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Sichere Sieger

Ölkrise, Gaskrise. Wer gewinnt? Russland? Falsch. Big Oil.

Am 4. August übernahm Tamedia einen Artikel aus der «Süddeutschen»: «Läuft wie geschmiert. Die Ölmultis profitieren von der Gaskrise.» Viel mehr Echo war da nicht, obwohl die Quartalsprofite von Big Oil ein klares Indiz dafür sind, wer geradezu obszön am Ukrainekrieg und den dadurch existierenden Problemen mit Öl und Gas profitiert.

Natürlich hat das auch die SZ nicht unbedingt selbst recherchiert, das erledigen nach wie vor angelsächsische Medien.

Insgesamt machte Big Oil alleine im ersten Quartal 2022 einen Profit von fast 100 Milliarden US-Dollar. Die englische Zeitung «The Guardian» zitiert aus einer wissenschaftlichen Studie, die nachgewiesen hat, dass alle grossen Öl- und Gasfirmen oder -länder in den letzten 50 Jahren auf heutige Kaufkraft umgerechnet 2,5 Milliarden US-Dollar Profit gemacht haben. Pro Tag.

Keine andere Branche auf der Welt hat eine dermassen lange und ungebrochene Geschichte von obszönen Gewinnen. Die reichen aus, um sich Politiker, Gesetze, Vorschriften und alles zu kaufen, was dem Geschäftsprinzip im Weg steht. Das heisst einfach «more». Mehr. Ölkatastrophen, Umweltschäden, explodierende Ölplattformen, Verseuchung ganzer Landesteile? More. Auswirkungen fossiler Brennstoffe auf die Umwelt? Greenwashing und more.

Es ist noch schlimmer: «Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds profitiert die Industrie für fossile Brennstoffe täglich von 16 Milliarden Dollar an Subventionen

Die Ergebnisse der Studie sind auch hier ohne Bezahlschranke zusammengefasst. Damit ist die Ölindustrie völlig ausser Kontrolle jeglicher staatlicher Behörden. Nichts, nicht einmal Waffenherstellung, Drogenproduktion oder die Ausbeutung natürlicher Rohstoffe unter übelsten Arbeitsbedingungen kann damit verglichen werden. Auch wenn dort teilweise höhere Profite möglich sind, haben all diese Tätigkeiten nicht eine solch lange Laufzeit von ununterbrochenen Gewinnen, die mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks in die Kassen gespült werden.

Zudem hat die Ölindustrie den Vorteil, dass ihre Tätigkeit legal ist, zwar gelegentlich – besonders bei Ölkatastrophen – kritisch hinterfragt wird, aber niemals so anhaltend und so lange wie bei illegalen Geschäften.

Man kann also ohne grosse Übertreibung sagen, dass es zurzeit nicht in erster Linie um einen Kampf zwischen autokratischen und demokratischen Ländern geht. Eine solche Vereinfachung scheitert schon daran, dass die Ukraine sicherlich keine funktionierende Demokratie ist, sondern dem amtierenden Präsidenten von einem Oligarchen der Wahlsieg gekauft wurde.

In Wirklichkeit müsste ein Kampf der demokratischen Gesellschaften gegen Big Oil stattfinden, müsste ernsthaft versucht werden, dessen übergrosse Macht zu beschneiden. Aber während im englischen Sprachraum wenigstens Aufklärung geleistet wird und das Problem beschrieben, bleibt es im deutschen Elendsjournalismus bei kurzen Erwägungen einzelner übergrosser Gewinne. Ohne dass die Hintergründe oder die Zusammenhänge aufgezeigt werden.

Aber solche Untersuchungen sind halt etwas anspruchsvoller als das Ausschlachten gestohlener Geschäftsunterlagen mit anschliessendem Skandalisieren der Hehlerware.

 

 

 

Sparmassnahmen in der Wirtschaft

Bei Schweizer Banken wird an Kompetenz gespart. In den Wirtschaftsredaktionen auch.Die  Ergebnisse sind ernüchternd.

Es gibt die versammelte Schweizer Wirtschaftspresse. Die NZZ bemüht sich immerhin noch, Schatten alter Grösse an die Höhlenwand zu werfen. Aber sonst? Der Prozentsatz von Wirtschaftsjournalisten, der ohne zu stottern sagen könnte, was ein ETF ist, nimmt sozusagen täglich ab.

Der Prozentsatz der Journalisten, die in der Lage wären, die Schieflage der Credit Suisse à fond zu analysieren, liegt im Promillbereich. Für Schlagzeilen kann diese Journaille eigentlich nur noch auf zwei Arten sorgen.

Tamedia beteiligt sich mal wieder an der Ausbeutung von Hehlerware. Also irgendwelche irgendwo auf der Welt von unbekannten Tätern gestohlene Geschäftsunterlagen werden aufbereitet und portionenweise auf die beteiligten Medien verteilt. Dann werden sie in Leaks, Papers oder Files umbenannt, je nachdem, was am besten alliteriert. Also niemals Panama Leaks, sondern natürlich Panama Papers.

Dann wird ein grosses Gegacker und Flügelschlagen veranstaltet, Abgründe von Verbrechen gemutmasst – bis sich alles in Luft auflöst. Wie bei einem schweizerisch-angolanischen Geschäftsmann, dem übelste Machenschaften bei der Verwaltung eines angolanischen Staatsfonds vorgeworfen wurden. Alles Unsinn, stellte sich heraus.

Die zweite Art entsteht durch Anfüttern. Also der Oberchefredaktor oder wer auch immer wird mit ganz heissen News angefüttert. Die er dann als Ergebnis einer schweisstreibenden Recherche unter Einsatz von Leib und Leben an seine Leserschaft verfüttern kann.

Interessiert das Schicksal einer der beiden Schweizer Grossbanken überhaupt noch?

Es gäbe noch theoretisch eine dritte Möglichkeit. Durch eigene Recherchen zu Ergebnissen kommen. Für die meisten Wirtschaftsjournalisten in der Schweiz ist das aber Jägerlatein aus Zeiten, wo möglicherweise tatsächlich nicht die pfannenfertig angelieferte Kommentierung des Geschäftsberichts per copy/paste ins Blatt gehoben wurde.

Wer überhaupt noch den Nerv hat, sich für das Schicksal der beiden einstmals grossen Schweizer Grossbanken zu interessieren (selbst als Aktionär will man lieber einfach nichts mehr wissen), dürfte mitbekommen haben, dass die Credit Suisse neue Höhepunkte der verantwortungslosen Zockerei mit grösseren Teilen des Eigenkapitals vorgeführt hat.

So ging die Bank beim Hedgfonds eines wegen Insiderdelikten Vorbestraften mit Milliarden ins Risiko. Genauer, sie zockte bei Wetten mit, die mit max. 10 Prozent Eigenkapital unterlegt waren, in den schlimmsten Zeiten hatte die CS über 20 Milliarden Dollar in diesem Spekulantenfonds im Feuer; die Hälfte des Eigenkapitals.

Wie ist eine solche Verluderung nur möglich?

Bei einem anderen wilden Zocker in Australien passierte fast zeitgleich genau dasselbe. Wie war das möglich? Nun, da sendet die Schweizer Wirtschaftspresse mal wieder das Pausenzeichen, nachdem sie wiederholte, was die «Financial Times» recherchierte. Eigenleistung: null. Aufmerksam gemacht auf die Berichterstattung der FT wurde die Journaille erst noch durch den munteren Finanzblog «Inside Paradeplatz», bei dem eine Einzelmaske die wohl grösste Anzahl von Primeurs der letzten Jahre zu verantworten hat.

Wenn berichtet wird, dann so oberflächlich wie aktuell in Tamedia, dass der neue VR-Präsident der CS «aneckt». Weil er im Gegensatz zu seinem Vorgänger versuchen will, den Kahn vor dem völligen Absaufen zu bewahren. Das fänden irgendwelche anonymen Nulpen in den oberen Rängen nicht so toll. Was für die Zukunft der CS ungefähr so wichtig ist wie die farbliche Gestaltung der Menükarte in der Angestellten-Mensa.

Nachdem aber die FT vorgelegt hat, zieht das «Wall Street Journal» nach. Mal wieder «Inside Paradeplatz» wagt es, den Inhalt des ausführlichen und sich vom Schweizer Niveau wie Tag und Nacht unterscheidenden Artikels zusammenzufassen:

Er «entlarvt eine der grössten und wichtigsten Firmen der Schweiz als einen Hallodri-Laden, bei dem die höchsten Chefs null Ahnung haben von dem, was tatsächlich vor sich geht, und die sogenannte Key Risk Takers mit Millionen vergolden, welche mit ihren Wetten das ganze Unternehmen aufs Spiel setzen.»

Nichts hat sich gebessert, fast alles hat sich verschlimmert

Will man dem WSJ glauben, und wie die FT unterlaufen dem Blatt selten bis nie gravierende Fehler, ist es diesmal noch schlimmer als bei der Finanzkrise eins. Ein Laden, der völlig und im wahrsten Sinne des Wortes ausser Kontrolle geraten ist. Wenn der aktuelle CEO (muss man sich den Namen eigentlich merken?) blubbert:

«Risk control has always been a top priority, it’s key to every bank. I’m absolutely focused on that, not only now: I was, and I will be»,

erregt das nicht mal mehr Ärger oder Kritik, sondern reines Mitleid.

Trauriger Plauderi vor Bankfassade.

Ärgerlich sind nur drei Dinge. Dass diese versammelten Pfeifen immer noch Multimillionengehälter verdienen. Dass der Schweizer Steuerzahler – too big to fail – in der Haftung ist. Und dass die Schweizer Wirtschaftspresse, die sich weiterhin angelegentlich um jeden Pipifax in der Affäre Vincenz kümmert, angesichts des Niedergangs einer der beiden Symbolbanken der Schweiz schlichtweg stumm bleibt.

Abschreibt, was die letzten englischsprachigen Wirtschaftsmedien mit der Fähigkeit zum Recherchieren herausfinden. Dabei genauso schamlos Gehälter von einigen hundert sogenannten «Wirtschaftsjournalisten» kassiert werden, die etwa gleichviel leisten wie die Chefetage der Credit Suisse.

Grossverlage und Grossbanken haben inzwischen staatliche Unterstützung

Staatsgarantie haben inzwischen beide. Weitere Parallelen sind unverkennbar. Die grossen Clans, die die Schweizer Medienlandschaft beherrschen, kassieren weiterhin Multimillionen, ohne nur den Schatten eines Gedankens zu produzieren, wie ihre Verlage aus eigenen Kräften aus der aktuellen Misere herausfinden könnten.

Während das Angebot ausgedünnt wird, die Redaktionen zusammengelegt und -gehackt, und das Ganze als Verbesserung, Synergie, Straffung dem fluchenden Abonnenten verkauft wird. So wie die CS jeden verzweifelten Rettungsversuch als tolle Leistung den fluchenden Aktionären verkaufen will.

Verblüffend, wie sich da zwei gefunden haben. Die Schweizer Privatmedien und die Privatbanken. Arm in Arm in den Sonnenuntergang wankend.