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Dorer und kein Ende

Wen interessiert’s – ausser dem Journalisten?

Selbst die sonst doch Unterleibs- und Klatschgeschichten eher abholde NZZ konnte es nicht lassen, ein Stück Feuilleton für eine Vermutungsberichterstattung über die halbjährige Auszeit des Chefs der «Blick»-Gruppe zu opfern. Nicht ohne den Hinweis, dass nichts Justiziables vorliege und für Christian Dorer die Unschuldsvermutung gelte. Was eigentlich die Frage hätte auslösen sollen: und wieso soll dann ein Artikel darüber publiziert werden? Der zudem auf den üblichen «informierten Quellen» und «eigenen Recherchen» beruht. Also auf Gerüchten und Hörensagen.

Christian Mensch fasst für CH Media den Vorgang immerhin anständig zusammen und könnte damit für Lucien Scherrer von der NZZ durchaus als Vorbild dienen.

Während Tamedia hingegen, Pardon, das heisst ja jetzt «Tages-Anzeiger» mit angeschlossenen Kopfblättern, während also der Tagi verkniffen zum Skandal im eigenen Haus schweigt, obwohl immer mehr Zweifel an der Abrechnung der ehemaligen Mitarbeiterin Anuschka Roshani mit ihrem ehemaligen Vorgesetzten und ihrem Arbeitgeber  auftauchen, hatte er sich schon ausführlich über Marc Walder ausgelassen.

Der sei teilweise entmachtet worden, gab der Recherchier-Tagi mehr seiner Hoffnung als der Realität Ausdruck. Doch nun noch Werner de Schepper und vor allem Dorer, wow.

Sage und schreibe vier (in Zahlen 4) Redaktoren bietet die Schrumpfredaktion auf, um den geneigten Leser darüber aufzuklären, «was hinter der Auszeit des «Blick»-Chefs steckt». Anielle Peterhans, Simone Rau, Catherine Boss und als Alibi-Mann Roland Gamp bemühen sich um Aufklärung, dazu noch als Zusatzleistung: «ein Arbeitsrechtler ordnet ein».

Einen gleichen Aufwand hätte man auch gerne gesehen, als es um die Berichterstattung über das Liebesleben eines Bundesrats ging. Aber item, was ist hier falsch?

Falsch daran ist, dass es Journalisten ungeheuerlich, die Leser und Konsumenten nur mässig interessiert, aus welchen Gründen welcher Chef weggemobbt wurde, neu ans Gerät geht, Weiterentwicklungen einleitet oder Kontinuität garantiert. Oder eine Auszeit nehmen muss. Was den Leser interessiert, ist die banale Frage, ob das, was er täglich serviert bekommt, auch seinen Preis wert ist.

Der Tagi entblödet sich nun nicht, seinen Artikel mit diesem Satz zu schmücken: «Der Recherchedesk von Tamedia hat deshalb mit mehr als einem Dutzend Personen gesprochen: mit Kaderleuten, die mit Dorer zu tun hatten, ebenso wie mit Untergebenen und Mitarbeitenden aus den letzten zehn Jahren.» Blöd nur, dass auch alle diese «Personen» keine Namen tragen …

Daher heisst es «Frühere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erzählen seit Jahren», die «Journalistin» Miriam Suter habe «zum Fall eines Chefredaktors monatelang recherchiert», «ein Kadermann in einem Schweizer Medienhaus sagt: Es sei ihm (gemeint ist Dorer, Red.) nicht bewusst gewesen, was er getan habe», «die Gespräche des Recherchedesks deuten in keiner Weise auf körperliche Übergriffe hin», «eine Journalistin sagt, als Frauen seien sie «ignoriert, aber nicht diskriminiert» worden».

Für diese Zusammenstellung von anonymem Klatsch braucht es wirklich das «Recherche Desk» des grössten Schweizer Zeitungskonzerns? Das das Null-Ergebnis seiner Recherche nicht einfach in den Rundordner steckt?

Für Insider zum Totlachen ist, wie die vier tapferen Schreiberlein um den Fall Canonica/Roshani herumtänzlen, ihn zwar erwähnen, aber sozusagen nur auf Armeslänge.

Und der Arbeitsrechtler, der einordne? Natürlich handelt es sich um den emeritierten Professor Thomas Geiser, der zunächst als Packungsbeilage «betont dass man eine Situation vorsichtig einschätzen müsse, wenn man den Sachverhalt nicht im Detail kenne». Dann schätzt er dennoch dies und das ein, was man so, aber auch ganz anders sehen könne, je nachdem.

Am lustigsten ist aber die Fussnote unter diesem Machwerk: «Haben Sie einen vertraulichen Tipp für uns? Verfügen Sie über Informationen oder Dokumente, die an die Öffentlichkeit gehören? Es gibt verschiedene Mittel und Wege, um sicher und anonym mit unseren Journalistinnen und Journalisten Kontakt aufzunehmen. Hier zeigen wir Ihnen, wie.»

Mit anderen Worten: wollen auch Sie anonym jemanden anschwärzen? Namenlos zitiert werden? Ihren Beitrag dazu leisten, dass Tamedia, Pardon, der Tagi wieder mal über 11’000 Buchstaben darauf verbrät, in einem ellenlangen Artikel genau drei Namen zu erwähnen? Den Dorers, einer Journalistin, die angeblich über ihn recherchiert, aber nichts gebacken gekriegt habe, und den eines Arbeitsrechtlers, der professoral Ausgewogenes von sich gibt.

Der Leser darf also vier Journalisten dabei beobachten, wie sie Dorers Umfeld beobachten und um ihn herum Klatsch und Tratsch aufstapeln. Das sollten sie allerdings Blättern überlassen, die das können. Vielleicht sollte das «Recherche Desk» mal eine Fortbildung bei der «GlücksPost» absolvieren. Da könnten sie noch viel lernen.

Die NZZ in Klatschlaune

Wie viel Gossip verträgt sich mit einem gewissen Niveau?

«… sich gegenüber weiblichen Angestellten unangebracht zu verhalten, … gemäss Recherchen der NZZ, … laut Quellen der NZZ fühlten sich Betroffene belästigt …»

Die Zeiten sind noch nicht so lange her, wo bei der NZZ ein solches Stück mit zugehaltener Nase und spitzen Fingern im Abfalleimer gelandet wäre. Zu sehr Trash, zu sehr Unterleib, so unprofessionell, mit angeblichen Recherchen und angeblichen «Quellen» zu arbeiten.

Vor allem: «Von justiziablen Vorwürfen ist bis jetzt nichts bekannt, für Dorer gilt die Unschuldsvermutung.» Lucien Scherrer mausert sich immer mehr  zu einem Spezialisten für Klatsch und Tratsch und unbewiesene Behauptungen. Er tat das schon im Fall Canonica und behauptete auch dort, sich auf anonyme «Quellen» stützen zu können.

Anschliessend machte er eine Kehrtwende und haute die Medien in die Pfanne, die sich durch das Verbreiten von Lügengeschichten um ihre Glaubwürdigkeit gebracht hätten. Ohne ein selbstkritisches Wort zu verlieren. Dafür sprachen aber er und seine Co-Autorin Finn Canonica kurzerhand per Ferndiagnose die «charakterliche Eignung» für Führungspositionen ab und behaupteten, dass Roger Schawinski den ehemaligen «Magazin»-Chefredaktor «reinwaschen» wolle, obwohl der lediglich aus dem Inhalt des Untersuchungsberichts zitiert hatte.

Was das über seine eigene charakterliche Eignung aussagt, sei dahingestellt. Natürlich macht es aus Scherrers Sicht Spass, auf die Turbulenzen im Ringier-Verlag hinzuweisen; Marc Walder, Werner de Schepper, nun auch Christian Dorer, da ist Schadenfreude eine menschliche Regung.

An Zivilcourage gebricht es Scherrer hingegen sehr. Denn auch in seinem eigenen Hause gäbe es doch durchaus Anlass, mal ein paar kritische Bemerkungen über das Verhalten der Führungsspitze fallen zu lassen. Stichwort Claudia Schwartz. Scherrer könnte sich da gerne bei ZACKBUM bedienen, denn wir betreiben hier keinen Konzernjournalismus, sondern verteilen gerecht (wenig) Lob und (viel) Tadel an alle Seiten, je nach Verdienst.

Wieso es allerdings neuerdings im Feuilleton der NZZ einige Zeilen wert sein soll, Klatsch und Tratsch aus dem Hause Ringier zu verbreiten? Gerade das Feuilleton reifte noch unter René Scheu zu FAZ-ähnlicher Grösse. Nun ist es aber teilweise im Branchensumpf abgetaucht, wo gilt, dass Journalisten sich für nichts mehr interessieren als für andere Journalisten.

Es gibt nur noch ein Thema, das sie allenfalls noch mehr begeistern kann: der Blick auf den eigenen Bauchnabel. Vielleicht sollte die Führungsspitze der NZZ, in der Zeit, die sie ausserhalb eines österreichischen Wellness-Hotels verbringt, dafür sorgen, dass der Unterschied zu «Glückspost» oder «Bunte» erkennbar bleibt.

NebelGlücksSpalterPost

Nebelspalter.ch legt das Niveau tiefer. Sehr tief. Würde die GlüPo nie machen.

Im Fachjargon heisst das Rehash. Aus Verzweiflung wird ein Artikel publiziert, der nur aus einem durch den Häcksler gezogenen Inhalt besteht, der aus anderen Newsquellen zusammengestöpselt wurde.

«Putin versteckt seine Geliebte in der Schweiz» ist so ein Rehash, dazu noch ein toxisch-unbekömmlicher. Dominik Feusi, nur echt mit Fliege und Weinflasche auf dem Tisch, zeigt sich als Meister der Archivrecherche.

«Page Six», nau.ch, NZZ, «La Stampa», «Blick», seriöse und weniger seriöse Newsquellen nimmt Feusi zu Hilfe, um das angebliche «Versteck» einer Geliebten Putins in der Schweiz zu enthüllen. Im Tessin lebe die, samt «zwei Zwillingstöchtern und zwei Söhnen», die der Kreml-Herrscher mit ihr haben soll. Der Leser ist allerdings etwas verunsichert, ob das dann insgesamt sechs Bälger sind.

Auch sonst scheint Feusi über die Produktionszeiten von Nachwuchs nicht ganz auf dem Laufenden zu sein:

«2019 soll Kabaeva in Moskau zwei Söhne von Putin auf die Welt gebracht haben.»

Das wäre im Fall von Zwillingen, oder «zwei Zwillingen», wie das Feusi nennen würde, allenfalls möglich. Sonst eher nicht.

Eines der Kinder soll in einer namentlich genannten «Prominentenklinik Santa Anna» im Tessin geboren worden sein, alle kleinen Putins und auch Mama hätten zudem den Schweizer Pass. Die heisst zwar Sant’Anna, bietet ihre Dienstleistungen tatsächlich auch auf Russisch an. Fürchterlich luxuriös für Prominente wirkt sie allerdings nicht.

Wurde hier ein kleiner Putin geboren?

Allerdings verwirrt auch diese Geburtsangabe. Einmal Zwillinge, zwei Söhne in Moskau, macht vier. Dann aber noch eine Geburt im Tessin, kein Zwilling, das wären dann 5 Kinder. Oder 6. Oder 4. Oder wie auch immer, darunter zwei Frühgeburten in einem Jahr.

Peinlich, widersprüchlich, denunziatorisch

Die Mutter sei im Übrigen Olympiasiegerin und 19-fache Weltmeisterin, sei am Anfang dieses Jahrtausends wegen Doping gesperrt gewesen, stamme aus Usbekistan und sei zum Christentum konvertiert, was darauf hinzuweisen scheint, dass sie vorher einer anderen Glaubensrichtung angehörte. Man darf raten, welche das wohl war.

Es ist also ein zusammengenagelter, unsauber abgeschriebener, peinliche Widersprüche enthaltender Artikel. Rein fachlich betrachtet untere Schublade. Aber hinzu kommt, dass der Artikel toxisch ist.

Dass mit Putin ein Verbrecher im Kreml sitzt, bedarf keiner weiteren Diskussion. Auch ein Versager, der die Kosten einer Invasion der Ukraine völlig falsch eingeschätzt hat. Aber ist das Grund genug, voyeuristisch eine mögliche Geliebte mitsamt gemeinsamen Kindern in Wort und Bild vorzuführen? Nicht etwa aufgrund eigener Recherchen, sondern einfach als Zusammenschrieb aus vielen teilweise Jahre zurückliegenden Artikeln.

Name, Wohnkanton, Anzahl Kinder, inklusive Geburtsdatum und -ort, was soll das? Den Volkszorn auf diese Menschen lenken? Die Einleitung weist darauf hin:

«Während in der Ukraine Bomben und Raketen auf Wohnquartiere niederregnen, ist Putins Familie offenbar im Tessin in Sicherheit.»

Die «GlücksPost», sonst eher für People-Storys zuständig, würde so etwas nicht machen. Denn welcher Art auch die Beziehung sein mag, Sippenhaft sollte eigentlich seit zurückliegenden dunklen Zeiten abgeschafft sein. Sie wird heute noch ausschliesslich von Unrechtsstaaten und Diktaturen angewendet. In der Schweiz hat sie nichts zu suchen.

Der «Nebelspalter» sollte sich eins schämen, was er sicher nicht tun wird.

Schmierenstück aus dem Hause NZZ

Die Suche nach bekömmlichen Newsquellen wird immer schwieriger.

Eigentlich stellt der Ringier-Verlag keine ernsthafte Konkurrenz für die alte Tante von der Falkenstrasse dar. Zu unterschiedlich ist das Zielpublikum, zu anders die Ansprache und der Anspruch.

Umso befremdlicher, wenn auch in der NZZ die Schmiere Einzug hält. Besser gesagt kaum verhohlene Häme. Nach der NZZ-üblichen Bedenkzeit rechnet Redaktor Lucien Scherrer mit dem Ringier-Verlag ab. Als Mittel der Wahl dient ihm dafür – Überraschung – der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder. Immerhin 6500 Buchstaben ist es der NZZ wert, das «Liebes-Aus» zu verhöhnen, als wolle sich der Autor bei der «Glückspost» bewerben.

Schröder, Putin-Versteher und sogar Freund, geschäftlich mit Russland verbunden, und dann Berater von Ringier, diese Steilvorlage will sich Scherrer nicht entgehen lassen. «Jahrelange Kumpanei, viele «Exklusiv»-Interviews», so nimmt der Autor Anlauf, um schnell zu ersten Höhepunkten zu gelangen:

«Vorsorgliche Abrechnung mit einem Appeaser, den man jahrelang hofiert, vermarktet und benutzt hat».

Appeaser, echt jetzt? Denn Scherrer hat das kleine Problem, dass sich Ringier ja gerade von seinem Berater Schröder getrennt hat – und ihn schon vorher massiv kritisierte. Das allerdings nur, bleibt Scherrer unerbittlich, weil man den «im allgemeinen Distanzierungseifer schnellstens fallen lässt, um dem moralischen Nullpunkt selber nicht noch näher zu kommen».

Rückgriff in die Vergangenheit

Blicke in die Vergangenheit sind immer gut, um das Munitionslager in der Gegenwart aufzufüllen. Dafür greift Scherrer auf diverse «Exklusiv»-Interviews zurück; besonders angetan hat ihm eins, das «Blick»-Oberchefredaktor Christian Dorer 2017 führte, «drei Jahre nach der Krim-Annexion». Frage: «Halten Sie Russland für gefährlich? Könnte es weitere Annexionen geben?» – «Schröders Antwort: «Die Sicherheit dieser Staaten ist durch die Nato garantiert», die Krim hingegen werde kein russischer Präsident je zurückgeben, denn Russland habe sie gar nie abtreten wollen.»

Steilvorlage für einen Schlusspunch: «Die Ukraine lässt Schröder mit seiner Antwort elegant aus dem Spiel, denn sie war und ist nicht «durch die Nato garantiert». Was das heisst, hat sein Freund am 24. Februar gezeigt – und damit nicht nur seine Fans, sondern auch einige Journalisten blamiert.»

Wie sehr blamiert sich allerdings Scherrer selbst, wenn er aus einem Interview, das 12’500 Buchstaben umfasst, alle damaligen Themen abfragt, Merkel, Flüchtlingskrise, neugewählter Präsident Macron, die Schweiz, die Türkei, der Brexit, Präsident Trump, sich auf ganze drei Fragen fokussiert, die zu Russland und der Krim gestellt wurden?

Wie lautete der kurze Abschnitt im Original?

«Halten Sie Russland für gefährlich? Könnte es weitere Annexionen geben?
Die Sicherheit dieser Staaten ist durch die Nato garantiert. Bei der Krim aber prophezeie ich Ihnen: Es wird keinen russischen Präsidenten geben, der die Krim wieder zurückgibt. Dieser Realität muss man ins Auge schauen, ob man es akzeptieren mag oder nicht.

Warum ist das so?
Wenn Chruschtschow 1954 nicht geglaubt hätte, der Sowjetkommunismus werde so alt wie die katholische Kirche, dann hätte er die Krim niemals an die Ukraine übergeben. Es bestand ja kein Grund dafür. Die Russen haben in Sewastopol einen Militärhafen. Wenn die Ukraine Teil der Nato gewesen wäre, und das war der Plan, dann hätte dieser Hafen mitten im Nato-Gebiet gelegen. Eine groteske Vorstellung. Es gibt auch unterlassene Sensibilitäten des Westens gegenüber Russland. Von der Politik der Amerikaner ganz zu schweigen.

Ist es derzeit schwierig, mit Russlands Präsident Putin befreundet zu sein?
Ich bin ein freier Mensch. Und gerade in schwierigen Zeiten ist es doch wichtig, miteinander zu reden.»

Wenn nicht polemischer Wille alle Qualitätsansprüche überfährt: ist das wirklich einer NZZ würdig, hier von einem «Liebes-Aus» zu schwafeln? Zwar zähneknirschend einzuräumen, dass Ringier das Mandatsverhältnis per sofort beendete, Schröder auch zuvor kräftig kritisierte, dann aber süffisant aus uralten Interviews Bruchstücke zu zitieren – ist das nachdenklich-ausgewogener Journalismus?

Wiederholungstäter Scherrer

Auch die NZZ muss beachten: einen guten Ruf erwirbt man sich über Jahre und mit viel Arbeit. Verspielen kann man ihn schnell und fahrlässig. In letzter Zeit wurde viel darüber geschnödet – zu Recht –, dass es um die Qualitätskontrolle bei Tamedia nicht gerade zum besten bestellt sei. Allerdings beweisen Mitarbeiter wie Rafaela Roth oder Lucien Scherrer, dass auch im Hause NZZ dieses Problem existiert. Denn gäbe es eine funktionierende Kontrolle, hätten diverse Artikel nicht erscheinen dürfen. Darunter auch dieses niveaulose Bashing eines Konkurrenten am untauglichen Beispiel.

Während Roth mehr mit Dubletten-Interviews und Backfisch-Jubel auffällt, hat Scherrer schon mal kräftig ins Klo gegriffen, als er belegfrei behauptete: «Gemäss Informationen der NZZ gibt es Pläne, die Printausgabe von «20 Minuten» im nächsten Jahr einzustellen.» Das nächste Jahr wäre 2021 gewesen. Und ein energisches Dementi des Verlags wird zwar kurz erwähnt, aber was soll’s, etwas hängen bleibt doch immer, sagte sich Scherrer damals. Schmiere halt.

 

 

 

 

 

 

 

Der leise Niedergang der Schweizer Illustrierten

Die Schweizer Illustrierte wird von der Glückspost auflagenmässig hart verfolgt. Inhaltlich hat das Flaggschiff von Ringier-Axel Springer weniger Swissness, dafür mehr Frauenthemen.

Die «SI» vom 18. September hat ein untypisches Titelbild. Die Köpfe von Schlagersänger Marc Trauffer und seiner Brigitte sind nur passfotogross abgebildet. Grund: Brigitte Traufers riesiges Hochzeitskleid. Für den Spontankäufer am Kiosk eher ein Ablöscher. Ebenfalls gewöhnungsbedürftig: als weitere Titelthemen gibt’s nur noch einen Minianriss über den «TV-Star Fabienne Bamert» und den Hinweis aufs «Extra zum Zurich Film Festival». Diese Zurückhaltung lässt das Cover dafür edel erscheinen. 4 Franken 90 für 84 Seiten sind ok. Allein schon Sonntagszeitungen sind oft teurer.

A propos Preis. Als ich die «SI» im Coop Pronto kaufen wollte, gab es einen kleinen Stau. Grund: der Verkäufer fand den Strichcode nicht auf dem Heft. Ich fand ihn auch nicht. Er scheint irgendwie vergessen gegangen zu sein. Der Verkäufer tippte dann die Fr. 4.90 ein und machte ein Handyfoto vom Heft. «Für die Buchhaltung», brummelte er. Zum Glück war’s kein Sexheftli. Ich wäre gestorben vor Scham.

Nun beginnt das Blättern

Wie schon in der Glückspost setzt sich der Chefredaktor auf Seite 3 in Szene. Immerhin schreibt Werner de Schepper Pro zwei Wochen Vaterschaftsurlaub (Abstimmungstermin am 27.9.). Darüber, dass er in höherem Alter nochmals eine Familie gründete, verliert er aber keine Silbe. Dafür über das Flüchtlingselend. Immerhin. Das ist löblich.
Übrigens ist De Schepper Co-Chefredaktor. Er teilt sich den Job mit Nina Siegrist. Co-Leitungen sind im Trend, die Sozialdemokraten lieben dieses Führungsmodell. Ich habe gemischte Gefühle. Wenn’s heiss wird, ist immer das «Co» zuständig. Obwohl: bei ZACKBUM.CH sind wir sogar zu dritt.

Nachschub für die Kakteenzucht

Die Seiten 6 und 7 bieten ein buntes Potpurri mit Promis und Sternchen. Stefan Schmidlin, Ex-Schmirinski und heute Holzbildhauer, posiert mit Auto-Unternehmer Walter Frey im neuen Skulpturenpark in Glattfelden. Was die beiden miteinander zu tun haben, bleibt zwar offen. Aber das Bild ist ziemlich gut. Ebenfalls auf der Doppelseite: der Klassiker mit der Rose und dem Kaktus. Wer lieb war aus Sicht der «SI», bekommt eine Rose, wer weniger lieb war, einen Kaktus. Es soll Leute gegeben, die im Laufe dieser Jahrzehntetradition schon eine Kakteenzucht betreiben können.

Auf Seite 9 schreibt Peter Rothenbühler wie jede Woche einen offenen Brief an irgend jemanden. Diesmal an die Waadtländische Regierungspräsidentin. Er kritisiert ihre lasche Haltung wegen Corona. Ist das relevant für die Deutschschweiz? Man zuckt mit den Schultern. Herr Rothenbühler hat halt seinen Zweitwohnsitz im Jura, das scheint der Grund zu sein. Rothenbühler ist übrigens jener Chefredaktor, der in den 1990er Jahren das damals hochpolitische, aber erfolglose Heft zum Schweizer Promiblatt Nummer 1 trimmte. Das sollte für viele Jahre das Erfolgsrezept der «SI» bleiben.

Nun kommt die Doppelseite «Meine Woche». Einer Art Fragebogen für ZeitgenossInnen wie Sina, Bastien Girod und Katharina Locher. Ich kenne drei von fünf aufgeführten. Damit liege ich wohl im Leserschnitt. Der etwas bemühende Link in die Digitalwelt: Die Spalte «Mein Handybild».

Jetzt folgt die 8-seitige Bild- und Textstrecke über Marc Trauffer und seine Gattin. «Klammheimlich gaben sie sich das Jawort». Wahnsinn! Nur die SI war dabei. Der Klassiker. Ein Exklusivvertrag. Vielleicht hat sich aber auch niemand sonst interessiert?

Achtung, es wird literarisch. Immerhin 6 Seiten lang wird der Schriftsteller Thomas Hürlimann porträtiert. Er ist 70 geworden und musste eine schwere Krankheit durchstehen. Der Text ist sehr gut. Aber ob er wirklich in die SI passt und nicht eher in die NZZ am Sonntag oder in dessen Folio? Nicht ganz klar ist, ob er nun noch mit seiner Freundin zusammen ist oder nicht. «Seine Partnerschaft mit Schriftstellerin Katja Oskamp fiel nach 20 Jahren der Krankheit zum Opfer.» Tönt kompliziert! «Gesund, aber wieder Single», hätte Peter Rothenbühler als Überschrift wohl ins Blatt gerückt. Der Titel unter dem studierten Theologen De Schepper: «Das Schreiben rettete mich». Amen.

Näher bei den Stars und Sternchen

Nestlé. Vevey. Die Reportage über eine Fotoausstellung steht unter dem Motto: «Eine Herzensangelegenheit für Mark Schneider, CEO von Nestlé». Ein Text, der die traditionelle Nähe der SI-Journalisten zur Wirtschaft bestätigt. Aber Nestlé ist nun mal ein Weltkonzern und hat seinen Sitz in der Schweiz. Dass der Autor der Nestlé-Story, Onur Ogul, auch anders kann, zeigt sein berührendes Interview mit einer Frau, die im abgebrannten Flüchtlingslager auf Moria (Lesbos) hilft. Doch vielleicht einen Tick zu anteilnehmend und zu wenig auf die junge Schweizer Helferin fokussiert. Das wäre eigentlich die Stärke der «SI».

Ja, genau wie auf den folgenden Seite, wo Fabienne Bamert zeigt, wie sie ihre an MS erkrankte Mutter pflegt – neben ihrem Job als Samschtig-Jass-Moderatorin! Man erfährt zudem, dass Bamert bald «SRF bi de Lüüt – live» moderieren wird. Das wurde doch perfekt eingefädelt vom SRF-Mediendienst. Good job!

«Jetzt reden die Väter!» Das ist eigentlich klassisch «SI». Zehn «prominente Papis» zeigen sich zuhause – mit ihren Kindern. Doch man muss die Texte schon sehr genau lesen, um herauszufinden, wer nun für und wer gegen die Vorlage zum Vaterschaftsurlaub ist. Ein klares Ja oder Nein findet man fast nicht. Eine steife Sache.

Klarer drückt sich dafür Tatjana Haenni ab Seite 50 aus. Die ehemalige Natispielerin im Fussball ist heute Frauen-Chefin beim Schweizer Fussballverband. Eine ideale Markenbotschafterin. Und ein guter Text, der die Veränderung der Frauenrolle in der Praxis aufzeigt. Und wo liegen die Probleme? «Bei Entscheidungsträgern und sportpolitischen Gremien».

Nun wird die SI «stylischer». Kaufen, reisen, schön sein, essen. Hautcrèmes, BH’s, das Luxus-Hotel in Lugano, noch eins auf Madeira. Werbeseiten nochundnoch. Und natürlich voll nicht deklariert als Publireportagen. Gut zu wissen, dass der Presserat nur reagiert. Und wohl die SI sowieso nicht beachtet.

Mmh, fein. Die Themen Kulinarik und Kochen. Während in der «Glückspost» die Lebensmittelädeli von Volg als Köche agierten, ist es nun Betty Bossi. «BB» war eine Zeitlang Teil des Ringierkonzerns, da macht eine Partnerschaft durchaus Sinn. Dann folgt die obligate GaultMillau-Seite mit Spitzengeköchel in Vevey. Eine Herzensangelegenheit von Urs Heller (67). Das Ringier-Urgestein entwickelte Zeitschriften wie SI Style und Landliebe. Im Nebenamt ist er nach wie vor Chefredaktor des Gourmetführers GaultMillau Schweiz. Wohl bekomm’s.

Umrahmt von Inseraten über Biomed-Brausetabletten und Burgerstein Nahrungsergänzungsmittel lernt man mehrere Seiten weiter einiges über das eigene Selbstbewusstsein. Man muss nur an sich glauben.

Urgesteine und alte Traditionen

Und dann jubelt das Herz jedes kritischen Beobachters. Die Doppelseite über eine Kämpferin gegen Food-Waste, also Lebensmittel wegschmeissen, ist schulbuchmässig mit «Publireportage» angeschrieben. Warum? Weil die porträtierte Anastasia Hofmann einen Toyota fährt. Also. Geht doch. Die Doppelseite scheint ein regelmässiges Format zu sein «12 Frauen, 12 Fragen». Bemerkenswert: im Interview kommen Autos und vor allem Toyota nicht vor. Die Brücke muss sich der Leser selber zimmern. Das ist durchaus clever.

Nun folgen die Rätselseiten und – ach nein. Peter Hürzelers «Willi», der Schweizer Nationalheld, der jede Woche ein aktuelles Thema ironisch kommentierte, wurde 2015 abgesetzt. Er erschien seit 1972, die Ermunterung kam durch den damaligen Chefredaktor Hans Jürg «Fibo» Deutsch. Womit wir noch ein Ringier-Urgestein erwähnt hätten.

A propos Urgestein: Chris von Rohr, auch schon 68, doziert nun in seiner Kolumne über Grenzen und lobt Neuseeland und Kanada. Er plädiert für den goldenen Schnitt und gegen eine staatenlose Welt. Auf gut Deutsch: Ich bin gegen die EU. Geschrieben hat das von Rohr, nicht Gölä. Da haben sich aber zwei Musiker gefunden. Rührend.

Applaus – endlich die Promiseite. Dafür stand die «SI» jahrelang. Sehen und gesehen werden. Die Schönen und die Reichen. Diesmal: Der neue Schoggi-Tempel von Lindt in Kilchberg (ZH). Roger Federer war auch dabei, diesmal in feinem Tuch und mit schwarzen Lederschuhen. Seine ON-Treter liess er zuhause. Es hätte wohl wieder ein Gezeter bei SRF gegeben. Schleichwerbung! Moderiert wurde die Eröffnungsfeier von Sandra Studer (Sandra Simo, Canzone per te). Roger Federer und seine Gattin Mirka werden in der «SI» so zitiert: «Wir sind vom Home of Chocolate tief beeindruckt».

Wird die SI die Nase vorn behalten?

Abgerundet wird die Schweizer Illustrierte von der Rubrik «so mache ich das». Antonia Kälin, Miss August im Bauernkalender, wird in der Ich-Form beschrieben. Kurze Sätze, klare Ansagen. Lesenswert. Sogar sehr gut. Eigentlich wird damit die Tradition des Magazin (Tamedia, Ein Tag im Leben von…) perfekt umgesetzt. Besser als im Original. Original? Seit letztem Samstag weiss man, dass die Kultrubrik «Ein Tag im Leben von …» abgesetzt und durch  «Zu hause bei» ersetzt wurde. Schade.

Noch ein Wort zur Beilage: Diesmal sind es satte 76 Seiten über das Zurich Film Festival. Solide, informativ, zum Teil gar originell. Etwa die Reportage über ein Auto des Hauptsponsors mit einem herrlich überdrehten Fabian Cancellara als Regisseur. Autor des Textes: David Schnapp. Man kennt ihn als Autotester für die Weltwoche. Zudem arbeitet er für GaultMillau von Urs Heller. Die «SI», eine ganz besondere Familienbande.

Fazit: Der SI-Inhalt wirkt ein bisschen orientierungslos. Aber es ist auch ein schwieriges Umfeld. Denn Promigeschichten findet man auch in «20 Minuten» oder auf SRF in «Glanz & Gloria». Auflagemässig dümpelt das ehemalige Promi-Flaggschiff der Schweiz mit sinkender Auflage (aktuell ca. 131000) herum. Nur noch gut 9000 Exemplare mehr als die Glückspost werden von der SI verkauft. Das scheint irgendwie typisch. Die SI erinnert je länger je mehr an einen Abklatsch der Schweizer Familie. Daher bald an dieser Stelle: Eine Blattkritik über jenes Tamedia-Erzeugnis.

Die Glückspost, das Bravo für Erwachsene

Die Glückspost ist der Schweizer Illustrierten auflagemässig dicht auf den Fersen. Trotzdem hat sie es in der öffentlichen Wahrnehmung viel schwerer. Eine Blattkritik des offiziellen Schweizer Klatschheftli.

Es gibt «Die neue Welt», die «Freizeit-Revue», die «Frau mit Herz» – und es gibt die «Glückspost». Während erstere deutscher Provenienz sind, ist die «Glückpost» das erste und einzige Klatschheftli der Schweiz. «Erste», weil es die Glückspost seit sage und schreibe 136 Jahren gibt. Gut, zuerst hiess sie Schweizerische Allgemeine Volkszeitung, erst 1977 erhielt sie den treffenden Namen «Glückpost». Aber immerhin.

«Einzige», weil sich keine Konkurrentin länger halten konnte. Und das etwas edlere Gala? Es hat eine Auflage in der Schweiz von etwas über 30’000 und einen speziellen Schweizteil, aber nur wenige Seiten. Zudem erscheint die Gala nur alle zwei Wochen, im Gegensatz zur «GlüPo». Keine ernste Konkurrenz also. Doch genug mit Vorspiel. Jetzt geht’s zur Sache, zur Glückspost.

Von der Titelseite des respektabel dicken Hefts (74 Seiten, Ausgabe vom 17.9.) strahlen einen gleich vier Menschen an. So sieht Glück aus. Doch aufgepasst: Zum Bild von Mike Shiva heisst es: «Die grosse Trauer seiner Mama». Und auch beim zweiten Anriss geht’s um ein Mutter-Tochter-Verhältnis: Das erwachsen gewordene Meitli von Entertainer Vico Torriani hat «Papa immer noch im Herzen».

Die Titelstory gehört Komiker Jonny Fischer. Er hat sich «mit der schweren Vergangenheit versöhnt». Dazu kommt unten ein Textbalken: «Viele Rätsel und Schicksalsgeschichten!». Fazit: alle Zutaten sind da, dass man oder besser frau für 3 Franken 90 einen Gegenwert für viele Stunden Unterhaltung hat.

Chefredaktor Leo Lüthy schreibt in seinem Editorial salbungsvolle Worte über Mike Shiva (gestorben mit 56). Kein Wunder, war Shiva einer der wenigen schillernden CH-Promis, die immer mal für eine Schlagzeile gut sind.

Für Lüthy ist und bleibt  klar: «Der Basler Mike Shiva war der lebende Beweis, dass einander zuhören (…) viel wertvoller sein kann als Fr. 4.50 pro Minute». Sprich, Shiva war seine Abzocke wert.

In der Rubrik «Leute heute» kommen vor allem Uralt-Promis vor. Al Bano, Peter Maffay, Costa Cordalis, Heino. Die Glückspost scheint sich dem Alter des Publikums anzupassen. Doch genug geschnödet. Nun folgt die Titelgeschichte über Jonny Fischer – und seinem Partner Michi Angehrn. Ein Geschmäckle hat der Bericht aber: Er kommt passend zur Premiere von Fischer als Moderator einer neuen SRF-Spielshow (Game of Switzerland) gestern Abend. Aber so läuft das halt. Ein neues Buch, eine neue Show. Schon ist man in den Schlagzeilen.

Die nächste Doppelseite bietet Platz zum Schwelgen. Blättern «im ganz privaten Familienalbum» von Nicole Kündig-Torriani. Grund: Vater Vico wäre am 21. September 100-jährig geworden.

Und noch eine Rühr-Story: Franco Marvulli schreibt einen offenen Brief an die eben verstorbene Tele-Bärn-Moderatorin Anne-Cécile Vogt (39). Sie erlag einer schweren Krankheit, viel zu früh.

Tobias Heinemann scheint ein berühmter Gedankenleser zu sein. Jedenfalls geht seine «eindrückliche Show» nach der Corona-Pause am 14.10. wieder weiter. Fast eine Doppelseite widmet die Glückspost dem Mystiker. Definitiv eine der Zielgruppen der Glückspost, wenn man kurz in den hinteren Teil des Hefts blättert. Denn dort wimmelt es von Inseraten ähnlicher Richtung: Kartenlegen, keltisches Baum-Tarot, Kontakt mit Engeln, Zukunfstorakel, hellfühliges Orakel, Pendel, Hilfe bei Liebes-Aus, Kaffeesatz lesen. Mike Shivas Erbe lebt! Na gut, die meisten Telefonnummern kosten zwischen 1 Franken 99 und 2.50. Also nicht 4 Franken 50. Aber es ist halt auch nicht das Original.

Doch zurück zum redaktionellen Teil. Nach den Schweizer Promis folgt nun Hollywood (als Rubrik) mit Sharon Stone. Sie hatte traumatische Erlebnisse zu verkraften. Zuletzt mehrere Corona-Todesfälle in der Familie. Ganz nach dem Motto: Schaut her, Promis geht’s auch verschissen, obwohl sie vermeintlich glücklich über den roten Teppich schweben.

Auffällig: erst auf Seite 19 folgt das zweite Inserat nach einem «Allergiker-Inserat» von Migros weiter vorne. Erstens: Was will uns Migros über seine Glückspost-Leser-Einschätzung sagen? Zweitens: Das erwähnte Inserat ist Werbung für Blick-TV. Blick-TV wie die Glückspost gehören zum Ringier-Konzern.

Nun wird die Glückpost noch ernster. Schicksale, Liebesbetrüger, Asperger-Syndrom. Die Welt scheint es nicht gut zu wollen mit gewissen Leuten. Doch zum Glück gibt’s die nun folgende Glückspost-Rubrik «Spass & Spannung». Acht Seiten Sudoku und Kreuzworträtsel. Klever: die Lösungen findet man immer ein Heft später. Eine perfekte Leserbindung!

Doch es kommt noch perfekter: 24 Seiten über die Gesundheit, Beauty und Reisen. Der Rubrik  Doktor Sommer im Bravo nachempfunden ist jene von einem Infektiologen. Er sagt, dass man vom Küssen krank werden kann. Immerhin nicht schwanger.

Ein ganz bisschen politisch wird die Glückpost nun mit der Tier-Seite. Grund: eine Reportage über die gefährdeten Auerhühner. Da muss man am 27. September doch Nein stimmen zum neuen Jagdgesetz! Das scheint irgendwie durchgerutscht zu sein bei der Blattplanung. Denn es ist ein eiserner Gesetz. Die Glückpost ist neutral.

Beim Reisebericht über die südsteirische Weinstrasse vermisst der kritische Leser einen Hinweis, dass die Reise der Reporterin (und freien Reisejournalistin) Barbara Blunschi irgendwie mitfinanziert wurde. Und zwar von der sehr positiv porträtierten Gegend und dem erwähnten «Boutique-Hotel Wurzenberg». Aber das Foto mit der Herbstimmung ist wirklich gelungen.

Bei der Rubrik «Genuss» kommt Volg zum Handkuss. Ich wusste nicht, dass Volg auch eine Kulinarik-Abteilung hat, ähnlich wie Betty Bossi. Aber das ist irgendwie authentisch. Rezepte und ein Portrait einer Nusstörtli-Bäckerin, die ihre Produkte im Dorfladen verkauft. Bei 3000 Lieferanten schweizweit scheint das mehr als ein Marketingtrick. Aber dass die vier Seiten nicht als Publireportage gekennzeichnet sind, das geht eigentlich gar nicht.

Positiv dafür die Doppelseite über das Rote Kreuz mit anderer Schrift und deklariert als Gute-Tat-Story («Unterstützen Sie das SRK»).

Dass beim Impressum auf Seite 56 der Titel vergessen ging, hat wohl nur der pingelige ZACKBUM.CH-Kritiker bemerkt.

Aufgefallen ist bei der dreiseitigen Rubrik «Rendez-Vous, Finde mich!» der hohe Preis fürs Anrufen. Bei den Kleininserätli («Sie sucht ihn», Männer suchen offensichtlich nicht) läuft das so, dass man Fr. 3.13 pro Anruf und dann Fr. 3.13 pro Minute bezahlen muss. Da ist zu hoffen, dass einem der potenzielle Partner nicht gefällt. Sonst geht so ein Telefon brutal ins Geld. Gut für die Glückspost: Das lusche Geschäft ist an die Firma Datapoint ausgelagert. Dort soll man auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen finden. Auf www.datingpoint.ch kommt aber nur die Meldung «Error, Database activation falled». Pech gehabt. Vielleicht mal was für den Kassensturz oder das Saldo.

Auf Seite 69 strahlt einen nun Luca Hänni entgegen. Er findet trotz abgesagter Tour Trost bei seiner neuen Freundin Christina. Kein Wort mehr , dass er sich von seiner Michèle getrennt hat. Aber das gehört wohl zum Promijournalismus in Klatschheftlis. Lieb und nachsichtig sein, dann bekommt man sicher wieder mal eine Homestory.

Auffällig: eine der raren Inserate hat Tamedia geschaltet, also die Konkurrenz. Thema: Feuerstellen online finden. Lerne: Die Glückspost scheinen auch Familien zu lesen. Oder sind es die Grossmütter?

In der Rubrik «in letzter Minute» darf Brigitte Nielsen nicht fehlen. Das Busenwunder bringt ein ganz klein wenig Erotik ins sonst stockprüde Heft.

Einigermassen versöhnlich punkte Abzocke ist dann das Inserat auf der zweitletzten Seite. Wenn man die Beauty-Linie («mit Blattgold!») bestellen will, ist der Anruf kostenlos. Und der Preis für die «2 x Tagescreme + 2 x 7 Ampullen» ist mit Fr. 69.90 für GlücksPost-Leser statt Fr. 134.80 wirklich verlockend. Da bezahlt man auch die Versandkosten von Fr. 9.95 gerne.

Doch genug kritisiert. Mit 3 Franken 90 bekommt man wirklich viel fürs Geld. Viel Swissness, viele Lebenstipps, dazu Rätsel für einsame Stunden. Und wenn man einen Partner sucht, einen der Finger juckt und man bei «Rendez-Vous» anruft? Wie schon der verstorbene Mike Shiva sagte, bei den Ausgaben ist alles klar deklariert.

Mit einer Auflage von 121532 Exemplaren jede Woche ist die Glückspost solide unterwegs. Ja sie ist dem Ringier-Flaggschiff, der «Schweizer Illustrierten», sogar dicht auf den Fersen. Diese hat eine Auflage von nur noch 130843. Grund, die «SI» demnächst unter die Lupe zu nehmen.