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Anti-Antisemitismus

Wer will gerne in ein Wespennest greifen?

Es gibt Antisemitismus-Kreischen. So wie es Schwinger der Nazikeule gibt. Oder routinierte Werfer von Ausdrücken wie Sexismus, exkludierend, diskriminierend, rassistisch, rechtsnational, linksradikal, populistisch. Und dann gibt es Sensibelchen, die sich so furchtbar schnell ganz unwohl mit irgend etwas fühlen. Wegen solchen Idioten wurden schon Konzerte abgebrochen. Und Träger von Rastalocken als postkolonialistische Aneigner fremden Kulturguts beschimpft. Vom Wort Mohrenkopf ganz zu schweigen.

All diese Kategorisierungen dienen häufig dazu, dass im Geiste einfache Menschen sich an untauglichen Hilfsbegriffen durch die komplizierte Realität hangeln können. Und sie damit zu verstehen meinen, obwohl sie in Wirklichkeit hinter solchen Verstellungen überhaupt nichts kapieren.

Andererseits braucht der Mensch Generalisierungen, er kann nicht ein paar Milliarden Mitmenschen als lauter Individuen begreifen. Also gibt es den Russen, den Deutschen, den Schweizer. Auch den Juden?

Da betreten wir ein Minenfeld, bei dem jeder Schritt zu einer Explosion führen kann, vor allem seit dem Hamas-Massaker und der israelischen Reaktion im Gazastreifen. Das ist noch schön unantastbar formuliert. Aber schon die Kritik, dass Israel im Gazastreifen Kriegsverbrechen begeht, die Tötung von über 30’000 Palästinensern mindestens so eine Schweinerei ist wie der feige Überfall der Hamas, führt in Teufels Küche. Beziehungsweise wird sofort mit dem Slogan «antisemitisch» gebrandmarkt.

Das kann dem besten Juden passieren. An der Berlinale sagte ein israelischer Filmemacher bei der Preisverleihung für seinen Dokumentarfilm über die (völkerrechtswidrige) israelische Siedlungspolitik: «Diese Situation der Apartheid zwischen uns – diese Ungleichheit – muss ein Ende haben.» Da nützte ihm seine Zugehörigkeit zum Judentum nichts mehr, «Antisemitismus» schallte ihm entgegen. Tapfer gab er zurück, dass das ein schrecklicher Missbrauch dieses Begriffs sei.

Der jüdische Regisseur Jonathan Glazer wurde für seinen beklemmenden Film über Auschwitz bei den Oscars ausgezeichnet. Er erklärte, dass sein Film zeigen wolle, wohin Entmenschlichung führe. Er wolle nicht darauf aufmerksam machen, was damals getan wurde, die Botschaft sei «schaut, was wir heute tun». Ihn ereilte, was fast noch schlimmer als der Antisemitismus-Vorwurf ist: er habe den Holocaust damit relativiert, verharmlost.

Schon dem deutschen Schriftsteller Martin Walser schlug eine gewaltige Kritik entgegen, als er bei der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels  von der «Moralkeule Auschwitz» sprach. In welchem Zusammenhang er den Begriff herleitete, was er genau damit meinte, egal. Der Shitstorm war gewaltig.

Aktuell wird von jüdischen Kreisen versucht, jede Kritik an Israel als antisemitisch zu denunzieren. Hier in der Schweiz gibt es einen Spezialisten dafür, der sensibler als ein Seismograph schlichtweg alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, als antisemitisch beschimpft.

All diese Besitzer eines vermeintlichen Totschlagarguments sind sich nicht bewusst, dass sie damit diese Waffe stumpf machen, missbrauchen, zweckentfremden. Jede Kritik an Israel unter den Generalverdacht des Antisemitismus zu stellen, jeden Kritiker der Kriegsführung im Gazastreifen als Antisemiten zu denunzieren, das erreicht das Gegenteil des Gewünschten.

Ganz abgesehen davon, dass eine israelkritische Position oder gar eine Ablehnung der Politik Israels antisemitisch motiviert sein kann, aber nicht muss. Antisemitismus bedeutet Judenhass oder Judenfeindlichkeit. Die Aussage «im Gazastreifen begeht Israel Kriegsverbrechen und schadet sich und seiner Sache mehr als der Hamas» ist diskussionswürdig, aber sicherlich nicht antisemitisch.

Diese Aussage als antisemitisch zu denunzieren, das hingegen kann man dialektisch als Ausdruck von Antisemitismus bezeichnen, weil es ihm mit dieser dümmlichen Verkürzung Vorschub leistet.

Viele Kommentatoren trauen sich deshalb schon mal gar nicht, dieses Minenfeld zu betreten. Was der Debatte und der Erkenntnis wie jedes Verbot schadet.

Auf der anderen Seite gibt es tatsächlich seit Jahrtausenden tiefverwurzelte Klischees über Juden, der «wandernde ewige Jude», der geldgierige Jude (obwohl sich das die Christen selbst einhandelten, mit dem idiotischen kirchlichen Zinsverbot), die Pogrome, die Ghettos, und schliesslich der industriell betriebene Massenmord der Hitler-Deutschen, bei dem sie – was sie nicht entschuldigt – in vielen Staaten, nicht zuletzt in der Ukraine, willige Helfer fanden.

Wer aber überzeugt ist, dass Israel im Gazastreifen Kriegsverbrechen begeht, damit keineswegs die Hamas-Massaker verniedlichen will, wer den israelischen Ministerpräsidenten als Grossversager sieht, der sich an die Macht klammert, weil er nur so einer Gefängnisstrafe wegen Korruption entgeht, der soll das auch sagen dürfen. Wer davon überzeugt ist, dass Israel mit dieser Politik seine Existenz mehr in Frage stellt als dass das die Hamas jemals könnte, muss diese Position vertreten dürfen.

Wer solche Äusserungen als antisemitisch brandmarkt, betreibt selber das verächtliche Geschäft des Antisemitismus. So vertrackt ist das nun mal.

Und pro-palästinensische Manifestationen, bei denen das Existenzrecht Israels bestritten wird oder gar die Hamas-Massaker bejubelt, das sind nicht in erster Linie antisemitische Ausschreitungen. Das sind schlichtweg dümmliche, menschenverachtende, Abscheu auslösende Verirrungen meist linker Menschen, die völlig den moralischen Kompass verloren haben. Sie finden ihr Gegenpart in Manifestanten, die jedem Palästinenser unterstellen, er sei ein religiös motivierter Wahnsinniger, der am liebsten alle Israelis umbringen möchte.

Mögen nun die Spiele der Kommentatoren beginnen.

Alain Finkielkraut nervt

Auch die NZZ ist geschichtsvergessen.

Man kann den französischen Intellektuellen Finkielkraut interviewen. Man könnte sich kritisch mit seinen Behauptungen auseinandersetzen. Man sollte dann aber auch seine kurvenreiche Vergangenheit erwähnen, oberhalb des kurzen Schlenkers «Sie selbst waren einmal Maoist», auf den Finkielkraut salopp antworten darf: «ein paar Wochen», um dann das Thema zu wechseln.

Man hätte in seiner Biographie – oder zumindest in Form einer Frage – nicht auslassen dürfen, dass sich der Nationalist Finkielkraut auch schon so äusserte: «die einzige Partei, die die Franzosen mit ihrer verunsicherten Identität ernst» nehme, sei der «Front National», schwurbelte er 2013. Einwanderung führe zu einem Niedergang Frankreichs, seiner Kultur, ja seine «Identität» sei gefährdet.

Aber wie seinem Kollegen bei Tamedia geht es Benedict Neff von der NZZ mehr darum, einen Gleichgesinnten abzufragen, als sich seines Handwerks als kritischer Journalist zu besinnen. So rutscht Neff bereits auf einer Schleimspur ins Interview:

«Sie haben die woke Ideologie an den amerikanischen Universitäten schon früh kritisiert. Gelegentlich hielt ich Ihre Warnungen für übertrieben. Nach dem 7. Oktober und den Pro-Hamas-Demonstrationen an verschiedenen Unis dachte ich: Er hatte recht. Was ging Ihnen durch den Kopf? – Ich war schockiert. Ich war fassungslos. Ich war überwältigt. Sagen wir, um den französischen Autor Jean Racine zu paraphrasieren: Mein Unglück übertraf meine Hoffnung.»

Sozusagen als negative Ergänzung zu Lüscher stellt Finkielkraut dann die steile These auf: «Nach dem Massaker vom 7. Oktober scheint es, als sei der Antisemitismus das höchste Stadium des Wokeismus. Der Wokeismus reduziert die Komplexität menschlicher Konstellationen gnadenlos auf die Konfrontation von Herrschern und Beherrschten, Unterdrückern und Unterdrückten.»

So wie Lüscher den Antisemitismus vor allem rechts verortet, lebt er für Finkielkraut links: «Die Partei von Jean-Luc Mélenchon, La France insoumise, ist sehr explizit zu einer antisemitischen Bewegung geworden.» Da könnte ein Interviewer vielleicht nachfragen, woran konkret der Philosoph das festmache. Aber nachhaken war gestern, heute ist labern lassen.

So darf Finkielkraut ungebremst einen wahren Rachefeldzug starten: «Die humanitären Organisationen, die heute gegen Israel hetzen, verlieren kein Wort, um das Verhalten der Hamas anzuprangern.» Und: «Selbst der 7. Oktober wird wie der Eintrag in einer Buchhaltung behandelt. Es gab 1200 Tote und einige tausend Verletzte, während die israelischen Bombardements und Angriffe in Gaza viele, vielleicht 19 000 Tote gefordert haben. Viele Menschen verstehen nicht mehr, was Krieg ist. Sie wollen von der tödlichen Taktik der Hamas nichts mehr hören.»

Spätestens hier hätte Neff vielleicht auf die Berichterstattung im eigenen Blatt eingehen können:

Und haben während der illegalen und völkerrechtswidrigen Besiedelung der Westbank bis heute Hunderte von Palästinensern umgebracht, meistens ohne dafür zur Verantwortung gezogen worden zu sein. Auch das ist kein Eintrag in einer Buchhaltung. Aber ein Hinweis darauf, dass der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis vielleicht etwas komplexer ist, als ihn Finkielkraut als terrible simplificateur darzustellen beliebt. Und was die extra hingereiste «NZZ-Reporterin» Andrea Spalinger zu erwähnen vergisst. Front National, woke ist Antisemitismus und der Feind im Inneren unserer Gesellschaft. Israelische Kriegsverbrechen? Wer davon spricht, verstehe nicht, was Krieg sei, behauptet der Philosoph.

Papierdünne Thesen, geeignet für ein kritisches Gespräch, in dem der wendige Debattierer Gelegenheit hätte, seine rhetorischen Fähigkeiten und intellektuellen Saltos in der Manege vorzuführen. Aber weil er nur abgefragt wird, kommen sein Antworten merkwürdig flach, matt, unanimiert daher. Dabei hat er im Gegensatz zu Lüscher durchaus intellektuelle Potenz, ist gestählt an der lebhaften Kultur der Auseinandersetzung in Frankreich, wo ihm allerdings schon lange Michel Houellebecq vor der Sonne steht, der noch radikaler und skandalträchtiger kantige Thesen vertritt.

Aber vielleicht fühlte sich Neff einem Interview mit dem nicht gewachsen und zog es vor, etwas gelahrter mit dem Mitglied der altehrwürdigen Académie française zu parlieren …

Jonas Lüscher langweilt

Jonas who? Na, der «bedeutende Intellektuelle», einer «der bedeutendsten Schweizer Intellektuellen».

Wer allerdings noch nie etwas von ihm gehört hat, muss sich nicht schämen deswegen. Man kann seine verquasten Romane lesen – oder es auch seinlassen. ZACKBUM ist für seinlassen.

Das hindert allerdings den «Kulturredaktor» Andreas Tobler von Tamedia nicht daran, mit dem Intellektuellen ein Interview zu führen, das den Leser auf  17’500 A kräftig langweilt.

Schon der Einstieg vertreibt den kundigen Konsumenten: «Die Linke steht gemäss Lukas Bärfuss vor einem Scherbenhaufen, weil viele zum Terror der Hamas schweigen. Autor Jonas Lüscher tritt dem differenziert entgegen – und plädiert für den Klassenkampf.»

Echt jetzt? Der andere bedeutende Intellektuelle und Autor Bärfuss sagt etwas ohne Hand und Fuss, und dagegen plädiert der differenzierte Lüscher für Klassenkampf? Nun, wirres Zeugs erzählen, das eint die beiden. Tobler spielt hierbei, wie bei Tamedia inzwischen üblich, man denke an das Gauck-Liebediener-Interview, den Stichwortgeber und liegt sich ideologisch mit Lüscher in den Armen. Was immer eine tolle Voraussetzung für ein spannendes Interview ist, in dem der eine ungestört von kritischen Nachfragen alles palavern darf, was ihm so in den Sinn kommt.

Dass Interview mal eine eigene Kunstform war, ein herausforderndes Gefäss im Journalismus, dieses Wissen ist offenbar bei Tamedia (oder zumindest bei Tobler) völlig verlorengegangen.

Heutzutage kommt ein Interview so daher:

«Das ist alles grauenhaft.
Ja, das ist unbegreiflich. Aber der linke Antisemitismus ist kein neues Problem. Es ist vielmehr so, dass es eben nie eine einheitliche Linke gab
Ein gemurmeltes Selbstgespräch, wo man zwischen Frage und Antwort nicht unterscheiden kann. Und die Antwort enthält lediglich Banalitäten, die früher bei der Verdichtung eines Interviews gestrichen worden wären.
Aber wenn schon die Frage banal ist, was kann man dann von der Antwort erwarten; vor allem, wenn sie von einem Flachdenker wie Lüscher kommt:
«Und das ist heute noch so?
Ja, auch heute ist die Bandbreite linken Denkens und linker Ideologien, gerade in der Nahostfrage, sehr breit.»
Hier erhebt sich wieder einmal gebieterisch die Frage, ob nicht vielmehr Tamedia dem Leser Schmerzensgeld zahlen müsste, als von ihm für einen solchen Schrott auch noch Geld zu verlangen.
Einordnung, Analyse, Denkstoff, Anregendes? Im Gegenteil, man arbeitet gemeinsam an Richtigstellungen. Nachdem Tobler einiges zum linken Antisemitismus abgefragt hat, der vor allem an Bildungsstätten sein Unwesen treibt, darf Lüscher endlich das erlösende Fehlurteil abgeben: «Antisemitismus ist, das zeigen die Zahlen sehr deutlich, massgeblich ein rechtes Problem
Dann macht Lüscher eine Denksalto, bei dem jeder Interviewer, verdiente er diesen Namen, ungläubig nachfragen würde: « …. die Art und Weise, wie die gegenwärtige Lage zur Stimmungsmache gegen Muslime und zur Durchsetzung noch härterer Asylregeln von rechts benutzt wird, widert mich an». Stimmungsmache gegen Muslime, die unter perverser Ausnützung der Meinungsfreiheit in Gesellschaften, die nicht von ihnen beherrscht werden, mit Pro-Hamas- und Pro-IS-Slogans grölend durch die Strassen ziehen? Ohne dass es von massgeblichen islamischen Organisationen lautstarken Protest dagegen gäbe? Wie kann man in einem Interview nur unwidersprochen einen solchen Humbug behaupten? Nun, dann, wenn der Interviewer jede kritische Distanz vermissen lässt.
Auch ein solches Geschwurbel dürfte eigentlich nicht ohne Widerworte durchgelassen werden: «Wenn auf die Frage, ob der Aufruf zum Völkermord an den Juden gegen die Universitätsregeln verstosse, die mittlerweile zurückgetretene Penn-State-Präsidentin antwortet, das sei eine kontextbezogene Entscheidung, wundere ich mich natürlich.» Wunder mich? Das ist alles? Das wundert den Leser nicht, das widert ihn an.
Dann noch das grosse Finale. Was tun, «was müsste die Linke Ihrer Meinung nach tun?» Da ballt Lüscher die Faust und skandiert: « …. es herrscht Klassenkampf. Es kämpft ihn gegenwärtig allerdings, und zwar mit allen Waffen und aller Gewalt, nur eine Seite: die der Vermögenden. Wir sollten diesen Kampf aufnehmen.»
ZACKBUM empfiehlt, vor diesem Kampf den Kampf um ein journalistischen Grundbedingungen genügendes Interview aufzunehmen. Kritisches Hinterfragen statt Abknutschen, Qualitätskontrolle, Verzicht auf Leserquälen, da gäbe es so viel zu kämpfen …

Schon wieder …

Da ist Häme angebracht: das woke Theater am Neumarkt soll einen Juden diskriminieren.

Noch linker als das Schauspielhaus und noch mehr auf ein absolutes Minderheitenprogramm fixiert: das ist das Theater am Neumarkt in Zürich. Hier bekam der deutsche Primitiv-Provokateur Ruch Gelegenheit, gegen den Chefredaktor der «Weltwoche» zu rüpeln («Roger Köppel tötet. Tötet Roger Köppel.»).

Das Theater versteht sich als «barrierefreie Denkanstalt», als «Haus der Vielheit und Offenheit». Natürlich ist den Theatermachern jede Form von Diskriminierung, Ausgrenzung, gar Rassismus völlig fremd. Ausser vielleicht, es geht gegen rechtsnationale Hetzer.

Diese löbliche Haltung von Gutmenschen lassen sie sich jährlich mit 4,5 Millionen Steuerfranken versüssen. Und nun das. Ein Ensemblemitglied fühlt sich diskriminiert, weil es nur in der Hälfte aller Stücke eingesetzt werde. Grund: weil es Israeli sei. Tschakata.

Erschüttert maulte die Theaterleitung zurück: «Antiisraelisches und antijüdisches Gedankengut hat bei uns keinen Platz.» Nur: der jüdische Schauspieler wird tatsächlich selektiv eingesetzt. Warum? Nun wird’s einen Moment kompliziert. Weil es, Multikulti halt, auch eine libanesische Kollegin im Ensemble gibt. Na und? Es gibt da ein libanesisches Gesetz, das geschäftliche und auch persönliche Kontakte mit Israeli unter Strafe stellt. Denn der Libanon befindet sich seit 1948 und bis heute offiziell im Krieg mit Israel.

Schon mit Israeli zu sprechen, geschweige denn, mit ihnen aufzutreten, auch im Ausland, steht unter Strafe, es droht sogar Gefängnis. Und die religiösen Wahnsinnigen der Hetzbolla sind nicht dafür bekannt, sehr tolerant zu sein.

Also sagt die libanesische Schauspielerin, sie könne nicht zusammen mit einem Israeli auf der Bühne stehen, das gefährde ihre Sicherheit. Nun kann man leichthin sagen, dass es doch absurd sei, dass ein mit Steuergeldern subventioniertes Theater sich idiotischen libanesischen Gesetzen in der Schweiz beugt. Andererseits gibt es genügend Vorfälle – man denke nur an die Mohammed-Karikaturen –, die Angst vor Repressionen als nicht absurd erscheinen lassen.

Ein echtes Scheissproblem, vor allem für Gutmenschen. Wie lösen? Als man die Libanesin einstellte, habe man nichts von diesem Gesetz gewusst, sagt der Hausdramaturg. Davon erfuhr man, als man den jüdischen Schauspieler ins Ensemble aufnahm. Dann habe man das Problem tatsächlich so gelöst, dass beide halt nicht gleichzeitig auf der Bühne stehen. Dafür findet der Dramaturg, gelernt ist gelernt, eine hübsche Formulierung gegenüber der NZZ: «Natürlich war es ein imperfekter Entscheid in einer imperfekten Welt

Dazu gibt es allerdings noch einen bitteren Nachtrag. Denn anscheinend funktionierte diese Regelung während zwei Jahren problemlos und diskret. Nun läuft aber der Vertrag des jüdischen Schauspielers per Ende Spielzeit aus.

Die Entscheidung, den Vertrag nicht zu verlängern, habe nichts mit Staatsangehörigkeit oder Religion zu tun, über die Gründe könne er nicht sprechen, sagt der Dramaturg. Logisch, Persönlichkeitsschutz. Allerdings: erst nach diesem Entscheid wandte sich der jüdische Schauspieler mit einem Brief an die jüdische Gemeinschaft in Zürich – mit der sicheren Annahme, dass der sofort an die Öffentlichkeit gelangte und für entsprechende Reaktionen sorgte.

Viele Kommentatoren, ähnlich wie im Ofarim-Skandalfall, galoppierten sofort los. So poltert die dauererregte «Politikwissenschaftlerin» (Selbstlobhudelei: «Regula Stämpfli ist eine der wenigen Denkerinnen unserer Gegenwart, die Codes, Terror und die Deutungshoheit von Judith Butler zusammenbringen») los: «Seit wann gelten an subventionierten öffentlichen Bühnen Zürichs die Gesetze der Hisbollah im Libanon

1955 gab es die Hetzbolla noch gar nicht, sie entstand erst 1982. Aber was kümmern die «Historikerin» historische Fakten, was kümmert sie als «Wissenschaftlerin» eine differenzierte Analyse.

Wenn die Darstellung stimmt, dass diese merkwürdige Regelung im allseitigen Einverständnis getroffen und zwei Jahre lang klaglos akzeptiert wurde, das jüdische Ensemblemitglied erst nach seiner Kündigung auf die Idee kam, er könne seine «Identität» nicht ausleben, handelt es sich hier einwandfrei um einen zweiten Fall Ofarim. Mal schauen, wie hier alle «Antisemitismus»-Kreischen wieder zurückrudern werden. Oder, wie üblich, schlichtweg keinen Ton mehr dazu sagen.

Die «Weltwoche» spinnt mal wieder

Immer wieder gerne aufgewärmt, immer falsch: Hitler war kein Sozialist.

«Sozialist Hitler» titelt die «Weltwoche», und der Leser mit etwas historischer Bildung schämt sich mal wieder. Alles klar. Lenin war Kapitalist, Karl Marx war Friseur, der Überfall auf die Sowjetunion war ein Präventivschlag.

Adolf Hitler war eine Ausgeburt der deutschen Grossindustrie, wurde unterstütz und gefördert von Krupp & Co. X-mal minutiös nachgezeichnet. Fast genauso wie die Juden hasste er die Bolschewiken, für ihn der Inbegriff des bösen Kommunismus. Demokratie und Marxismus waren die Feindbilder in Deutschland, neben den Juden. Gegen niemanden ging Hitler so brutal vor wie gegen Linke, Sozialisten und Kommunisten. Entsprechende Tendenzen in seiner eigenen Partei unterdrückte er mörderisch.

Die NSDAP, Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, war aus der DAP, der Deutschen Arbeiterpartei, entstanden. Reiner Etikettenschwindel. Die Partei war durchaus national, aber keineswegs sozialistisch, und der Arbeiter war ihr eigentlich scheissegal, höchstens willkommen als Teil der Volksgemeinschaft. Sie sozialistisch zu nennen, das ist ungefähr so absurd, wie Putin als lupenreinen Demokraten zu bezeichnen.

Kein brutaler, massenmörderischer, verbrecherischer Diktator käme auf die Idee, sich so zu bezeichnen. Wieso Christoph Mörgeli, der doch über eine gewisse historische Bildung verfügt, auf die Idee kommt, dieses uralte Klischee wieder aufzuwärmen? Seine zusammengesuchten Fetzen aus Reden und Deklarationen – völlig unerheblich, wenn man es an der Praxis der NSDAP misst.

Vielleicht sollte Mörgeli Reinhard Kühnl «Der deutsche Faschismus» lesen. Oder sich mal in der umfangreichen Bibliothek des ZACKBUM-Autors zum Thema umsehen. Er sei herzlich eingeladen.

Kein Mensch mit einem Funken Restvernunft wäre zwischen 1920 und 1945 auf die Idee gekommen, Hitler als Sozialisten zu bezeichnen. Am allerwenigsten er selber. Aber die ewige Leier von den braunen und roten Fäusten überlebt die Zeiten. Dabei ist sie ungefähr so real wie die angeblichen Protokolle der Weisen von Zion. Auch so eine Propaganda-Mär, längst und x-mal als plumpe Fälschung entlarvt. Dennoch irrlichtert sie bis heute durch die Köpfe von Verpeilten und Verwirrten.

Die simple Wahrheit ist: Hitler war kein Ideologe; sein «Kampf» ist ein Krampf, eine krude Mischung von Versatzstücken eines irrlichternden Geistes, das zwar millionenfach gedruckt, aber von eigentlich niemandem gelesen wurde. Mit Sozialismus hatte es so viel zu tun wie Strandferien mit Eskimos.

Was hier versucht wird, ist der allgemeinen Verluderung der Begriffe eine weitere Facette hinzuzufügen. Faschist ist inzwischen ein Synonym für Arschloch. Antisemit ist jeder, der eine Kritik an Israel wagt. Werden ein paar Menschen umgebracht, handelt es sich um einen Genozid. Worte wie Holocaust, Shoa oder Endlösung für ein Jahrhundertverbrechen werden wie kleine Münze gehandelt, ein Hohn für die Opfer.

Eine Partei, ein Mann, der die UdSSR als den grössten Feind der Menschheit ansah, zusammen mit dem «internationalen Judentum», eine Armee, die jeden sowjetischen Politkommissar sofort umbrachte, wenn sie seiner habhaft wurde, ein Regime, das von Anfang an mit äusserster Brutalität gegen links, gegen Sozialisten und Kommunisten vorging, eine Bewegung, die vom deutschen Grosskapital aufgepeppelt und gegen alles Linke in Stellung gebracht wurde, das alles soll etwas mit Sozialismus zu tun haben?

Mit Klassenkampf, der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, der Aufhebung des Privateigentums? Mit der Anwendung des Marxismus-Leninismus?

Der «Sozialist» Hitler brach einen Vernichtungsfeldzug gegen die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom Zaun, gegen seine Brüder im Geist, die bolschewistischen «Untermenschen». Wie bescheuert kann man eigentlich sein?

Was hier stattfindet, ist reiner Orwell. Nicht nur eine Entwertung der Begriffe, nein, ihre Umdeutung ins Gegenteil. Faschismus ist Kommunismus, Stalin ist Hitler und umgekehrt, alles ist totalitär, weiss ist schwarz, das Friedensministerium führt Krieg – und Hitler ist Sozialist.

Dabei haben er und seine Partei sich einfach alle Versatzstücke zusammengeleimt, mit denen sie auf Menschenfang gingen. Der Inhalt dieser Begriffe war ihnen völlig egal. War auch Walther Rathenau dann ein nationaler Sozialist? Waren es Spengler, Sombart, Jünger? War es Gregor Strasser? Der war Hitler eindeutig zu sozialistisch, deshalb wurde er während des sogenannten Röhm-Putsches, einer internen Abrechnung, ermordet. Durch den «Sozialisten» Hitler.

Wenn der Papst Atheist ist, dann wäre Hitler Sozialist. Wenn braun rot wäre und wir auf dem Kopf gingen, wäre Hitler Sozialist.

Aber diese krude These ist für Mörgeli nur das Sprungbrett, um den «aufflammenden Judenhass der Linken» zu denunzieren. Denn «Antikapitalismus und Antisemitismus gingen schon immer Hand in Hand». Das stimmt so wenig, wie dass Hitler Kommunist war. Es gab und gibt in der Linken eine starke Anti-Israel-Fraktion, die ebenfalls aus historischer Unkenntnis den Staat Israel als Kolonialmacht betrachtet. Antikapitalismus hat nur eine ganz geringe Schnittmenge mit Antisemitismus. Abgesehen davon, dass auch dieses Wort zur hohlen Hülse verkommen ist, die auf alles angewendet wird und daher nichts bedeutet. Antisemitismus, was sehr bedauerlich ist, ist als Begriff entkernt, begreift nichts mehr. Die meisten, die damit um sich werfen, wären nicht mal in der Lage, ihn zu definieren.

Hier ist die «Weltwoche» leider auf dem Niveau Schmiere angelangt, einer ihr unwürdigen Primitiv-Polemik des ansonsten doch begabten Professors Mörgeli.

Denn wenn alles geht, läuft nichts mehr. Wenn Begriffe keine Griffe mehr sind, um uns an der Wirklichkeit festzuhalten, dann gerät alles ins Rutschen, herrscht die nebulöse Beliebigkeit von Dummschwätzern und Nebelwerfern.

Es gilt die Antisemitismus-Vermutung

Ein Prozess als Symbol für die allgemeine Verirrung.

Was Antisemitismus sei, was antisemitisch, das wird in immer absurdere Höhen,Weiten und Grössen ausgedehnt. Wahrscheinlich ist bereits dieser Anfang antisemitisch. Irgendwie.

Werden solche Kampfbegriffe überdehnt, dann werden sie gleichzeitig sinnentleert, werden sie auf alles angewendet, bedeuten sie nichts. Werden als verbale Waffe stumpf, obwohl sie durchaus ihre Berechtigung haben, denn natürlich gibt es Antisemitismus und Judenhass.

Aber wer «Antisemit» wie Konfetti auf alles niederregnen lässt, was seiner eigenen Meinung widerspricht, entwertet den Begriff, so wie es bereits dem Schimpfwort «Nazi» ergangen ist. «Nazi» ist eigentlich inzwischen gleichbedeutend mit Arschloch und immer weniger Benutzer wissen überhaupt noch, wofür das Wort einstmals stand.

Dass es Israelhass gibt,  macht jegliche Solidarität mit den Palästinensern so schwierig. Denn sie haben im Gazastreifen ein Regime gewählt, das einem mittelalterlichen, fundamentalistischen Islamismus anhängt, mit dem kein vernünftiger Mensch einig gehen kann. Unter keinen Umständen. Weder das Ziel der Vernichtung Israels noch die Methoden zu seiner Erreichung können gebilligt, verteidigt, rechtfertigt werden.

Wo ist dann noch Platz, um gegen Kriegsverbrechen und Verstösse gegen das Völkerrecht seitens Israel zu protestieren? Zwischen allen Stühlen, also beispielsweise hier.

Lange Einleitung zu einem kurzen Prozess. Es ist ein Lehrstück über Missbrauch. Der mehr als Sohn von Abi denn als selbständiger Sänger bekannte Gil Ofarim machte vor zwei Jahren weltweit Schlagzeilen. Nicht mit seiner Sangeskunst, sondern mit einem Handyvideo, das er auf dem Boden sitzend vor einem Leipziger Hotel von sich aufgenommen hatte.

Der Rezeptionist des Hotels hinter ihm habe ihn aufgefordert, seine Halskette mit Davidstern abzulegen, wenn er einchecken wolle, berichtete ein aufgelöster Ofarim. Damit löste er einen Skandal aus. Vor dem Hotel gab es Demonstrationen, Politiker überschlugen sich in Vorverurteilungen, der Rezeptionist wurde suspendiert. Das sei ein unerträgliches Beispiel für alltäglichen Antisemitismus, behauptete der damalige Aussenminister Heiko Maas. Es wurde mit «Schande», «unerträglich», «Boykott» um sich geworfen.

Jetzt beginnt der Prozess gegen Ofarim vor dem Leipziger Landgericht. Der Verdacht: falsche Verdächtigung, Verleumdung, Betrug und falsche eidesstattliche Versicherung.

Denn nach der ersten grossen Aufregung kamen schnell Zweifel an der Darstellung Ofarims auf. Den angeblichen Streit um seinen Davidstern konnte keiner der fünf  Zeugen bestätigen, die das Wortgefecht an der Rezeption mitbekamen. Zudem ist auf Videoaufnahmen der Stern gar nicht zu sehen, von weiteren 31 Zeugen hat ihn – ausser einem, der sich laut Staatsanwaltschaft aber täuschen dürfte – keiner gesehen, also gibt es Zweifel, ob Ofarim ihn überhaupt sichtbar trug.

Der Vorfall ist von der Staatsanwaltschaft und von einer durch das Hotel beauftragten Kanzlei aufwendig und minutiös untersucht worden. Natürlich gilt auch hier die Unschuldsvermutung, aber die Behauptung Ofarims auch vor dem Prozess, dass es sich so zugetragen habe, wie er behauptet, wird durch nichts gestützt.

Natürlich ist  die Motivforschung schwierig, wieso der Sänger gelogen haben könnte. Um Aufmerksamkeit auf seine mediokre Karriere zu lenken? Rache am Hotelmitarbeiter, der ihn seiner Meinung nach nicht seinem Status als Promi gemäss behandelt hatte? Zeugen wollen gehört haben, dass er am Schluss der Auseinandersetzung dem Rezeptionisten damit drohte, dass er gleich ein Video aufnehmen werde; «das werden Sie noch bereuen», soll er laut diesen Zeugen gesagt haben.

Ofarim beklagt sich im Vorfeld des Prozesses darüber, dass er sich seit seiner Jugend ständig antisemitische Beleidigungen anhören müsse und sogar attackiert worden sei. Das ist in Deutschland durchaus denkbar. Sollte sich in diesem Prozess allerdings herausstellen, dass es über jeden vernünftigen Zweifel erwiesen wäre, dass dieser antisemitische Vorfall von Ofarim erfunden wurde, hat er damit den Antisemitismus kräftig befördert.

Genau wie all die Kreischen, die jeder Kritik an Israel sofort das Etikett «Antisemit, Israelhasser, Judenhasser» ankleben. Leider vermehren sie sich täglich. In ihrer strotzende Selbstherrlichkeit merken sie nicht, wie sehr sie der Sache Israels schaden. Sie werden zu geistigen Terroristen, zu ideologischen Taliban, zu verblendeten Inquisitoren, die null und nichts zu einer möglichen Lösung beitragen, indem sie beispielsweise die Israelis als die schlichtweg «Guten» stilisieren.

Sie sind grösstenteils nicht mal in der Lage, eine Antwort auf eine naheliegende, einfache Frage zu geben: angenommen, Israel gelingt es, die Hamas zu liquidieren, was das erklärte Kriegsziel ist. Und dann?

Förderung des Antisemitismus

So hört sich ein Rohrkrepierer an.

Die Tochter von Maxim Biller100 Zeilen Hass») lädt unreflektiertes Geschimpfe in der NZZ ab. Selbst ihr jugendliches Alter von 26 Jahren kann sie nicht vor dem Vorwurf schützen, dass sie mit einem Brandkommentar den Antisemitismus schürt und befördert. Schon der Titel von Zelda Billers Wutausbruch ist und soll ein Schlag in die Fresse sein: «All diese Menschen, die gerade aus ihren Löchern gekrochen kommen und immer so getan haben, als würden sie nur Israel hassen, hassen in Wahrheit Juden».

Nun mag es Wahnsinnige geben, die Israel hassen, die Juden ganz allgemein hassen. Dazu gehören islamistische Fanatiker, Anhänger der Hamas, der Hetzbolla, des Islamischen Staates. Dazu gehört auch die Führungsclique des Irans, dazu gehören auch viele Araber.

Wer aber versucht, jede Kritik am Vorgehen Israels als Äusserungen von Israelhassern, Judenhassern, Antisemiten abzuqualifizieren, entwertet diese Begriffe, missbraucht sie, disqualifiziert sie. Und sich selbst, wenn so brachial-banal argumentiert wird wie von Biller.

Reichen diese Zeilen schon, um von Biller oder ähnlichen Kleingeistern als aus einem Loch gekrochener Israelhasser, Judenhasser, Antisemit beschimpft zu werden? Locker. Muss man deswegen so herumeiern wie der sonst konzisere NZZ-Chefredaktor Eric Gujer in seinem aktuellen Leitartikel?

Braucht es zunehmend Mut, sich so öffentlich zu positionieren? Schon, aber es braucht das redliche Festhalten an unserem einzigen erkenntnisfördernden Prinzip, das uns seit der Aufklärung sehr viel genützt hat: weder Kirche noch Staat, und erst recht nicht ein Einzelner darf aus irgendwelchen Gründen sich dazu aufschwingen, im Rahmen des rechtlich Erlaubten Sagbares zu denunzieren, zu disqualifizieren, als indiskutabel zu etikettieren.

Wer Meinungen mit Haltungen kurzschliesst, wer den leider modischen Kurzschluss macht «wer das sagt, ist deswegen links, rechts, Veganer, Nazi, Antisemit, Kommunist, Verschwörungstheoretiker» usw., der argumentiert unredlich, unfruchtbar. Will nicht debattieren, sondern zensieren, scheut die intellektuelle Auseinandersetzung.

Besonders abscheulich wird das, wenn Worte entwertet werden. Wer dümmlich «Zürich nazifrei» lallt, wer von «Endlösung» faselt, wem das Wort «Holocaust» bei jeder Gelegenheit locker von den Lippen geht, wer jeden, dessen kritische oder differenzierte Meinung zu Handlungen der israelischen Regierung ihm nicht passt, als Judenhasser oder Antisemiten beschimpft, ist ein unerträglicher Flachdenker. Er beschimpft nicht Antisemiten, sondern im Nachhinein die Opfer, in deren Gedenken diese Worte geprägt wurden.

Schlimmer noch: solche Menschen verrichten – mit der Sinnentleerung und Entwertung solcher Begriffe – das Geschäft von wahren Antisemiten oder Judenhassern, die es durchaus gibt.

Welch verquere und kaputte Wutlogik bricht hier aus Biller hervor?

«Kann es sein, dass der Antisemitismus durch das Hamas-Pogrom endlich wieder seine ursprüngliche, mörderische Bedeutung zurückerlangt hat? Und wäre das vielleicht sogar etwas Gutes? Weil es dadurch ab jetzt so leicht wie noch nie sein wird, jeden einzelnen als Antizionisten getarnten schlechten Gangster, der es sich wie Varoufakis einfach nicht verkneifen kann, seine Freude über den bestialischen Mord an 1400 Juden auszudrücken, als erbarmungslosen Antisemiten blosszustellen

«Gehirngewaschene Linke … Sie heissen Judith Butler, und Greta Thunberg und haben es kürzlich alle geschafft, den Hamas-Terror auf ihre eigene perfide Art zu relativieren … Klar, Greta, wir lassen uns von Terroristen massakrieren, tun nichts, lassen 200 Geiseln in Gaza verrecken und warten einfach brav auf das nächste Massaker!»

Weiss Biller eigentlich, was «Pogrom« bedeutet? Ist es redlich, jeden, der auf das völkerrechtswidrige Vorgehen israelischer Truppen, auf die illegale Siedlungspolitik, auf andere Massaker wie in Sabra und Schatila hinweist, auf tote palästinensische Kinder, die Gräueltaten der Hamas in Israel um die Ohren zu hauen, um ihn dann gleich als Antisemiten zu beschimpfen?

Besonders masslos in ihrem unreflektierten Wutausbruch wird Biller bei der Intellektuellen Judith Butler: «so relativiert diese am Limit ihres linken Denkhorizonts angekommene Jüdin die Greueltaten der Hamas-«Gruppe», wie sie den palästinensischen IS verharmlosend nennt, indem sie sie als Reaktion auf die israelische Besatzungspolitik darstellt.»

Dass Biller sie in eine Reihe mit Ernst Nolte stellt, kann man ihr nur mühsam angesichts ihrer jugendlichen Unreife und Unkenntnis verzeihen, mit der sie sehr schnell am Limit ihres Denkhorizonts ankommt.

Unverzeihlich ist dann dies: «Damit es keine Missverständnisse gibt: Thunberg, Žižek und Butler sind nicht einfach nur Relativierer. Sie sind Antisemiten, weil sie, jeder auf seine Art, versuchen, Terroristen zu entlasten, die Juden getötet haben, allein aus dem Grund, weil es Juden waren. Damit machen sie sich zu Komplizen aller von dem Hamas-Geballer aus ihrem Dornröschenschlaf geweckten Pöbel-Antisemiten, die gerade weltweit auf den Strassen dafür sorgen, dass Juden im Jahr 2023 wieder Babi-Jar-Alpträume haben.»

Sie meint wahrscheinlich Babyn Jar, ein Massaker, das von deutschen Nazi-Truppen 1941 in der Nähe von Kiew verübt wurde und bei dem innerhalb von 48 Stunden mehr als 33’000 Juden, Männer, Frauen und Kinder, ermordet wurden. Was für eine rotznäsige Frechheit einer pöbelnden Göre.

Was tun? Eines sicher nicht: «Argumentieren mit Antisemiten» habe «noch nie etwas gebracht». Das mag sein, aber argumentieren mit solchen Wutbürgern, die sich in ihrer Verblendung anmassen, die Beschimpfung «Antisemit» wie Konfetti auf jeden herabregnen zu lassen, dessen Meinung ihnen nicht passt, macht auch keinen Sinn.

Man muss aber vor den Folgen ihres Krakeelens warnen. Obama, Blinken, Biden, Guterres, die EU, Regierungschefs vieler Länder, besorgte Stimmen von Intellektuellen: sind sie allesamt Judenhasser und Antisemiten, in dem Moment, in dem sie nicht ihre bedingungslose Zustimmung zu allen Handlungen der israelischen Regierung äussern? Nützt ihnen selbst eine bedingungslose Verurteilung der babarischen Taten der Hamas nichts? Sobald sie eine Kritik an Israels Vorgehen anschliessen, werden sie in Billers Verquerlogik zu Antisemiten.

Man ist versucht, die Dame zu fragen: wie, bitte schön, darf man denn die israelische Regierung kritisieren? Überhaupt nicht? Aber glücklicherweise muss man sie dafür nicht um Erlaubnis fragen.

Biller ist nicht nur dumm, das wäre entschuldbar. Sie ist eine Brandstifterin, die jegliche nötige und sinnvolle Debatte über Lösungen verhindern will. Nicht nur, weil sie selber keine hat. Sondern weil sie selber auch hasst, und das vernebelt die Sinne. Wieso allerdings die NZZ mit klarem Verstand die Jungautorin nicht vor sich selbst schützt, ist unerklärlich.

Gelobt sei das Wort «aber»

Was können wir als unbeteiligte Zuschauer im Nahen Osten tun?

Es gibt grölende Horden, die mit «Free Palestine» oder mit «From the river to the sea» durch die Strassen ziehen. Ihre Geschichtsvergessenheit wird nur noch von ihrer schmerzlichen und oft gewalttätigen Dummheit übertroffen.

Es gibt meistens muslimisch beeinflusste Plattformen oder Einzelmasken, die mehr oder minder verschwurbelt zu erklären, gar zu rechtfertigen versuchen, was nicht zu rechtfertigen ist. Die brutalen Massaker, die fundamentalistische Wahnsinnige der Hamas an der Zivilbevölkerung in Israel verübt haben.

Da es bei Kriegsverbrechen keine Relativierung gibt, muss das, was Israel im Gazastreifen tut, auch als Kriegsverbrechen bezeichnet werden. Widerwärtig sind alle Versuche, jegliche Kritik an Israel als Antisemitismus zu denunzieren, zu disqualifizieren und zum Schweigen zu bringen.

Womit wir mitten im verbalen Kugelhagel im deutschen Sprachraum wären. Der Gastredner an der Frankfurter Buchmesse Slavoj Žižek hat einen unbestreitbar richtigen Satz gesagt: «In dem Moment, in dem man die Notwendigkeit erwähnt, den komplexen Hintergrund der Situation zu analysieren, wird man gewöhnlich beschuldigt, den Terrorismus der Hamas zu billigen oder zu unterstützen.» Fast noch besser ist seine Bemerkung, dass das Wort Aber den Beginn eines Dialogs markiere.

Wer gerade in Deutschland (aber auch in der Schweiz) an Demonstrationen teilnimmt, bei denen das Existenzrecht Israels in Frage gestellt wird und antisemitische Parolen geschrien werden, ist ein verantwortungsloser Vollidiot. Wer als Politiker wie Fabian Molina die Verbrechen der Hamas zuerst schönredet, unreflektiertes Mitglied der Freundschaftsgesellschaft Schweiz – Palästina ist, deren früherer Präsident Geri Müller heute noch der Auffassung ist, dass man die Hamas nicht als Terrororganisation sehen solle, der ist disqualifiziert. Wer wie Molina nach erstem Gegenwind schneller als ein Wendehals umschaltet und von einer korrupten Terrororganisation schwadroniert, hat sich als Opportunist doppelt disqualifiziert.

Das alles sind Auswüchse im Unterholz, im Gebiet des Kleingeistigen, der Heuchelei, der Unfähigkeit, auf eine komplexe Situation mit Reflexion zu reagieren.

Es gibt die Oberflächenpolierer, die Überbaudachdecker, aber auch die Propagandisten einer angeblich unfehlbar richtigen Weltsicht. Die Meinungen dieser Dummköpfe sind vernachlässigter.

Wie meistens in solchen Auseinandersetzungen spielt die Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch die veröffentlichte eine wichtige Rolle. Da haben es die Anhänger Israels leichter als die Freunde der Palästinenser. Jene können gnadenlos die Keule Antisemitismus schwingen, diese leiden unter dem Handicap, dass ein aufgeklärter westlicher Mensch nicht im Ernst die Position von fundamentalistischen Wahnsinnigen unterstützen kann.

Erschwerend kommt hinzu, dass ein vernünftiger Mensch keine Sympathie für eine Terrororganisation haben kann, die in ihrer Charta die Vernichtung Israels als Zielsetzung fordert. Einer Organisation, die einen verblendeten, irrationalen Todeskult betreibt, indem sie ihren Gläubigen vormacht, der Tod als Märtyrer würde auf direktem Weg ins Paradies und in die Arme von 72 Jungfrauen führen.

Den bisherigen Gipfel der Perversion erreichte wohl der Iran, der Kinder mit einem Plastikschlüssel zum Himmelreich in der Hand in irakische Minenfelder jagte.

Was die Palästinenser (und ihre Unterstützer) in den letzten 70 Jahren angestellt haben, hat sie ihrem Traum von einem eigenen Staat nicht wirklich näher gebracht. Aber was die Israelis (und ihre Unterstützer) in den letzten 70 Jahren angestellt haben, hat das Palästinenserproblem auch nicht gelöst.

Und schon wären wir bei einem Aber. Wo eigentlich eine sinnvolle Debatte unter unbeteiligten Beobachtern anfangen könnte und sollte. Aber genauso, wie Israelis und Palästinenser bei der Lösung dieses Problems versagen (klar, daran sind nur die Palästinenser schuld, nein, daran sind nur die Israelis schuld), versagen die meisten Intellektuellen, Publizisten Journalisten, die Beeinflusser der öffentlichen Meinung.

Vorausgesetzt, die Anhänger der Hamas sind keine menschlichen Tiere, wie das der israelische Verteidigungsminister sieht, fängt die Möglichkeit einer Lösung eines Problems mit tabulosem Nachdenken an. Mit dem freien Austausch von Gedanken, Meinungen, Analysen, Vorschlägen. Nur begrenzt durch Gesetz und eine allgemeine Vorstellung von Anstand.

Aber: es gibt Feinde Israels, es gibt Feinde der Palästinenser. Schlimm sind aber auch die Feinde eines offenen Diskurses. Alle diejenigen, die meinen, Vorbedingungen stellen zu dürfen, Tabuzonen zu errichten; all diejenigen, die keulen und Totschlagargumente verwenden, all diejenigen, die auf der primitiven Sprechblasenebene «Antisemit, Faschist, Rechtspopulist, Hamasfreund, Judenfreund, Terrorunterstützer» arbeiten.

Natürlich gibt es Antisemiten, Judenhasser und Sympathisanten der Hamas, Befürworter von Kriegsverbrechen. Sie, aber nur sie disqualifizieren sich für jede Form der intellektuellen Auseinandersetzung. Das kann man im Übrigen, will man nicht einfach keulen, relativ problemlos identifizieren.

Aber eigentlich noch mehr disqualifizieren sich all diejenigen, die diese Totschlagargumente mangels Gegenargumenten auf eine dissidente Position verwenden. Denn weder innerhalb noch ausserhalb des Islam, innerhalb oder ausserhalb jeder Religion haben Denkverbote jemals etwas Positives hervorgebracht.

Das dümmliche Niveau der Stammtischrechthaberei existierte schon immer. Nur fliegt es uns dank den asozialen Plattformen direkt ins Gesicht. Woraus sich immerhin ein sinnvoller Ratschlag für alle ergibt: Abstinenz von Twitter (oder X), Instagram, TikTok, Telegram, Facebook YouTube, WhatsApp, Pinterest, Snapchat, Vimeo oder Tumblr.

Dadurch wird das Leben leichter. Was heutzutage auch schon etwas wert ist.

 

Zeit der Gedankenleere

Israel/Palästina: eigentlich ein Idealfall für Intellektuelle.

Der heimtückische Überfall der fundamentalistischen Terrororganisation Hamas auf Israel ist ein durch nichts zu rechtfertigendes Verbrechen. Raketen wahllos auf zivile Ziele abfeuern, Nicht-Kombattanten als Geiseln nehmen, in Dörfern um sich schiessen: unsäglich.

Die Hamas (Bewegung des Islamischen Widerstands), ein Ableger der Muslimbrüderschaft, regiert seit ihrem Wahlsieg von 2006 diktatorisch im Gazastreifen. Ihr erklärtes Ziel ist die Beseitigung des Staates Israel mit militärischen Mitteln. Zu ihren wichtigsten Unterstützern gehört der Iran, der zwar Israel 1948 sofort anerkannte, aber nach der islamistischen Revolution das Existenzrecht eines israelischen Staates nicht mehr anerkennt.

Der einzige erkennbare Grund für den Überfall könnte sein, dass damit die Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien, einem Todfeind des Irans, torpediert werden soll. Völlig ungeklärt ist die Frage, wie der israelische Geheimdienst, der wohl beste der Welt, der ganze Infiltrationsteams im Gazastreifen unterhält, die monatelangen Vorbereitungen übersehen haben kann.

Die Folgen dieses terroristischen Überfalls für den Gazastreifen werden fürchterlich sein.

Das sind wohl soweit die einigermassen gesicherten Tatsachen.

Anschliessend wird es aschgrau. Es gibt einige versprengte Anhänger des Antisemitismus, die fundamental gegen die Juden sind und auch Zweifel an der Existenzberechtigung Israels haben. Sie sind in der intellektuellen Auseinandersetzung über das Thema irrelevant.

Viel komplizierter wird es bei der Linken, die traditionell das Kopftuch à la Arafat als modisches Statement um den Hals geschlungen hatte und hat. Die mehr oder minder unreflektiert das, was sie für die Sache der Palästinenser hält, unterstützt. Die zwar das Existenzrecht Israels anerkennt, aber genauso einen Palästinenserstaat fordert. Dabei allerdings übersieht, dass sich die Zeiten seit der Herrschaft von Yassir Arafat massiv geändert haben. Ihm war es noch gelungen, die Al-Fatah als zwar terroristische, aber politische und nicht religiöse Bewegung auf der internationalen Landkarte zu etablieren.

Aktuell bestünde eigentlich die Aufgabe von Intellektuellen, Journalisten, Analysten, Experten darin, zu versuchen, die in die verschlungene Geschichte des Nahen Ostens nicht Eingeweihte mit Hintergrundinformationen zu versorgen. Sie versagen einmal mehr.

Aktuell bestünde die Aufgabe von Politikern und politischen Parteien, die sich traditionell der palästinensischen Sache verschrieben haben, darin, sich zu diesem Angriff zu äussern. Die «Gesellschaft Schweiz Palästina», immer noch präsidiert von Geri Müller: tiefes Schweigen. Der Co-Präsident von Swissaid, der Freund des Mafiastaates Kosovo, der SP-Nationalrat und Vielschwätzer Fabian Molina behauptet, er sei «schockiert» über «das Leid, welches diese Gewalteskalation bei der Zivilbevölkerung in Israel und Palästina» auslöse. Ein terroristischer Überfall, verkleidet als «Gewalteskalation»? Und welche Zivilbevölkerung Palästinas? Ein Geeier. Dann verkündet Molina noch allgemein: «Angriffe auf Zivilpersonen sind niemals legitim.»

Auch Balthasar Glättli, aalglatter Präsident der Grünen, ist um eine Verurteilung nicht verlegen: «Unser Mitgefühl gilt den Opfern dieser barbarischen Gewalt», salbadert er, als müsste er eine Trauergemeinde verbal trösten.

Nun ist es heutzutage leider so, dass dank Internet so ziemlich jede vergangene Äusserung auffindbar bleibt. Nehmen wir mal ein paar Organisationen durch. Da wäre zum Beispiel Greta Thunberg und «Fridays for Future». Israel begehe «Kriegsverbrechen um Kriegsverbrechen», regte sich die Kämpferin für eine bessere Welt auf. Auch die Organisation  selbst sieht die Sache eher einseitig: «Unsere Herzen sind bei den Märtyrern, ihr Blut wird nicht vergessen gehen.» Damit meinte sie aber nicht israelische oder zivile Opfer, sondern getötete fundamentalistische Terroristen.

Auch ein Mitbegründer der Klimakämpfer «Extinction Rebellion» hat ein etwas verrutschtes Geschichtsbild; so bezeichnete er den Holocaust flappsig als «just another fuckery» (einfach so ein weiterer Scheiss) in der Menschheitsgeschichte.

Auch die SP hat eine lange Geschichte der militanten Verteidigung der Sache der Palästinenser. Noch 2002 organisierte die Partei (zusammen mit den Grünen, den Gewerkschaften und dem reformierten Kirchenbund) eine grosse Demo in Bern mit 10’000 Teilnehmern. Kein Geringerer als der damalige Fraktionschef der SP verurteilte in seiner Rede Israel, das «ganz gezielt ein ganzes Volk massakriere» dabei «die systematische Ausrottung der Palästinenser» plane.

Heute haben alle Kreide gefressen. Molina warnt kleinlaut davor, alle Palästinenser in den gleichen Topf zu werfen. Noch 2022 hatte er, mit einer Mehrheit von 125 Nationalräten, gegen ein Verbot der Hamas in der Schweiz gestimmt. Und auf der Webseite der SP Schweiz findet man unter dem Stichwort Palästina zwei Einträge. Einer von 2014 und der zweite von 2010 … Die Hamas existiert dort nicht.

So gibt es unzählige grössere und kleinere linke Organisationen, Medien oder Einzelmasken, denen es äusserst peinlich wäre, an vergangene Äusserungen zum Nahostkonflikt erinnert zu werden. Man kann ja seine Meinung ändern, das ist erlaubt und aufrechter, als am ewigen Politikertalk festzuhalten: «Ich habe schon immer gesagt.» Aber: eine redliche und genauso öffentliche Auseinandersetzung mit vergangenen Irrtümern wäre anständig und nötig.

Genauso unredlich ist es allerdings, diesen abscheulichen Überfall dazu zu missbrauchen, mal wieder jegliche Kritik an der verbrecherischen Politik Israels, der völkerrechtswidrigen und in unzähligen UNO-Resulotionen verurteilten Besetzung fremder Territorien, der ebenfalls allen internationalen Gepflogenheiten widersprechenden illegalen Siedlungspolitik und an den aktuellen Versuchen, den Rechtsstaat aus den Angeln zu heben, mit der grossen Keule «Antisemitismus» zu erschlagen, wie das nicht nur Amoks wie Giuseppe Gracia tun.

Intellektuelle, die sowieso kaum Einfluss auf das Weltgeschehen haben, versagen bei ihrer wichtigsten Aufgabe: Die Weltlage analysieren, differenziert und informiert der Öffentlichkeit Erklärungen und Erkenntnisse vermitteln, mit denen sie etwas anfangen kann und sich eine eigene Meinung bilden.

Die Medien, die Journalisten versagen aufs Neue und immer wieder krachend, unsäglich, peinlich. Wie wünschte man sich einen Arnold Hottinger zurück, der wohl als Einziger in deutscher Sprache kompetente und nachvollziehbare und erhellende Erklärungen liefern konnte.

Dass das nicht naturgesetzlich ist, sondern ein spezifisch deutschsprachiges Problem, das beweist ein Blick über die Sprachgrenzen hinaus. Alleine der Artikel «The lessons from Hama’s assault on Israel» in «The Economist» enthält in aller gebotenen Kürze mehr Informationen, Erkenntnisse, Erklärungen und Analysen als so ziemlich alles, was bislang auf Deutsch erschienen ist.

Was zurzeit in Israel geschieht, ist ein Verbrechen und eine Tragödie. Sie wird ihre Fortsetzung im Gazastreifen finden. Was sich intellektuell im deutschen Sprachraum abspielt, ist ein Trauerspiel. Wie sich Exponenten der palästinensischen Sache winden und verwinden, ist zum Fremdschämen. Wie Anhänger Israels diesen Überfall missbrauchen wollen, um jegliche Kritik an Israel mit der Antisemitismuskeule zu erschlagen, ist widerwärtig.

Die überbordende Berichterstattung über dieses Verbrechen beinhaltet die fortgesetzte völlige Wurstigkeit gegenüber noch grösseren Verbrechen in der gleichen Weltgegend, im Jemen, im Sudan, in Äthiopien. Oder gegenüber der Erdbebentragödie in Afghanistan. Das ist beschämend.

 

Schon wieder ein Scharfrichter

Ein Digitalredaktor sieht rot (oder schwarz oder blau).

Matthias Schüsslers Welt sind normalerweise Neuigkeiten aus den Weiten der IT, er schreibt über Gadgets, Computer und alle wichtigen digitalen Fragen des Lebens.

Nun aber ist er persönlich angefasst, und wenn das einem Redaktor passiert, dann darf er allen Lesern ins Hemd heulen. Hier in Form einer «persönlichen Analyse». Das ist eine interessante Formulierung. Eigentlich ist’s ein Kommentar, und analytisch ist nicht viel.

Aber natürlich sagt man im vornehmen Tamedia-Speak nicht «ich bin angepisst». Obwohl man es so meint. Was hat denn nun den Zorn des Schüssler erregt? Nun, Bad Boy Elon Musk, der ja schon einiges getan hat, um Twitter zu xen, hat einen Tweet, ähm, ein X rausgelassen:

Hier beklagt er sich, dass die Werbeeinnahmen von X um 60 Prozent gesunken seien. In erster Linie wegen seines erratischen Verhaltens. Nein, Scherz, ein Autist sieht das nie so. Das sei durch Druck von ADL geschehen («das sagen uns die Werbetreibenden»). ADL ist die Anti-Defamation League, eine 1913 gegründete US-Organisation, die sich gegen Diskriminierung und Diffamierung von Juden einsetzt.

Auf Nachfrage fügte Musk noch hinzu:

Nun ist die ADL eine mächtige Lobby-Gruppe, die zudem nicht ganz unumstritten ist, um es vorsichtig auszudrücken. Ihr wird vor allem vorgeworfen. jede Kritik an Israel als antisemitisch zu brandmarken.

Das kam nun bei Schüssler gar nicht gut an: «Bei diesem einen Tweet von Twitter-Chef Elon Musk kam mir die Galle hoch.» Und wem die Galle hochkommt, der ergiesst sich in die Zeitung:

Offenbar ist Schüssler die Galle ganz, ganz weit nach oben gestiegen, hat das Hirn erfasst und seine «Gefühlslage» schwer beeinträchtigt. Er unterstellt also Musk, dass der die Behauptung, Werbekunden hätten ihn so informiert, erfunden und erstunken und erlogen habe. Daraus schlussfolgert er gallig, dass sich Musk des Juden als Sündenbock bediene. Womit er schnurstracks wo, natürlich, beim Nationalsozialismus gelandet wäre. Oder kurz: Musk bediene sich nationalsozialistischer Propaganda-Stereotype. Hoppla.

Es wäre nun ein journalistisches Vorgehen gewesen, Musk mit der Frage zu konfrontieren, ob er seine Behauptung belegen könne. Aber doch nicht Schüssler in seiner «persönlichen Analyse». Da würden solche berufsethischen Grundbegriffe wie «Konfrontation des Angeschuldigten mit der Kritik» nur stören.

Also droht Schüssler nun mit Rache. Wenn’s richtig blöd läuft, wird sich Musk dann demnächst darüber beschweren, dass X weiter den Bach runtergeht, weil Schüssler den Stab darüber gebrochen hat. Denn der will nun «Nutzerinnen und Nutzer» abzügeln, Musk direkt widersprechen und möglichst viele Nutzer (aber auch -innen, Non-Binäre, Queere und alle Diversen) sollten ausschliesslich dem Account @AuschwitzMuseum folgen.

Das kann sicher nicht falsch sein. Aber ist sich der persönlich analysierende Schüssler eigentlich bewusst, dass er damit Musk nicht nur in die Nähe des Nationalsozialismus, sondern auch noch des Holocausts rückt?

Unglaublich, was bei Tamedia unter weiblicher Leitung alles möglich ist. Ein Amok will darüber entscheiden, welche Bilder aus der Bührle-Sammlung zu entfernen seien. Ein anderer will Rammstein-Konzerte verbieten. Und jetzt will einer Musk an den Karren fahren, weil der angeblich Nazi-Stereotype verwende und in die Nähe des Holocaust gerückt werden müsse.

Wie sagten Asterix und Obelix, die tapferen Gallier, so richtig: die spinnen, die Römer. Würden sie heute leben, würden sie den Begriff Römer ersetzen.