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Die «Hauptstadt» bettelt

Immer die gleiche Wolkenschieberei.

«Das erste Jahr der Hauptstadt stimmt uns daher zuversichtlich, dass es uns gelingen kann, unser neues gemeinnütziges Geschäftsmodell auf eine nachhaltige Basis zu stellen.» Sei es die «Republik», sei es «bajour», sei es die «TagesWoche» selig: die Newsletter beginnen immer so.

Unweigerlich wie das Amen in der Kirche kommen dann spitze Schreie der Begeisterung, wie toll der Leser reagiert habe, wie sehr der Markt nach dem neuen Organ giere, wie wunderbar sich alles entwickle. Natürlich, kleine Schwierigkeiten gab es da und dort, aber im grossen Ganzen, alles super, alles spitze, alles fröhlich, alles gut.

Auch der nächste Schlenker kommt aus dem Stehsatz. Die Zahl der zahlenden Leser sei über Erwarten hoch, wunderbar, ein Vertrauensbeweis, ein klares Indiz, dass es das Organ brauche.

Nur, da wird dann eloquent fabuliert wie bei der «Republik» oder mit dem Holzhammer gearbeitet wie bei «bajour», nur, nun ja, also ein bisschen mehr Abos brauche es dann schon. Nein, nicht viele, einfach ein paar tausend, sollte doch kein Problem sein.

Im Fall der «Hauptstadt» sind es allerdings mal wieder etwas viel. Nach neun Monaten habe das Blatt rund 4000 zahlende Leser. Das sei super, aber da sei noch Luft nach oben. Genauer: 50 Prozent mehr sollten es schon sein, also 6000.

Ist das realistisch? Sicher, wenn man Anhänger von Che Guevara ist, der gesagt hat: «Seien wir realistisch. Verlangen wir das Unmögliche.» Ist ihm auch nicht gut bekommen.

«Hauptstadt»-Vorbilder: alle mit hohler Hand

Nach dem Arbeitstitel «Neuer Berner Journalismus» ist nun bekannt, dass die geplante Berner Lokal-Onlinezeitung «Hauptstadt» heissen wird.

Von Stefan Millius

Nein, Bern ist nicht die Hauptstadt der Schweiz, so etwas haben wir nicht mal, aber weil das kaum jemand weiss, kann man es machen: Eine Zeitung für Bern so nennen. Bald soll es losgehen mit der «Hauptstadt». Aber vor den Erfolg haben die Götter nicht etwa den Schweiss gesetzt, sondern das Crowdfunding. Für das neue Medium beginnt dieses in wenigen Tagen.

Stand der Dinge am Donnerstag.

Das Portal will der «Berner Zeitung» und «Der Bund» zu schaffen machen, beziehungsweise die Meinungsvielfalt bereichern. Der Fokus gehöre dem Grossraum Bern, jedoch «ohne kleinkariert und provinziell zu werden», wie die künftigen Macher auf der vorübergehenden Webseite neuerjournalismus.be schreiben.

Dort erfährt man auch, wie das aussehen soll. Und zwar ziemlich deckungsgleich mit fast jeder Ankündigung eines neuen Mediums der vergangenen Jahre. Konstruktiv, gemeinnützig, divers, kollektiv und so weiter. Damit weiss man zwar noch nicht, was dereinst in der «Hauptstadt» stehen wird, aber man ahnt, dass es politisch sehr korrekt sein dürfte.

Gemein und nützlich?

Ein Teil des Programms soll die Zusammenarbeit mit anderen jungen Onlinemedien sein, in diesem Fall als «Die Alternativen» beschrieben. Das Wort trifft es im doppelten Sinn, wenn man die Karte konsultiert, auf der die «Hauptstädter» die gewünschten Komplizen der Zukunft aufführt. Einige wie «tsüri», «Republik», «Bajour» oder «Journal B» gehören zu den üblichen Verdächtigen.

Aber: «Baba News»? «Kolt»? «Kultz»? «Lucify»? «Rums»?

Neben fehlender Bekanntheit (und vermutlich Reichweite) ist den meisten dieser kreativ benannten Titel vor allem eines gemein: Sie möchten natürlich gerne finanziell unabhängig werden dank Zuwendungen der Leserschaft, eines Tages ganz bestimmt, das kommt schon noch. Aber vorerst benötigen sie mal die Unterstützung von Geldgebern wie Stiftungen und so weiter. Und das bitte möglichst lange.

Leistung soll sich lohnen? Igitt

Einzelne von ihnen versichern sogar vorbeugend, sich niemals restlos dem schieren Kommerz auszuliefern. «Kolt» beispielsweise hat die jährlichen Werbeeinnahmen freiwillig auf 60’000 Franken begrenzt. Wenn die Mitte Jahr erreicht sind, muss der Anzeigenverkäufer also sechs Monate in den Winterschlaf. Inwiefern die künstliche Eingrenzung der Einnahmen dem Ziel der Meinungsvielfalt einträglich ist, fragt sich.

Ziemlich geschickt hat es «Baba News» gemacht mit einer klaren Positionierung, die gewisse Stellen ganz einfach unterstützen müssen, es geht nicht anders. Das «Online-Magazin für Šhvicer*innen mit Wurzeln von überall» erhält Beiträge von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes. Was eine originelle Schreibweise alles auslösen kann.

Im besagten Netzwerk aus «Alternativen» hingegen konsequent nicht aufgeführt sind alle Onlinezeitungsprojekte, die weder auf Crowdfunding noch Stiftungen noch private Mäzene setzen, die sich mit geerbtem Geld einen Platz im Himmel kaufen wollen. Also alle Zeitungen, die davon ausgehen, dass man Geld selbst verdienen muss und sonst keine Existenzberechtigung hat. Beispielsweise die Portal24-Gruppe des Verlegers Bruno Hug oder Primenews.ch in Basel. Da führt man für die Nordwestschweiz lieber Hansi Voigts «wepublish.ch» als Partner auf, das keine Zeitung ist, sondern Zeitungsmachern eine digitale Infrastruktur basteln möchte. Auch «Die Ostschweiz» (dessen Mitbegründer der Autor dieses Beitrags ist) hat keine Aufführung verdient.

ZACKBUM.ch? Ach was, hier wird zwar um Spenden gebettelt, aber nicht allzu aufdringlich.

Erstaunlich, dass man sich als neues Medium konsequent nur an den Vorbildern orientiert, die sich nicht am freien Markt ausrichten und permanent der Gnade reicher Leute ausgeliefert sind.

Oh je, nun auch «Edito»

Was allen anderen billig ist, kann doch bei «Edito» nicht falsch sein. Es wird gebettelt.

Unerreicht in der Champions-League spielt in der Schweiz die «Republik». Grosse Worte, grosse Summen, jährlich wiederholt, inklusive Selbstmorddrohung. Eindeutig Platz eins.

Dahinter kommen dann einige (noch) lebende hoffnungsfrohe Plattformen. Bajour bettelt um mehr Members bis Ende Jahr. Gönner natürlich auch immer willkommen.

Ausgerechnet unter die grottenschlechten Artikel stellt die «Medienwoche» ihren Aufruf, als Gönner «100 Prozent in unabhängigen, hintergründigen Journalismus» zu investieren. Wohl eher in abgründigen, der die Tiefen der guten Gesinnung auf Kosten schlechter Recherche auslotet.

Auch «Edito» macht die hohle Hand

Und jetzt auch noch «Edito».  Zu den grösseren Nachteilen meiner Mitgliedschaft bei impressum gehört, dass mir «Das Schweizer Medienmagazin» zugestellt wird. Den schmalbrüstigen, dünnen Gesinnungsjournalismus drin haben wir schon rezensiert.

Aber diesmal kommt das Blättchen mit einer Gesamtauflage von rund 10’000 Exemplaren mit Beilage. Während man sich nostalgisch daran erinnert, dass das nun die Ruine ist, die aus Gazette, journalisten.ch und dem unerreichten «Klartext» übrig blieb.

Wie alle Bettler haben sie gute und schlechte Nachrichten

Unterzeichnet ist der neuste Bettelbrief vom Verleger, der Chefredaktorin und dem Redaktionsleiter Romandie. Sie haben, wie eigentlich alle Bettler, eine schlechte und eine gute Nachricht. Die schlechte: «Die Edito-Erträge» sanken «teilweise über 50 Prozent». Interessante Formulierung. Aber was ist die gute Nachricht? Dank der Abonnententreue und «der Bereitschaft aller Mitarbeitenden, auch in 50 Prozent Kurzarbeit ein Bestes zu geben, konnte sich unser Schiff über Wasser halten».

Bötchen, Schlauchboot würde es wohl besser treffen. Wir wollen auch nicht grübeln, ob die staatlich bezahlte Kurzarbeit zum Besten für alle in Vollzeitarbeit umgemünzt wurde. Aber item, man wolle alles daransetzen, um den Erhalt «des einzigen gesamtschweizerischen Medienmagazins» zu gewährleisten.

Auch wir sind für kritischen Medienjournalismus

Mit Verlaub, nur weil auf den Kopf gestellt im gleichen Heft ein Teil auf Deutsch und ein fast identischer Teil auf Französisch erscheint, während es im Tessin keinen Journalismus zu geben scheint, ist «einziges gesamtschweizerisches Medienmagazin» doch ziemlich hoch gestapelt.

Aber wie auch immer, was mal wieder gesagt sein muss: «Kritischer Medienjournalismus ist gerade jetzt nötiger denn je.» Dieser Auffassung sind wir bei ZACKBUM.ch allerdings auch. Nur betteln wir nicht um Spenden. Obwohl wir inzwischen Single Vistors in einer Zahl haben, die die Auflage von «Edito» weit übertrifft.

Da das ja scheint’s alle anderen auch so machen, «arbeitet ein Projektteam an der Zukunft von Edito». Und auf welche originelle Idee ist dieses Team gekommen? Ausbau der digitalen Angebote. Wahnsinn. Dafür haben wir weder ein Projektteam noch mehr als eine Minute gebraucht. Internet first, vielleicht, in weiter Zukunft, auch mal Print. Wenn man uns gefragt hätte, hätte sich das Projektteam nicht an sicherlich zahlreichen Sitzungen den Kopf zerbrechen müssen. Andererseits: dann hätte es ja kein Sitzungsgeld, kein Gemeinschaftsgefühl und keine gemeinsame Absackerchen gegeben.

Wieso nicht mit uns reden?

Aber wir wissen schon, wieso man mit uns nicht reden will. Weil wir immer so böse mit allen sind? Aber nein. Weil wir der festen Überzeugung sind: wo es keine Nachfrage gibt, nützt auch Bettelei, Aufrufe, Solidarität, Appelle schlichtweg nix. Das Einzige, was passiert, ist immer die Verlängerung der Agonie. Sterbebegleitung. Geld sinnlos verrösten.

Wir haben uns fest vorgenommen, Ende Jahr Zwischenbilanz zu ziehen. Rund 5 Monate, das scheint uns ausreichend. Wofür? Na, für die einzige Währung, die im Internet wirklich zählt. Wie viele Leser haben wir, und nimmt deren Anzahl zu oder ab?

Nimmt sie deutlich ab, würden wir ohne zu zögern am 31. Dezember den Stecker ziehen. Ohne Gewinsel, ohne Bettelei, ohne vorherige Drohung mit Selbstmord. Ohne Hinweis darauf, dass Medienkritik so nötig wie noch nie sei.

So macht man das, finden wir.