Schlagwortarchiv für: Gewalt

Fotoromanza!

Das beliebte Gefäss von ZACKBUM feiert Wiederauferstehung.

Bilder sagen mehr als tausend Worte. Besonders, wenn sie aus einem Bilderblatt mit Textbeilage stammen. Also her mit der Homepage des «Blick». Die reiche Beute:

Gut, das ist ein Inserat, aber der Beweis: Leichen leben länger.

Gut, das ist auch ein Inserat, aber – nun muss ZACKBUM auf Eiern gehen – der Werbeträger sollte vielleicht einen gewissen Sympathiewert ausstrahlen und nicht unbedingt Zweifel erwecken, ob er wirklich Besitzer des Vehikels ist.

Gut, das ist ein Text, aber auch brüllend komisch. Wer dieses «Kollektiv» nicht kennt: «Wir sind ein Kollektiv von Schwarzen und Schwarzgelesenen Frauen und Femmes.»

Die Café-Revolutionäre klagen nun, ««Das Ausmass der Gewalt und des Rassismus, mit dem wir konfrontiert wurden, überstieg jedoch, was wir unserem Team und uns zumuten wollen», schreibt der Verein.» Also Klappe zu statt Spenden sammeln. Was um Himmels willen ist denn passiert? «Auf Fragen zu den konkreten Vorfällen, zur Form der Gewalt und zu den möglichen Tätern machten die Organisatoren keine genaueren Angaben.»

Gut, das ist ein Bild mit Text. Leider ist ZACKBUM nicht mehr länger «B+»-Abonnent, also bleibt uns die Antwort verborgen, schluchz. Daher geben wir sie selber: 3 Meter Distanz, erklärt Dr. Google …

 

Gut, das ist ein Foto, sogar mit Romanze. Aber wollen wir das sehen?

Gut, das ist ein Foto mit einer enorm wichtigen Information. Es gibt doch mehr Ähnlichkeiten zwischen Kühen und Menschen, als man gemeinhin meint.

Hier noch ein Beitrag des «Blick» für alle umweltbewussten Menschen mit Flugscham, besonders geeignet für Klimakleber.

Aber, zum Abschluss der Fotoromanza, hier wäre ZACKBUM fast schwach geworden und hätte sich ein neues Abo überlegt:

Nein, ein Scherz. Ausserdem, Glück gehabt, ZACKBUM sind gelbe Flecken auf dem Kissen so fremd wie anderswo … Ausser in der Corporate Colour, wie wir Marketingsfuzzis das nennen.

 

Schon wieder Djokovic

Die Medien haben sich schon mal an ihm abgearbeitet.

Corona ist vorbei und vergessen (ausser vielleicht bei Marc Brupbacher). Jetzt ist Ukrainekrieg. Da muss wie damals bei Corona jeder Position beziehen, am besten ein Zeichen setzen. Selbstverständlich sollte man auf der Seite der Ukraine sein.

Die verteidige doch unsere westlichen Werte wie Korruption, Autokratie und Medienzensur gegen das korrupte Russland mit Medienzensur und Autokratie. Oder so.

Nun war und ist Novak Djokovic aus Gründen, die eigentlich nur ihn etwas angehen, ein Gegner der Corona-Impfung. Im Nachhinein geben ihm immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen recht. Die Wirksamkeit der Impfung, vor allem die Behauptung, Geimpfte seien nicht ansteckend, wird immer mehr in Frage gestellt.

Aber das ist Schnee von gestern, Schlamm drüber, sagen die Massenmedien, die sich selbst unsterblich blamiert hatten, durch ihre obrigkeitshörige Berichterstattung ihrer Glaubwürdigkeit einen Bärendienst erwiesen hatten. Aber man ist natürlich nachtragend, eine der Lieblingsbeschäftigungen des Journalisten.

Nun trug es sich zu, dass der Tenniskünstler Djokovic das hier getan hat:

Statt nur brav Autogramme zu geben, schrieb er auf eine Kameralinse: «Kosovo ist das Herz von Serbien. Stoppt die Gewalt.»

Ein Aufruf gegen Gewalt kann ja eigentlich nicht ganz schlecht sein. Es kommt aber darauf an, wer gegen welche Gewalt wo aufruft. Bekanntlich ist es so, dass sich die südserbische Provinz Kosovo 2008 einseitig für unabhängig erklärte. Gegen den damaligen selbsterklärten Präsidenten Hashim Thaçi ermittelt seit 2020 der Sonderankläger des Internationalen Strafgerichtshof im Haag wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im April begann der Prozess gegen Thaçi und Mitangeklagte.

Die Unabhängigkeit des Kosovo wurde zuvorderst von der damaligen Schweizer Aussenministerin Calmy-Rey befürwortet, die sich damit gegen die Garantie der territorialen Integrität Serbiens nach dem Jugoslawienkrieg stellte. Russland nahm dann nebenbei diese Unabhängigkeitserklärung als Präzedenzfall für die Krim.

Seit seiner Unabhängigkeit, die auch nicht von allen EU-Staaten anerkannt wird, hat sich Kosovo den Namen korrupter Mafiastaat redlich und unredlich verdient. Eine UNO-Friedenstruppe unter Schweizer Beteiligung versucht, Auseinandersetzungen zwischen dort lebenden Albanern und Serben zu verhindern.

So viel Hintergrund muss sein. Nun ist es in letzter Zeit wieder nach Kommunalwahlen zu Handgreiflichkeiten und Krawallen gekommen, bei denen Soldaten der Schutztruppe KFOR verletzt wurden. Es geht um den Rücktritt von serbischen Bürgermeistern als Protest gegen die Politik der kosovarischen Regierung; sie wurden durch Albaner ersetzt, weil bei die nötigen Wahlen von den Serben boykottiert wurden.

Also zumindest eine etwas unübersichtliche Gemengelage. Und in die hinein kommt nur der Aufruf Djokovics zum Frieden, gegen Gewalt. Während aber das Schwenken ukrainischer Flaggen und fast alle Formen von Sympathiebezeugungen im Sport hier applaudiert, werden, kommt Djokovic wieder ins Feuer der Meinungsmacher.

Darauf reagierte der Tennisstar, dessen Vater in der damaligen serbischen Provinz geboren wurde: «Ich bin kein Politiker und habe auch keine bösen Absichten. Ich weiss, es ist heikel. Es tut mir einfach weh, was passiert

Den Medien tut nichts leid: «Djokovic sorgt nach Sieg mit Kosovo-Botschaft für Eklat», schimpft der «Blick». Etwas zurückhaltender (noch) textet Tamedia: «D. erhitzt Gemüter mit Kosovo-Botschaft». «D. sorgt mit politischer Botschaft für Aufsehen», echot nau.ch. D. habe «eine politische Kontroverse riskiert», urteilt die NZZ. D. habe «eine politische Kontroverse ausgelöst», konstatiert srf.ch. Und schliesslich sieht CH Media, nicht gerade der Jahreszeit entsprechend, dass sich D. «auf politisches Glatteis begeben» habe.

ZACKBUM sammelt zunächst mal diese ausgewogenen Äusserungen und wartet auf die zukünftigen Kommentare in dem Mainstreammedien  …

Geeiertes zum Migrationshintergrund

Was schreibt man, wenn Ausländer Feuerwehr und Polizei attackieren?

Der «Blick» brauchte drei Anläufe, um von «Jung, männlich, Migranten» zur politischen Korrektheit zurückzufinden: «Böller auf Polizisten geschossen, Rettungskräfte mit Feuerlöscher angegriffen. Silvester-Mob sorgte für Randale in Deutschland».

Aus den Ereignissen der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte haben die Medien offensichtlich nichts gelernt. Als damals ein Mob von Ausländern durchrastete, ignorierten die Massenmedien den Vorfall zunächst, danach wurde er kleingeschrieben, schliesslich wurden Übergriffe eingestanden, aber sogleich mit gewundenen Erklärungen versehen.

Offensichtlich in dieser Tradition sieht sich der Tagi heute noch. Zunächst titelt das Blatt: «Was habe ich euch getan? Ich weiss nicht, woher dieser Hass kommt». Es habe da «Gewalt gegen Rettungskräfte» gegeben. In diesem Artikel wird ausführlich über brutale Angriffe auf Beamte und Rettungskräfte geschrieben. Ohne mit einem Wort die Herkunft der Krawallanten zu erwähnen.

Zwischen diesem Artikel um 6.56 Uhr und einem zweiten um 18.11 Uhr liegen nicht nur rund 11 Stunden. Inzwischen musste der Berlin-Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung», den aus Sparsamkeit auch Tamedia benutzt, offensichtlich widerwillig zur Kenntnis nehmen, dass sich die Indizien, Anzeichen, Belege verdichteten, dass es sich nicht einfach um eine buntgemischte Truppe von Idioten gehandelt hatte. Sondern fast ausschliesslich um, seien wir korrekt, Menschen mit Migrationshintergrund. Genauer: Männer aus fremden Weltgegenden.

Man spürt förmlich die langen Finger, mit denen sich der um Gutmenschentum bemühte Journalist diese Unterzeile abringt:

«Nach Ausschreitungen in der Neujahrsnacht wird über die Herkunft der Täter diskutiert. Denn nach Aussagen vieler Einsatzkräfte wurden sie vor allem von jungen Männern mit Migrationshintergrund attackiert

Es wird darüber diskutiert? Nein, ausserhalb der SZ (und von Tamedia) ist man in Deutschland konsterniert und entsetzt, in welchem Ausmass diesmal die Lage ausser Kontrolle geraten ist – und welches Gewaltpotenzial in Idioten stecken muss, die ausgerechnet auf Retter und Helfer losgehen. Gerne auf Sanitäter und Feuerwehrleute, weil die unbewaffnet sind.

Wie kommt’s? Nun, da gibt es natürlich Oppositionspolitiker der CDU, für die das Wasser auf die Mühlen sei: «Und sofort wieder kam die Frage auf, ob diese brutalen Attacken auf Vertreter des Staats ihren Ursprung nicht auch in einer gescheiterten Integrationspolitik der Stadt hätten.»

Kam die Frage auf? Nein, wurde konstatiert. Oder vielmehr polemisiert, denn Heidtmann will weiterhin das Offenkundige leugnen: «Das deutsche Innenministerium jedoch verwies darauf, dass es noch keine Übersicht zu den Verdächtigen gebe

Allerdings muss auch er einräumen: «Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter, die in der vergangenen Silvesternacht Einsätze hatten, berichten, vor allem von arabischstämmigen jungen Männern angegriffen worden zu sein.»

Aber vielleicht sind das ja alles Rassisten, zumindest scheinen sie nicht in der Lage zu sein, die Gesamtumstände, sozusagen mildernde Umstände, zu berücksichtigen. Auch der Bezirksbürgermeister des besonders gewalttätigen Quartiers um die Sonnenallee in Berlin räumt ein, dass auch er «beobachtet» habe, dass die Täter zum allergrössten Teil einen Migrationshintergrund hätten. «Doch ein Grossteil der Menschen in der Gegend, die ebenfalls familiäre Bindungen in andere Länder hätten, seien über den Gewaltausbruch zum Jahreswechsel genauso entsetzt wie alle anderen. «Man hat sich da gewissermassen selbst angegriffen. Das sind einige Idioten, die alle in Sippenhaft nehmen.» Viel wichtiger sei daher der Aspekt, «dass es sich um soziale Brennpunkte handelt», meint Hikel. Da sei es wichtig hinzuschauen.»

In Berlin ist mal wieder Wahlkampf, weil es die Behörden nicht geschafft haben, die letzte Wahl ordentlich durchzuführen. Schon das ist peinlich genug. Das wird aber von Aussagen wie dieser noch übertroffen: «Die nächste Generation, die in Berlin aufwächst, hat zu einem grossen Teil Migrationshintergrund, das sind unsere Jugendlichen. Ich werde die nicht aus der Gesellschaft herausdrängen.» Das Problem sei vielmehr eine zunehmende Verrohung insgesamt, zitiert Heidtmann die Spitzenkandidatin der Grünen für das Amt des Berliner Bürgermeisters.

Wer also einen Zusammenhang herstellt zwischen brutaler Gewalt, nicht integrierbaren ausländischen Jugendlichen und Rettungskräften, die sich von der Politik im Stich gelassen und verarscht fühlen, steht für Heidtmann schon mal unter latentem Verdacht, ein Ausländerhasser zu sein. Die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge nicht zu sehen. Zu eindimensional einen Zusammenhang zwischen Herkunft und Gewaltbereitschaft sehen zu wollen. Ohne die psychosoziale Komponente genügend zu würdigen.

Dass solches Geschwurbel in Deutschland zunehmend auf Unverständnis auslöst, der Protestpartei AfD in Massen Wähler zutreibt, ist die eine Sache. Dass sich damit deutsche Medien immer mehr disqualifizieren und unglaubwürdig machen, die andere. Dass ein angebliches Qualitätsmedienhaus wie Tamedia diesen Unsinn ungefiltert und umkommentiert übernimmt, ist ein weiteres Armutszeugnis.

Vielleicht sollte sich Tamedia wirklich auf eine «News-Pause», Fitness-Tipps und die Kritik an Zitronenlikör konzentrieren. Da kann man den überlebenden Journalisten eine gewisse Kompetenz nicht absprechen. Aber sonst …

Und nein, das kann man sich weder politisch, noch journalistisch, noch sonstwie schönsaufen. Solche Berichterstattung ist einfach ein weiterer Sargnagel auf dem Weg der Medien in die Bedeutungslosigkeit und Irrelevanz, für die niemand mehr etwas bezahlen will.

 

Saure Sahne, fauler Fisch

Tamedia macht sich mal wieder mit einer Übernahme aus der SZ lächerlich.

Ulrike Nimz interviewte für die «Süddeutsche Zeitung» den Sänger der Band «Feine Sahne Fischfilet». Die Autorin interessierte sich dabei ausschliesslich für die Gewichtsprobleme von «Monchi», der stolze 182 Kilogramm auf die Waage brachte und darüber ein Buch schrieb.

«Ein Gespräch über zerbrechende WC-Brillen und die Krise des harten Mannes», wird das bei der SZ und bei Tamedia launig eingeleitet. Launig geht’s auch im Text zu und her:

«Unter meine Titten habe ich mir so kleine Jägermeisterflaschen geklemmt und so getan, als käme der aus meinen Brustwarzen. Die Leute haben das gefeiert, und ich fand das lustig

Über seine Gesangeskünste macht sich Monchi keine Illusionen: «Wenn die anderen auf der Bühne den Ton perfekt treffen wollen, grunze ich rum

Interessant wäre allerdings ein Hinweis gewesen, welche Texte er denn so grunzt. Zum Beispiel diesen hier:

Die Bullenhelme, die sollen fliegen
Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein!

Denn das Verhältnis von Monchi zur Staatsgewalt ist, nun ja, leicht gestört:

Helme warten auf Kommando
Knüppel schlagen Köpfe ein
Wasser peitscht sie durch die Straßen
Niemand muss Bulle sein!

Dafür hat er aber auch gleich ein paar Ratschläge zur Hand:

Die nächste Bullenwache ist nur einen Steinwurf entfernt

Komm und schlagt zurück!
Natürlich würde das ein linker Feuilletonist als künstlerische Aufrufe zur Gewalt verniedlichen, die man nun doch ja nicht ernstnehmen sollte. Der deutsche Verfassungsschutz, humor- und kunstlos wie der ist, tat das allerdings, und Polizisten scheinen diese dumpf-dummen Gewaltfantasien auch nicht lustig zu finden.

Vielleicht hätte es durchaus Sinn gemacht, den Sänger nicht nur auf seine Gewichtsprobleme, sondern auch auf seine Probleme mit der Gewalt anzusprechen. Aber das ist für die SZ kein Thema. Und bei Tamedia ist das Handwerk sowieso erfüllt, wenn das ß durch ss ersetzt wurde. Denn wer weiss denn bei diesem Qualitätsmedium schon, wer diese Band ist und mit welchen Texten sie ihr Publikum aufpeitscht.

Das ist nun allerdings ein innerdeutsches Problem, dass der fette Sänger inzwischen abgenommen hat, ist sein gelöstes Problem. Was das alles mit der Schweiz, einem Schweizer Leser und einer Rechtfertigung für happige Abopreise zu tun hat? Da ist Tamedia auch irgendwie auf Abmagerungskur …

 

Bock zum Gärtner

Res Strehle wühlt nochmals in der Vergangenheit von Emil Bührle. Statt in seiner eigenen.

Gibt es noch Neues vom Waffenfabrikanten und Stifter der bedeutendsten Sammlung von Impressionisten ausserhalb Frankreichs? Es scheint, dass gewisse Kreise nicht ruhen wollen, bis dieser Ausstellungsmagnet des Erweiterungsbaus des Kunsthauses Zürich weggeschrieben ist. Da einzelne Kunstwerke bereits ausführlich – wenn auch vergeblich – skandalisiert wurden, der Lebenslauf Bührles zur Genüge dargestellt, seine Waffenlieferungen an Nazi-Deutschland (mit Einverständnis des Bundesrats und von ihm mit Krediten finanziert) genügend niedergemacht wurden, was bleibt?

Dieser Ansatz: «Bührle und seine Lakaien: Wie der Nazi-Profiteur mit dem Kunsthaus die Herzen der Schweizer Elite eroberte».

Auch das ist nicht gerade originell, und Strehle überschüttet und überfordert den Leser in seinem Artikel in «Republik»-Länge (22’791 A) mit einer Flut von Namen, eher zusammenhangslos aneinandergereiht. Das kommt eben davon, wenn ein ehemaliger Tagi-Chefredaktor in die Tasten greift: keiner traut sich, ihn anständig zu redigieren.

Im Wesentlichen will Strehle aufzeigen, wie es Bührle gelungen sei, sich mit Aktivitäten im kulturellen Bereich zu rehabilitieren und die Aufnahme in die besseren Kreise zu bewerkstelligen. Dabei ist ihm keine Häme zu billig: «Im Haus Bührle reichte ein Gärtner, der mit dem Fahrrad angeradelt kam, weil ihm der Patron die Anfahrtskosten der Strassenbahn nicht abgelten wollte.»

Auch wenn Bührle etwas nicht tat, bekommt er dafür von Strehle keine Absolution: «Bührle war klug genug gewesen, nur drei Jahre nach seiner Einbürgerung die «Eingabe der Zweihundert» nicht zu unterzeichnen.»

Besonders ein Dorn im unbestechlichen Auge Strahles sind sozialdemokratische Helfershelfer von Bührle:

«Die SP-Politiker halfen mit, den Waffenindustriellen in Zürich salonfähig zu machen, ähnlich wie ihre späteren Parteigenossen dessen Kunstsammlung allzu unbesehen mit einer eigenen Abteilung im Erweiterungsbau des Kunsthauses adeln würden.

Stadtpräsident Elmar Ledergerber setzt drei Jahrzehnte später die guten Beziehungen seiner Vorgänger zur Bührle-Familie fort und bahnt nach der Jahrtausendwende zusammen mit Walter Kielholz und Kunsthaus-Direktor Christoph Becker die Überführung der Bührle-Sammlung in einen Erweiterungsbau des Kunsthauses an.»

Was stört Strehle genau daran? Ganz zum Schluss lässt er die Katze aus dem Sack: «die zweitwichtigste Sammlung französischer Impressionisten weltweit, aber leider noch nicht unabhängig in ihrer Provenienz erforscht und beschönigend deklariert. Ein Mahnmal der jahrzehntealten Wahlverwandtschaft Emil Georg Bührles mit Zürichs Elite.»

Nichts gegen Vergangenheitsbewältigung und das neuerliche Umwühlen längst vergangener Taten oder Untaten. Nur: gerade Res Strehle wäre gefordert, das endlich einmal in eigener Sache zu tun. In Sachen der eigenen linksradikalen Vergangenheit. Die wurde mehrfach von der «Weltwoche» thematisiert. Aber ausser mit juristischen Massnahmen sah sich Strehle bis heute nicht dazu veranlasst, zu sich selbst Stellung zu nehmen.

Auch seine Haltung in der Vergangenheit war den damaligen Zeiten und Umständen geschuldet, und jeder hat das Recht auf Vergessen und Veränderung. Ausser, er seziert dermassen beckmesserisch die Vergangenheit eines anderen. Zitieren wir einmal anrüchige Aussagen des sich aufs hohe moralische Ross schwingenden Strehle aus anderen Zeiten:

«Im März 1993 etwa verfasste Strehle einen krachenden Nachruf auf die Schweizer Terroristin Barbara Kistler, der selbst der WoZ, die er 1981 mit gegründet hatte, zu weit ging. Die ­Redaktion lehnte die Veröffentlichung ab, auch weil die Einschätzungen offenbar nicht stimmten. Kistler, von Strehle liebevoll «Babs» genannt, hatte sich in der Türkei einer militanten leninistischen Splittergruppe angeschlossen. «Sie ist nicht im Bett gestorben, wie es ihr grösster Horror war», so Strehle, «sondern mit der Waffe in der Hand, wie es ihr Wunsch war.» Mit «der Konsequenz ihres Handelns» habe die Revolutionärin «für viele GenossInnen und FreundInnen einen Massstab gesetzt», schrieb Strehle. Er schloss den pathetischen Aufruf mit dem Guerilla-Gruss: «Barbara presente!» Laut der WOZ-Redaktion hatten zum fraglichen Zeitpunkt allerdings gar keine Kämpfe in dieser Region der Türkei stattgefunden. Doch Strehle liess sich von den Tatsachen nicht beirren: Er warf seinen Kollegen hinterher vor, «jegliche Solidarität» mit der Gewalttäterin vermissen zu lassen.»

Schon zuvor hatte Strehle ein recht lockeres Verhältnis zu Gewalt unter Beweis gestellt, revolutionäre Gewalt, versteht sich: Am 10. Januar 1986 erklärt er den Lesern, warum die portugiesische Terrorgruppe «Volkskräfte des 25. April» (FP-25), die die junge Demokratie – entstanden nach der friedlichen Nelkenrevolution 1974 – abschaffen wollte, mordend und brandschatzend das historisch Notwendige und ­moralisch Richtige tue.

««Revolutionäre Gewalt», so Strehle, sei « die Antwort auf die Repression des Staates, die den Arbeitern zeigen soll, dass es auch andere Formen des Klassenkampfes gibt». Vor «diesem Hintergrund» seien «die militärischen Aktionen der FP-25 zu verstehen: Erschies­sung von Unternehmern, Grossgrundbesitzern, Aktionen gegen die Nato und Geldbeschaffung». Minutiös vermerkt Terrorversteher Strehle eine Liste der Heldentaten, welche die FP-25 verübt hat: «6. 12. 82: Erschiessung des Unternehmers Monteiro Pereira, 19. 10. 83: Anschlag gegen das Arbeitsministerium, 7. 2. 84: Erbeutung von umgerechnet 2 Mio. Franken in Lissabon, 30. 4. 84: Anschlag auf einen Grossgrundbesitzer, 30. 5. 84: Erschiessung des Unternehmers Canha E Sá», und so fort. Das ist längst nicht alles: In der Manier des pflichtbewussten Buchhalters nennt Strehle ein Dutzend weiterer Terrorakte, darunter ein Angriff auf «BRD-Militärs». 

Strehle stimmt zu: Politische Gewalt ist inte­graler Bestandteil des sozialistischen Projekts. «Die Aktivitäten der FP-25 erfolgen nicht isoliert von anderen Formen des Klassenkampfes. Die FP-25 kämpfen für die Zerstörung des kapitalistischen Staates durch eine sozialistische Revolution, die sich in allen Strukturen der Arbeiter durch den lang andauernden täglichen Kampf entwickelt.»

Nun könnte man meinen, dass das halt längst vergangene linksradikale Haltungen eines im Marsch durch die Institutionen geläutert in der Chefredaktion des «Tages-Anzeigers» Angekommenen seien. Aber die alten Reflexe spielten auch noch viele Jahre danach.

Ein verpeiltes «Zentrum für politische Schönheit» wagte 2015 die launige Schlagzeile «Tötet Roger Köppel! Köppel Roger tötet!», das Strassenmagazin «Surprise» druckte diesen Mordaufruf ab und der Tagi-Mitarbeiter Andreas Tobler zeigte Verständnis für diesen «Theatermord», er könne als eine Reaktion auf Köppels Auftritt in der Talkshow «Menschen bei Maischberger» im deutschen Fernsehen «verstanden werden», wo er sich «in gewohnt pointierter Manier» geäussert habe.

Der «Tages-Anzeiger» verstand sich den höchsten journalistischen Standards verpflichtet, denen auch der Autor Tobler nachzuleben hätte. Res Strehle sah damals auf Anfrage in diesem «nachrichtlich und nicht reisserisch aufgemachten Beitrag» keine «journalistische Fehlleistung». Im Übrigen sei seine persönliche Meinung, dass der Mordaufruf «geschmacklos» sei.

Immerhin hatte sich seine Haltung zu Mord und Gewalt in der politischen Auseinandersetzung verändert. Aber über seine eigene Verwicklung mit der linksradikalen Szene in Zürich sagt Strehle bis heute nichts – oder nur Beschönigendes. Was er im Fall Bührles aufs schärfste kritisieren würde, erlaubt er sich selbst.

So wird der Bock, mit oder ohne Velo, zum Gärtner gemacht, werden zwei Massstäbe angelegt, feiert typisch linke Heuchelei, Doppelmoral Urständ.

 

Quellenstudium à la Tagi

Wer war gewalttätig? Erregte Massnahmengegner oder Agents Provocateurs? Tamedia probiert eine neue Methode der Wahrheitsfindung.

Auch Tage nach der Demo vom Donnerstag in Bern gehen die Wogen noch hoch. Wer war gewaltbereit, wer hat am Zaun gerüttelt, wer hat wen provoziert, wer hat eskaliert?

Während sich der SoBli darum kümmert, alles in einen Topf zu schmeissen, von den «Freiheitstrychlern» über Ueli Maurer bis zum Referendumskomitee, das erfolgreich 50’000 Unterschriften gegen das Milliarden-Subventionsgesetz für Medien gesammelt hat, geht Tamedia investigativ auf Spurensuche.

Im ganzen Schlamassel vom Donnerstagabend gibt es zwei Vorfälle und eine Behauptung, die besonders kontrovers dargestellt werden. Haben Gegendemonstranten der sogenannten Antifa-Bewegung gewalttätig versucht, den Demonstrationszug aufzuhalten und dabei einen Sicherheitsmann der Freiheitstrychler «mittelschwer» verletzt, wie die behaupten?

Waren es Demonstrationsteilnehmer oder Provokateure, die solange am Absperrgitter vor dem Bundeshaus rüttelten, bis die Polizei Wasserwerfer einsetzte? Wurde dabei vom Ordnungsdienst der Demonstration deeskalierend eingegriffen oder weggeschaut?

Trifft es schliesslich zu, dass ein «Sturm aufs Bundeshaus» gerade so abgewehrt werden konnte?

Zusammenfassend: Kann man aus all diesen Ereignissen schliessen, dass die «Gewaltbereitschaft» der Massnahmen-Kritiker zunimmt?

Heutzutage wird alles aufgezeichnet und ist digital vorhanden

Angesichts der heutigen Handyvideo-Kultur sollte es doch möglich sein, all die kontrovers dargestellten Vorfälle zu dokumentieren und mit Zeugenaussagen den Ablauf zu rekonstruieren. Eigentlich eine klassische Aufgabe für ein Qualitätsmedium wie die «Berner Zeitung». Oder den «Bund». Oder den «Tages-Anzeiger». Oh, das ist ja alles das Gleiche.

Nein, das war nicht am Donnerstag letzter Woche.

Macht ja nix, die Aufgabe ist klar und lösbar. Wäre. Im Titel des Tamedia-Kurzartikels wird immerhin das Problem adressiert, wie man so schön sagt:

«Nach der eskalierten Corona-Demo in Bern geben prominente Massnahmengegner linken Gegendemonstranten die Schuld für die Gewalt. Daran gibt es jedoch Zweifel.»

Lassen wir die Definition der Begriffe «eskaliert» und «Gewalt» beiseite. Also, wie spielte sich die Auseinandersetzung zwischen Gegendemonstranten der Antifa und den Manifestanten ab? Da kommt nun sicher eine Zusammenfassung der Recherche-Ergebnisse einer Zentralredaktion plus der Doppelpower von immer noch existierenden zwei Lokalredaktionen zu Bern.

So sieht es in Bern aus, wenn Gewalt eskaliert.

Zunächst schildert Christoph Albrecht ausführlich, wie die Massnahmengegner versuchten, «den Spiess umzudrehen» und anderen die Schuld für Eskalationen in die Schuhe zu schieben. Vielleicht etwas länglich, aber gut, wieso nicht. Schliesslich steigert das die Spannung auf die Ergebnisse seiner Eigenrecherche.

Leider wird die Spannung grausam enttäuscht: ««Das «Megafon» lässt an der Darstellung der Massnahmengegner jedenfalls deutliche Zweifel aufkommen. Auf Twitter hat die Zeitung aus der Berner Reitschule die Vorkommnisse vom Donnerstagabend akribisch aufgearbeitet.»

  • Wie bitte?

Lobeshymne im «Schweizer Journalist».

Kann Albrecht (29) noch für sich in Anspruch nehmen, als Kindersoldat im Lokalressort der «Berner Zeitung» mildernde Umstände einzufordern? Das höchsten journalistischen Standards und der Objektivität verpflichtete «Megafon», das Gewaltexzesse jeglicher Art und vor allem um die Reitschule herum immer klar und deutlich verurteilt hat, soll Tamedia die Recherche abgenommen haben? Auf Twitter? «Akribisch»?

Faulpelz Albrecht stört sich nicht einmal daran, dass auf dem «Megafon»-Twitterkanal die Videos über die Auseinandersetzungen zwischen schwarzem Block und Demonstranten bis fast zur Unkenntlichkeit weichgezeichnet oder verpixelt sind. Erkenntniswert, wie auch die Interpretation anderer Aufnahmen: null.

800 Abos, weitgehend anonyme Redaktion.

Man könnte fairerweise sagen, dass es weder für die Behauptung Provokateure noch für den genauen Hergang, der zur Verletzung eines Sicherheitsmannes führte, sachdienliche Hinweise gibt. Auch nicht zur Frage, ob das Sicherheitspersonal wegschaute oder Schlimmeres verhindern wollte.

Das Material ist weder akribisch zusammengestellt, noch aussagekräftig

Klar erwiesen scheint mit diesem Material nur, dass von einem drohenden «Sturm» auf das Bundeshaus nicht im Ansatz die Rede sein kann. Eine Handvoll Chaoten rüttelt am Absperrgitter, wird abgeduscht und verzieht sich. Als Höhepunkt der Gewalteskalation tritt einer sogar dreimal ans Gitter. Mit Anlauf, aber ohne Erfolg.

Ist das alles ein Beleg dafür, dass die «Gewaltbereitschaft» der Demonstranten zugenommen habe? Im Gegenteil, auf der Tonspur hört man immer wieder Rufe, sich ja nicht provozieren zu lassen. Dafür, dass sich eher konservative Manifestanten Aug in Aug mit Schwarzvermummten gegenüberstanden, ging es eigentlich wie bei der Kappeler Milchsuppe zu. Hätte nur noch ein grosser Topf gefehlt.

Aber all das wird überstrahlt von einer Bankrotterklärung des grössten Medienkonzerns der Schweiz. Echt jetzt, das ist alles, was Tamedia zur Aufklärung der Vorfälle beitragen kann? Und das soll eine Steuermilliarde an Zusatzsubventionen wert sein?

Das kann ja wohl nicht Euer Ernst sein, lieber Arthur Rutishauser, lieber Herr Supino.

 

Es darf gelacht werden: Feuer frei!

Knellwolf, übernehmen Sie! Es gibt noch mehr Gefahr, die von dieser Aufforderung zur Gewalt ausgeht.

Alles ist relativ. Ein SVP-Politiker, der sich nicht unbedingt nationaler Bekanntheit erfreut, verwendete in einer rund 100 Nasen umfassenden Chatgruppe den Spruch «Feuer frei!», um zur Gegenwehr gegen eine Forderung des Bundesamts für Gesundheit aufzurufen.

Das zwirbelte das Blatt der sensiblen Gewaltfreiheit zur Coverstory hoch und warnte in insgesamt drei Artikel davor, dass das brandgefährlich sei. Solche virtuellen Aufrufe könnten schnell real missverstanden werden, und dann könnte auf das BAG geschossen werden. Mit echten Kugeln.

Aber Thomas Knellwolf als ehemaliger Recherchier-Journalist hat natürlich nur an der Oberfläche gekratzt. Da wäre zum Beispiel die deutsche Band «Rammstein» mit ihrem Song «Feuer frei!». Schockierend: der wurde alleine auf YouTube bislang rund 140 Millionen (!) Male aufgerufen. Fast 600’000 Fans gaben ihm ein Daumen hoch.

Bitte nicht nachmachen: Videoclip von «Rammstein».

Wenn man sich vergegenwärtigt, was für ein Gewaltpotenzial hier wie Magma unter der Oberfläche brodelt: Knellwolf, es besteht dringlicher Handlungsbedarf. Das ist Faktor 1,4 Millionen mal mehr Gefährdungspotenzial als beim Aufruf zur Gewalt der SVP!

Hemmungslose Feuerorgie auf der Bühne. Ist das noch Kunst?

Es ist ja nicht nur der Schiessbefehl im Titel des Songs, auch das Lied selber enthält genügend Munition, um einem Knellwolf die Schweissperlen der Angst auf die Stirne zu treiben:

Wann fallen die ersten Schüsse, bei diesen Songzeilen?

Es ist bedauerlich, dass man einem so ausgewiesenen Recherchier-Journalisten weitere Fundstücke nachtragen muss:

Ein gut getarnter Aufruf zur Gewalt. Anleitung für Pyromanen.

Zumindest die Webseite im Aufbau könnte noch durch ein beherztes Eingreifen von Tamedia verhindert werden; dass selbst die NZZ, ja gar der Limmattaler mit dem Feuer spielt, ist so bedauerlich wie traurig; es wirft ein Schlaglicht auf den Sittenzerfall in unserer Gesellschaft, der nicht erst gestern begonnen hat.

Vielleicht könnte Tamedia – mit oder ohne Knellwolf – sein Recherche-Desk endlich mal für etwas Konstruktives einsetzen. Statt sinn- und zwecklos gestohlene Geschäftsunterlagen durchzuflöhen und absurd übertriebene Behauptungen aufzustellen, auf welche Abgründe man da wieder gestossen sei, wäre es doch verdienstvoll, der Gewalt im Internet den Kampf anzusagen.

«Feuer frei!» gegen «Feuer frei!», sozusagen. Die Folgen wären so unabsehbar wie segensreich. Endlich würde ein alter Traum wahr, Tamedia würde ein bisschen Frieden in die Welt bringen:

Damit ihr Traum endlich wahr wird …

Denn das bewegende Lied von Nicole ist bislang nur 6,5 Millionen mal aufgerufen und magere 32’000 mal gelikt worden. Das muss besser werden, damit die Welt eine bessere wird.

Alle können noch dazulernen

Aber nicht nur Knellwolf, auch sein oberer Vorgesetzter kann noch dazulernen, wie mehr Friede und weniger Feuer in die Welt kommt. Denn Arthur Rutishauser hat nach zweitägigem, vertieftem Nachdenken herausgefunden, dass eine kindische Karikatur, in der der Kopf seiner Mitarbeiterin Michèle Binswanger in eine Illustration der Hinrichtungen während der Französischen Revolution hineingemecht wurde, eine «Grenzüberschreitung» darstelle. Sogar eine «schwere».

Rutishauser gelangt in seinem mit langer Lunte entstandenen Kommentar zur Schlussfolgerung:

«Besorgniserregend ist, dass mittlerweile ein Teil der politischen Linken so intolerant geworden ist, dass sie auf jeglichen Anstand verzichtet und Volksverhetzung betreibt.»

Bittere und anklagende Worte des Oberchefredaktors von Tamedia. Nur: fällt ihm dieses Phänomen nicht in seinen eigenen Redaktionen auch auf? Existiert da dieser Teil der politischen Linken nicht? Und wenn wir schon dabei sind: kennt man dieses Phänomen bei der politischen Rechten nicht? Zumindest bei einem Teil davon?

Oder nochmal anders: Sind Grenzüberschreitungen in Richtung brunzdumm nicht noch besorgniserregender? Ein paar Knallköpfe aus dem Umfeld der Berner Reitschule werden mit einer Strafanzeige überzogen. Tamedia fällt wie das Jüngste Gericht über einen unbesonnenen Spruch eines SVP-Politikers her, weil der in der SVP ist.

Tiefergelegtes Niveau der Debatte

Allgemeines Wehgeschrei: die da sind ganz böse. Nein, selber böse. Nein, du böse. Nein, du mehr böse. Du Hetzer. Ha, du grosser Hetzer. Ich kein Hetzer, du aber. Ohne die Verwendung des Wortes Hetzer werden so Konflikte im Sandkasten ausgetragen, inklusive Zerstörung von Sandkuchen, Fuchteln mit Schäufelchen oder gar dem Ziehen an Haaren, Kratzen und Beissen, bis die Eltern eingreifen.

Kampfplatz, nach einer aktuellen Debatte …

Auf diesem ärmlichen Niveau ist ein Teil der politischen Debatte angekommen. Begleitet von Dialogverweigerung, Unfähigkeit, mit Kritik oder Gegenargumenten umzugehen. Mit Ballern aus dem Glashaus, aber feigem Wegducken, wenn zurückgeschossen wird. Rechthaberei und Belehrung ist hohl und lachhaft, wenn sie sich nicht der Debatte stellt. Wäffeln ist einfach, argumentieren anspruchsvoll.

Um nicht nur Männerriten und Pseudo-Martialisches wie von Rammstein zu denunzieren: auch die erregten Tamedia-Frauen haben nach ihrem Protestbrief bislang jede Gelegenheit ausgelassen, sich einer Debatte zu stellen. Auch so verzichtet man auf jeden Anstand.

Schiessscharte auf, rausballern, Schiessscharte zu und die Reaktion aussitzen. Das soll dann Erkenntnisgewinn durch Meinungsaustausch und Debatte sein?

 

Lesen kann zu neuen Erkenntnissen führen

Kommt nur drauf an, was. Wir probieren’s wieder mal mit Buchtipps zur aktuellen Lage.

Drogen, Kampf gegen Drogen, Drogenkartelle, die in Lateinamerika, auch in Asien, in Afrika ganze Landstriche, ganze Länder beherrschen. Wer die volle Härte der mexikanischen Drogengangster lesend erfahren will, dem sei die Trilogie von Don Winslow empfohlen. «Tage der Toten», «Das Kartell» und «Jahre des Jägers». Ein Monumentalwerk, an dem Winslow von 2005 bis 2019 gearbeitet hat. So nah an der Realität, wie Bücher nur sein können. So nah, dass es verwundert, dass Winslow noch lebt.

Aber das Schrecklichere lauert immer hinter dem Schrecken – und kann sich gut verstecken. Denn die schlimmste Droge zurzeit heisst «Fentanyl». Noch nie gehört? Schwerer Fehler. Dann sollten Sie unbedingt Ben Westhoffs gleichnamige Reportage darüber lesen. «Neue Drogenkartelle und die tödliche Welle der Opioid-Krise». 264 Seiten, die Ihnen auch das Fürchten lehren werden.

Denn  Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, gehört also zur Familie der Morphine, und wird als Anästhetikum oder Schmerzmittel eingesetzt. Dabei ist es ungefähr 100 mal wirkungsvoller als reines Morphin. Schon die Berührung damit kann tödlich sein; Drogenhunde fallen schon mal tot um, wenn sie es erschnüffeln.

Diese ungeheuerliche Wirkpotenz macht Fentanyl so gefährlich. Schon Dosen im Mikrogrammbereich reichen für den Exitus; wenn es im Drogenhandel gestreckt, aber nur schon ungleichmässig verteilt wird, überlebt der eine, der es schnupft, der andere nicht.

Die Quellen des Fentanyl liegen nicht in Drogenfarmen, sondern in Labors. Und da sich China inzwischen auch auf dem Gebiet der Herstellung von Pharmaka zur Weltmacht Nummer eins aufgeschwungen hat, führen die Spuren der Herstellung und Verteilung über die ganze Welt.

Ben Westhoff, Investigativ-Journalist, ist diesen Spuren nachgegangen. Er schreibt für Rolling Stone, Guardian und auch das Wall Street Journal, über Drogen, Kultur und Armut. Herausgekommen ist das Ergebnis einer insgesamt Jahre umfassenden Recherche, die in den USA wie eine Bombe einschlug, als sie 2019 dort in Buchform veröffentlicht wurde. Auf Deutsch hat sich lediglich der kleine Hirzel-Verlag in Stuttgart darum verdient gemacht, kürzlich die deutsche Übersetzung vorzulegen.

Obwohl Fentanyl die «tödlichste Droge in Amerika» sei, sagt die US-Gesundheitsbehörde. Schlimmer als Crack, Crystal Meth, schlimmer als Heroin und alle anderen verschreibungspflichtigen Schmerzmittel aus der Familie der Opioide. Also lesen, damit man nicht mal wieder sagen kann, man habe von nichts gewusst. Denn das Buch ist bester US-Journalismus: souverän recherchiert, umfassend, und gleichzeitig spannend wie ein Krimi geschrieben. Allerdings ein wahrer Krimi.

Wie halten wir’s mit Gewalt?

Gaza, Israel, Gewalt. Afghanistan: Gewalt. Sprachgewalt, rassistische Gewalt, männliche Gewalt, es gibt kaum einen Begriff, der so inflationär verwendet wird. Nur: was ist Gewalt eigentlich genau? Ist sie nur physisch, gibt es auch strukturelle Gewalt, kann sich Gewalt verkleiden, bleibt aber dennoch Gewalt?

Dietrich Schotte will Klarheit in dieses zu Brei geschlagene Wort bringen; mit seiner «Philosophischen Untersuchung zu einem umstrittenen Begriff». Forschungsergebnisse, Definitionen, welche Kriterien taugen für die Begriffsbestimmung, welche nicht.

Schotte unterrichtet in Leipzig Grundschuldidaktik in Fach Deutsch. Wer dieses kluge methodische, belesene Werk zur Kenntnis nimmt, muss seine Schüler beneiden. Seine Definiton von Gewalt: «absichtliche, schwere Verletzungen von Lebewesen gegen ihren Willen». Von Einzeltätern oder im Rahmen von Institutionen, in «Räumen der Gewalt».

Gleichzeitig spricht sich Schotte gegen die «begriffliche Entgrenzung» aus, also das Wort Gewalt so beliebig zu verwenden wie heutzutage auch Faschist oder Rassist oder Nationalist. Obwohl sich Schotte um einen möglichst einfachen Plauderton bemüht, stellt das Thema selbst gelegentlich durchaus gewisse Anforderungen auch an den Leser.

Aber richtig schwierig wie bei Kant oder Luhmann oder Habermas wird’s hier nie. 263 Seiten, deren Lektüre den Leser bereichert und viel sattelfester im Umgang mit diesem so oft missbrauchten oder instrumentalisierten Wort zurücklässt. Wie das Buch von Westhoff ist Schottes Untersuchung «Was ist Gewalt?» eher geräuschlos bei Klostermann in Frankfurt erschienen, in der Roten Reihe des Verlags. Das war 2020, als alle nur und ausschliesslich ins Mikroskop starrten und lernten, was COVID eigentlich ist.

Aber das wissen wir zumindest inzwischen, wie man den Begriff Gewalt sinnvoll und nicht als Totschlagargument verwendet, das kann man nun wirklich endlich bei Schotte nachlesen.

Wie halten wir’s mit dem Autoritären?

Mit einem weiteren Gummibegriff befasst sich Anne Applebaum: «Die Verlockung des Autoritären». Die US-amerikanische Historikerin mit starken Wurzeln in Polen (ihr Mann ist der ehemalige polnische Aussenminister) geht der Frage nach, wieso nicht nur die Altlinke, sondern auch die neue Rechte so viel Lust auf autoritäre Strukturen hat. Auf einen gewissen Führerkult. Wobei zum Beispiel Donald Trump sicherlich nicht denunzierend mit Adolf Nazi direkt verglichen werden kann. Aber wie viele weitere autoritäre Galionsfiguren eint die beiden, dass sie ja im Wesenskern geradezu lachhafte Kretins sind. Der salbadernde und brüllende Hitler, der jeder Differenzierung abholde Trump, der niemals einsehen wird, dass die Welt nicht nur aus Siegern oder Verlierern besteht, und dass er nur meint, ein Sieger zu sein.

Applebaum definiert den Anhänger des Autoritären als Anti-Demokraten, sie fragt sich, wieso dieser Wunsch nach autoritären Strukturen, der Europa im letzten Jahrhundert zweimal in den Abgrund geführt hat, immer wieder aufs Neue Anhänger findet. Quer durch Gesellschaftsschichten, ideologischen Ausrichtungen, unabhängig vom verniedlichenden Vokabular, das dabei verwendet wird.

Sie denkt auch über die willigen Helfershelfer in den Medien und in all den Beraterscharen nach. Vielleicht fehlt Applebaum etwas der ganz grosse philosophisch-historische Rucksack, um hier ein neues Standardwerk zu diesem Thema vorzulegen. Es sind andererseits auch nur 208 Seiten, die sie in einer gefälligen Mischung aus eigenem Erleben und Überlegungen füllt.

Besonders erwähnenswert ist, dass sich hier jemand zwischen alle Stühle setzt, keinesfalls den Fehler macht, innerhalb einer Gesinnungsblase nach Luft zu schnappen. Applebaum, obwohl sie natürlich eine Position hat – wie jeder denkende Mensch –, ist dennoch bereit, sich auf die Wirklichkeit, die Wirklichkeiten einzulassen. Also ein sehr gutes Gegenbeispiel zu all den leider immer mehr Platz beanspruchenden Lagerdenkern, die meinen, es sei Erkenntnisgewinn erzielt worden, wenn man mit den ewig gleichen Totschlagargumenten die ewig gleichen Gegenargumente niederzumachen versucht.

Was für ein stinklangweiliger Pipifax das ist, wenn in der «Republik», auch im «Nebelspalter», in der «Weltwoche», der WoZ, aber auch in der NZZ oder im Tagi wieder und wieder die Befriedigung der Vorurteile der eigenen Klientel viel wichtiger ist als der Versuch, zur fortschreitenden Erkenntnis etwas beizutragen.

Um dieses Elend wirklich zu erfassen, alleine dafür lohnt sich bereits die Lektüre dieses etwas lang geratenen Essays von Applebaum. Erschienen im Siedler-Verlag und immerhin dasjenige der drei hier vorgestellten Bücher, das am meisten Resonanz erfahren durfte.