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Was muss, das muss

Never say never again. Aber ZACKBUM wird stark bleiben.

Dass auch angesehene Zeitungen auf den Hund kommen können, wenn sie die falschen Mitarbeiterinnen beschäftigen, beweist die ehrwürdige deutsche «Zeit». Das Blatt, mit dem man sich problemlos zudecken kann, hat einen Gastbeitrag veröffentlicht.Das ist erlaubt. Es strotzt nur so vor Dummheit, falschen Behauptungen und widersinnigen Schlussfolgerungen. Das müsste verboten sein.

Er stammt von einer Schreiberin, deren Namen wir hier nie mehr erwähnen wollen. Sie liefert dafür einen weiteren Grund, obwohl das nicht nötig gewesen wäre.

Ihre Schlusspointe lautet:

«Die Schweiz wird dann frei sein, wenn Europa ihre Heimat wird.»

Nehmen wir diesen hirnlosen Satz unter die Lupe. Er beinhaltet, dass die Schweiz zurzeit nicht frei ist, also unfrei. Wenn das die Eidgenossen wüssten. Werden sie etwa diktatorisch in Knechtschaft gehalten? Wo ist der Schweizer Putin versteckt? Sind Initiativen und Referenden abgeschafft; Instrumente, die auch die Autorin gerne benutzt?

Und was heisst «Heimat Europa»? Ist damit die EU gemeint? Ein undemokratische Monster, in dem in Dunkelkammern politische Entscheidungen getroffen werden, ein kastriertes Parlament über sein wichtigstes Instrument nicht verfügt: Gesetze selbst beschliessen zu dürfen. Angeführt von einer «Präsidentin der Europäischen Kommission», die gar nicht für dieses Amt kandidierte, sondern von der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Merkel dorthin wegbefördert wurde – über die Köpfe der Kandidaten hinweg.

Die Autorin erzählt die Geschichte ihrer Flucht in die Schweiz, sie «hätte uns eine freie Heimat werden sollen, stattdessen wurde das Land selbst heimatlos». Die Schweiz ist heimatlos? Heimat ist im Bürokratiemonster in Brüssel und Strassburg? Wieso genau ist dagegen das Land Schweiz heimatlos? «Weil es nicht in der Lage ist, an der gemeinsamen europäischen Zukunft mitzuschaffen und am größten Freiheitsprojekt aller Zeiten teilzuhaben: der Europäischen Union.»

Das Freiheitsprojekt wird sogar von wichtigen Mitgliedern wie Grossbritannien fluchtartig verlassen; das Freiheitsprojekt hat nicht einmal eine anständige Verfassung, weil seine Völker trotz mehrfachen Abstimmungen etwas Aufoktroyiertes nicht wollten. Die EU ist ein Trümmerhaufen mit unfreien Mitgliedern, die gegängelt werden wie Griechenland, EU-Gelder kassieren wie Italien, während die Führungsmannschaft von ungeheuerlichen Korruptionsskandalen erschüttert wird. Und wie freiheitlich es so in Ungarn oder Polen zu und her geht, wäre dann auch noch die Frage.

Aber was ist die Schweiz für die Autorin? Sie müsse begreifen, «dass sie nicht die Schweiz von Wilhelm Tell ist, sondern eine Schweiz der Bührle-, Crypto- und Bankenkrisen. Jede ihrer Krisen demaskiert das gegenwärtige Verständnis von Neutralität und Souveränität als Mythen.»

In den vergangenen ganz grossen Krisen, bekannt als Erster und Zweiter Weltkrieg, waren Neutralität und Souveränität rettende Verteidigungswälle, keine Mythen. Und Krisen? Nur, wenn die Schweiz rechtsimperialistische Übergriffe –  in erster Linie der USA – akzeptiert, gibt es eine Krise. Sonst verfügt die Schweiz über blendende Wirtschaftsdaten, integriert Massen von Zuwanderern wie kein anderes Land in Europa, nimmt Flüchtlinge auf, ohne dass Asylantenheime brennen wie in Deutschland und anderswo.

Viele EU-Bürger suchen ihr Heil in der unfreien Schweiz, umgekehrt eher weniger. Aber all das ist noch nicht des hanebüchenen Unsinns genug. Wie soll denn die Schweiz, die unfreie, aus dieser fatalen Situation herauskommen? Ausgerechnet mit einem Instrument, das es in der ach so freien EU nicht gibt: «Mit einem Volksentscheid. Die Stimmbevölkerung muss über die Identität der Schweiz entscheiden: Sind wir ein Teil von Europa oder ein abgeschottetes Reduit?»

Es ist wirklich unverständlich, wie ein Qualitätsorgan wie «Die Zeit» einen solchen Mumpitz, ein Aufeinanderstapeln von unsinnigen, sich diametral widersprechenden Behauptungen veröffentlichen kann. Das hat nichts mit einer anderen politischen Meinung oder Sichtweise zu tun. Meinungsfreiheit bedeutet, dass alles gesagt werden kann, was nicht durchs Strafgesetzbuch verboten ist.

Das gilt grundsätzlich auch für Humbug, Unsinn und Mumpitz. Aber muss das in der «Zeit» sein; sollte man dort nicht ein Niveau haben, das hier so hemmungslos tiefergelegt wird? Wäre da nicht selbst ein Beitrag von Tom Kummer wahrhaftiger und wertvoller?

Aber niemals mehr wollen wir uns mit solchen Hirnrissigkeiten befassen. Indianerehrenwort. Kosovo-Indianerehrenwort.

Ein Stück Schmiere

Fehlende Fehlerkultur bei «Die Zeit».

«Eine Redakteurin des Schweizer «Tages-Anzeiger»-Magazins wird jahrelang vom Chef gemobbt, am Ende wird ihr gekündigt. Der Fall zeigt die Machokultur in der Medienbranche.» So leitet Salome Müller am 4. Februar 2023 ihren Bericht in der «Zeit» über die vierseitige Anklageschrift von Anuschka Roshani im «Spiegel» ein.

Wohlgemerkt im Indikativ, obwohl diese Behauptung lediglich von der gefeuerten Journalistin erhoben wurde. Müller ist einschlägig vorbelastet, sie gehörte zu den Rädelsführern eines Protestbriefs, in dem 78 erregte Tamedia-Mitarbeiterinnen eine unerträgliche Arbeitsatmosphäre beklagten. Sexismus, Diskriminierung, Unterdrückung, Machokultur. Diese happigen Anschuldigungen unterfütterten sie mit über 60 Beispielen. Nur: alle waren anonymisiert; bis heute konnte kein einziger Fall verifiziert werden. Müller verliess später den «Tages-Anzeiger» und ist inzwischen Redaktorin des Schweiz-Split der Wochenzeitschrift «Die Zeit».

Verblüffend ist, wie Müller am 4. Februar so ausführlich und mit Hintergründen über einen Artikel berichten kann, der am 3. Februar im «Spiegel» erschien – ohne seinen Inhalt vorher gekannt zu haben. Oder – Autorin und Roshani arbeiteten beide bei Tamedia, Roshani hatte den Protestbrief mitunterzeichnet – hier wurde ein Päcklein geschnürt. Denn die «Zeit» behauptet, Müller habe monatelang an diesem Artikel recherchiert. Der dann zufällig einen Tag nach Roshanis Breitseite im «Spiegel» erscheint, auf diese Ansammlung von Behauptungen Bezug nimmt.

Zunächst referiert Müller ausführlich die Vorwürfe Roshanis und gibt auch die Stellungnahmen von Tamedia und des Anwalts von Finn Canonica wieder. Von beiden Seiten werden die Vorwürfe bestritten, Tamedia sagt zudem, dass eine externe Untersuchung die überwiegende Mehrheit der Vorwürfe nicht bestätigt habe.

Dann nimmt Müller Bezug auf den von ihr mitinitiierten Protestbrief von 2021, um die Affäre Roshani in ihr Framing einzubinden. Schliesslich referiert sie, dass man Roshani im Januar 2022 darüber informiert habe, dass eine externe Anwaltskanzlei mit einer vertieften Untersuchung von ihren Vorwürfen beauftragt worden sei.

Was Müller verschweigt: diese neuerliche Untersuchung fand statt, weil Roshanis Mann, der Verleger Peter Haag, seine Beziehungen hatte spielen lassen und die Beschwerden seiner Frau, die in einer ersten Untersuchung nicht erhärtet worden waren, via einen Verwaltungsrat dort zum Thema machte. Was Müller auch verschweigt: Roshani hatte sich 2020 beim VR um die Stelle von Canonica beworben. Mit der Behauptung, sie sei viel besser als er dazu geeignet, das «Magazin» zu führen. Was Müller darüber hinaus verschweigt: laut diesem Untersuchungsbericht behauptete Roshani zunächst, sie habe sich bereits seit 2007 beschwert. Das korrigierte sie dann zu 2012. Als HR von Tamedia einwandte, dass es keinerlei Unterlagen darüber gebe, behauptete Roshani, die Beschwerden seien nur mündlich erfolgt. Als man sie neuerlich zu diesen und anderen Widersprüchen befragen wollte, verweigerte sie die weitere Zusammenarbeit und meldete sich krank – ohne Arztzeugnis.

Diese neuerliche Untersuchung ist also nicht eine Verzögerungstaktik von Tamedia, wie Müller das hinstellt. Sondern eine Reaktion auf den neuerlichen Versuch Roshanis, ihren Chef anzuschwärzen, weil sie gerne seine Position gehabt hätte.

Wer hier beim Mobbing Opfer ist, wer Täter, das ist zumindest sehr unklar. Als Canonica 2007 Chefredaktor des «Magazin» wurde, habe er nach eigenen Aussagen Roshani die Stelle seiner Stellvertreterin angeboten – sie lehnte ab. Als es 2014 unter höchstem Spardruck zu einer Umstrukturierung des «Magazin» kam, behielt Canonica Roshani als einzige der bisherigen Redaktoren an seiner Seite. Als besonderen Gunstbeweis ermöglichte er Roshani zudem ein halbjähriges Sabbatical. Bezahlt, was sonst nie gewährt wurde.

Der Untersuchungsbericht kommt zum Schluss, dass eine weitere Zusammenarbeit zwischen Canonica und Roshani nach ihren gesammelten Vorwürfen nicht mehr denkbar sei. Darin liegt offenbar der Grund für ihre Entlassung. Sie hatte versucht, ihren Chef wegzumobben und stellte sich, als das gescheitert war, selbst als Mobbingopfer da.

Das alles ist Müller entgangen, weil sie voreingenommen lediglich ihr seit dem Protestschreiben verfolgtes Narrativ der angeblichen «Machokultur in der Medienbranche» bedienen wollte.

Besonders stossend ist ihre Behauptung, «Roshani legte ein siebenseitiges Dossier vor, in das Die Zeit Einsicht hatte». Das kann nur bedeuten, dass Müller diese Vorwurfsammlung vorab von Roshani zugesteckt bekam. Zudem zitiert Müller aus «Notizen, die sich Roshani während des Onlinegsprächs (mit dem damaligen Oberchefredaktor Arthur Rutishauser, Red.) gemacht» habe.

Dann kommt dicke Post: «Fünf ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Tai-Magi bestätigen der Zeit, was Roshani in ihrem Dossier beschrieben hat. … Eine der Personen sagte: «Es war Psychoterror».» ZACKBUM wagt die These: diese fünf Mitarbeiter existieren nicht, sind eine Erfindung von Müller, die sich von Roshani und einer einzigen weiteren Quelle, einem rachsüchtigen Ex-Mitarbeiter, instrumentalisieren liess.

Schliesslich behauptet Müller: «Die Versuche von Anuschka Roshani, mit Tamedia eine gütliche Einigung zu erzielen, scheitern.» Welche Bemühungen? Roshani hatte sich um die Stelle ihres Vorgesetzten beworben, das ist nicht sehr gütlich. Sie hatte sich über ihn beschwert, dann hatte sie dafür gesorgt, dass diese Beschwerden dem Verwaltungsrat zu Ohren kamen, der nochmals eine genaue Untersuchung veranlasste. Nicht sehr gütlich. Als diese Untersuchung diversen Widersprüche in den Aussagen von Roshani auf den Grund gehen wollte, verweigerte sie die Zusammenarbeit und meldete sich krank. Nicht sehr gütlich.

Schliesslich kam der Untersuchungsbericht zum Ergebnis, dass fast alle der Vorwürfe Roshanis nicht erhärtet werden konnten, es auch keine Zeugen dafür gab. Zudem hielt er fest, dass angesichts dieser Umstände eine weitere Zusammenarbeit von Canonica und Roshani wohl nicht denkbar sei. Also entschied Tamedia, zuerst den Chefredaktor und dann auch Roshani zu entlassen. Was man in ihrem Fall durchaus verstehen kann.

Es bleibt unverständlich, wie die renommierte «Zeit» eine solche Schmiere veröffentlichen konnte. Es ist unverständlich, dass die «Zeit» nicht bereit ist, eine längst überfällige Korrektur zu publizieren. Es ist unverständlich, wieso die «Zeit» gegenüber der Autorin keine arbeitsrechtlichen Massnahmen ergreift. Es ist unverständlich, dass die «Zeit» nicht mal geruht, auf entsprechende Fragen zu antworten.

Wir basteln uns einen Skandal

Recherchieren war gestern. Anonyme Quelle ist heute.

Was im Grossen schlecht ist, wird im Kleinen nicht besser. In einer unseligen Reihe von angeblichen «Leaks» und «Papers» schlachteten internationale Konsortien von Journalisten gestohlene Geschäftsunterlagen aus, die ihnen von anonymen Quellen zugespielt worden waren.

Ohne sich einen Moment die Frage zu stellen, welche Motive dahinterstecken könnten, aufwendig geraubte Datenberge mit ungeheuerlichem Erpressungspotenzial einfach wegzuschenken, versuchten die Journalisten dann mit viel Aufwand, daraus gigantische Skandale zu basteln. Die regelmässig verröchelten, bis ein Mitglied des sogenannten «Investigativ Desk» von Tamedia frustriert über einem «Skandal, der keiner wurde» jammerte. Weil nach der x-ten Wiederholung das Publikum sich gähnend abwandte.

Hier sind die Quellen anonym und trübe, aber was aus ihnen heraustropfte, war tatsächlich echtes Material, echte Hehlerware mit echten Namen und dann auch echten Opfern. Im Kleinen ist es allerdings noch viel schlimmer.

In der Affäre um die Anschuldigungen von Anuschka Roshani ist wenigstens die Motivation der Anklägerin klar. Sie wollte selbst Chefredaktorin des «Magazin» werden, scheiterte mit ihrer Blindbewerbung und scheiterte im ersten Anlauf mit ihren internen Vorwürfen gegen ihren Chef. Darauf sorgte sie dafür, dass es eine zweite Untersuchung gab, die aber leider auch zum Schluss kam, dass fast alle ihrer Behauptungen nicht erhärtet werden konnten. Das hatte dann die unselige Konsequenz, dass zwar ihr Chef gefeuert wurde, sie aber auch.

Nach Ablauf ihrer Kündigungsfrist holte sie dann zum grossen Schlag aus und hatte das Glück, bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber «Der Spiegel» eine Trommel zur Verfügung gestellt zu kriegen, mit der sie einen wahren Paukenschlag landen konnte.

In ihrer vierseitigen Anklageschrift kolportiert sie Anschuldigungen, die ihr offenbar zugesteckt worden waren. Natürlich ohne ihre Quellen zu nennen. Eine ist inzwischen enttarnt.

Was in dem Monat seit dieser Veröffentlichung geschah, ist ein weiterer Niedergang zu einem neuen Tiefpunkt der medialen Berichterstattung. Der Angeschuldigte wurde öffentlich hingerichtet, die Unschuldsvermutung bis zur Lächerlichkeit missachtet. Die Anschuldigungen wurden ungeprüft und unrecherchiert kolportiert. Aber damit nicht genug.

In allen Konkurrenzmedien wurden angebliche «anonyme Quellen» zitiert, die die Anschuldigungen Roshanis bestätigen würden, sogar behaupteten, es sei alles noch viel schlimmer gewesen. Nun weiss jeder Journalist, dass einer Quelle, die darauf besteht, nicht namentlich genannt zu werden, mit äusserster Vorsicht zu begegnen ist. Was sind ihre Motive, will da jemand als Heckenschütze Rache nehmen, wie stichhaltig sind seine Behauptungen? Kann er sie belegen oder ist es bloss Hörensagen?

Der Untersuchungsbericht exerzierte eine solche Quellenkritik in einem Fall vor. Und kam zum Ergebnis, dass die Behauptungen von Mathias Ninck nicht glaubhaft waren, nicht zutrafen, mit den Fakten nicht übereinstimmten. Oder in einem Wort: frei erfunden waren.

Ein ehemaliger redaktioneller Mitarbeiter des «Magazin» setzte einen Tweet ab, in dem er behauptete: «Wer es auf der Redaktion miterlebte, kann immer noch schwer begreifen, dass Canonica danach noch sieben Jahre länger Chefredaktor bleiben konnte.» Immerhin stand er mit seinem Namen dazu. Aber auf die Frage von ZACKBUM, was genau er denn miterlebt habe, verfiel Dominik Gross dann in tiefes Schweigen.

Machen wir doch ein rein theoretisches Beispiel. ZACKBUM würde behaupten, dass Pietro Supino unbefugt in die Kasse von Tamedia gegriffen habe, um die Renovation seines Luxusanwesens in Zürich zu finanzieren. Das würden mehrere, voneinander unabhängige Quellen bestätigen, deren Namen leider nicht genannt werden könnten, die aber glaubwürdig und mit dem Vorgang vertraut seien.

Supino würde sofort seinen Anwalt in Marsch setzen, der ohne Federlesens die sofortige Löschung dieser Behauptung und eine Entschuldigung fordern würde. Sich zudem weitere Schritte wie Verurteilung samt Schadenersatz ausdrücklich vorbehielte. ZACKBUM wäre sehr gut beraten, allen diesen Forderungen sofort nachzugeben, zu Kreuze zu kriechen und darum zu betteln, keinen Krach vor Gericht anzufangen.

Ausser, wir würden tatsächlich über Versicherungen an Eides statt plus entsprechende Dokumente verfügen. Aber die blosse Behauptung, darüber zu verfügen, reicht eben nicht. Da nützt auch die Berufung auf Quellenschutz nichts, wie schon Philipp Gut schmerzlich erfahren musste.

Denn der Trick ist einfach. Der Journalist selbst stellt eine ehrenrührige und geschäftsschädigende Behauptung auf. Dafür muss er den Beweis antreten. Er kann nun aber nicht den Trick verwenden, als Quelle einen Informanten anzugeben, den er mit Berufung auf sein Recht auf Quellenschutz leider nicht identifizieren könne, der es ihm aber mit heiligen Eiden versichert habe.

Im Fall Roshani kann nun der Schweizer Journalismus seine neuerlich verlorene Ehre und seine Glaubwürdigkeit nur zurückgewinnen, wenn Auskünfte über diese allgemein verwendeten «anonymen Quellen» erteilt werden. Zuvorderst sind da «Spiegel» und «Die Zeit» gefordert. Auch ZACKBUM gegenüber behauptet beispielsweise «Die Zeit», dass ihr die Quellen der einschlägig vorbelasteten Mitarbeiterin Salome Müller bekannt seien. Hand aufs Herz: das kann doch wohl nicht stimmen, behauptet ZACKBUM, ohne dafür eine andere Quelle als den gesunden Menschenverstand zu haben.

Denn es ist absurd anzunehmen, dass ein Journalist selbst seinem Verlag gegenüber die Namen seiner Quellen preisgäbe. Daher können wir der «Zeit» nur raten, dementsprechend auf Müller einzuwirken. Um dann ein blaues Wunder zu erleben. Denn Müller war schon Rädelsführerin, als vor ziemlich genau zwei Jahren 78 erregte Tamedia-Mitarbeiterinnen ein Protestschreiben verfassten, in dem sie mit über 60 Beispielen belegen wollten, welche frauenverachtenden, demotivierenden und sexistischen Zustände in ihrem Verlag herrschten. Nur: bis heute wurde kein einziges dieser anonymisierten Beispiele verifiziert …

Wumms: Eva Illouz

Eine Soziologin auf Abwegen in der «Zeit».

Sie ist eine französisch-israelische Professorin und Buchautorin, die in Jerusalem und Paris lehrt. Ihre ganze Familiengeschichte sollte Illouz sensibilisiert haben. «Die Zeit» ist ein Monument des deutschen Journalismus, zu dessen Herausgebern der Staatsmann Helmut Schmidt gehörte. Diese Vergangenheit sollte die Wochenzeitschrift sensibilisiert haben.

Nun ist es so, dass selbst Schulaufsatz-Autorinnen wie eine Salome Müller ihr ewig gleiches Narrativ von einer angeblichen Machokultur im Journalismus belegfrei, mit anonymen Quellen, voreingenommen und sogar im Indikativ hier verbreiten dürfen. Blamabel. Aber dieser Unfall passierte im Schweizer Split; vielleicht ist man in Hamburg da nicht so aufmerksam.

Nun durfte Eva Illouz einem «Gastbeitrag» über den Ukraine-Krieg den Titel geben: «Ich wünsche mir einen totalen Sieg». Mit der Begründung: «Vielleicht kann nur eine vernichtende Niederlage Russland helfen, aus seiner diktatorischen Geschichte herauszufinden.»

Dass der geschichtsvergessenen «Zeit» hier nicht auffiel, dass die Gastautorin diese Ungeheuerlichkeit ziemlich genau 80 Jahre nach der infamen Sportpalast-Rede von Joseph Goebbels schreibt, in der er von einem totalen Sieg in einem «totalen Krieg» faselte, ist bedenklich.

Natürlich erlaubt es die Meinungsfreiheit, auch totalen Unsinn zu schreiben. Denn ein «totaler Sieg» der Ukraine, eine «vernichtende Niederlage» Russlands ist ohne einen atomaren Schlagabtausch nur schwer denkbar. Und in diesem Fall kann es wohl nur eine totale Niederlage für alle Beteiligten, für die ganze Welt absetzen.

Natürlich kann man auch fordern, dass es dann möglich sei, den russischen Präsidenten vor ein Kriegsverbrechertribunal zu stellen. Das blüht Verlierern gelegentlich, aber nur, weil sie verloren haben. US-Kriegsverbrecher, die in Vietnam, dem Irak, Panama und an vielen weiteren Orten der Welt wüteten, müssen das nicht befürchten. Denn Verbrechern, die im Notfall auf den roten Knopf drücken können und sicherheitshalber die Gerichtsbarkeit des Kriegsverbrechertribunals gar nicht anerkennen, müssen nicht damit rechnen, vor ihm zu landen. Ds ist nicht nur im Fall von Henry Kissinger bedauerlich.

Man kann in der heutigen Wüstenlandschaft der Medien nur noch wenig an Wissen, Kenntnissen, Bildung und historischen Erinnerungen erwarten. Dass das nun auch auf «Die Zeit» zutrifft, ist bitter.

 

Ach du liebe «Zeit»

Das Hamburger Wochenblatt antwortet. Leider.

Angesichts des unprofessionellen Verhaltens der «Zeit»-Mitarbeiterin Salome Müller, die Anschuldigungen von Anuschka Roshani im Indikativ wiedergibt und sich auf angebliche, anonyme Quellen beruft, um ihr Narrativ von einer «Machokultur» zu bedienen, haben wir ihrem Redaktionsleiter Matthias Daum ein paar Fragen gestellt.

An seiner Statt antwortete eine «Verlagssprecherin». Diese Rabulistik hat es verdient, vollständig zitiert zu werden.

  1. Halten Sie es mit den hohen Standards der «Zeit» für vereinbar, dass eine offensichtlich voreingenommene Autorin, deren Objektivität bei diesem Thema bezweifelt werden muss, sich nochmals über angeblichen Sexismus bei Tamedia äussert?

«Am Textende wird transparent gemacht, dass Salome Müller für Tamedia gearbeitet hat und zu den Mitinitantinnen des Frauenbriefs gehörte. Wenn man als Journalist oder Journalistin in der kleinen Medienszene der deutschsprachigen Schweiz nicht mehr über ehemalige Arbeitgeber schreiben dürfte, gäbe es hierzulande keinen Medienjournalismus mehr.»

  1. Im Artikel heisst es: «Fünf ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Tagi-Magi bestätigten der ZEIT, was Roshani in ihrem Dossier beschrieben hat.» Halten Sie es für zielführend, hier mit ausschliesslich anonymen Quellen zu arbeiten, die als ehemalige Mitarbeiter doch eigentlich nichts zu verlieren hätten, mit ihrem Namen zu diesen Behauptungen zu stehen?

Unsere Gesprächspartner/innen haben mit Blick auf ihre aktuellen Tätigkeiten um Quellenschutz gebeten.

  1. Haben Sie persönlich die Existenz dieser Quellen überprüft? Leider ist ja üblich geworden, dass Autoren mit erfundenen Quellen oder Quotes arbeiten.

Die Quellen sind uns bekannt.

  1. Wenn Zitate verwendet werden wie «es war Psychoterror», glauben Sie nicht, dass das mit einer identifizierbaren Quelle verbunden werden müsste?

Siehe Antwort auf Frage 2.

  1. Im Lead steht: «Eine Redakteurin des Schweizer «Tages-Anzeiger»-Magazins wird jahrelang vom Chef gemobbt, am Ende wird ihr gekündigt. Der Fall zeigt die Machokultur in der Medienbranche.» Die Behauptungen von Roshani werden hier im Indikativ als real wiedergegeben, obwohl es bislang keine Bestätigung dafür und diverse Stellungnahmen dagegen gibt. Halten Sie das mit einem seriösen Journalismus für vereinbar, das nicht im Konjunktiv darzustellen?

Siehe Antwort auf Frage 6.

  1. Im Anschluss daran stellt Müller ihr Lieblingsnarrativ im Indikativ dar; das zeige eine angebliche «Machokultur in der Medienbranche». Halten Sie es mit einem seriösen Journalismus für vereinbar, eine solche pauschale Behauptung aufgrund einer einzigen Kritik aufzustellen?

Das Urteil gründet auf unseren Recherchen. Darüber hinaus haben uns nach Erscheinen des Artikels zahlreiche Reaktionen aus Redaktionen erreicht, die die Einschätzung erhärten.

ZACKBUM hält fest: Die «Zeit» findet nichts daran, dass bei ihr Behauptungen als Tatsachen verkauft werden. Sie findet nichts daran, dass eine offensichtlich voreingenommene Autorin das Thema behandeln darf. Sie behauptet, die von Müller verwendeten Quellen seien ihr bekannt. Und sie ist der Meinung, im Schweizer Journalismus herrsche eine «Machokultur». Oh je, so gehen Renommee und Reputation vor die Hunde.

Ach, du liebe «Zeit»

Habe sie schon wieder gelesen. Hätte ich wieder nicht tun sollen.

Was für ein Format. 56,5 auf 39,5 cm. Aufgeklappt gar 79 cm breit. Keine Lektüre in der S-Bahn zur Stosszeit. Zugegeben, bis hierher ist es copy/paste. Aber damals schloss sich eine Lobesarie an. Die kann nicht nochmal gesungen werden.

Denn diesmal ist der erste Bund der Ausgabe 28. Oktober 2021 ein Totalflop. Einzig lustig das Foto des Siegers der «Deutschen Bartmeisterschaften». Der hat ein derart kunstvolles Gewinde aus seinen Barthaaren gemacht, dass man sich vor dieser Zwirbelei nur verbeugen kann. Bravo, Christian Feicht aus Altötting.

Beim Barte des Bayern, der kommt wohl zu sonst nix …

Ein «Gastkommentar» der beiden angelsächsichen Wissenschaftler Joseph E. Stiglitz und Adam Tooze. Beide nicht mehr im Zenit ihrer Bedeutung, und nun raten sie schwer davon ab, dass Christian Lindner (FDP) Finanzminister wird. Hä? Genau, was geht die das an.

Dann wird die uralte Frage, wieso die «Politik so frauenlos wie eh und je» sei, nochmal nicht beantwortet. Passend zum Abgang der deutschen Bundeskanzlerin, die wohl eine Frau ist. Artikel: Gerichte sollen helfen, die Klimaziele durchzusetzen. What a joke, wie der Ami sagt. Ein Porträt des möglichen französischen Präsidentschafrtskandidaten Éric Zemmour. Eigentlich erfährt man über ihn nur, dass er «noch rechter als Le Pen» sei, höflich, aber brandgefährlich. Mit welchen Ansichten er sich diese Qualifikation verdient, davon sind eigentlich nur Spurenelemente in dem «Zeit»-langen Artikel vorhanden.

Eine «Streit»-Seite, ob man die private SMS des Springer Boss’ Mathias Döpfner hätte veröffentlichen dürfen oder nicht. Abgesehen davon, dass sie öffentlich ist: Die Argumente dagegen überzeugen, die dafür sind nicht erkennbar.

«Wirtschaft»? Gähn. «Wissen»? Schnarch. Eigentlich müsste man diese Ausgabe unter Flop abbuchen, so wie die gesamte Schweizer Sonntagspresse. Wenn da nicht wieder das «Dossier» wäre. Nein, diesmal nicht unbedingt mit einer Eigenleistung, aber mit einer Trouvaille. Nein, mit zwei.

Ein begeisterndes Interview mit einer beeindruckenden Frau

Zunächst ein Interview mit Inge Jens. Ja, die Witwe von Walter Jens, der 2013 nach langer Dunkelheit in zunehmender Demenz verstarb. Wobei Witwe hier zur Einordnung nötig ist, die 94-jährige Autorin ist dermassen hell im Kopf, hat dermassen weise, trockene, unaufgeregte Antworten auf alle Fragen, dass es eine helle Freude ist, das lange Interview zu lesen.

Und bei der Schlussfrage bleibt Bedauern, dass es nicht weitergeht. Als Appetithäppchen: «Sie sollen Ihr Begräbnis schon genau geplant haben. Ihr Wunsch ist es, dass bei der Trauerfeier in der Tübinger Stiftskirche Brahms’ Requiem in Auszügen gespielt wird

«Es wird wohl doch was anderes. Ich habe mit dem Kantor geredet, und er meinte, sie müssten das Brahms-Requiem ganz neu einstudieren. Ich habe gesagt: Lassen Sie’s, dann nehmen wir Mozart.»

Was für einmal die Fragesteller ehrt, ist diese Einleitung zu einem heiklen Thema, der Selbstmord ihres Sohnes: «Im vergangenen Jahr ist auch Ihr Sohn Tilman gestorben. Dürfen wir mit Ihnen darüber sprechen?»

Die Antwort: «Selbstverständlich. Fragen Sie!»

Was für eine Dame, mit welcher Lockerheit stellt sie feministische Absonderlichkeiten richtig, wie weise beschreibt sie ihr Leben, ihre Begegnungen, ihre Rolle.

Noch nie von Robert Blum gehört? Eine Wissenslücke

Die zweite Trouvaille kommt wieder von einem Engländer, Christopher Clark. Spätestens seit «Die Schlafwandler» hat sich der Geschichtsprofessor aus Cambridge in den Olymp der Historiker geschrieben.

 

Das erhellende Buch zu einem x-mal beschriebenem Thema.

Hier macht er auf Robert Blum (1807 – 1848) aufmerksam. Ein deutscher Demokrat, Beförderer des ersten Versuchs, eine Demokratie auf deutschen Boden zu errichten, ein Kämpfer für seine Sache mit Leib und Seele, aber auch jemand, der auf Ausgleich bedacht war und immer versuchte, Koalitionen zu schmieden, um das Mögliche durchzusetzen, nicht das Unmögliche zu träumen.

Allzu früh endete sein Leben vor einem Erschiessungskommando in Wien, nachdem der reaktionäre Feldmarschall Windisch-Graetz die Aufständischen in der österreichischen Hauptstadt eingeschlossen hatte und den Widerstand niedermetzelte. Blum hatte sich ihnen angeschlossen, zutiefst beeindruckt von ihrer Courage und Entschlossenheit.

Er wurde gefangengenommen, und sein Verweis darauf, dass er als Abgeordneter des deutschen Parlaments Immunität besass, wurde weggewischt. Am 8. November 1848 verurteilte ihn ein Kriegsgericht zum Tode, am nächsten Morgen wurde er hingerichtet.

ZACKBUM war er nicht bekannt, wir sind dankbar für das Schliessen dieser Wissenslücke.

Wirklich zwei hell leuchtende Sterne am «Zeit»-Firmament, das ansonsten eher dunkel bleibt. Auch im völlig belanglosen Schweizer Split, der das Dossier hinten runterzieht.

Tiefer Sturz in die Schweizer Belanglosigkeit

Während die «Zeit» Inge Jens eine Plattform zur Erquickung und Erleuchtung des Lesers bietet, füllt das Schweizer «Magazin» beinahe das ganze Heft mit einem Porträt von Martina Hingis*. Nichts gegen diese Ausnahmetennisspielerin, aber will man ihr Leben, ihre Ansichten, ihre Meinungen oberhalb und unterhalb eines Filzballs wirklich auf Seiten ausgewalzt lesen? Eher nicht.

Das Editorial von Finn Canonica warnt allerdings schon vor. Er geistreichelt: «Tennis ist wie Französisch und Fussball wie Englisch. Fussball spielen kann man auch, wenn man nicht wirklich Fussball spielen kann. Ebenso ist es mit der englischen Sprache.»

Wahnsinn, welch eine Metapher. Geht da noch einer? «Ohne mühsam erworbene Grundkenntnisse ist es unmöglich, in Paris Crêpes au (nicht avec!) Nutella zu bestellen und sich nicht wie ein Vollidiot zu fühlen.»

Crêpe ohne Nutella für Nicht-Idioten.

Wir würden sagen: Man muss sich wie ein Vollidiot fühlen, wenn man Crêpes mit diesem Brotaufstrich bestellt. Ein italienisches Verbrechen: «Sie besteht überwiegend aus Zucker mit Zutaten von Palmöl, gerösteten Haselnüssen, Milchpulver, Kakao, Sojalecithin und Vanillin», weiss Wikipedia. Und wer in Paris oder anderswo nicht ein Crêpe mit einem der vielen anständigen Beläge bestellt, müsste Lokalverbot bekommen. Oder Schreibverbot. Oder beides.

*We did it again. Dafür gibt’s morgen einen Frauentag, versprochen.

 

Journalismus. Deutsch. Gut.

Ich habe mir «Die Zeit» gekauft. Hätte ich nicht tun sollen.

Was für ein Format. 56,5 auf 39,5 cm. Aufgeklappt gar 79 cm breit. Keine Lektüre in der S-Bahn zur Stosszeit. Aber der Inhalt entspricht dem Format: übergross.

Vielleicht ist die Ausgabe vom 2. September 2021 ein absoluter Höhepunkt des Schaffens der «Zeit»-Redaktion. Auf jeden Fall sind das bestens investierte Fr. 8.50. Wenn man bedenkt, dass für nicht viel weniger Geld beispielsweise die Schweizer Samstags- und Sonntagszeitungen den Leser mit ihrem Flachsinn belästigen, wird’s einem ganz anders.

Schon die beiden Frontkommentare zu möglichen Bündnissen nach den deutschen Parlamentswahlen (was für ein schlanker Titel: «Nein», zu einer Koalition mit den Linken): reines Lesevergnügen. Der zweite ist ein Essay zum Thema «Dummes Geld». Zum Problem, dass immer mehr Firmen als Grossaktionäre Fonds haben, die keinerlei Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen wollen – und können.

Oder wie das der Autor auf den Punkt bringt: «70 gegen 13’000.» An so viel Unternehmen ist der weltgrösste Fondsanbieter BlackRock beteiligt; überwacht wird das von 70 Mitarbeitern.

Es gibt noch etwas zu Afghanistan zu sagen

Dann zwei Seiten zu Afghanistan; wer meinte, hier sei nun wirklich alles gesagt worden, wird eines Besseren, Intelligenteren belehrt. Die nötigen Kontakte zu den Taliban im Zusammenhang mit fundamentalistischem Terrorismus werden ausgeleuchtet. Die interessante Frage beantwortet, wieso Frankreich für ein Mal nicht am «Debakel» in Afghanistan bis zum Schluss beteiligt war. Sondern schon vor Monaten damit begann, eigene Kräfte und afghanische Helfer auszufliegen.

Wofür die Regierung dann von NGOs kritisiert wurde. Die Vorhersagen von einer nahenden Katastrophe seien «ohne Zweifel überzogen», die Gefahr «nicht akut», schimpfte noch am 17. Mai die NGO «Afrane». Der rechtzeitige Rückzug sei «das falsche Signal», die Bevölkerung könne den Eindruck gewinnen, Frankreich gebe das Land auf. So kann man sich täuschen.

Dann eine Seite intelligente Abhandlung der Frage, ob der Westen in Afghanistan wirklich «gescheitert» ist, ob der Abzug nicht auch eine Chance biete, von der «wir können militärisch überall eingreifen und die Demokratie herbeischiessen»-Haltung abzurücken. Nebenbei ist der Essay illustriert mit dem wohl bedrückendsten Foto des Abzugs. Die US-Soldatin Nicole Gee hält ein afghanisches Kind in den Armen und betrachtet es mit so freundlicher Zuneigung, im Widerspruch zu ihrer Kriegsausrüstung. Wenige Tage später stirbt sie beim Terroranschlag am Kabuler Flughafen.

Zwei mal Nicole Gee: Wenn Humanes auf Brutales trifft.

Dann folgen zwei Seiten Artikel zu den Grünen und der CDU. Basierend auf langjährigen Kenntnissen, Wahlkampfbegleitung, fundierter Beschreibung; Analyse statt Meinung. Wenn man vor allem Schweizer Gazetten liest, hält man so etwas gar nicht mehr für möglich. «Historisch wird handlich, und die Klimakrise schrumpft zum technischen Projekt.» Präziser hat kaum jemand das Problem der grünen Kanzlerkandidaten auf den Punkt gebracht.

Und unter all den Verabschiedungen von Angela Merkel ragt «Die Methode Merkel» auch wie ein intellektueller Leuchtturm heraus.

Wer die Probleme Polens mit dem Rechtsstaat und einer unabhängigen oder parteitreuen Justiz verstehen will, muss die Reportage «Nahkampf um den Rechtsstaat» lesen. Weil es noch eine Reportage von vor Ort ist, und weil Kenntnis und Wissen dahinterstecken.

Überragend dann die Aufmacherstory des «Dossier» der «Zeit»

All das verblasst aber gegen den Inhalt des «Dossier». Ein ehemaliger US-Folterknecht von Guantánamo wird mit seinem damaligen Opfer zusammengebracht. Dahinter steckt eine jahrelange Reportage. Die Initialzündung war der Wunsch des ehemaligen Gefangenen Mohamedou Slahi, seinen damaligen Peiniger kennenzulernen – um ihm zu vergeben.

«Die Zeit» spürte diesen Mr. X auf – bis heute ein gebrochener Mann, der nicht verwinden kann, was er als gehorsamer Soldat im Dienst seiner Regierung tat. Er ist heute noch überzeugt, dass sein damaliger Gefangener ein manipulativer Terrorist ist, dem er dennoch Unrecht angetan hat.

Opfer (links) und Täter. Oder Sieger und Verlierer?

Die beiden Schicksale, die Suche nach der Wahrheit, nach Wahrheiten, das sind journalistische Sternstunden auf drei Seiten. Da verschmerzt man leicht, dass im anschliessenden «Schweiz»-Split zwei Klimaforscher interviewt werden.

Im Feuilleton wird die Eröffnung eines Museums in seiner Geburtsstadt Rimini zum Anlass genommen, des gigantischen italienischen Filmemachers Frederico Fellini zu gedenken. Wie das nur ein Autor tun kann, der dessen Werk auswendig kennt, von «Amacord» zu «La Strada» springen kann, natürlich «La Dolce Vita», dabei so vieles weglassen muss im filmischen Schaffen dieses Ausnahmegenies, das wie wohl kein anderer die italienische Seele und ihre Entwicklungen, Verwicklungen verstanden und auf die Leinwand gebracht hat.

Auch wenn man selbst Fellini-Fan ist, bietet der Artikel Neues und Interessantes. Dann noch ein Interview mit Slavoj Zizek. Das ist nun meistens ein Selbstläufer, aber man muss auch beharrlich intelligente Fragen stellen, um den eher mürrischen Geist zu Hochformen auflaufen zu lassen.

Auch darüber, dass man sich bei Veränderungen an eigenen Texten nicht so anstellen soll, denn die sollten «eine solide Grundlage haben» die Eingriffe überlebt. Schlagfertige Frage am Schluss: «Gilt das auch für dieses Interview?» Schlagfertige Antwort:

«Ja, drucken Sie, was Sie wollen. Mir egal, ich will das auf keinen Fall vorher noch mal sehen!»

Es gäbe noch so vieles zu erwähnen

Dabei haben wir den Wirtschafts– und Wissensbund noch gar nicht erwähnt, auch nicht das Special «Entdecken», ein wunderbares Gefäss, dazu noch das «Magazin», neben dem seine schmalbrüstigen Schweizer Namensvetter eigentlich aus Anstand Selbstmord begehen sollten.

Kann man meckern? Aber immer. Die Lektüre hat den halben Arbeitstag kaputt gemacht. Denn statt Nötiges, aber Unwichtigeres zu tun, legte man sich einfach mit der «Zeit» in die Sonne und wurde von ihr erleuchtet, zumindest erhellt. Sicherlich bereichert.

Aber eben, welch schmerzliche Rückkehr in die Niederungen des eidgenössischen Schaffens. Man sollte sich die Lektüre solcher Blätter (auf Englisch gibt es auch noch ein paar) nur in homöopathischen Dosen gestatten. Sonst wird man Opfer einer typisch deutschen Krankheit, die all die nicht befällt, die eher selten von des Gedanken Blässe angekränkelt werden: Weltschmerz.

Peter Hartmeier über ZACKBUM

Zu viel Häme, zu wenig didaktische Angebote, dafür erstaunliche Recherchen.

Peter Hartmeier ist als Partner der Agentur Lemongrass Communications AG für die einen der grosse Strippenzieher im Schweizer PR-Zirkus. Für die anderen ist Hartmeier einer der vielen gescheiterten Tagi-Chefredaktoren (er war sieben Jahre CR). So oder so kennt Hartmeier den Journalismus und auch die Welt der Unternehmenssprecher (er war von 2010 bis 2013 Leiter der UBS-Unternehmenskommunikation) aus dem Effeff.  Der 68-Jährige hat als Journalist beim Badener Tagblatt begonnen.  Nun  hat sich der Kreis geschlossen. Seit 2019 ist er Vorsitzender des Publizistischen Ausschusses von CH Media, zu dem auch das Badener Tagblatt gehört. Die CH Media-Publizistik ist eine Instanz, die ZACKBUM immer mal wieder auf dem Kieker hat. Stichwort Pascal Hollenstein (Leiter Publizistik CH Media) und sein nicht immer glückliches Agieren.

Peter Hartmeier, Sie haben auf persönlich.com der Zeit-Redaktion zum 75-Jahr-Jubiläum gratuliert. Warum haben Sie Matthias Daum und seine Redaktionskolleginnen Sarah Jäggi und Barbara Achermann nicht erwähnt?

Für mich stand die historische publizistische Leistung dieses ausserordentlichen Mediums im Mittelpunkt und damit mein Respekt für die Gründergeneration um Marion Gräfin Dönhoff. Diese starke Frau hat mich seit meiner Jugend beeindruckt.

Was halten Sie denn vom Schweiz-Split?

Ich habe mich gefreut, als er eingeführt wurde: seither lese ich ihn aufmerksam Woche für Woche.

Von den Abozahlen her sind die Zeit (Schweizer Ausgabe) und die Republik ähnlich gross. Warum hat aus Ihrer Sicht die Schweiz-Ausgabe der Zeit so viel weniger öffentliche Resonanz?

Der Schweizer Split der «Zeit» ist eine zusätzliche, von der Leserschaft geschätzte Leistung innerhalb eines etablierten Titels; die «Republik» hingegen muss als spektakuläre Neugründung plakativ auf sich aufmerksam machen, um sich durchzusetzen

Wie finden Sie generell das Online-Magazin Republik?

Eine originelle Neu-Gründung, die ich aus Freude an der Schweizer Medienlandschaft schätze. Dieser Sympathie-Bonus ist eine Grundlage, von der aus ich mich dann kritisch über einzelne Beiträge oder ganze Serien äussere.

Wer bleibt länger bestehen: «Die Zeit» oder die «Republik»?

Die «Zeit» hat einen Verleger und ein entsprechendes Medienhaus im Hintergrund und wird kontinuierlich von starken Chefredaktions-Persönlichkeiten geführt – das merkt man diesem Titel an, der immer wieder junge Talente findet und engagiert.

Die «Republik» hingegen hat den Charakter einer Neugründung und muss ihre Unverzichtbarkeit erst noch beweisen. Die beiden Titel befinden sich in völlig unterschiedlichen Zyklen.

Deshalb ist die Frage nicht zu beantworten.

Noch ein Wort zu ZACKBUM: Wie nehmen Sie diese Plattform wahr?

Ich lese die Plattform in der Regel einmal wöchentlich: das genügt mir, weil für mich das Mass an Häme oft überschritten wird.

Was können wir Macher also aus Ihrer Sicht besser machen?

Ich bin oft im Gespräch mit jungen Talenten, die sich überlegen, eine journalistische Karriere zu beginnen, sie fortzusetzen oder in verwandte Branchen zu wechseln. Ausschliesslich hämische und vernichtende Medien-Kritik stösst diese jungen Talente eher ab, weil damit der Eindruck vermittelt wird, Journalismus und Publizistik befänden sich kurz vor dem Exitus – was objektiv gesehen nicht der Fall ist.

Exitus bedeutet Tod (ich musste es nachschauen). Symbolisch kommt das für gewisse Bereiche schon hin. Nochmals, was vermissen Sie an ZACKBUM?

zackbum.ch  könnte zum Beispiel auch einen kritischen Blick auf den Lokaljournalismus werfen.

Überhaupt: berichten Sie täglich über überraschende Ideen, originelle Kommentare, erstaunliche Recherchen.

Wenn «Zackbum» als medienkritische Plattform ernst genommen werden will , muss es das didaktische Angebot ausbauen.