Schlagwortarchiv für: Claudia Schwartz

Menschenverachtend

Die Gutmenschen sind Bösmenschen.

«Kevin Spacey im freien Fall. Seit Jahren hat der Schauspieler junge Männer belästigt und genötigt.» Tamedia, November 2017.

«In London laufen polizeiliche Ermittlungen gegen Spacey, der sich einer Sprecherin zufolge in therapeutische Behandlung begeben hat.» Tamedia, Dezember 2017.

«Soeben hat Scotland Yard Ermittlungen gegen Kevin Spacey aufgenommen, der als künstlerischer Leiter des «Old Vic» einen anderen Mann sexuell angegriffen haben sollTamedia, November 2017.

«CNN hatte von acht aktuellen oder früheren Mitarbeitern am Set von «House of Cards» berichtet, die Spacey mit Blick auf sexuelle Annäherungen ein «räuberisches» Verhalten vorwerfen. Sie beschuldigten ihn unter anderem, ein giftiges Arbeitsklima erzeugt zu haben.» Tamedia, November 2017.

«Kevin Spacey hat sich für einen sexuellen Übergriff auf einen 14-Jährigen entschuldigt – und zur Ablenkung sein Coming-out bekannt gegeben.» Tamedia, Oktober 2017.

Vorsicht vor Beschädigungen, Respekt vor der Unschuldsvermutung? Klarer Hinweis darauf, dass es sich um unbewiesene, teilweise Jahrzehnte zurückliegende Anschuldigungen handelt, deren Motivation nicht zuletzt Ruhm- und Geldgier ist?

Ach was. Nun Freispruch auf ganzer Linie in London. Sämtliche Anschuldigungen in den USA hatten sich schon zuvor in Luft aufgelöst. Nein, nicht in Luft. Spacey, einer der begabtesten Schauspieler unserer Zeit, der in «House of Cards» die Rolle seines Lebens gefunden hatte, wurde geächtet, von Hollywood ausgespuckt, aus fertigen Filmen geschnitten, in der Erfolgsserie gefeuert. Er hat sieben Jahre seines Lebens verloren – und all sein Geld, das für Anwälte draufging.

Hört man da bei Tamedia und bei allen anderen Blätter, die die damalige Hetze befeuerten und willig mitmachten, mit dem moralischen Zeigefinger wackelten, Behauptungen als Tatsachen darstellten, hört man da ein leises Wort des Bedauerns, der Entschuldigung gar?

Schlimmer noch, hat man gelernt? Wie der Fall Rammstein beweist: null und nichts wurde gelernt. Dem «Blick» wurde eine Verfügung um die Ohren gehauen, einen Schmierenartikel zu löschen. Selbst die NZZ vergriff sich und schrieb nassforsch vom Sänger als «Täter». Das wurde dann immerhin schnell korrigiert, aber der Fleck bleibt.

Inzwischen gehen Lindemanns Anwälte weiterhin konsequent gegen Kolporteure, Schmierer und Hetzer vor. Dem «Spiegel» – inzwischen einschlägig für solche Unterleibsstorys bekannt – wurden diverse Aussagen verboten. Einer Videobloggerin, die auch die Welle reiten wollte, um bekannter zu werden, wurden diverse kolportierte Aussagen untersagt.

Aber gibt es Anzeichen von Lernfähigkeit? Bei den grossen Medienkonzernen in der Schweiz null. Noch viel weniger bei «Republik», WoZ und Konsorten. Mit einer lobenswerten Ausnahme – wie meist. richtig, natürlich die NZZ.

Claudia Schwartz nimmt sich die Berichterstattung nach dem Freispruch Spaceys vor. Und urteilt so scharf wie richtig:

«Auch am Dienstag hielten manche Medien nicht inne. Freispruch vor Gericht? Das gilt jedenfalls für Prominente wie Kevin Spacey offenbar nicht mehr, ist die Meinung einmal gemacht. «Kein üblicher Verdächtiger» titelte das deutsche Magazin «Stern» wenige Stunden nach Prozessschluss, um dann, fett hervorgehoben, nochmals die Anschuldigungen in voyeuristischen Details aufzuwärmen. Dass Spacey bereits im vergangenen Oktober in einem ersten Zivilprozess von dem Vorwurf freigesprochen worden ist, den damals vierzehnjährigen Schauspieler Anthony Rapp sexuell belästigt zu haben: Wen interessiert’s?»

Schwartz geht noch weiter und sieht Anlass, «sich die Frage zu stellen, wie eine Gesellschaft zugerichtet ist, in der manche die Vorverurteilung höher gewichten als ein gerichtliches Urteil. «Ich verlor meinen Job, ich verlor meinen Ruf, ich verlor alles in nur wenigen Tagen. Noch bevor eine einzige Frage gestellt wurde», sagte Spacey zum Auftakt des Strafprozesses.»

Dann kommt sie zur einzig richtigen Schlussfolgerung: «Die Cancel Culture stösst nicht nur historische Figuren vom Sockel und verbannt Bücher, sondern sie geht – Kevin Spacey ist ein mahnendes Beispiel dafür – ans Lebendige und zerstört in moralischer Überheblichkeit Menschen, Karrieren, Existenzen. Deshalb sollte man auch das Urteil in derzeit diskutierten Fällen wie Til Schweiger oder Till Lindemann den Gerichten überlassen

So gut auch eine Stimme der Vernunft tut: sie geht unter im wilden Gekreisch und Gehetze auf den sozialen Plattformen, wo die Mainstream-Medien aus billigen Gründen mitschwimmen, wo jeder Kurzdenker und Kleinredaktor sich zum moralischen Grossinquisitor aufschwingen kann, vor Entrüstung beben, vorverurteilen – um dann feige zu schweigen.

Das ist verantwortungslos, erbärmlich und ein weiterer der vielen Sargnägel für diese Art von Medien, die keinerlei Mehrwert mehr enthalten. Ausser, Erregungsbewirtschaftung und wohlfeile Vorverurteilungen, das Errichten von Schandmalen, an denen sich das Publikum gütlich tun kann, sei ein Mehrwert.

 

Wenn die NZZ schwächelt

Die deutsche Kriegstreiberin Marie-Agnes Strack-Zimmermann bekommt ein Streichelinterview.

Zwei Redakteure bietet die NZZ auf, um mit der deutschen Kriegspolitikerin mit den beiden Doppelnamen ein Interview zu führen. Benedict Neff, seines Zeichens Feuilletonchef der NZZ und vielleicht nicht der sattelfesteste Militärberichterstatter. Und Claudia Schwartz, lange Jahre für «Streaming/TV verantwortlich», dann 2020 der Wechsel ins Feuilleton. Gute Beziehungen nach ganz oben helfen immer, auch bei einer doppelseitigen Berichterstattung über ein österreichisches Wellness-Hotel, das sie zusammen mit dem Göttergatten besuchte.

Diese beiden ausgewiesenen Fachleute bieten nun Strack-Zimmermann die Gelegenheit, weitgehend unwidersprochen ihre Positionen auszubreiten. Begleitet von unverständlichen Lobhudeleien: «MarieAgnes StrackZimmermann ist eine unbestechliche Stimme, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht.» Unbestechlich? Die Rüstungsindustrie-Lobbyistin sei unbestechlich, im Sinne von unvoreingenommen? Ein unglaublicher Schwächeanfall der NZZ.

Aber er setzt sich durchs ganze Interview hindurch fort: «Dieses Zögern und Abwarten (bei deutschen Waffenlieferungen, Red.) war ein grosser Fehler. Die Bundesrepublik hätte deutlich schneller reagieren müssen.» Sie hätte noch schneller – und im Gegensatz zur Schweiz – ihre Waffenausfuhrgesetze über Bord werfen sollen?

«Auf russischen Panzern steht «nach Berlin», … Das Nein der Schweiz hat in Deutschland die Frage aufgeworfen, wie zuverlässig die Lieferkette dringend benötigter Munition in Zukunft sein wird, wenn die Schweiz selbst bei der Verteidigung von Lebensmittelausfuhr nicht liefert, … Die Antwort liegt auf der Hand. In Zukunft sollte die Munition ausschliesslich in Nato-Staaten eingekauft beziehungsweise in Deutschland direkt hergestellt werden … Das Kanzleramt hat mir tatsächlich mal unterstellt, ich würde ein «Geschäftsmodell» daraus machen, den Kanzler zu kritisieren. Ich finde das offen gestanden geradezu zynisch … Umso unvorstellbarer ist es, dass gerade sie (Alice Schwarzer, Red.) das Leid der vergewaltigten Frauen in der Ukraine ausblendet und nicht einmal bei Demonstrationen thematisiert. Sie verrät ihre eigenen Werte … Wehrhaftigkeit ist das zentrale Thema der nächsten Generation.»

Jede Menge Stoff, um kritische Nachfragen zu stellen. Aber doch nicht die beiden Feuilletonisten der NZZ. Dann wäre ein ungeheuerliche Lügenmeldung von Strack-Zimmermann zu thematisieren gewesen:

«Nicht nur haben russische Raketen offenbar Polen und NATO-Gebiet getroffen, sondern auch zu Toten geführt. Das ist das Russland, mit dem hier einige offenkundig und absurderweise immer noch «verhandeln» wollen. Der Kreml und seine Insassen müssen sich umgehend erklären.»

Das sonderte sie direkt nach dem Einschlag einer Rakete in Polen ab. Sie ist immerhin die Vorsitzende des Deutschen Verteidigungsausschusses, und als solche müsste sie ihre Worte vorsichtig wählen. Mit dieser Behauptung betrieb sie eindeutig Kriegshetze. Was aber noch schlimmer war: als sich herausstellte, dass sie (und andere) auf ukrainische Propaganda reingefallen war, die Rakete in Wirklichkeit eine Abwehrrakete der ukrainischen Armee war, nahm Strack-Zimmermann ihre Behauptung nicht zurück, wies eine Entschuldigung dafür weit von sich.

Zudem ist sie Präsidiumsmitglied in der «Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik» (DWT). Sie ist Vizepräsidentin der «Deutschen Atlantischen Gesellschaft» (DAG), die sich trotz des allgemeinen Namens zum Ziel gesetzt hat, «das Verständnis für die Ziele des Atlantischen Bündnisses zu vertiefen und über die Politik der NATO zu informieren». Zudem ist sie Präsidiumsmitglied beim «Förderkreis Deutsches Heer» (FKH), neben der DWT die wichtigste Lobby-Gruppe der deutschen Rüstungsindustrie.

Aus all dem hätte sich vielleicht die eine oder andere kritische Frage ergeben können. Aber doch nicht vom Duo Neff/Schwartz. Und sollte jemand Kundiger in der NZZ die Nase gerümpft haben, tat er das still und leise. Denn wer will sich schon mit Schwartz anlegen? Niemand.

Messerscharfer Blick

Eric Gujer schneidet sich eine Scheibe Deutschland ab.

Der vorletzte CEO der NZZ scheiterte in Österreich. Die Verabschiedung von Veit Dengler war entsprechend kühl: «Verwaltungsrat und CEO der NZZ-Mediengruppe sind zum Schluss gelangt, die Führung des Unternehmens in neue Hände zu legen.»

NZZ.at war ein schmerzhafter Flop, denn die NZZ ist dafür bekannt, selbst in höchster Not ein einmal gestartetes Projekt nicht einfach aufzugeben. Der Österreicher Dengler meinte, nicht nur der von ihm mitbegründeten Partei Neos Schub zu geben, sondern auch eine erfolgreiche Expansion der NZZ lancieren zu können.

Nach seinem Abgang im Jahre 2017 wurde Dengler COO der Bauer Media Group. Abgang dort 2021.

Inzwischen ist der CEO der NZZ wieder der Mann im Hintergrund, und wie zu Zeiten, als es diesen Posten noch gar nicht gab, dominiert der Chefredaktor. Auch der Vorgänger von Eric Gujer agierte nicht gerade erfolgreich. Markus Spillmann war der erste Chefredaktor des Blatts, der seinen Posten nicht freiwillig aufgab.

Seit 2015 sitzt nun Gujer fest im Sattel, als Chef und als Geschäftsführer. Er hat sich die unnahbare Autorität zurückerobert, die noch Hugo Bütler in seinen 21 Jahren auf der Kommandobrücke ausstrahlte. Bütler, über dessen Kürzel bü. sich Niklaus Meienberg selig lustig machte, dass das nicht für Büttel, sondern für Bürgertum stehe, war tatsächlich das Sprachrohr des Bürgertums, für ihn zweifelsfrei in der FDP verortet.

Die Zeiten sind komplizierter geworden, aber da steht Gujer drüber. Er ist so allmächtig, dass selbst die Tätigkeit seiner Frau als NZZ-Redaktorin kein sichtbares Naserümpfen auslöst. Schliesslich schreibt sie als Claudia Schwartz, und natürlich werden ihre Beiträge nicht anders als alle anderen behandelt.

Allerdings kann es dann schon vorkommen, dass einen widerborstigen Mitarbeiter ein strafender Blitz von God Almighty trifft.

Aber neben solchen kleinen menschlichen Schwächen betreibt Gujer eine erfolgreiche Expansion nach Deutschland. Was ja auch logisch ist, 80 Millionen Einwohner statt 8 wie in Österreich. Zudem schwächelt dort das Sprachrohr des Bürgertums FAZ; der deutsche «Tages-Anzeiger» namens «Süddeutsche Zeitung» trieft vor Gesinnungsjournalismus, und die «Welt» konnte sich nie als richtiges Sprachrohr des Bürgertums etablieren. Dann gibt es noch «Die Zeit», aber die schwebt weitgehend über den Dingen.

Gujer erfreut nun regelmässig Deutschland mit seiner Kolumne «Der andere Blick». Sozusagen das Wort zum Wochenende, das früher auf der Front der Samstags-Ausgabe der NZZ stattfand.

Hier ist’s nach Deutschland gerichtet, elegant und schneidend geschrieben. Aktuell gerade:

«Deutschland, Messerland: Wieder müssen Unschuldige wegen einer verantwortungslosen Migrationspolitik sterben».

Das traut sich eigentlich sonst niemand in Deutschland ausserhalb der AfD. Wenn schon, denn schon, sagt sich Gujer und haut weiter drauf: «Schweigen und Ratlosigkeit sind die Antwort der Bundesregierung auf die Verbrechen

Dann zeigt Gujer, was man mit messerscharfer Logik (okay, damit ist der Kalauer erschöpft) argumentativ herausholen kann, in aller Schönheit:

«So weist die «Süddeutsche Zeitung» darauf hin, dass auch Deutsche andere Menschen erstechen. Und sie hält fest: «Das öffentliche Interesse ist bei Straftaten von Geflüchteten oft ungleich grösser als bei Delikten von Deutschen.» Nur die Taten der Ausländer würden in Talkshows erörtert.
Das aber deutet nicht auf Fremdenfeindlichkeit hin, sondern ist völlig natürlich. Messergewalt von Deutschen lässt sich nicht abwenden; Deutsche können nicht aus Deutschland ausgesperrt werden. Tödliche Attacken von Flüchtlingen sind jedoch kein Schicksal. Sie sind die Nebenfolge einer willentlichen Politik. Mit dem Schicksal kann man nicht streiten. Politik hingegen kann man diskutieren und verändern

Natürlich hat Gujer sowohl konkrete wie abstrakte Ratschläge zur Hand: «Hinschauen und Verantwortung übernehmen statt ignorieren und beschönigen. Das wäre ein guter Vorsatz für eine bessere Flüchtlingspolitik

Damit – und mit einer stetig ausgebauten Deutschland-Redaktion in Berlin – setzt Gujer das Alleinstellungsmerkmal der NZZ um. Sie setzt nicht auf Verkaufsplattformen wie das Haus Tamedia, nicht auf Digitalisierung und Wertschöpfungsketten wie Ringier, nicht auf Multichannel wie CH Media, sondern auf Content.

Natürlich wird Gujer deswegen von der Konkurrenz in der Schweiz immer wieder angerempelt. Tamedia, WoZ und «Republik» überbieten sich darin, der NZZ im Allgemeinen und Gujer im Speziellen vorzuwerfen, die wilderten im rechtskonservativen Lager und hätten keine Angst vor mangelnder Abgrenzung von der AfD.

Das lässt Gujer aber zu Recht kalt, weil die NZZ – im Gegensatz zu Tamedia – beispielsweise in der Frage der Waffenlieferung an die Ukraine ein strammer Verteidiger der Rechtsstaatlichkeit ist. Zudem merkte Gujer mal maliziös an, bezüglich journalistische Qualität sei es doch so, dass der Tagi immer mehr Content von der Süddeutschen aus Deutschland übernehme und seinen Schweizer Lesern serviere, dabei das eigene Korrespondentennetz zerreisse. Während die NZZ ihre Mannschaft in Deutschland stetig verstärkt.

Gujer ist gut vernetzt und hat einen gewissen Hang, sich nachrichtendienstliche Erkenntnisse zu eigen zu machen. Als Auslandkorrespondent unter anderem in der DDR, in Russland und in Israel gewann er deutliche rechtskonservative Erkenntnisse.

Sein grosser Vorteil ist aber zweifellos, dass die NZZ immer mehr ein Leuchtturm wird, weil die Konkurrenz ihr Heil im Skelettieren und Zu-Tode-Sparen der Redaktionen sieht. Auch wenn die NZZ ihr Korrespondentennetz lockerer geknüpft hat als auch schon, enthält meistens jede Tagesausgabe mehr Denkstoff als eine Wochenladung der Konkurrenz, wo dünn analysierte News und geistig bescheidene Meinungen immer mehr um sich greifen.

Natürlich kann und muss man auch die NZZ kritisieren. Aber mit Vorsicht, denn wenn auch dieses Blatt noch flach wird, dann wird es langsam echt schwierig, sich im deutschen Sprachraum qualitativ hochstehend zu informieren.

Packungsbeilage: Autor René Zeyer war einige Jahre Auslandkorrespondent der NZZ und publizierte früher regelmässig dort, als es noch eine Medienseite gab.

Wiegands Geschoss aus der Ferne

Eric Gujer sei bei der NZZ «ein Chefredaktor zum Fürchten». Sind die guten, alten Zeiten zurück?

«Auf der Redaktion muss Diktatur herrschen.» Das wusste schon der Publizist Karl Marx. War wohl die Keimzelle für die Diktatur des Proletariats.

Diese Art von Diktatur würde allerdings bei Gujer Alpträume auslösen. Hingegen scheint er einem eher traditionellen Berufsverständnis nachzuleben. Denn in den guten, alten Zeiten war der Chefredaktor tatsächlich ein Diktator. Geradezu allmächtig behauptete er die inhaltliche Oberhoheit, hatte gleichzeitig die licence to kill, also ein «kannst zusammenpacken und dich verpissen» hatte Rechtskraft. So Liga Peter Uebersax.

Zu einem gestandenen Chefredaktor gehörte natürlich die Büroflasche, gerne Single Malt, Zigaretten oder eher Zigarren, ein sehr gut hörbares Organ, inszenierte oder echte Wutanfälle, ein Porsche und ein Verhältnis zu Frauen, bei dem er heutzutage aus Belästigungsklagen gar nicht mehr rauskäme.

Weitgehend vorbei, verweht, nie wieder. Die beiden Oberchefredaktoren von CH Media und Tamedia haben mit dem Handling aller x Kopfblätter schon genügend zu tun, dann kommen noch ständige Sparrunden hinzu, das absorbiert auch ganz schön Energie, wie man das wieder der Reaktion (und dem Leser) als Verbesserung, Straffung, Synergie verkaufen kann.

Moderne Chefredaktoren sind ein Schluck Wasser dagegen

Von Arthur Rutishauser oder Patrik Müller ist nicht bekannt, dass sie laut werden, saufen, rauchen oder schnelle Wagen fahren. Ihr Gestaltungswille ist auch überschaubar. Das gilt ebenfalls für Christian Dorer. Da steckt zwar hinter dem verbindlichen «Traummann der Schwiegermutter»-Gesichtsausdruck ein harter Kern, aber diktatorische Anwandlungen sind auch nicht bekannt.

Chefredaktoren haben heute zudem die verdienstvolle Aufgabe, auf die Einhaltung des Budgets zu achten und auf Fingerschnippen sich mit den wenigen verbliebenen Grossinserenten zum Lunch oder Abendessen zu treffen. So geht dieses Berufsbild dahin.

Aber Markus Wiegand nützt das Interregnum beim «schweizer journalist» (sj) zu einer brutalen Abrechnung mit Eric Gujer aus. Dazu muss man wissen, dass Wiegand der erste und bis heute hochgelobte Chefredaktor des sj war. Er machte das damals neue Organ recht schnell zu einer Pflichtlektüre aller im Medien- und Kommunikationskuchen. Dann schwirrte er nach Deutschland zum Kress-Report ab.

Von da an ging’s bergab

Und der sj fiel nach der Regentschaft von Kurt W. Zimmermann in Agonie, der vorläufig letzte Alleinchefredaktor versuchte es mit einem verzweifelten Schmusekurs und Lobhudeleien auf Frauen. Das Einzige, was er damit erreichte, war, dass er durch zwei Frauen ersetzt wird. Aber eben, im Interregnum sprang der Chefredaktor der österreichischen Ausgabe ein. Der ist vielleicht mit den Schweizer Machtverhältnissen nicht so vertraut, und Wiegand kann’s sowieso egal sein.

Also haben wir in der sonst so schnarchig wie letzthin immer daherkommenden aktuellen Ausgabe ein Schmankerl serviert bekommen. Eric Gujer als Titelheld der ersten Ausgabe dieses Jahres. Ein Porträt über ihn, auf das er gerne verzichtet hätte. Denn es ist vielmehr eine Hinrichtung. Weil Wiegand ein Profi ist, macht er Gujer natürlich nicht rundum runter. Er lobt seine guten Taten. Klare Kante bei der NZZ, im Gegensatz zu seinem Vorgänger wieder eine einflussreiche Stimme in der Schweiz, Expansionsstrategie nach Deutschland durchaus erfolgreich. Dazu der wohl letzte Chefredaktor, der das Heil nicht bei digitalen Marktplätzen, Crossselling und Vollkommerz sieht, sondern in journalistischer Qualität.

Aber, so mit Rosen bestreut, nimmt sich Wiegand dann Gujer als Führungsfigur, als Chef, als Motivator, Antreiber und Leader vor. Und da wird es eine Hinrichtung und aschgrau. «Klima der Angst», eisige Atmosphäre, abkanzeln von Redaktoren auf offener Bühne, klare Ansage: Befehlsausgabe und Gehorsam. Abweichende Meinungen werden weder gerne gesehen, noch toleriert.

Unterirdische Stimmung auf der NZZ-Redaktion

Das habe zu einer beeindruckenden Fluktuation in der NZZ geführt, bei der man normalerweise eine Lebensstelle innehatte. Natürlich muss sich Wiegand auf eine «zweistellige Zahl von Quellen» berufen, die übereinstimmend Schreckliches berichten. Also eigentlich der betrübliche «Republik»-Stil. Dass aktuelle Angestellte je nach Alter entweder Gujer aussitzen möchten oder sich zur Frühpensionierung hangeln, ist verständlich.

Allerdings hat Wiegand – im Gegensatz zur «Republik»-Recherche – einen Ruf zu verlieren, und zumindest widersprechen auch hier diverse Quellen keineswegs seiner Darstellung der unterirdischen Stimmung auf der NZZ-Redaktion.

Es gibt zudem genügend ehemalige Mitarbeiter. Ein Schlaglicht auf Gujers charakterliche Ausstattung wirft eine kleine Anekdote aus der Vergangenheit. Gujer war bekanntlich einige Jahre als Moskau-Korrespondent der NZZ im Einsatz. Wie es sich für die damals noch sehr reiche Tante gehörte, residierten Korrespondenten an wichtigen Orten in einer NZZ-eigenen Wohnung.

Nun begab es sich, dass die Kinder seiner beiden Vorgänger dort, die einen guten Teil ihrer Jugend in dieser Wohnung verbracht hatten, über ihre Eltern an Gujer gelangten, ob es im Rahmen eines Moskau-Aufenthalts vielleicht möglich wäre, aus nostalgischen Gründen dieser Wohnung einen kurzen Besuch abzustatten, in der viele Erinnerungen hängengeblieben waren. Knappe Antwort Gujers: nein, das sei nicht möglich, das gehöre zu seiner Privatsphäre. Wohlgemerkt zur Privatsphäre eines Angestellten, der die Wohnung seines Arbeitgebers benützt.

Privatsphäre ist Privatsphäre

Eine andere Art von Privatsphäre umhüllt Chefredaktor Gujer und die NZZ-Redaktorin Claudia Schwartz. Das ist nämlich der nom de plume seiner Gattin. Wer es wie der «Republik»-Reporter Daniel Ryser wagt zu kolportieren, dass Schwartz auch mal damit drohe, Widerborstigkeiten Eric zu melden, wird mit juristischem Sperrfeuer überzogen. Als Tamedia mal Anlauf nahm, ein Porträt über Gujer zu veröffentlichen, verhinderte er das durch persönliche Intervention.

In seinen Auftritten als Leitartikler oder in NZZ-TV-Formaten fehlt jegliche Empathie. Kalte Augen hinter dezent designter Brille. Offenbar gehört er zu den Menschen, die problemlos die Raumtemperatur alleine durch ihre Präsenz senken können.

Offensichtlich ist auch im Kontrollgefüge bei der NZZ einiges im Argen. Gegen den dominaten Gujer scheint der neue CEO keinen Stich zu haben, und der gesamte Verwaltungsrat unter Etienne Jornod knabbert immer noch am Fast-GAU, als er Markus Somm als neuen Chefredaktor inthronisieren wollte.

Corporate Governance? Als Forderung gerne gesehen, aber bei anderen

Denn bei funktionierenden Checks and Balances wäre schon alleine die Mitarbeit der Ehegattin zumindest ein Thema und könnte nicht mit eisigem Schweigen behandelt werden. Noch absurder wird es bei der hier zuerst dargestellten gemeinsamen Fastenkur in einem Luxushotel.

Während der eitle Gatte sich im Hotelblog interviewen liess, füllte seine Gattin zwei Seiten in der NZZ mit diesem Aufenthalt. Das wirklich Erschreckende: weder in der NZZ, noch in der gesamten Schweizer Medienlandschaft führte das zu einer wahrnehmbaren Reaktion. Wobei es hier nicht um erlaubt/verboten ginge. Sondern schlichtweg darum, dass ein Chefredaktor der NZZ und seine Frau so etwas nicht tun sollten.

Niemand mehr da, der Anstand einfordern könnte

Aber da es niemanden gibt, der ihm das zu sagen wagt, braucht es eben ZACKBUM und diese einmalige Konstellation beim sj, damit die Frage thematisiert wird, welches Herrschaftsmodell Gujer bevorzugt und warum ihn «niemand stoppt», wie Wiegand provokativ fragt.

Das ist übel, weil es die NZZ ist. Dass im sj ein Jubelartikel über die Storytelling-Agentur der kommenden Co-Chefredaktorin erscheint, ist auch übel. Aber dieses Übel wird sich von selbst erledigen. Gujer nicht.

Honi soit …

… qui mal y pense. Aber muss man beschämt sein, wenn man schlecht über die NZZ denkt?


Es ist nicht bekannt, ob der NZZ-Chefredaktor Erik Gujer Träger des Hosenbandordens ist. Aber dieser Devise scheint er nachzuleben.

Die Franzosen haben’s erfunden, die Engländer angewendet.

Es begab sich nämlich und trug sich zu: Herr und Frau Gujer mögen ein Hotel bei Dornbirn namens Rickatschwende. Das ist weder anrüchig noch verboten. Der genaue Name des lauschigen Luxushotels ist «F.X. Mayr Health Retreat». Denn nach der weiterentwickelten Methode von Mayr wird hier auch eine Fastenkur angeboten. Für schlappe 3778 Euro aufwärts pro Nase kann man sich eine zweiwöchige «Auszeit für die ganzheitliche Regeneration von Körper, Geist und Seele» gönnen.

Portemonnaie und Körper fühlen sich erleichtert.

Verständlich, dass der Chefredaktor der immer noch bedeutendsten Zeitung der Schweiz, mit Expansionsgelüsten nach Deutschland und gebeutelt vom Werberückgang, ab und an genau das braucht. Verständlich, dass das auch seine Gattin braucht. Die war schon einige Male in diesem Hotel, allerdings nicht im Mayr-Programm, aber dann probierte sie es aus – und war begeistert.

Wer kann dem schon widerstehen? (Screenshots Hotel-Homepage.)

Gerne schildert Gujer seine Erfahrungen

Gerne schildert das Gujer in aller Ausführlichkeit in einem Interview. Frage: War das Ihr erstes Mal? «Ja, es war das erste Mal, auch wenn meine Frau und ich schon öfters in der Rickatschwende waren, allerdings im Nicht-Kurbetrieb, einfach um die Ruhe dort zu genießen. Wie so oft sind es die Frauen, die mutiger sind, also hat meine Frau zuerst eine solche Kur absolviert.

Sie kam recht begeistert zurück, also beschloss ich, es auch einmal zu versuchen.»

Woher das die Weltöffentlichkeit weiss? Nun, ein deutlich tiefenentspannter Gujer verrät das «Mayr», dem Hausmagazin des Hotels:

Ein fastender Chefredaktor ohne Leidensmiene.

Als Berufsinsignien vor sich die NZZ und – erstaunlich – die Süddeutsche; vielleicht war gerade keine FAZ zur Hand. Neckisch ragen aus der Tasse die Blätter eines Pfefferminzstengels, denn gesund ist’s hier.

Auch das könnte man noch als lässliche Sünde sehen, halt etwas eitel, der Herr, und wenn man schon mit österreichischem Charme fragt, wer kann da widerstehen. Ausserdem darf er natürlich auch gewichtige Worte zu Mensch und Werk äussern.

Das Leben ist nicht nur ein Fluss, sondern auch voller Zufälle

Es begab sich auch und trug sich ebenfalls zu, dass in der Samstagausgabe der NZZ vom 13. Februar 2021 ein ganzseitiges Interview mit dem «Kurarzt Wolfgang Moosburger» erschien. Genauer: mit dem «Chefarzt im Rickatschwende F. X. Mayr Health Retreat». Interviewerin ist Claudia Schwartz, die im Ressort Gesellschaft auch die vorherige Seite füllt. Mit einem Bericht über «Viel mehr als nichts essen». Besonders, was sie ausdrücklich und lobend erwähnt, im Selbstversuch ausprobiert im Hotel Rickatschwende.

Zufälle aber auch. Denn zufällig ist Schwartz die Gattin von Gujer. Wir fassen also zusammen. Familie Gujer hat schon einige Male geruhsame Ferien in einem Hotel verbracht. Auf Anregung seiner Gattin lässt sich Gujer auch zu einer Zweiwochenkur überreden (weniger bringt nichts, meint er im Interview). Davon so begeistert, gewährt er dem Hotel-Blog gnädig ein Interview. Nach der Devise: Sie werden nicht mit ekligen Fragen belästigt, dafür sagen Sie nur nette Sachen über uns.

Dann erscheint ein Zweiseiten-Stück in der NZZ, bei dem das Interview mit dem Chefarzt auch in diesem Geist geführt wird. Eingeleitet von einem Artikel, der die Kur, die Methode und das Hotel in den höchsten Tönen lobt. Geschrieben von der Gattin Gujers. Selbst wenn man nicht im Traum daran denkt, dass sich Familie Gujer so eine Rechnung für den Aufenthalt erspart hat (obwohl das doch so rund 8800 Franken gewesen sein dürften): hat das ein Geschmäckle oder nicht? In der NZZ? Er Chefredaktor, gewährt Interview im Hotelblog, sie seine Gattin, schreibt in der NZZ über eben dieses Hotel?

Wie du mir, so ich dir.

Es antwortet die NZZ-Kommunikationsverantwortliche

Die entsprechenden Fragen leitet da Ehepaar Gujer an die Kommunikationsverantwortliche weiter. Zunächst sei dieser Beitrag der Abschluss «einer Reihe zum Thema Ernährung». «Basierend auf einer persönlichen Erfahrung während eines (selbstverständlich selbst berappten) Ferienaufenthaltes beschreibt Frau Schwartz darin die F.-X.-Mayr-Kur.» Wie schon eine andere Autorin vor ihr habe Schwartz eben einen persönlichen Erfahrungsbericht geliefert, was die Erwähnung von anderen Hotels mit diesem Angebot ausschliesse. Es handle sich «entsprechend nicht um einen gesponserten Tourismus-Artikel».

Das Interview mit Gujer sei davon völlig unabhängig und auf Anfrage der Hotelleitung entstanden. Es sei Teil einer Reihe, wo «Persönlichkeiten, die in Jobs mit hohem Stressfaktor tätig sind, zu ihrem Umgang damit befragt werden».

Vor Gujer waren das der weltbekannte Schauspieler Sebastian Koch und der längst vergangene «Zukunftsforscher» Matthias Horx. Nun, da ist das Niveau mit Herrn Gujer aber gewaltig gestiegen.

Beantworten, was nicht gefragt wurde

Natürlich: «In keinem dieser Fälle ging es um «Gegengeschäfte».» Hat auch niemand behauptet. Das ist die übliche Masche; man beantwortet eine Frage, die gar nicht gestellt wurde, um einer gestellten Frage auszuweichen. Die lautete, ob man all das in der NZZ für statthaft halte, eine weitere: «Wir wissen wohl alle, dass nicht nur das Tatsächliche, sondern auch der Anschein eine wichtige Rolle spielt; vor allem, was die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit einer redaktionellen Berichterstattung betrifft. Glauben Sie, dass dieser Anschein hier gewahrt wurde?»

Fast kongenial antwortet der Geschäftsführer des Hotels in diesem Sinne: «Für Fragen zur Berichterstattung der Neuen Zürcher Zeitung wenden Sie sich bitte direkt an die NZZ.» Was ich getan habe, aber meine fünf unbeantworteten Fragen ans Hotel hatten damit nichts zu tun.

Honi soit qui mal y pense, kann man da nur sagen. Alles normal, alles legal, alles in Ordnung. Kann man so sehen. Muss man nicht so sehen, denn oberhalb des klar Verwerflichen gibt es auch noch Grauzonen. Mit denen die NZZ kein Problem zu haben scheint. Als grosser Aufreger wird im Lead des Gujer-Interviews «schon zu Beginn verraten: Er hält sich nicht für unabkömmlich». Gut zu wissen.