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Mario Stäuble

Die Kommentare sind noch der Untergang von Tamedia.

«Die Unabhängigkeit der CS geopfert, die Stabilität des Finanzsystems gesichert.» Das habe der Bundesrat getan, behauptet der frischgebackene Inlandchef von Tamedia. Frisch degradiert zeigt er ungefähr so viel Sachkompetenz wie Finanzministerin Karin Keller Sutter.

Die hat gerade vom Nationalrat eine zwar nur symbolische, aber dennoch schallende Ohrfeige gekriegt. Denn die Volksvertreter lehnten das Notrecht-Gemurkse des Bundesrats ab. Damit bewiesen sie mehr Fachkenntnis als Bundesrat, Nationalbank, FINMA und Stäuble zusammen.

Denn jedem vernunftbegabtem Menschen muss es klar sein, dass die Lösung, eine strauchelnde Dinosaurierbank zu «retten», indem man sie in einen noch grösseren Dinosaurier transplantiert, grotesk schlecht ist. Dass das wieder per Notrecht in höchster Eile geschah, macht aus der Groteske eine Tragödie.

Was wird passieren, sollte die UBS – wie bereits zehn Jahre nach ihrer Gründung 1998 – wieder am Abgrund stehen und nur durch künstliche Beatmung mit Milliarden Staatsgeldern gerettet werden könnte? Das stellte damals 66 Milliarden ins Feuer. Bei der CS sind es bereits 259 Milliarden. Wie viele müssten es bei einer neuerlichen UBS-Rettung sein? Die Bank ist nun dreimal grösser als die CS, man rechne.

Also tat der Nationalrat das einzig Vernünftige, obwohl das folgenlos bleiben wird. Es ist ein Unding im Gemurkse, dass per Notrecht gefasste Beschlüsse alternativlos sind. Weder vom Parlament, noch vom Stimmvolk überprüft oder korrigiert werden können.

Aber statt diese naheliegenden Probleme zu thematisieren, kritisiert Stäuble, dass Parteipolitik betrieben worden sei: «Man spürt: Es ist Wahljahr.» Das hat was, aber dann müsste der kompetente Kommentator vielleicht kritisieren, dass die SP zunächst einem sinnvollen Vorschlag der SVP zur Lösung der «too big to fail»-Problematik zustimmte, dann aber aus rein parteitaktischen Gründen auf dem Absatz kehrt machte und ihn versenkte. Angeführt von der Schnellschwätzerin Jacqueline Badran.

Aber das will Stäuble seinem linksliberalen Publikum nicht zumuten. Stattdessen versteigt er sich zu einer absurden Behauptung: «Das Parlament sendet Signale des Misstrauens aus – wenige Wochen nachdem der Bund mit einem dreistelligen Milliardenbetrag einen Bank Run gestoppt hat. Mit ihrem Widerstand unterlaufen SP, Grüne und SVP die Strategie des Bundesrats, um jeden Preis Stabilität zu garantieren.»

Der Mann hat keine Ahnung. Der Bundesrat hat, wenn seine Behauptung stimmt, dass die CS alle Eigenkapitalvorschriften erfüllt und solvent gewesen sei, keineswegs einen Bank Run gestoppt. Er hat vielmehr einen Notverkauf der Bank erzwungen. Ob er damit Stabilität hergestellt hat, ist mehr als fraglich.

Aber Stäuble zeigt dem Parlament, wo der Hammer hängt: «Statt Lösungen zu debattieren, betreiben die Parteien Wahlkampf.»

Als Stammtischmeinung nach dem zweiten Halbeli durchaus akzeptabel. Als Kommentar des Inlandchefs des zweitgrössten Medienkonzerns der Schweiz inakzeptabel.

Die GV der CS hat immerhin die Vergütung der Geschäftsleitung der Krisenbank abgelehnt – Quittung für Unfähigkeit. Stäubles Kommentar steht hinter der Bezahlschranke bei Tamedia. Ist zwar nichts wert, kostet aber. Wäre es da nicht naheliegend, dass auch der Tamedia-Leser die Honorierung von solchem Unfug verweigern dürfte? So als Anregung Richtung Supino.

Gesinnung statt Meinung

Zum Trio Infernal des Elendsjournalismus gehört der Kommentar.

Die Verarbeitung von Listen, die Erstellung von Rankings und der Faktencheck sind schon mal zwei Elendsgebiete des aktuell auf der Intensivstation liegenden Journalismus.

Zusammen mit Agenturmeldungen, zusammen mit Einheitssauce aus Zentralredaktionen, zusammen mit der Übernahme ausländischer Korrespondentennetzen, zusammen mit der Einsparung des Lokaljournalismus sind das deutlich sichtbare Krankheitssymptome.

Auch die schöne, alte Tradition, dass der Journalist die Käfighaltung in seinem Grossraumbüro, Pardon, im «Newsroom», verlässt, um seiner Aufgabe nachzugehen, wozu, es gibt doch Google, Videokonferenzen und auch das gute alte Telefon.

Von nichts eine Ahnung, zu allem eine Meinung

Zudem: Rausgehen kostet, vernichtet viel kostbare Zeit, die der Redaktor besser verwendet, indem er mindestens drei Online-News und noch Beigemüse rauspustet. Reportage ist sowieso so was von gestern. Heute ist: übernehmen, schütteln, anreichern und kürzen, und rein damit, ein neues Stück Qualitätsjournalismus.

Aber neben all dem, und etwas Aufmunterung muss ja sein, wuchern auf einem Gebiet die Erzeugnisse, als gäbe es keine Medienkrise. Dieses Gefäss kommt auch der Grundeinstellung jedes Journalisten entgegen. Denn er hat ja eigentlich von nichts eine Ahnung, weiss aber dennoch alles besser.

Stellen wir uns nur einmal vor, in welch paradiesischer Welt wir leben würden – wenn die Welt nur auf die Meinungen und Kommentare der Journalisten hören würde. Wir lebten dann in der beste aller Welten, von der schon Leibniz träumte. Wer war das schon wieder? Egal, viel wichtiger ist:

Würde die Welt nur auf die Journalisten hören

Trump? Hätte es nie gegeben. Flüchtlingskrise? Das Wort wäre nie geboren worden. Pandemie? Die wäre schon längst und eigentlich geräuschlos verschwunden. Entscheidungen von Politikern, Unternehmensführern, überhaupt von mächtigen Menschen? Selten gut, selten richtig.

Meistens «hätte man», «müsste man endlich», wäre es «höchste Zeit», ist es geradezu «uverständlich», ja «fahrlässig», schlichtweg «falsch», mindestens «kurzsichtig». Aber das ist ja längst nicht alles. Hier geigt der Journalist unermüdlich allen und der Welt, was alles falsch gemacht wird, was dringend anders gemacht werden müsste.

Soweit, so schlecht. Jeder darf haftungsfrei und verantwortungslos was reinbellen. Wenn er ein Megaphon dafür hat, umso besser. Aber in den letzten Jahren, seit die Welt immer unübersichtlicher geworden ist, multipolarer, wie man das akademisch nennt, Philosophen sprechen sogar von einer überkomplexen Wirklichkeit, steigt gleichzeitig das starke Bedürfnis nach Orientierung. Nach Koordinatensystemen beim Kartographieren dieses chaotischen Haufens namens Erde.

Nur eine Meinung? Nein, eine Gesinnung

Und, so ist der Mensch, umso einfacher, desto lieber. Also ja nicht zu kompliziert; die Welt ist es schon genug. Es muss einfach und klar sein. Wie macht man das? Na, einfach: indem man in dem Kommentar nicht einfach zwischen richtig und falsch unterscheidet. Sondern dahinter Gesinnungen denunziert.

Jemand, der zum Beispiel auch gute Eigenschaften bei Trump sieht, der liegt nicht einfach damit falsch. Ist nicht einfach ein Depp. Also einer von 70 Millionen Deppen, die ihn doch tatsächlich wiederwählen wollten. Nein, wer das sagt, zeigt damit seine Gesinnung. Er meint nicht einfach etwas – ob richtig oder falsch –, er ist etwas.

Und zwar nichts Angenehmes. Er hat noch Schwein, wenn er mit der Qualifizierung «Populist» davonkommt. Schreckt er nicht vor weiteren Dummheiten zurück, entwickelt er sich zu einem Rassisten, Rechtsradikalen, Verschwörungstheoretiker, Neo- oder Altnazi, Fremdenfeind, kurz: zum Unmenschen.

Die Sicherheit des unfehlbaren Urteils

Woher nimmt denn der Kommentator die Sicherheit seines unfehlbaren Urteils? Nun, er speist es aus zwei Quellen. Dem tiefsitzenden Frust, dass er (und seine Meinung) immer unwichtiger werden. Dass es selbst dem «Spiegel» nicht gelingt, Trump «wegzuschreiben», wie es seine erklärte Absicht war. Das ist natürlich bitter, wenn der weltverändernde Kommentar nicht mal mehr von Kollegen gelesen wird.

Die zweite Quelle ist die unfehlbare Sicherheit aus moralischer Überlegenheit. Wer weiss, was gut und böse ist, weiss auch, wo das Böse lauert und dass man dem im Kampf fürs Gute sofort und streng Einhalt gebieten muss. Wobei klar ist: Böses sagt man nicht einfach so. Böses sagen nur böse Menschen. Schlechte Menschen. Unbelehrbare Menschen. Deshalb muss man sich auch gar nicht inhaltlich mit ihnen auseinandersetzen. Kategorisieren reicht, dann kann es nur noch darum gehen, diese Gesinnungslumpen aus dem öffentlichen Diskurs auszuschliessen.

Rein in die Framing-Kiste

Erkenntnis durch Debatte, Streitgespräche, das Aufeinanderprallen angeschärfter Argumente? Ach was, das ist so old school wie eine Reportage. Und überhaupt, wie soll man sich denn in 15 Minuten mit einer anderen Meinung auseinandersetzen können? Dann muss der Kommentar nämlich fertig sein. Also rein in die Framing-Kiste: Wer das sagt, der ist das. Und mit dieser Gesinnung sollte er möglichst schnell einfach die Schnauze halten. Der Böse.

Der Corona-Journalist, Teil I

Neue Lage, neue Gattung: keiner zu klein, Fachmann zu sein.

Wie wusste Hölderlin schon so richtig: «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.» Bevor nun gegoogelt wird: nein, das war kein Corona-Fachmann; nur so ein deutscher Dichter.

Allerdings hätte er sich unter dem Rettenden wohl nicht die aktuelle Entwicklung in den Medien vorgestellt. Denn während noch im Januar dieses Jahres wohl 99 Prozent aller Journalisten auf das Stichwort Corona geantwortet hätten: «ah, das Bier mit dem Zitronenschnitz», ist das heute anders. Ganz anders.

Jeder, der sich berufen fühlt, ist inzwischen zum Epidemiologen, Virologen, Corona-Virus-Kenner, Testspezialisten und vor allem zum Warner, Mahner und wackelndem Zeigefinger herangereift. Unabhängig von Alter, Geschlecht und Vorbildung.

Wenn alle davon reden, müssen alle Journalisten mitreden

Ob gelernter Taxifahrer, abgebrochener Germanist, promovierter Soziologe, Maturand auf dem zweiten Bildungsweg, Kursbesucher des MAZ: spielt überhaupt keine Rolle. Wenn alle von Corona reden, müssen alle Journalisten mitreden.

Wenn der Oberchefredaktor, also Patrik Müller (Betriebswirtschaftslehre, Handelsschuldiplom), Arthur Rutishauser (Doktor der Volkswirtschaft), Eric Gujer (Geschichte, Politikwissenschaft und Slawistik) oder Christian Dorer (B-Matur, Grundstudium Wirtschaft) das Wort ergreifen, schweigt natürlich der Plebs* und studiert fleissig die geäusserten Positionen.

Sobald das klar ist, kann losgelegt werden. Zum Beispiel, wenn der Bundesrat neue Massnahmen verkündet, aber keinen Lockdown. «Nicht fünf vor zwölf, sondern High Noon», lässt die NZZ Filmbildung erkennen, überhaupt sei der Bundesrat viel zu zögerlich unterwegs. Riskante Strategie, der BR folge der Wirtschaft, das Risiko trügen die Schwächsten, barmt sich der «Tages-Anzeiger».

«Totales Versagen» wird gerne genommen

Wie es sich gehört, poltert «Blick»-Oberchef Christian Dorer kräftiger, er konstatiert ein «totales Versagen» von BR und Kantonsregierungen, aber immerhin, jetzt sei das Minimum beschlossen worden. Patrik Müller räumt ein, dass es noch nicht zu spät sei, also der Schweizuntergang noch aufgeschoben sei, allerdings sei die Verkümmerung des kulturellen und sozialen Lebens beklagenswert.

Ich fasse zusammen: Versager, Zauderer, Minimalisten, wirtschaftshörig, Zeichen der Zeit nicht erkannt, riskieren für die Wirtschaft das Leiden der Schwächsten.

Wenn das so wäre, müssten wir uns wieder einmal schämen. Schämen, dass wir eine solche Versagertruppe als Bundesrat haben. Dass wir solche Versager in die Kantonsregierungen gewählt haben. Wir könnten sicherlich ruhiger schlafen und der Pandemie viel gelassener entgegenblicken, wenn wir eine Notregierung aus diesen vier Chefredaktoren bilden würden, unterstützt von ihrer Bodenmannschaft, die auch alles über Corona weiss.

Beschädigtes Vertrauen allenthalben

Die Kakophonie der Wissenschaftler mitsamt Kassandra-Rufen beschädigt die Glaubwürdigkeit und die Reputation. Die Rechthaberei und Zurechtweisung der Medien, völlig verantwortungs- und haftungsfrei, beschädigt die Glaubwürdigkeit und Reputation.

Wenn sich jeder Journalist als wissenschaftlicher Scheinriese fühlt, der genau weiss, welche Massnahmen wann und wie ergriffen werden müssten, aber eben, leider hört man nicht auf ihn, dann versagt die Vierte Gewalt wieder einmal krachend in ihrer Kernaufgabe: informieren, analysieren, einordnen, Auslegeordnung machen, die Entscheidungsfindung des Lesers befördern.

Ich (promovierter Germanist und Historiker) kenne mich nur mit vier Dingen aus: Worten, Zahlen, logischen Zusammenhängen und Deduktionen. Dazu äussere ich mich, zu Dingen, für die ich nicht die nötige Qualifikation habe, schweige ich. Damit minimiere ich zumindest die Gefahr, die von mir ausgeht. Wachsendes Rettendes sehe ich allerdings nicht.

* In einer ersten Version war Plebs falsch geschrieben.