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Ins Glied zurück

Stühletausch bei «20 Minuten». Das ist originell.

Erinnert sich noch jemand, dass es mal ein Protestschreiben von 78 erregten Tamedia-Frauen gab, die sich über unerträgliche Arbeitsbedingungen, demotivierende männliche Kollegen, Sexismus und Diskriminierung beklagten?

Dazu behaupteten sie über 60 anonymisierte und nicht verifizierbare Vorfälle. Ist schon ein Weilchen her, und ausser grossem Geschrei ist nichts davon geblieben. Nur eine der Initiatorinnen machte eine Art Karriere, die andere leidet weiterhin unter diesen schlimmen Zuständen.

Gibt es denn gar keinen Lichtblick? Einige Frauen sind so weit nach oben befördert worden, dass ihre Inkompetenz ein abschreckendes Beispiel für jede Frauenförderung darstellt. Einige männliche Mitarbeiter haben das Haus verlassen, weil sie sicher waren, dass sie für eine weitere Karriere schlichtweg das falsche Gehänge zwischen den Beinen hatten.

Unserer Kenntnis nach ist bislang kein cleverer Tamedia-Journalist auf die Idee gekommen, mit einer schlichten Geschlechtsumwandlung (natürlich nur auf dem Papier) seine Chancen zu steigern.

Dass die meisten in führende Positionen berufene Frauen keinerlei Spuren in ihrer neuen Position hinterlassen – ausser bedenklich dummen Kommentaren –, das ist halt Schicksal.

Aber das leserstärkste Organ im Haus setzt nun ganz neue Zeichen. ZACKBUM ist kein vergleichbarer Vorgang im Journalismus bekannt. Der langjährige Chefredaktor von «20 Minuten», Gaudenz Looser, tritt zurück.

Für ihn rückt seine Stellvertreterin Desirée Pomper nach. Bis hierher ist das ein nicht ungewöhnlicher Vorgang. Looser war etwas mehr als drei Jahre auf dem Chefposten des Pendlerblatts und hat es in dieser Zeit geschafft, sowohl die Publikation wie sich selbst skandalfrei und geräuschlos am Laufen zu halten.

Letzten Sommer gab es allerdings etwas Wirbel um einen Post auf Social Media, der offensichtlich von einer sich in einer Lebenskrise befindlichen Person stammte und Looser als Chef anschwärzte. Nachdem sich Verlag, Geschäfts- und Redaktionsleitung ohne Wenn und Aber hinter Looser stellten, verröchelte dieser sogenannte «Eklat» so schnell, wie er entstanden war.

Dass Looser das nicht ganz stressfreie Amt nach relativ kurzer Verweildauer aufgibt, mag persönliche Gründe haben. Was er aber als nächsten Karriereschritt unternimmt, damit betritt er eindeutig Neuland. Er wird nämlich Stellvertreter seiner vormaligen Stellvertreterin.

Richtig gelesen, Pomper erklimmt die nächste Stufe der Karriereleiter und wird Chefin. Looser hingegen steigt nicht aus dem Karussell aus und sucht sich auch nicht einen anderen Chefposten. Sondern er wechselt einfach zu einem etwas kleineren Schreibtisch, der ihm durchaus vertraut ist.

Nun wird natürlich gemutmasst und gerätselt, ob das überhaupt gehe. Kann ein Chef zum Untergebenen werden, eine Untergebene zu dessen Chefin? Verträgt das das Ego des Ex-Chefs? Kommt damit die Ex-Stellvertreterin klar?

Im Interview mit persönlich.com sagt Looser, dass dieser Wechsel auf seine Initiative hin erfolge; die Zeit sei dafür reif. Im Doppelinterview bestehen beide darauf, dass ein solcher Rollenwechsel funktioniere, wenn das Verhältnis von gegenseitigem Respekt geprägt sei, und der sei hier vorhanden.

Über die wahren Gründe könnte nur spekuliert werden, daher ist es sinnlos. Es ist höchstens vorstellbar, dass der Job, allen Mitarbeitern ihre Lieblingsbeschäftigung zu verbieten, auf die Dauer anstrengend werden kann. Denn die Lieblingsbeschäftigung des modernen Journalisten besteht bekanntlich darin, zu allem und jedem seinen Senf zu geben. Zu kommentiere, zu räsonieren, zu warnen, aufzufordern, zu verurteilen und zu loben.

All das gibt es bei «20 Minuten» nicht. Das wichtigste Körperteil jedes Journalisten, sein Ego, muss hier hinter der Sache, nämlich der Newsvermittlung, zurückstehen. Das verträgt natürlich nicht jeder. Und immer der Mister No zu sein, das kann natürlich ermüden.

Oder aber, es ist tatsächlich eine originelle Methode der Frauenförderung. Schon alleine die Tatsache, dass nun diverse Chefredaktoren zusammenzucken, die sich als feministisches Feigenblatt eine Stellvertreterin halten, ist natürlich den Spass wert.

Von den Oberchefredaktoren Rutishauser, Müller und Dorer abwärts könnte man nun doch den Lippenbekenntnissen für eine Frauenförderung Taten folgen lassen. Die Männer treten ins Glied zurück (Pardon), Stellvertreterinnen übernehmen.

ZACKBUM findet: wer ein reines Frauenticket für den Bundesrat als obligatorisch erklärt, muss diese wohlfeile Forderung durch ein knallhartes Ultimatum in eigener Sache ergänzen.

Vorläufig zieht ZACKBUM den Hut vor Looser; er gewinnt auf jeden Fall den ersten Preis im Wettbewerb  «wer macht den originellsten Karriereschritt?». Wie nachhaltig diese Aktion ist, man wird’s erleben.

Finger weg von Frauen!

Eigentlich müsste jeder Arbeitgeber nur noch Männer einstellen.

Spätestens seit «#metoo» können Frauen auf den roten Knopf drücken und eine Atombombe zünden. Aus der Explosion regnen Wörter wie «Sexismus», «Diskriminierung», «Machos», «Übergriff», «Anzüglichkeiten», «Anmache», «Belästigung», «Männersolidarität» und viele mehr.

In der Schweiz waren 78 erregte Mitarbeiterinnen von Tamedia federführend, um diese Thematik an die Öffentlichkeit zu bringen. Sie beschwerten sich angeblich für den internen Gebrauch über unerträgliche und demotivierende Arbeitsbedingungen auf den Redaktionen. Als Beweis führten sie mehr als 60 «Beispiele» an. Alle anonymisiert, ohne konkrete Zeit- oder Ortsangabe.

Die Geschäftsleitung kroch zu Kreuze, der Oberchefredaktor Arthur Rutishauser entschuldigte sich präventiv, man räumte ein, hier ein Problem zu haben. Man wolle auch allen Vorwürfen mittels einer externen Untersuchung nachgehen. Zudem versprach Tamedia, zukünftig auf allen Hierarchiestufen einen Frauenanteil von 40 Prozent anzustreben.

Mehr als ein Jahr später sieht die Bilanz so aus: eine der beiden Rädelsführerinnen des Protests suchte das Weite. Kein einziger Vorwurf liess sich erhärten. Die Untersuchung wurde still beerdigt. Eine ganze Reihe männlicher Mitarbeiter verliess Tamedia, weil sie keine Karrierechancen mehr sahen – falsches Geschlecht.

Seit dem «Aufschrei» wird immer wieder mit dieser Atombombe gedroht. Intern und auch öffentlich. Kein Vorgesetzter, der noch alle Tassen im Schrank hat, schliesst die Bürotüre, wenn er weiblichen Besuch hat. Jeder Vorgesetzte weiss, dass er mit einer inhaltlichen Kritik («unbrauchbarer Artikel») bei einer Autorin Gefahr läuft, mit der Sexismuskeule eins übergebraten zu bekommen.

Der Leser badet in Schweissperlen der Angst

Schweissperlen dieser Angst begegnet man immer häufiger in den Medien. Schlechte, übel geschriebene, stinklangweilige, sich mit Genderfragen beschäftigende Artikel, die eigentlich in der Qualitätskontrolle hätten hängenbleiben sollen. Aber eben, Schadensverursacher ist eine Autorin.

Die Rädelsführerin des Tamedia-Gekeifes schreibt inzwischen ihre Schulaufsätze im Schweiz-Split der «Zeit». Kein Autor mit Pimmel käme mit einem solchen Textanfang durch: «Wenn ich an meinen Nonno denke, denke ich an seine Liebe zu Vögeln. Und an seine Hände. Sie waren klein, kräftig, braun gebrannt und ständig in Bewegung. Wie zwei Spatzen, die fliegen wollen und nicht fortkommen.» Man muss noch hinzufügen, dass die Autorin sich bereits an ihrem Vater abgearbeitet hat, nun ist der Grossvater dran. Wir warten auf Mutter und Grossmutter.

Einen besonders widerwärtigen Höhepunkt erreicht die Verwendung der Sexismuskeule gerade bei «20 Minuten». Das Unglück begann, als eine Julia Panknin im Mai 2022 zur «Leiterin strategische Projekte» ernannt wurde. «Stabstelle, can do attitude», feiert sie sich bis heute auf Linkedin ab. Und noch am 27. Juni gibt der Verlagsleiter von «20 Minuten» eine hymnische «Empfehlung» ab: «Julia Panknin ist eine hervorragend ausgebildete, vielseitige und pragmatische Macherin.»

Call me panic, don’t call me Maschine

War. Denn aus heiterem Himmel tauchte auf Instagram eine Julia auf, die sich den Namen «call-me-panic» gegeben hatte. Sie sei «Maschine» oder «Wunderwaffe» genannt worden, habe «fast ein Jahrzehnt close» für ihren Chef gearbeitet, der sie auch kräftig gefördert habe. Ihm verdanke sie «meinen schnellen Weg nach oben», aber, oh Schreck, auch eine «fette Lebenskrise inkl. Erschöpfungsdepression».

Denn sie habe entdeckt, dass sie ein Mensch sei, keine Maschine. Obwohl sie sich nur mit Julia outet, ist angesichts des Fotos und auch dank der Erwähnung der angeblichen Aussage einer «Therapeutin» klar, um wen es sich handelt. Und obwohl sie keine Namen nennt, ist auch klar, dass der unmenschliche Chef und Förderer der Chefredaktor von «20 Minuten» sei.

Haben wir einen Fall «Bild«-Reichelt in der Schweiz?

Was ist denn geschehen? Er habe sie an einer Sitzung desavouiert und, Gipfel der Grausamkeit, im Lift nicht mehr gegrüsst. Da sei ihr kein anderer Ausweg mehr geblieben als sich in eine Therapie zu begeben. Ach, und mit all diesen Anschuldigungen an die Öffentlichkeit zu gehen.

Gefundenes Fressen für ein kleines Branchenportal, fleissig abgeschrieben von Beni Frenkel im sonst nicht so klatschsüchtigen «Inside Paradeplatz». Die Story wurde dann gleich noch hochgezwirbelt. Gaudenz Looser sei sofort beurlaubt worden, ob er an seine Stelle zurückkehre, sei ungewiss, es herrsche grosse Nervosität in der Chefetage von «20 Minuten», intern werde untersucht, ob es zu unerlaubten Übergriffen gekommen sei. So blühte die Fantasie, bis sich die Rechtsabteilung von Tamedia räusperte und solch wilde Tagträume wieder gestrichen werden mussten.

Feuchte Träume gegen trockene Tatsachen

Looser ist längst wieder am Gerät, es gebe keine «Untersuchung» gegen ihn, und überhaupt: «Richtig ist, dass Gaudenz Looser aus gesundheitlichen Gründen gemäss eigener Entscheidung zwei Tage der Arbeit fernblieb und seit Mittwoch seine Aufgabe wieder wahrnimmt. Es läuft keine Untersuchung gegen ihn oder sonst jemanden, und es stehen keine Vorwürfe betreffend ‹Intimität› im Raum.»

Marcel Kohler, der Geschäftsführer von «20 Minuten» und Kummer mit falscher Gerüchtebildung durch hyperventilierende Journalisten mit und ohne Bart gewohnt, fügte gegenüber persoenlich.com hinzu: «Die Geschäftsleitung sowie die Redaktionsleitung stehen voll und ganz hinter Gaudenz Looser.»

Der Verleumdungspost auf Instagram ist inzwischen auch verschwunden. Es ist eine asymmetrische Kriegsführung. Denn weder Looser noch der Verlag können sich gegen solche Anwürfe richtig zur Wehr setzen. Persönlichkeitsschutz, rechtliche Gründe verhindern, sofort richtigzustellen.

Also bleibt zumindest vorläufig an Looser kleben: da war doch mal was mit einer Untergebenen. Da ist doch wohl was gelaufen, und dann ging das schief. Typisch, männlicher Vorgesetzter übersteht’s, Männersolidarität von oben, das weibliche Opfer muss in Therapie, will aber nicht schweigen.

Dann eine japsende Journaille, die selbst ein Hühnchen mit Looser zu rupfen und keinen Ruf mehr zu verlieren hat, die das Ganze noch mit Fake News anreichert. Schadensbilanz: Die weitere Karriere von Panknin dürfte damit erledigt sein; wer will schon so jemanden einstellen. Verträgt keinen Druck und rächt sich dann erst noch öffentlich. Looser wird seine Karriere als Frauenförderer schwer überdenken und kriegt diesen Schmutzfleck nicht so schnell weg. Zwei Medienportale haben sich ohne Not lächerlich gemacht.

Schlussfolgerung: Verlage, stellt nur noch männliche Mitarbeiter ein. Dann gibt’s zwar Hahnenkämpfe, aber nicht so was.

20min will sauber kommentieren

Überraschung. Vor dem Kommentieren steht nun das Registrieren.

Eine Ansage von der reichweitenstärksten Zeitung der Schweiz: «Kommentieren geht nur noch mit Login». Damit solle Schluss sein mit «anonymen, deplatzierten Aussagen».

Ansage mit Werbefilmchen für Vollblöde.

Wunderbar, schon ist das Internet wieder ein Stück sauberer und anständiger geworden. Oder nicht? Wohl eher nicht. Vor Kurzem erst versuchte die schreibende Sparmassnahmen der NZZaS, «20 Minuten» über die dortigen Kommentare an den Karren zu fahren. Pensionär Felix E. Müller holte die Faschismus-Keule hervor. Bei der Konkurrenz hätten sich mal wieder in den Kommentarspalten die Nazi-Vergleiche gehäuft; verwendet vor allem von Kritikern der Corona-Politik.

Schliesslich habe sich der Chefredaktor von «20 Minuten» veranlasst gesehen, dazu «Stellung zu nehmen», fabuliert Müller. Das sei aber gründlich in die Hose gegangen. Stimmte zwar nicht, und «20 Minuten»-Chefredaktor Gaudenz Looser holte im Dialog mit einem Vertreter der jüdischen Gemeinde in der Schweiz weit aus, um Notwendigkeit und Grenzen eines lebhaften Austauschs in den Kommentarspalten zu verteidigen:

«Wir machen das Kommentar-Management heute viel besser und aufwändiger als früher, wir haben ein geschultes Freischalterteam, das von einem eigenen Ressort eng betreut wird.»

Aber trotz all diesem Pipapoh scheinen die rund 10’000 Kommentare, die täglich einlaufen, das Freischalterteam zu überfordern. So wurde geradezu zackbum mit Wirkung sofort bekannt gegeben: «Die Einführung der Login-Pflicht für Kommentare hat zum Ziel, einen angeregten Austausch zwischen den Kommentarschreibenden in anständiger Tonalität zu ermöglichen.»

Endlich anständige Debatten in den Kommentaren?

Wenn das das Ziel sein soll, logischer Umkehrschluss, war das bis anhin nicht möglich. Nun muss man als mildernden Umstand anführen, dass das Kontrollieren von massenhaft Kommentaren zu den unappetitlicheren Aufgaben im Internet gehört. Je nach Thema und Stimmungslage müssen bis zur Hälfte aller Einsendungen in den Orkus befördert werden.

Denn früher musste sich der Kommentarschreiber die Mühe machen, ein Blatt Papier in die Schreibmaschine einzuspannen, darauf zu tippen: «Sie rechts-/linksradikales Arschloch, Sie haben doch keine Ahnung, Sie verdammter Trottel, wir werden Ihnen eins in die Fresse hauen; ein besorgter Bürger», das anschliessend eintüten, frankieren, adressieren und auf den Weg zu bringen, wobei es unweigerlich im Abfall landete.

Heutzutage kann sich der gleiche Amok eine Gratis-E-Mail zulegen und lospoltern. Verstösst er dabei gegen Regeln des Anstands oder des Strafgesetzbuchs, muss er normalerweise nicht viel befürchten, wenn er auch nur über rudimentäre Kenntnisse verfügt, die IP-Adresse seines Computers zu verschleiern.

Anpreisungen wie früher auf einer Kaffeefahrt.

Dementsprechend tiefergelegt sind viele Debatten, die Kommentatoren verbeissen sich schnell ineinander, führen Privatfehden, kommen meilenweit vom Thema ab und unweigerlich hagelt es Nazi-Vergleiche, früher oder später. Amoks krähen schnell «Zensur», pochen auf Meinungsfreiheit, und häufig gleicht eine Kommentarspalte einer Wirtshausschlägerei zu vorangeschrittener Nachtstunde, inklusive Lallen und Beschädigung des Inventars.

Nach 576 Kommentaren wurde hier abgeklemmt; geschlossen.

Hört sich toll an, ist es aber weniger

Allerdings lässt diese Massnahme von «20 Minuten» doch einige Fragen offen. Wir haben spasseshalber den Anmeldungsprozess durchexerziert. Wer in der Lage ist, eine neue Hotmail-Adresse zu generieren, ist als Peter Meier, Nickname Poltergeist, weiterhin problemlos dabei. Was könnte ihn neuerdings daran hindern, weiterhin zu rempeln: «Die Versager im Bundesrat sollten alle verhaftet werden»?

Kein Problem, dann weiter im Text …

Nicht mehr und nicht weniger, als ihn vorher daran hinderte, hindert nun. Also muss man die Massnahme wohl so verstehen, dass schon eine gewisse Prozentzahl von «20Min»-Lesern an der Hürde des Registrierprozesses scheitern wird. Ein anderer Prozentsatz wird vielleicht kurz zusammenzucken, ob «du blödes Arschloch», gekeift aus dem sicheren Schutz der Anonymität, nun auf ihn zurückfallen könnte.

Chefredaktor Looser nimmt exklusiv Stellung

Looser verteidigt die Massnahme auf Anfrage von ZACKBUM: «Algorithmen und Kontrolle sind nie perfekt und werden es auch künftig nie sein. Aber die Loginpflicht ist eines von vielen Elementen in unserer Qualitätssicherungsoffensive.» Die Massnahme sei schon Anfang dieses Jahres geplant gewesen, aber «es gab dann technische Issues mit der Login-Verknüpfung».

Wieso soll denn ein solches Registrieren mehr Anstand bewirken? «Weil den Kommentierenden bewusster ist, dass sie nicht anonym sind. Unangebrachte Inhalte können so auch leichter juristische Folgen haben.» Und möglicherweise weniger Traffic? «Das nehmen wir in Kauf.

Eine tiefere Anzahl Kommentare erlaubt uns eine bessere Kontrolle. Der Anteil der Kommentare, die wegen Kapazitätsgrenzen nicht manuell freigeschaltet werden können, dürfte damit sinken.»

Wie aber bspw. der Amok-Journalist Reda El Arbi beweist, muss man kein Halbanalphabet und Volltrottel sein, um mit Kommentaren in den strafrechtlichen Bereich zu gelangen.

Abschreckendes Beispiel? Reda El Arbi.

Es gibt wohl eine Grenze, an der alle Versuche scheitern, etwas Anstand und Benehmen in die Welt der Kommentare und der Social Media zu bringen. Aber beim zunehmenden Sittenzerfall ist jede Massnahme zu begrüssen.

Noten (und Stress) für Journalisten

Bei 20Minuten findet sofort eine Beurteilung durch die Leser statt. Recherchetexte haben es darum schwerer.

Däumchen hoch oder runter am Ende eines Online-Artikels kennt man. Auffällig ist jedoch, wie 20 Minuten noch einen Schritt weitergeht und um eine vertiefte, qualitative Einschätzung der Artikel bittet. Als Beispiel ein Recherche-Artikel von Lukas Hausendorf im Regionalteil von 20 Minuten. Journalistisch durchaus sauber nimmt Hausendorf den wie erwartet einseitig geschriebenen Weltwoche-Artikel von Christoph Mörgeli (ex-SVP-Nationalrat) auf. Es geht um angebliche Gelage von Stadtbasler Regierungsräten und um das Negieren von Coronavorgaben. Hausendorf, immerhin schon 13 Jahre bei 20 Minuten, fragt nach beim Regierungssprecher und relativiert danach Mörgelis Geschichte. Es sei eine «normale» Sitzung im Bundesrats-Standard (also mit weit auseinander stehenden Pulten) gewesen, nachher ein leichter Zmittag am Platz und ohne Anstossen. Nicht gerade eine aufregende Story für Wutbürger, Staatskritiker und sonstige Nörgler. Entsprechend durchzogen dann das Feedback der 20-Minuten-Leser auf den Hausendorf-Text. Drei Fragen gab es zu beantworten am Textschluss:

  1. Das Thema ist wichtig.
  2. Der Artikel ist informativ.
  3. Der Artikel ist ausgewogen.

Immerhin gegen 1000 Leserinnen und Leser machten mit.

Auch eine Feedbackkultur: Der Leser kann sofort sagen, was er vom Text hält. 

Waren bei Frage 1 noch gut 55% aufseiten des 20-Minuten-Autors, klickten bei Frage 2 schon 62% auf nein, bei Frage 3 gar 69%. Fazit: eine eher unaufgeregte Recherche, die Christoph Mörgelis Thesenjournalismus transparent macht, schiffte bei den Lesern ziemlich ab. Für Lukas Hausendorf wohl eher ein Frust, für Chefredaktor Gaudenz Looser ein Fingerzeig. Der 20Minuten-Leser will Aufreger, keine ausgewogenen Artikel. Und schon gar keine SVP-Rügen.

Geheime Tipps für noch mehr Klicks

Der Titel ist schon mal Bauernfängerei. Und nun kommt noch der Sex ins Spiel.

Fragen im Titel? Das, wurde einem früher eingebläut, geht im Journalismus gar nicht. Man soll nicht werweissen, sondern informieren. Doch im Online-Journalismus gilt diese eiserne Regel nicht mehr. Denn ein klarer Titel verführt weniger zum Klicken. Und Klicks – Visits – bedeuten mehr Werbung. Gaudenz Looser, Chefredaktor von «20 Minuten», weiss, wie das geht. Wer unter ihm arbeitet, kann ein Lied davon singen. Der Titel muss sitzen und der kurze Text sofort reinziehen. Ein immer noch treffender Artikel in der NZZ am Sonntag (März 2020, hinter Bezahlschranke) bringt das auf den Punkt. Der Druck sei hoch, es gebe interne Rankings, ein Video müsse bei jedem Ausrücken her, wenn es pressiere, schreibe man ein Zitat und frage bei den Politikern, ob das so ok sei. Den letzten Vorwurf wies Looser vehement zurück. Auch die anderen Beispiele hielt Looser für realitätsfremd, «da sie von anonymen Quellen stammen». Nur, wer in der Schweiz offen Kritik übt am System, hat es schwierig im Medienkuchen. Wenn Klicks so sehr zählen, schreibt man entsprechend. Sex geht immer, Fragen im Titel sind bald Standard.

Clever ist hier der «Blick», der eine gute alte Publireportage fast schon als Investigativ-Text aufmacht. Und dann 5000 Zeichen darüber bringt, wie verantwortungsvoll Philip Morris doch ist.

«20 Minuten» lässt oft im Titel und im Lead die Katze nicht aus dem Sack. Man wird aber gwundrig und schon hat man geklickt. Drei schöne Beispiele hier:

Natürlich und wie gesagt. Sex geht immer. Auch wenn der Teaser-Text (vom Dienstagmittag) leicht überholt daherkommt: «Neben Boutiquebesitzern und Restaurantinhabern haben sich Single-Frauen wohl am meisten auf die Lockerung des Lockdowns gefreut. Jetzt kann das Sexdating endlich wieder losgehen.»  Da kann ZACKBUM.ch nur sagen: schlechte Qualitätskontrolle bei 20 Minuten.

Auch nicht schlecht ist die Masche mit den Listicles, auch wenn dieser Trend eher wieder abzuebben scheint. Die «Du-Form» geht natürlich nur bei «20 Minuten». König der Listen (und der Katzenbilder) ist aber eigentlich das Millionengrab watson.ch. Aber davon ein andermal.

«Keystone-SDA ist nicht mehr zeitgemäss»

Der 20-Minuten-Chef über die Gründe, warum man Keystone-SDA den Rücken kehrt.

«Keystone-SDA bietet ein zu breites Angebot, dass für uns zu wenig unverwechselbar ist», sagt Gaudenz Looser im Medientalk. Salvador Atasoy hat den Wechsel, über den ZACKBUM.ch zuerst berichtet hat, zum Hauptthema der aktuellen SRF-Sendung gemacht. Leicht ehrfürchtig listet Atasoy auf, dass Keystone-SDA jeden Tag mehrere 100 Meldungen erstelle. «Das sorgt für ein Grundrauschen an Infos», so Attasoy. Die Agentur helfe, den Überblick zu bewahren. Gefühlt ist Keystone-SDA in jeder zweiten der monatlich ausgestrahlten Sendungen Hauptthema. Das wohl darum, weil SRF (neben Ringier) der letzte treue Gross-Kunde ist.

Doch für Looser, seit 2019 Chefredaktor von 20Minuten, ist klar: Wirtschaftlich sei es nicht attraktiv, wenn das Gleiche auf anderen Portalen wie Blick und Watson auch zu lesen sei. «Wir müssen uns besser unterscheiden. Der Konsument merkt das, wenn wir das gleiche bringen wie die anderen». Finanziell lohne sich das nicht.

Nun baut 20Minuten selber ein Team auf. «Bemerkenswert ist, dass wir damit Stellen schaffen statt abbauen» findet Looser. Dass so Keystone-SDA in ernste Gefahr kommt, davon später. Looser ist überzeugt: «Online stellt das Prinzip der Agenturen in Frage. Dazu kommt das Tempo.» Seit acht bis zehn Jahren ist Keystone-SDA nicht mehr am schnellsten.» Auf Twitter erfährt man wichtige Dinge 20 Minuten früher», so Looser. Und wenn etwas in Randregionen passiert? Wie weiss 20Minuten davon? Looser zählt auf seine «sehr aktiven Leser, die Ereignisse rasch rapportieren». Zudem sei 20Minuten das einzige nationale Medium neben SRF. 20Minuten hat Redaktionen in Gebieten wie St. Gallen und Luzern, daneben auch in Lugano und in Genf.

Nun rekrutiert 20Minuten 20 neue Leute für die interne Nachrichtenagentur. Sie stellen die Agenda sicher, etwas, was bis jetzt Keystone-SDA geliefert hat. Sprich: Was findet wann wo statt. Dazu kommt auch ein eigenes Fototeam, das nicht nur fotografiert, sondern auch filmt. 20Minuten-VJ’s also.

Interessant ist, dass 20Minuten grundsätzlich nicht mit Tamedia zusammenarbeitet. «Es gibt keinen gemeinsamen News-Desk», so Looser. Das macht unternehmerisch durchaus Sinn, denn 20Minuten und Tamedia sind innerhalb der TX Group eigenständige Unternehmenszweige. Ebenfalls will man nicht mit anderen Medien, etwa CHMedia, zusammenarbeiten. «Dann hätten wir ja wieder dieselben Inhalte wie andere Medien» findet Looser.

Eine spezielle Randbemerkung: Looser bestätigt, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen animiert werden, Fotos zu schiessen und so einen Grundstock an Symbolbildern anzuhäufen. Denn auch das Fotoarchiv von Keystone-SDA fällt weg. Ob damit die hohe Fotoqualität gehalten wird, ist eine andere Frage.

Aktuell halten Ringier und SRF am Angebot von Keystone-SDA fest. Der Walliser Bote etwa wechselt aber zum neuen Agentur-Angebot von CHMedia.

Und was sagt Keystone-SDA zum spürbaren Aderlass?

Die Lösung scheinen laut Salvador Atasoy Subventionen zu sein. Bekommt die Agentur aktuell 2 Millionen Franken vom Staat, sollen es ab 2021 gar 4 Millionen sein. Doch dazu soll die heutige AG in eine Stiftung überführt werden. So soll verhindert werden, dass allfällige Staatsgelder als Gewinne oder Dividenden abfliessen. Wie weit die Gespräche im Verwaltungsrat gediehen sind, darüber will COO Jann Jenatsch nichts sagen. Erschwerend ist, dass mit APA eine Österreichische Firma 30% der Aktien hält. Diese hat wenig Interesse, künftig auf eine Gewinnorientierung zu verzichten.

Jenatsch: «APA stieg als Technologiepartner ein. Jetzt werden Diskussionen geführt». Zur Dauer der Verhandlungen kann oder will Jenatsch ebenfalls wenig sagen. «Wir sind mit der Politik unterwegs. Das dauert. Es braucht einen langen Atem und eine gute Fokussierung».

Finanziell sieht es eher beunruhigend aus. Dabei hoffte man, dass massivem Stellenabbau bei Keystone-SDA sei etwas Ruhe eingekehrt. Das scheint nicht der Fall zu sein, so die Einschätzung von Salvador Atasoy.

Laut Jann Jenatsch ist man momentan dabei, eine Leistungsvereinbarung mit dem BAKOM abzuschliessen. Daran geknüpft ist dann der Geldsegen von 4 Millionen pro Jahr. «Wir sollten die Vereinbarung in diesen Tagen unterschrieben zurückbekommen», so Jenatsch am vergangenen Samstag im Medientalk. «Damit soll die Leistung aufrecht gehalten bleiben». Aber auch mit 4 Millionen reiche das Budget nicht ganz. Weitere Einsparungen seien nötig. Keine Frage: 2021 wird ein schwieriges Medienjahr. Doch vielleicht muss Keystone-SDA doch weniger darben als andere Medienhäuser, die keine oder weniger Staatsgelder bekommen. Dort geht’s ans Existenzielle.

 

 

 

 

«20 Minuten» steigt bei Keystone-SDA aus

Die Nachrichtenagentur verliert Grosskunden bereits ab 2021

Für Keystone-SDA wird es langsam knapp. Letzte Woche erst wurde bekannt, dass CH Media ab kommendem Jahr eine eigene Sportagentur gründet und sämtliche Verträge mit Keystone-SDA kündigt. Am Mittwoch bestätigte Gaudenz Looser, Chefredaktor «20 Minuten», auf Anfrage von ZACKBUM.ch, dass auch die Pendlerzeitung inskünftig auf die Dienstleistungen der Agentur verzichten werde: «Wir steigen per Ende Jahr aus Text und Bild aus.»

Trotz dieses Aderlasses darf die Agentur nächstes Jahr mit einer Finanzhilfe des Bundesrates von bis zu 4 Millionen Franken rechnen.  Ein Sprecher des Bundesamts für Kommunikation teilte Zackbum.ch mit, dass die Finanzhilfe unabhängig von der Zahl der Kunden sei: «Für die Leistungsvereinbarung und die Entschädigung spielt die Zahl der Bezüger keine Rolle.»

Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA schrieb auf Anfrage, dass «die Verhandlungen mit den Kunden noch laufen.» Offen ist auch, ob noch andere Titel der TX Group die Agentur verlassen werden.