nur ist sie nicht 42. Kindersoldaten, denen der Zweite Weltkrieg noch dunkel ein Begriff ist, aber ja nicht fragen, wann der war.

Ach so viele machen zudem bei der Verhöhnung der wahren Opfer des Nationalsozialismus mit. Sie bezeichnen alles und jeden, der einen Millimeter rechts von ihnen steht, als Nazi. Mindestens als Proto-Nazi, weniger Wagemutige werfen mit «faschistoid» um sich, schnell ist man mit der «Erinnerung an dunkle Zeiten» zur Hand, obwohl sich keiner mehr daran selbst erinnern kann.

Abhold sind diese verunsicherten Rechthaber jeglicher ernsthafter Debatte: ein Gegenargument könnte fatale Auswirkungen haben, die Konfrontation mit einem intellektuell überlegenen oder gebildeten Geist könnte der psychischen Gesundheit abträglich sein. Denn niemals würden diese Karikaturen von Journalisten zugeben, dass sie eigentlich kleine Lichter sind. Übrig geblieben aus einer Negativauslese. Denn wer zu teuer ist, zu kantig, zu aufmüpfig, wer es gar wagt, eine eigene Meinung zu haben, muss bei der nächsten Sparrunde als Erster über die Klinge springen.

Was diese Mietschreiber der deutschen Sprache antun, müsste strafrechtlich abgeurteilt werden. Nicht nur, dass sie sie mit Gender-Sternchen, absurden angeblich inkludierenden Formen vergewaltigen. Selbst ohne diesen Mumpitz zeigen ach so viele, dass sie nicht mal die Grundregeln beherrschen. Von eleganten Formulierungen, einem überzeugenden Aufbau, Leserführung, Komprimierung ganz zu schweigen. Da werden «Reportagen» geschrieben, die aus ein paar Gesprächsfetzen bestehen, da werden «Analysen» gemacht, die überhaupt kein Ganzes in seine Bestandteile zerlegen, sondern Gehacktes, Geschnetzeltes, Gedankensplitter feilbieten.

Der Journalismus ist so auf den Hund gekommen, dass sogar seit einiger Zeit keine neuen «Leaks» oder «Papers» veröffentlicht werden. Das sind zwei Euphemismen für das Ausschlachten von Hehlerware. Von gestohlenen Geschäftsunterlagen, bei denen die Ausschlachter keine Ahnung haben, aus welchen Motiven sie gestohlen und gratis verschleudert werden.

Das hält sie aber nicht davon ab, Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person zu spielen; nach Belieben ausgewählte Personen an den medialen Pranger zu stellen. Dass darunter auch Tote, Unschuldige, durch diese Enthüllungen in Lebensgefahr geratene Menschen sind, dass hier Existenzen vernichtet werden wie die eines schweizerisch-angolanischen Geschäftsmanns, was soll’s. Dass einem verstorbenen Playboy völlig zu Unrecht üble Vorwürfe gemacht werden, die sich in Luft auflösen: na und? Man suhlt sich ein Weilchen in der künstlichen Sonne der angeblichen Enthüllung und Aufklärung. Hinterlässt ein Trümmerfeld und zieht weiter.

Viele Journalisten haben so wenig zu tun, dass sie zu den fleissigsten Fütterern der asozialen Plattformen gehören. Twitter ist ihr Lieblingskanal, ältere Semester verwenden Facebook, jüngere Instagram oder TikTok. Dort weisen sie gackernd wie Hühner über ein gelegtes Ei auf ihre eigenen Artikel hin und beschimpfen alle anderen, die nicht ihrer Meinung sind.

Kompetenz im umgekehrt proportionalen Verhältnis zum Selbstbewusstsein. Einbildung als Ersatz für Bildung. Schweigen als Reaktion auf Kritik. Gross im Austeilen, ganz, ganz klein im Einstecken. Der eigene Bauchnabel als Weltersatz. Das eigene Empfinden als Empathie-Ersatz. Geklautes Leiden, geheuchelte Betroffenheit, moralische Unfehlbarkeit wie früher beim Papst, ein unstillbares Bedürfnis, der Welt die eigene Meinung aufzudrängen, als ob die auch nur schon die eigenen Leser interessieren würde.

Das ist das jammervolle Bild, das der Journalismus heute abgibt. Er wird unbeeindruckt von solchen Beschimpfungen in die Grube fahren. ZACKBUM begleitet ihn dabei als Ein-Mann-Orchester.

 

 

Innehalten? Ach was

Schreiben kann nur aus sich selbst erfolgen.

Honoré de Balzac war wohl der grösste Schöpfer von nicht-realen Menschenleben, den es jemals gegeben hat (zumindest für alle, die nicht an Gott glauben). Mehr als 2000 Figuren hat er in seiner «Comédie humaine» erfunden.

Woher er diese Kreativität nahm, ist völlig unverständlich. Man weiss nur, dass er sich dafür sein eigenes Leben gestohlen, Nacht um Nacht, begleitet von seiner Kaffeekanne, sich ums Leben geschrieben hat. Sozusagen erschwerend kommt noch hinzu, dass er alle seiner 88 Werke eigentlich mehrfach schrieb. Für die Setzer seiner Bücher war es die Horrormeldung, wenn die Fahnen wieder von Balzac zurückkamen. Da gab es dann seitenlange Ergänzungen, Streichungen, Umstellungen. Wieder und wieder.

Neben der Verbeugung vor einem Ausnahmegenie wollen wir damit sagen: jeder Schreibende kann nur das beschreiben, was er in sich hat. Das müssen wir noch etwas präzisieren. Natürlich hat der Kriegsreporter den Krieg nicht in sich. Der Porträtschreiber erfindet nicht den Porträtierten. Die Zusammenfassung einer Parlamentsdebatte hat ihren Ursprung nicht im Kopf des Berichterstatters.

Aber auf welcher intellektuellen Höhe beschrieben wird, welcher Wortschatz zur Anwendung kommt, auf welche Art der Leser mitgenommen wird, welche Metaphern, Anspielungen, Vergleiche, Wortspiele, Analysen und Interpretationen dazukommen, das hängt nun ausschliesslich vom Kopf des Schreibenden ab.

Wer den Schmerz einer Mutter über den Verlust ihres Kindes gültig beschreiben will, muss diesen Schmerz in sich tragen. Wer ein Gemälde von Picasso beschreiben will, muss diesen Maler verstehen. Wer ein kontemporäres Ereignis beschreibt, muss Kenntnisse über seine historischen Wurzeln haben. Wer fremde Länder beschreibt, muss die Mentalität der Bewohner verstanden haben.

Das alles ist eine Mischung aus dem erlernbaren Teil. Der besteht aus Handwerk. Aus der Beherrschung der deutschen Sprache. Aus der Liebe zu ihr. Aus eher banalen Kenntnissen über Aufbau, Einleitung, Cliffhanger, Neueinstiege, über verschiedene Tonalitäten, Stile, Darstellungsformen. Aus der Beherrschung von Tempo, Perspektive, sprachlichen Kamerafahrten, dem Zoom, dem Panoramabild.

Zum erlernbaren Teil gehört auch das Bemühen, dem Beschriebenen gerecht werden zu wollen. Gerecht im Sinne von: so wirklichkeitsnah und innerhalb des Objekts zu formulieren wie möglich. Nichts einfacher, als sich über die Dummheit eines dummen Menschen lustig zu machen. Nichts einfacher, als mit dem Besitz des letzten Wortes jemand vorzuführen. Ihn sprechen zu lassen, um das Gesprochene anschliessend in der Luft zu zerreissen oder der Lächerlichkeit preiszugeben.

Zu diesem Teil gehört auch die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden zu können. Quellen richtig einzuschätzen, die Frage «cui Bono?» muss den Journalisten immer begleiten, wenn er angefüttert wird oder von ihm verlangt wird, angebliche Zeugen nur anonym zu zitieren.

Das und noch einiges mehr ist erlernbar. Ein Journalist auf der Höhe eines Kisch, eines Tucholsky, eines Mailer, eines Wolfe zu werden, das setzt dann noch einiges Nicht-Erlernbares voraus. Denn nicht jeder Maler kann ein Picasso, ein Goya, ein Rembrandt werden. Das ist dann die Abteilung Genie, herausragende Begabung; finden, nicht suchen. Hier erhebt sich dann Sprachmächtigkeit in den Olymp, bleibt der Leser beeindruckt, verstört, aufgewühlt, bereichert und unterhalten zurück.

Das war der einfachere Teil dieser Abhandlung. Nun kommt der schwierige: wie viele Journalisten, wie viele Publizisten, wie viele Schriftsteller (Voraussetzung: lebend), fallen einem in der Schweiz ein, auf die wenigstens die meisten dieser Kriterien zutreffen, wobei das Geniale durchaus fehlen darf?

ZACKBUM sendet hier das anhaltende Pausenzeichen. Nimmt den Telefonjoker. Hofft auf die Hilfe seiner Leser (und *innen, auch Nonbinäre willkommen, Hybride sind nicht ausgeschlossen, alle Diversen sollten sich angesprochen fühlen).

Wir wissen nur: alle, die sich ausgiebig mit sich selbst oder mit einer gendergerechten Sprache befassen, fallen schon mal weg. Alle, die lieber Antworten geben als Fragen stellen, ebenfalls. Alle, die nicht die Welt beschreiben wollen, sondern ihre Auswirkungen auf ihr Selbst ebenfalls.

Ja, da wird die Luft dann verdammt dünn. Immerhin, eine Ausnahme fällt uns doch noch ein, weil wir gerade von seinem neusten Werk auf das Angenehmste unterhalten und bereichert werden. Wir sind natürlich stolz darauf, dass es sich um unseren Doktorvater handelt, der nach seiner Emeritierung eine zweite Karriere als der sicherlich interessanteste Essayist, unterhaltsamer Gebildeter und souveräner Führer durch Landschaften der Erkenntnisse angetreten hat.

«Übeltäter, trockne Schleicher, Lichtgestalten», so heisst seine neuste Sammlung. Eigentlich hätten wir uns diese ganzen Ausführungen auch sparen können und einfach schreiben:

Lest dieses Buch.

Lest alle Bücher von Peter von Matt.

Es lohnt sich. Es bereichert ungemein. Es unterhält aufs köstlichste. Es gibt Hoffnung, dass in dieser finsteren Höhle der Mediokrität, stammelnden Unfähigkeit und selbstverliebten Geschreibsels doch noch einer die Laterne der Vernunft, der Aufklärung, der Bildung geistreich und unaufdringlich hochhält.

Die Läuse im Pelz

Wieso der Bauchnabel das wichtigste Körperteil des Journalisten ist.

In der Legende «Vor dem Gesetz» gibt es die Szene, dass der dort Wartende in seiner Verzweiflung sogar die Flöhe im Pelz des Türhüters um Hilfe bittet. Franz Kafka wollte das als groteske Übertreibung verstanden wissen.

Er kannte 1915 die modernen Journalisten nicht. Die haben sich grösstenteils von ihrer eigentlichen Aufgabe verabschiedet. Die bestünde darin, möglichst kenntnisreich, analytisch und wirklichkeitsgetreu über wichtige Ereignisse zu berichten, deren Kenntnis einem interessierten Publikum wichtig ist. Stattdessen kümmern sie sich um Flöhe. Um die eigenen und um fremde, weil diese Grössenordnung ihren intellektuellen Fähigkeiten entspricht.

Nach oder neben diesen Berichten kann der Journalist, aber nur, wenn er kann, in Form eines Kommentars seine persönliche Sichtweise darlegen. Das hätte aber zur Voraussetzung, dass hier intelligente, niveauvolle, lesenswerte Ansichten geäussert werden, die den Leser bereichern, zum Nachdenken anregen, die mit einem Wort bedenkenswert sind.

Richtig, das hört sich heutzutage wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht an. Denn den Kontakt zur Wirklichkeit haben die meisten Journalisten, eingepfercht in ihre Verrichtungsboxen im Newsroom, längst verloren. Hingehen, anschauen, aufschreiben, das war vielleicht noch zu Zeiten von Kisch das übliche Vorgehen. Heute ist es ersetzt durch Google, Agenturmeldungen, copy/paste aus fremdsprachigen Organen und dem willfährigen Gehorsam gegenüber den Stallordern des jeweiligen Konzerns, bei dem der Journalist (noch) angestellt ist.

Während über geschrumpfte Platzverhältnisse und gegroundete Redaktionen gejammert wird, könnte man meinen, dass nun der dünnere Umfang mit dickerem Inhalt kompensiert wird. Konzis, komprimiert, schlank auf den Punkt.

So, nun verlassen wir die Märchenstunde und wenden uns der Realität zu. In Wirklichkeit herrscht im Journalismus der Bauchnabel. Der Bauchnabel des Journalisten ist sein wichtigstes Körperteil, er steht im Zentrum seines Interesses, seines Schaffens. Das Gehirn, die Sinnesorgane, selbst der Geschlechtstrieb ist nicht so wichtig wie der Bauchnabel. Der Bauchnabel symbolisiert die Egozentrik, das Besinnen nicht mehr aufs Eigentliche, sondern aufs Eigene, das den modernen Elendsjournalismus auszeichnet.

Der Journalist schreibt über das, was er noch einigermassen kennt – im Idealfall. Über sich selbst. Über seine Befindlichkeiten, über seine Umgebung, sein Erleben, seine Probleme. Er interviewt oder beschreibt dabei alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Den Partner, die Kinder, die Eltern, die Verwandten. Die eigene Jugend, die Probleme mit dem Altern, in der Beziehung, beim Einkaufen, die Suche nach einem Parkplatz, das Verpassen eines Fliegers, die Hitze, Kälte, die Natur, die Stadt, der See, kein Thema zu beliebig, um nicht abgehandelt zu werden.

Besonderer Beliebtheit erfreuen sich auch Haustiere jeder Art. Die haben zudem den gleichen Vorteil wie das fernere Ausland: es ist keine Gegendarstellung zu befürchten. So müssen also Hunde, Katzen, Wellensittiche, Meerschweinchen, auch exotischeres Getier wie Schlangen, Papageien, Ameisen, dazu noch Hausschweine, Kaninchen, gar Kühe oder Schafe dafür herhalten, beobachtet und dem Leser serviert zu werden.

Andere müssen dafür in Selbsthilfegruppen, Therapien oder Urschrei-Kurse gehen. Journalisten können sich ungeniert öffentlich ausagieren. Hemmungslos, schamlos, von der überragenden Bedeutung des eigenen Bauchnabels zutiefst überzeugt. Ist er nicht schön, ist er nicht speziell, ist er nicht originell, kann man ihn nicht von oben, unten, seitwärts oder sogar von innen betrachten?

In Wirklichkeit sieht das zunehmend angewiderte Publikum dabei zu, wie ein ehemals anständiger und geschätzter Berufsstand auf peinliche Weise öffentlich Selbstmord begeht.

Es gibt noch Journalismus

ZACKBUM lobt nicht? Falsch. Nur gibt’s so wenig zu loben …

Aber ganz, ganz selten gibt es Lobenswertes zu berichten. Zum Beispiel dieses Stück der NZZ:

Klare Ansage, klare Analyse, klares Resultat. Die Antwort auf die Einleitungsfrage ist ein klares Ja. Der Preis ist heiss, und das Thema auch. Denn in der Schweiz sind die Lebensmittelpreise im Schnitt schlichtweg doppelt so hoch wie im nahen Ausland. Und durch den Krieg in der Ukraine werden sie noch weiter steigen. Woran liegt’s?

Zum einen haben Coop und Migros (mit Denner) im Lebensmitteldetailhandel einen Marktanteil von 80 Prozent. In Deutschland und Österreich gibt es zwar auch starke Anbieter, aber die Märkte sind doch fragmentierter. In Deutschland zum Beispiel teilen sich immerhin vier starke Anbieter den Marktanteil, den in der Schweiz Coop und Migros haben. Durch den Markteintritt von Aldi und Lidl sank der Marktanteil der beiden Fast-Monopolisten lediglich von 85 auf 80 Prozent.

Damit ergibt sich die Frage, ob sich die beiden orangen Riesen nicht branchenübliche Margen leisten. Die Bruttomarge setzt den Bruttogewinn (Umsatz minus Warenaufwand) ins Verhältnis zum Umsatz. Für Supermarktketten sollte diese Marge bei 25 Prozent liegen. Nun geben die beiden Grossen diese Zahlen nicht spezifisch bekannt, aber die NZZ rechnet sie aus den Angaben der Regionalgenossenschaften bei der Migros hoch und kommt auf einen Durchschnitt von 31 Prozent.  Ähnliches ist bei Coop zu vermuten.

Über alle Geschäftszweige hinweg leistet sich Migros eine Bruttomarge von 38 Prozent, Coop von 33 Prozent. Im Vergleich: Lidl liegt im Schnitt bei 26 Prozent, Aldi Süd bei 22.

Eine wirklich informative und mit einiger Eigenrecherche angereicherte Analyse, die immerhin Hoffnung gibt, dass im deutschsprachigen Journalismus nicht immer und überall Hopfen und Malz verloren ist. Allerdings hat die gesamte Analyse eine klitzekleine Schwachstelle. Selbst eine zweistellig höhere Bruttomarge vermag nicht zu erklären, wieso Lebensmittel in der Schweiz schlichtweg doppelt so teuer wie im näheren Ausland sind. Aber vielleicht bekommen wir diese Erklärung noch nachgereicht.

 

Träumerei

Darf auch mal erlaubt sein: wir erträumen uns guten Journalismus. Wie es wohl war, als es den noch gab?

Keine Nostalgie, kein Dummvergleich früher (alles besser) mit heute (alles schlechter). Als der Besitz von Druckmaschinen eigentlich das Gleiche war wie die Lizenz zum Gelddrucken, wurde auch jede Menge Unsinn angestellt.

Wir konnten Info-Honorare von bis zu 100’000 anbieten. Ob das die Wahrheit verbog oder beförderte? Für schlecht gefälschte Hitler-Tagebücher wurden Millionen bezahlt, der Ruf einer angesehenen Illustrierten für Jahrzehnte ruiniert.

Faker, Erfinder, Hochstapler gab es schon immer. Auch gnadenlose Vorgaben wildgewordener Chefredaktoren, eine Story unbedingt hinzuwürgen. Meist mit legitimen, aber unverhältnismässigen Mitteln. Manchmal auch mit Tricks und Untergriffen.

Wir sassen morgen im Flieger, wenn heute eine besonders saftige kleine Meldung irgendwo erschien. Kinderhandel in Honduras, Arbeitssklaven in Afrika, Ausbeutung wie auf dem «Totenschiff» von B. Traven. Den hatte übrigens der gleiche Journalist aufgespürt, eine Riesenleistung, der dann mit den Hitler-Tagebüchern unterging.

Es gab noch Tugenden

Begleitet wurden solche Auswüchse aber von ein paar Tugenden. Witwenschüttler wurden von allen verachtet. Man rutscht nicht über das Leid eines Menschen in die Schlagzeilen. Agents provocateurs auch. Die brachten den Zündstoff selber mit, um dann zuzuschauen, wie was in die Luft flog – und um darüber exklusiv zu berichten. Einen cleanen Drögeler wieder auf den Drogenstrich zu schicken, um eine Reportage drüber zu machen, widerlich.

Passierte auch alles, aber der Mainstream war: die Aufgabe eines Journalisten ist, zu schauen, aufzuschreiben, verstehen zu versuchen. Verstehen, nicht verurteilen. Wenn damals bei der Themenfindung einer gefragt hätte: und was ist unsere These, was ist die Storyline? Er wäre auf völliges Unverständnis und die Antwort gestossen: Woher soll ich das denn wissen, ich habe ja noch gar nicht angefangen.

Es herrschte verdientes Vertrauen. Wie im angelsächsischen Journalismus bis heute wäre niemand auf die Idee gekommen, ein Interview zu autorisieren. Man vertraute dem Journalisten, dass der in de Lage und willens ist, das gesprochene Wort zu respektieren. Man war selbstbewusst genug, um die Banalität zu verstehen: gesagt ist gesagt. Wozu redet man sonst miteinander, wenn man’s anschliessend alles umschreibt?

Die Fakten, die Ergebnisse einer Recherche hatten meistens ein Gewicht, das kurz hinter einer amtlichen Feststellung lag. Wer früher auf dem Boulevard spazierte und Einblicke in seine Intimssphäre gewährte, wäre nie auf die Idee gekommen, sich zu beschweren, wenn das nicht für, sondern gegen ihn verwendet wurde.

Der Unterschied zu heute liegt im Kern des Geschäfts

Vor allem liegt aber der Unterschied zu heute in der Sache selbst. Der Fotograf fängt die Realität in einen Rahmen – und gibt sich eine Heidenmühe dabei. Der Journalist verdichtet und übersetzt die Realität in Buchstaben. Auch er gibt sich eine Heidenmühe dabei. Sucht nach dem treffenden Wort, dem richtigen Aufbau, der gerechten Gewichtung. Beide wissen um ihre Macht. Man kann jeden Menschen fotografisch fertigmachen, verschönern oder sein Wesen abbilden. Man kann jeden Menschen schriftlich hinrichten, zum Monster niederschreiben, schöner machen, als er jemals sein könnte. Oder versuchen, ihm gerecht zu werden.

Kann man gesehen haben. Ist aber unwahrscheinlich.

All das fehlt heute. Deshalb jauchzen wir, wenn wir eine gelungene Reportage lesen. Bei der nicht die Befindlichkeiten des Reporters im Zentrum stehen. Wie der sich fühlt, was das Erlebte bei ihm auslöst, ganze Zickenkriege, die zur Langeweile des Lesers geführt werden. Diese unselige Nabelschau der heutigen Kindersoldaten, die die Welt nur durch den Filter ihres narzisstischen Ichs sehen können – weil ihnen Kenntnisse, Methode und nicht zuletzt die Intelligenz fehlt, sich auf die überkomplexe, verwirrliche Wirklichkeit einzulassen.

Statt auch mal Brocken mit Kanten und Brüchen, die durchaus beim Lesen wehtun dürfen, gibt’s meistens Brei. Noch verdünnt und verwässert, wenn er zudem angeblichen Korrektheiten entsprechen soll.

Alle die, die mangels anderen Fähigkeiten stellvertretend für Unterdrückte, Schwarze, Frauen, Menschen aus anderen Kulturen und Zeiten geklautes Leiden feilbieten, sind die ewige Pandemie des modernen Journalismus. Totschläger des Widerspruchs, sie missbrauchen und vergewaltigen die Sprache, die sie gerechter machen wollen. Dafür verwenden sie nicht ganz verstandene Begriffe wie inkludiert oder diskriminiert. Mitgemeint oder mitgenommen.

Erwischt: der moderne Journalist bei der Arbeit.

Brei kann ich selber, sagt sich immer lauter der Leser; getretner Quark wird breit, und nicht stark, sagt sich der gebildete Leser, wenn er die Sprachdurchfälle der «Republik» liest. Nichts gegen lange Stücke. Man kann auch in der Dimension von «Krieg und Frieden» schreiben (Achtung, Nora Zukker, das ist so ein dicker Wälzer eines Russen, sollte man auch gelesen haben, übrigens ebenso «Leben und Schicksal», das ist ein anderer dicker Wälzer eines Russen).

Man sollte nur dann, wenn man kann

Aber nur, wenn man’s kann. Heutige Schreibstars (die sich selbst aber unter dem Mikroskop betrachten müssen, um Grösse zu vermuten) wollen Picasso oder Richter oder Pollock bieten. Sie wollen eine Kuh in drei Perspektiven gleichzeitig, hyperrealistisch und gekleckst darstellen. Aber nicht, weil sie schon längst über die naturalistische Kuh hinaus sind. Sondern weil sie nicht mal das malen oder schreiben könnten.

Wer aus dem Traum eines Journalismus in der Liga Kurt Tucholsky, Lincoln Steffens, Joseph Roth oder auch eines Tom Wolfe aufwacht, ist im Alptraum des heutigen Journalismus angekommen. Wo gestolpert, geholpert wird, schiefe Bilder zusammengenagelt, dummdreiste Ratschläge erteilt werden, viele Erkenntnisse laut gackernd als neu präsentiert. Nur, weil der Schreiber so ungebildet ist, dass er nicht weiss, dass das schon längst – und viel besser – formuliert wurde.

Nein, besser nicht träumen. Einfach abwarten, bis intelligente Textprogramme diese Bagage ersetzen. Schriftsteller und ein paar Ausnahmekönner für die happy few (so nannte Stendhal seine Leser, Nora Zukker, das war ein französischer, aber lassen wir das, hopeless) wird es auch immer geben. Nur nicht mehr diese Banalität des Blöden, die sich tagtäglich zu Buchstaben formt.

Alleskönner Praktikant bei Watson

Eine Praktikumsstelle bei Watson für journalistische Werbetexte lässt tief blicken.

Auf medienjobs.ch gibt es immer allerlei Wissenswertes zu entdecken. Es ist ein wenig der Indikator, wie es der Branche so geht. Aktuell sucht watson.ch «einen Praktikant Native Ad 100% (w/m)». Dass im Inserat der Akkusativ verloren ging, egal! Viel wichtiger ist das Jobprofil:

Du konzipierst und koordinierst die Abwicklung von Sonderwerbeformen.

Du arbeitest dabei an der Schnittstelle zwischen Redaktion, Verkauf und Innendienst.

Du übernimmst die Stellvertretung der «Redaktionsverantwortichen Native Ad» während ihren Ferienabwesenheiten.

Du ergänzt das Team aufgrund unserer Expansion in die Romandie.

Als bestandener Journalist und Redaktor muss man leer schlucken. Das sind doch einige recht anspruchsvolle Voraussetzungen. Vor allem Schnittstellenfunktionen setzen normalerweise eine gewisse Erfahrung voraus. Und dann dies: Ferienstellvertretungen der «Redaktionsverantwortlichen Native Ad». Zumindest für den Lebenslauf ist das natürlich toll: Schon als Praktikant Verantwortung übernommen und den Chef vertreten.

Für ZACKBUM-Leser (allenfalls) zur Info: Native Advertising (zu Deutsch «Werbung im bekannten Umfeld») ist eine Werbeform, die «nur schwer von redaktionellen Artikeln zu unterscheiden ist und die Aufmerksamkeit der Nutzer durch Tarnung auf sich zieht».

Watson wünscht sich von den Bewerbern «abgeschlossene Grundausbildung, idealerweise Grundstudium». Das ist mittlerweile fast schon normal, auch wenn gemäss Definition ein Praktikant das ist: «Arbeitnehmer, der sich einer bestimmten Tätigkeit und Ausbildung in einem Betrieb unterzieht, die Teil oder Vorstufe einer anderweit zu absolvierenden Ausbildung (z.B. Hochschulstudium) ist.»

Praktikum, Volontariat?

Zuerst Praktikum, dann Studium abschliessen. Sonst wäre es ein Volontariat. Das zum Beispiel macht aktuell Anielle Peterhans beim Tages-Anzeiger. Sie hat schon einige Lorbeeren eingeheimst, etwa den Titel «Journalistin des Jahres» mit der Crypto-Leaks-Recherche.

Aber wir sind ja «erst» beim Praktikum: Bei watson muss man für den Nativ Ad-Job «erste berufliche Erfahrungen im journalistischen Bereich» haben. Das ist darum speziell, weil gerade watson immer wieder betont, wie strikte Redaktion und Werbeabteilung getrennt seien. Oder sonst konstruiert watson eine eigenartige Parallelwelt. In einer Antwort an den Presserat schrieb watson 2017: «Um zu gewährleisten, dass die RedaktorInnen Inhalte nicht im Sinne der Werbepartner erstellen (…), wissen die AutorInnen nicht, wer der Kunde ist. Sie wissen zwar, dass es sich um ein NativeAd handelt, der Absender (…) ist ihnen aber so lange unbekannt, bis dieses von der Chefredaktion oder dem Chef vom Dienst publiziert wird.» Eine leicht schräge Argumentation, die in der Szene immer wieder Kopfschütteln oder zumindest ein Schmunzeln auslöst.

2000 Franken für einen «Vollwert-Job»?

Aber sei’s drum. Immerhin bekommt man bei watson.ch mit 2000 Franken relativ viel Lohn für ein Praktikum. Dafür ist man aber, zumindest wenn man den Job als «Praktikant Nativ Ad» bekommt, sofort eine vollwertige Arbeitskraft. «Learning by doing», heisst das wohl. Die Abteilung Nativ Ad ist ein wichtiges finanzielles Standbein von watson. Mindestens 20 – 25 % des watson-Umsatzes stammt aus dem Erlös von NativeAds.

Der Verband «Junge Journalistinnen und Journalisten Schweiz» hat eine Umfrage gemacht zu Praktikantenstellen und Löhnen. Die Umfrage stammt zwar von 2017, aber es ist nicht anzunehmen, das man heute mehr Geld bekommt. Eher, dass man mehr leisten muss, siehe watson.

 

 

 

 

 

Was ist älter?

Darum streiten sich Newsverbreiter und Prostituierte.

Allerdings war und ist der Unterschied häufig nur ein gradueller. Reisereportagen: Undenkbar ohne die Mitwirkung von Reisebüros, Fluglinien und Hotels. Und wenn der nette Herr von Autovermieter den Schlüssel für den Mietwagen vorbeibringt, dann wird er nicht einfach so im Artikel erwähnt.

Gleiches gilt auch für Autoberichte. Vielleicht wird gemäkelt, dass der Aschenbecher zu klein ausgefallen ist oder billiger Plastik verarbeitet wurde. Aber selbst solche angetäuschten Kritiken werden wieder eingefangen, indem als mildernder Umstand «in dieser Preisklasse» angeführt wird.

Wieso kommt einem vieles bekannt vor?

Gleiche gilt auch für Kosmetika. Was «Ihre Beauty-Redaktorin» absolut spitze findet, hat meistens nichts mit der Qualität des Produkts zu tun, sondern mit einem grösseren Inserat, das es bewirbt.

Wieso kommt Lesern von mehr als einer Tageszeitung vieles so bekannt vor? Ganz einfach, ihre Leibblätter haben alle die SDA verwendet, die einzig überlebende Schweizer Nachrichtenagentur. Oder aber, sie haben gleich den fertig angelieferten Pressetext der interessierten Firma übernommen.

Da immer mehr Journalisten ihr Heil in Corporate Communication oder in PR suchen, wissen sie ja, wie’s der Redaktor gerne mag. Und falls er nicht mag, wozu hat man die Telefonnummer des Chefredaktors.

Es braucht geschicktes Vorgehen

Dem muss man psychologisch geschickt klarmachen, dass für das Sponsoring des Wettbewerbs, für viele Leser-Blatt-Bindungsmassnahmen schon erwartet werden kann, dass Anliegen des Spenders nicht ignoriert werden. «Ohne mich in die unabhängige und nur nach professionellen Kriterien entscheidende Redaktionsarbeit einmischen möchte», so enden diese Telefonate meistens.

Beide Seiten kichern dann vor sich hin, nachdem sie den Hörer aufgelegt haben. Auch psychologisch geschickt, damit der Redaktor nicht «Zensur!» kräht, muss der Chefredaktor immer wieder missliebige Storys abschmettern. Am besten funktioniert das schon in der Themenkonferenz. «Das interessiert doch keinen, das verstehen unsere Leser nicht, das ist aber sehr einseitig, ich sehe da keine Story», das ist hier der Vierklang der Gründe.

Manchmal gibt es aber verstockte Redaktoren, die nicht einsehen wollen, wer denn eigentlich ihr üppiges Salär zahlt, und störrisch an ihrer Idee festhalten wollen. Das ist dann die Gelegenheit für den Chefredaktor, im Einzelabrieb etwas deutlicher zu werden. Oder aber, die Gelegenheit beim Schopf zu packen, um den schon etwas älteren Redaktor darüber zu informieren, dass leider alle den Gürtel enger schnallen müssen, und da fange man bei ihm an.

Nach der Entlassung ist vor der Mutrede

Nach einer Entlassung ergreift der Chefredaktor dann die nächste Sitzung als Gelegenheit, alle wieder darauf hinzuweisen, dass unter seiner Führung niemals andere als journalistische Kriterien angewendet werden: «Wir schreiben hier für unsere Leser, auch in schwierigen Zeiten.» Damit beendet er normalerweise seinen Kurzvortrag. Schaut sich danach aufmerksam um; wer grinst, wer nickt gläubig, wer tuschelt? Das notiert er sich, es wird seine Auswirkungen auf die Reihenfolge haben, wie Leute gefeuert werden.

Ebenso ist es eher selten, dass die Lifestyle-Redaktorin jemals ein anderes Kleid, ein anderes Produkt, einen anderen Trend anpreist, als die, mit denen sie die Inserateverkäufer gefüttert haben.

Targeting, Native Ad, Branded Content; wenn auch nur auf Englisch, immerhin sind die Verlage noch erfinderisch, wenn es um neue Namen für eine alte Sache geht. Auch das ist der Prostitution sehr ähnlich. Strassenstrich, Bordell. Pfui, warum nicht Escort Service, Traumlandschaft für erotische Fantasien?

Aufgetakelte Wörter, gleiche Handlungen

Aber mit viel Hirnschmalz aufgetakelte Wörter ändern nichts daran, dass es sowohl bei der Prostitution wie im Journalismus um das Gleiche geht: Mach die Beine breit, gibt dem Kunden das Gefühl, er sei der Allergrösste – und kassiere so diskret wie möglich.

Wenn ein Journalist mit ernstem Gesicht sagt: Niemals wurde ich zensiert, niemals wurde eine Storyidee aus windigen Gründen abgelehnt, dann lügt er so wie die Nutte, die ihrem Freier sagt: So schön wie mit dir war’s mit keinem, und was für ein Gemächt du hast.

Wie beginnt man ein Interview? (Teil 1)

Interviews sind die Billy-Regale des Journalismus.

Einfach und schnell zusammengebaut, wenig Fachkenntnisse erforderlich, kein bleibender Wert. Im deutschsprachigen Raum sind 95 Prozent der Interviews darum überflüssig, in der Schweiz sind es sogar 98 Prozent. Die wenigen Interview-Perlen erkennt man an der Einstiegsfrage. Hier scheitern die meisten Journalisten, zum Teil kolossal. Die erste Frage ist deswegen so schwierig, weil der Interviewer eine ganze Menge reinpacken muss: Interesse, Distanziertheit, Vorwissen, Neugierde. Der Leser muss gleich zu Beginn gefesselt werden. Die erste Frage ist so wichtig wie die Anmachfrage in einem Club.

Wir präsentieren hier in loser Folge gute und schlechte Fragen. Bei den schlechten Beispielen wollen wir die Journalisten aber nicht an den Pranger stellen. Wir alle haben ein paar gute, aber leider mehr schlechte Tage. Uns geht es darum, die misslungenen Fragen zu analysieren und daraus zu lernen. Für Beispiele in beiden Richtungen sind wir dankbar: redaktion@zackbum.ch.

Sex auf Deutsch

Quelle: Süddeutsche (14./15./16. August 2020)
Journalistin: Julia Rothhaas
Gesprächspartnerin: Erica Jong (Sex-Autorin)
Info: Das Gespräch wurde telefonisch geführt.

Einstiegsfrage:

Frau Jong, Ihr erster Roman «Angst vorm Fliegen» erschien 1973 und wurde gleich ein riesiger Erfolg. Die Geschichte erzählt von einer jungen Frau, die sich von ihrer Ehe gelangweilt in eine Affäre stürzt. Seit 47 Jahren werden Sie deshalb als «Königin der Erotik» bezeichnet, der von Ihnen geschaffene Begriff des «zipless fuck», auf Deutsch «Spontanfick», wird in jedem Zusammenhang mit Ihnen erwähnt.

Kritik: Welche Pornos sind gut? Doch nur die vorstellbaren. Welche Interviews sind gut? Auch nur die vorstellbaren. «Ihr erster Roman «Angst vorm Fliegen» erschien 1973 und wurde gleich ein riesiger Erfolg.» – Welcher Mensch stellt aber solche Fragen? Eigentlich stellt Julia Rothhaas gar keine Frage. Sie quetscht Kurzbio, Buchkritik und Etymologie brutal in drei Sätze. Was fehlt, ist eine Frage. Will Rothhass, dass sich die «Königin der Erotik» wegen des Spontanficks schämen soll? Dann raus mit der Sprache: «Frau Jong, schämen Sie sich kein bisschen?» Bei diesem Interview scheppert aber nicht nur die erste Frage. Jong werden zusammenhanglos eigene und fremde Zitate vorgelegt. Es ist ein Jammer. Und es ist nicht nachvollziehbar, warum die  «Süddeutsche» das Gespräch als «grosses Interview» anpreist. Das stimmt weder von der Länge (26 Fragen) noch vom Inhalt.

Auch sonst erfüllt der Text die Formalien nicht. Die Einstiegsfrage wiederholt Infos aus dem Lead («in den Siebzigerjahren mit dem Roman «Angst vorm Fliegen» (…)»»), die kurioserweise in einer Personenbox zum dritten Mal wiederholt werden («zwei Jahre später ihr erster Roman «Angst vor Fliegen», der (…)») Der Lead selbst beschreibt eine Szene (zwei Pudel in der Küche), die in einen Fliesstext gehören.  Verständlich,  dass Jong hilflos antwortet: «Ich erfinde nun mal gerne Wörter.»

Lösungsvorschlag: Die ersten beiden Sätze in einen anständigen Vortext ausgliedern und dann gleich mit dem dritten Satz beginnen:

Sie haben das Wort «Spontanfick» geprägt. Stolz?

 

Die Zauberhand

Quelle: Gastro-Journal (16. Juli 2020)
Journalist: Benny Epstein
Gesprächspartner: Marc Bär (Hotelier im Fextal)

Einstiegsfrage:

Marc Bär, wer Ihr Hotel Fex im Engadin betritt, erlebt pure Magie: Wie durch Zauberhand verfliegt der Alltagsstress. Wo liegt das Geheimnis versteckt?

Kritik: Hier handelt es sich um eine schlechte Einstiegsfrage. Das Gastro-Journal ist natürlich eine Verbandszeitschrift und kein journalistisches Medium. Trotzdem gilt auch hier: Die erste Frage muss sitzen, der Leser darf nicht verarscht werden. Journalisten müssen ihre Hose bis zur letzten Fragen anbehalten. Epstein entledigt sich gleich bei der ersten Frage von seiner Unterhose. Hinzu kommt, dass die Frage gar keinen Sinn macht. Wenn etwas mit der magischen Zauberhand angerührt wird, ist es nicht erklärbar. Magie pur. Epstein fragt hoffentlich auch kein Mädchen: «Du hast so einen magischen Busen. Wo liegt das Geheimnis versteckt?»

Lösungsvorschlag:

Marc Bär, wie schaffen es Hoteliers, dass der Alltagsstress gleich beim Check-In verfliegt?

 

Andreas W. Schmid  – der Beste

 

Quelle: Coopzeitung, 14. Juli 2020
Journalist: Andreas W. Schmid
Gesprächspartner: Martin Suter

Martin Suter, Sie werden immer als der grosse Geschichtenerzähler unster den Schweizer Autoren bezeichnet. Ich wünsche mir deshalb für dieses Interview, dass Sie in jede Antwort eine Geschichte einbauen – und falls doch nicht, erinnere ich Sie daran und Sie müssen nachbessern. Einverstanden?

Kritik: Das ist eine schöne erste Frage. Andreas W. Schmid zählt überhaupt zu den besten Interviewer der Schweiz und vergeudet sein Talent in der Coopzeitung. Warum ist diese Frage gut? Nun, Martin Suter hat in der letzten Zeit unzählige Interviews gegeben. Anlass ist der neue Film über ihn. Die Journalisten, die mit ihm reden durften, konnten dabei ihr Glück nicht fassen. Schmid wahrscheinlich auch nicht. Ihm gelingt aber im Gespräch eine richtige Konversation und keine Lobhudelei. Die Einstiegsfrage gibt gleich den Takt an: Ich frage, sie antworten. Und wenn der Gesprächspartner nicht mitmacht, wird er von Schmid ermahnt: «Sie sollten von Ihrer Karriere als Werbetexter erzählen.»

Es gibt einige Journalisten, die seine häufigen Ich-Fragen anmassend finden, ich nicht. Soll er doch. Das Ergebnis ist fast immer ansehnlich. Der Leser erfährt Biografisches, das sonst nirgendwo steht. Schmid erinnert mich deshalb an Roger Schawinski, der in den Interviews auch viel Gesprächsanteil hat. Aber nicht jeder Journalist kann und soll Schmid oder Schawinski. Das ist nur den Fähigen reserviert.

Fortsetzung folgt

(Anmerkung zur LeserInnenbindung: ZACKBUM.ch freut sich über positive wie negative Beispiele, wobei keine Garantie besteht, dass diese auch erwähnt werden)