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Oh Sondergesandter, was sollen wir tun?

Früher waren Interviews noch eine Kunstform.

Heutzutage sind sie meistens Schrott. Platzfüller. Langweilig. Vorhersehbar, etwa wenn die NZZaS Axel Weber von der UBS interviewt. Und damit schon ankündigt, dass selbstverständlich auch noch Urs Rohner gefragt wird, was er schon immer mal sagen wollte.

Dann gibt es das Interview mit dem «Experten». Der trifft auf einen höchstens gegoogelt vorbereiteten Journalisten. Der sich ein paar Muss-Fragen notiert hat, die aber leider meistens schon x-mal gestellt wurden.

Und dann noch, was ihm der Chefredaktor als «das interessiert die Leser» mitgegeben hat. Und unbedingt etwas persönliche Betroffenheit abholen, gibt er dem Reporter noch auf den Weg zum Telefon oder zu skype.

Da schaltet er dann das Speech-to-text-Programm ein, wenn er technologisch schon etwas aufgerüstet ist. Und arbeitet nach der Devise «der Fachmann weiss schon, wovon er spricht» seine Fragen ab. Bis er aufgrund der Länge des Textes aufatmend feststellt, dass das reichen sollte.

Noch die bange Frage, ob das autorisiert werden müsse, es sei schliesslich in German, you know, aufatmen bei der Antwort «that’s okay, we don’t do that in England», und schon ist wieder ein Qualitätsinterview entstanden.

CH Media liefert einen Höhepunkt. Wenn die Welt auf dem Kopf stünde.

CH Media hat da einen besonderen Fisch an die Angel gekriegt. David Nabarro, seines Zeichens WHO-Sondergesandter für Covid-19. Noch nie von ihm gehört? Macht nix. Der sitzt in Genf (Schweizer Bezug!), hat schon «den Kampf der UNO gegen Cholera auf Haiti geleitet». Besser gesagt: vergeigt. Ebenso wie seine Kandidatur für den Chefsessel der Weltgesundheitsorganisation.

Also hat er gerade jede Menge Zeit, sich interviewen zu lassen. Sofort bedauern wir, noch nie etwas von ihm gehört zu haben. Denn endlich spricht mal einer, der genau weiss, was zu tun ist. Eigentlich antwortet er auf jede Frage: «Man muss». Oder er verbreitet luzide Klarheit: «Es gibt kein «entweder oder», es gibt nur «sowohl als auch».» Wo denn das? Na, zwischen Gesundheit und Wirtschaft, du Dummerchen von Leser.

Eine Erkenntnis nach der anderen

Aber macht Euch nichts draus: «Das Virus verbreitet sich nicht arithmetisch, sondern exponentiell. Nur sehr wenige Entscheidungsträger haben das verstanden.» Das ist ja furchtbar. Wobei: vielleicht hat’s Trump nicht verstanden, aber wohl jeder europäische Entscheidungsträger, inklusive Bundesrat.

Auch deshalb macht Asien eigentlich alles besser als Europa, weiss Nabarro: «Die europäischen Reaktionen waren unvollständig.» Wieso denn das? «It’s the economy, stupid», wie schon Clinton sagte? Aber nein, sagt Nabarro: «Es gibt keinen Tradeoff, keinen Zielkonflikt, man muss auch keinen Kompromiss finden zwischen Gesundheit und Wirtschaft. Das Gesundheitsproblem muss gelöst werden.»

Aber gleich mit einem Lockdown, wagt da der Journalist zu fragen. Pfeife, antwortet Nabarro: «Das bedeutet nicht, dass man dieses Ziel mit einem Lockdown erreichen sollte. Lockdowns sind das letzte Mittel, ein Zeichen des Scheiterns.»

Eigentlich wäre die Lösung so einfach

Also, was sollten denn die Entscheidungsträger tun, besonders hier in der Schweiz? Da lässt Nabarro unablässig Sternstunden der Erkenntnis regnen: «Es braucht ein funktionierendes System, damit das Virus unter Kontrolle bleibt.»

Nimm das, Bundesrat. Weisst nicht, was exponentiell ist, und was ein funktionierendes System ist, auch nicht. Was dürfte die Folge sein? «In der Schweiz könnte ein sehr hohes Niveau von Erkrankungen und Todesfällen erreicht werden.» Nabarro, hilf, was sollen wir nur tun, wenn das Modalverb im Konjunktiv wegfällt?

Brauchen, müssen, sollen, Strategie, Strategie

Da folgt eine ganze Liste von «sie müssen, sie brauchen, sie müssen, sie müssen, sie müssen, sie müssen.» Ja wieso hört denn niemand auf Nabarro? Was weiss er denn eigentlich von der Schweiz und ihren (dummen) Strategien? «Ich weiss es nicht. Ich arbeite in der Schweiz. Mir hat niemand etwas gesagt von solchen übergreifenden Strategien.»

Es ist also noch viel schlimmer! Niemand hört auf ihn, niemand sagt ihm was. Wie kann man den WHO-Sondergesandten so behandeln, wie kann man seine Besorgnis ignorieren?

Vielleicht, weil der 71-jährige Nabarro vor Urzeiten mal Medizin studierte, aber sein ganzes Leben als Berater in internationalen Organisationen verbrachte? Vielleicht, weil seine Ratschläge so arrogant wie zweifelhaft sind? Oder vielleicht, weil man von diesem Sondergesandten noch nie etwas gehört hat? Was daran liegen mag, dass er auch noch nie etwas Nennenswertes gesagt oder getan hat.