Schlagwortarchiv für: alternativlos

Lang lebe der Konjunktiv

Politiker beherrschen ihn ziemlich gut. Denn es gibt das Reale ihres Tuns, wobei alles andere irreal sei. Schlimmer noch: falsch wäre, fatal.

Die gerade abgetretene Angela Merkel hat den Ausdruck zwar nicht erfunden, aber immer wieder und gerne verwendet: alternativlos. In Griechenland Milliarden versenken? Alternativlos. Den Euro retten? Alternativlos. Hü und hott bei der Pandemie? Alternativlos.

So entstand dann auch die AfD, die Alternative für Deutschland. Aber das sind deren Probleme. Sollten sich doch ein Beispiel an der Schweizer Zauberformel nehmen, dann gäbe es kein langes Gezeter, ob Scholz oder Laschet oder keiner oder beide oder was.

Dem Schweizer ist die Schweiz näher, dem Ostschweizer die Ostschweiz. Nur wir Zürcher kümmern uns gerne auch um andere. Solche, die’s nötig haben. So sind wir, so möge man uns.

Der richtige Konjunktiv ist gar nicht so einfach

Das ist auch alternativlos. In Wirklichkeit ist die Verwendung von Konjunktiv eins, zwei – und den Konditionalis nicht vergessen – gar nicht so einfach. Also rein grammatikalisch. Aber auch in der Realität.

Es gibt den noch harmlosen Satz: «Hätte meine Oma Räder, wär’ sie ein Motorrad.» Das ist wohl vom Kinderlied abgeleitet «Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad.» Das ist alles noch Spass und Tollerei.

Weder spassig, noch lustig, aber eher toll (im Sinne von Tollhaus) wird’s, wenn der Politiker mit ernster Miene vors Stimmvolk tritt und spricht: das ist nun alternativlos. Das ist’s schon deswegen, weil alles andere noch viel schlimmer wäre. Konjunktiv zwei, nebenbei.

Das ist ein ganz fataler Satz. Aus zwei Gründen. Er stellt die Entscheidung, die Politik des Regierenden als einzig mögliche, denkbare, richtige, vernünftige dar. Alles andere wäre gaga, Habakuk, Blödsinn, fahrlässig, unverantwortlich, kurzsichtig. Oder einfach: blöd, bescheuert, beknackt.

Wenn’s nicht alternativlos ist, dann ist’s falsch

Zweitens: Natürlich gäbe es Alternativen, aber die wären halt viel schlimmer. Euch gefallen die wirtschaftlichen Folgen der Lockdowns nicht? Schon, aber alles andere … Ihr habt Probleme mit einer Impfpflicht, die gar keine Pflicht ist, aber irgendwie doch? Mag sein, nur wäre alles andere …

Ihr wollt über die Änderungen vom 19. März am sogenannten Covid-19-Gesetz abstimmen? Gut, das dürft ihr, aber wir, der Bundesrat, müssen schon klar machen: «Es gibt keinen Plan B.» Das sagt der Gesundheitsminister mit den schwarzen Augenbrauen und beachtlicher Libido.

Was will er denn damit sagen? Na, Dummerchen, ganz einfach: ein Ja Ende November ist alternativlos. Natürlich könnte man, Konjunktiv, theoretisch auch nein stimmen. Aber das wäre dann ganz dumm, im Fall. Ab März 2022 gäbe es dann (Konditional zwei) keine Zertifikate mehr. Planungssicherheit, Batzeli, Hilfen, Entschädigungen, Unterstützung: alles futsch, bei einem Nein.

Das gilt auch verschärft im Kampf gegen die Massnahmen-Kritiker. Also die Skeptiker, also die Leugner. Die sich radikalisierenden Demonstranten. Die schon mal das Bundeshaus stürmen wollten, wenn man sie liesse. Die immer gewalttätiger werden. Die die ganze Stimmung in der Schweiz vergiften. So geht das alternativlos natürlich nicht.

Zur Komplettausrüstung des modernen Politikers gehört noch ein zweites Besteck: das «ja, aber». Ersatzweise das «natürlich, aber».

Natürlich, sicher, auf jeden Fall. Aber …

Natürlich darf in der Schweiz demonstriert, dürfen Referenden ergriffen werden, dürfen Slogans wie «Eat the Rich», «Klassenkampf» «nieder mit», «alle gemeinsam gegen» skandiert und plakatiert werden. Ja, natürlich. Aber: doch nicht so. Doch nicht von denen. Doch nicht bei diesem Thema.

Natürlich gibt es keinen Impfzwang in der Schweiz. Aber. Natürlich darf man die wissenschaftliche Richtigkeit von Aussagen der Task Force bezweifeln. Aber. Selbstverständlich darf man die Corona-Politik des Bundesrats kritisieren. Aber. Natürlich darf man sich als Frau Gedanken über die Auswirkung der Impfung machen. Aber.

Mit diesen beiden Instrumenten kommt man ziemlich weit. Bis in eine Kantonsregierung, sogar bis in den Bundesrat.  Aber wenn man sie fleissig anwendet, sollte man sich nicht darüber beschweren, dass es in der Gesellschaft weniger konsensual als vorher zugeht. Sich Ränder radikalisieren, viele sich nicht mitgenommen, ernst genommen, vertreten fühlen.

Auch das dürfen sie natürlich. Aber. Sie könnten (Konjunktiv) doch einsehen, dass es zur offiziellen Politik keine Alternative gäbe (Konjunktiv zwei). Gebe (Konjunktiv eins). Gibt. Indikativ, so liebt’s der Politiker in diesem Fall. Aber nur in diesem.

Das Schauspiel ums Schauspielhaus

Der Zürcher Stadtrat ist sich sicher: eine «Totalsanierung» sei alternativlos. Das sieht die Schauspielhaus AG genauso.

In der Politik geistert seit einiger Zeit das Unwort «alternativlos» herum. Als Erstschlagwaffe, wenn keine grosse Lust besteht, Entscheide zu begründen oder zu diskutieren.

Vor zwei Jahren schon war sich der Zürcher Stadtrat sicher: die Variante «umfassende Erneuerung» für 115 Millionen Franken sei die beste. Inklusive Herausreissen von Saal, Bühne und Foyer, Ersatz durch Neugebautes.

Das sahen damals Heimatschutz und Parlament anders, da der Stadtrat in seiner unendlichen Weisheit gar keine Alternativen geprüft hatte, erhielt er den Auftrag, das zu tun.

Wieso Alternativen, wenn’s alternativlos ist?

Aber was soll man machen, wenn man doch schon die «alternativlos» richtige Lösung gefunden hat. So teilte der Stadtrat Ende November 2020 mit, dass die «umfassende Erneuerung» den «höchsten Nutzwert» biete. Alternativen? Wenn’s denn sein muss, sagte sich die Regierung, bitte sehr, wenn Uneinsichtige unbedingt unnütze Arbeit machen wollen.

Es gäbe dann auch noch die Varianten «Bestandssanierung», «Sanierung mit kleinen Eingriffen» und Sanierung «mit grossen Eingriffen». Nur: die kosten 122, 126 oder gar 132 Millionen Franken. Nehmt das, ihr Kulturbanausen. Und falls ihr immer noch nicht einseht, was alternativlos bedeutet: für all diese Alternativen müssten «zusätzliche Flächen aus dem Gebäudekomplex erschlossen werden». Es sei dann im Fall gar nicht sicher, ob die überhaupt angekauft werden könnten.

Soweit eine klare Sache. Wer dem Steuerzahler nicht noch mehr Geld aus der Tasche ziehen will, wo doch schon heute jeder Theaterbesuch mit knapp 300 Franken subventioniert wird, muss sich für die billigste, sinnvollste, einzig realistische Variante entscheiden. Schliesslich möchte sich nicht zuletzt der rot-grüne Stadtrat ein Denkmal setzen, das die Zeiten überdauert. Und die Schaffung immer neuer Velowege ist dafür nicht so geeignet.

Kritiker stören den ordentlichen Gang der Geschäfte

Also hätte alles seinen vorherbestimmten Gang an die Urne gehen können, wenn sich nicht ein paar Kulturnostalgiker entschlossen hätten, dagegen anzutreten. Die meinen doch, dass es eine Schande wäre, diesen geschichtsträchtigen Theatersaal abzubrechen, der einmal Zentrum des deutschen Exiltheaters (Bertolt Brecht und viele andere), dann Zentrum des Schweizer Theaterschaffens (Frisch, Dürrenmatt) war, unter Christoph Marthaler bewies, dass auch in diesem angeblich veralteten Saal modernes Theater gespielt werden kann. Zudem, wer’s noch moderner mag, wozu hat Zürich die zweite Spielfläche Schiffbau?

Die Fassade soll bleiben: Schauspielhaus in den Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts.

Also wurde flugs ein Komitee gegründet «Rettet den Pfauen». Die Liste der Unterzeichnenden schwoll und schwillt an (ja, ich auch). Einen solchen Gegenwind sieht der Stadtrat und die immer noch vernetzte und verschlauchte und verzünftete Zürcher Klüngelwirtschaft gar nicht gerne. Also wurde dem eine Webseite «Pfauen mit Zukunft» entgegengestellt, ebenfalls, originell, mit Unterzeichnerliste.

Finanziell und inhaltlich absonderlich

Während es bei dem Projekt, «Rettet den Pfauen» mit seinem Urheber Matthias Ackeret klar ist, wer das bezahlt – «das machten wir inhouse, also ich» –, interessiert natürlich, wie es bei der Gegenpropaganda-Webseite aussieht. «Die Webseite wurde von der Schauspielhaus AG bezahlt», gibt der Kontaktmann bekannt. Und die Schauspielhaus AG wird vom Stadtrat jedes Jahr mit rund 40 Millionen subventioniert.

Schön, dass ein kleiner Teil der Kohle in Propaganda gesteckt wird. So viel zum Finanziellen. Inhaltlich wirft die Webseite der Befürworter einer Totalentkernung aber auch Fragen auf. Man setze sich hier «für eine Diskussion ohne Denkverbote» ein. Das muss nun aber ein Bühnenkniff sein. Denn der Stadtrat selbst setzt sich bis heute für ein Denkverbot ein, andere Varianten als seinen ursprünglichen Vorschlag auch nur ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Das sieht dieser Veranstalter entschieden anders: «Die Diskussion um die unbestritten notwendige Modernisierung des Pfauen wurde bisher unserer Meinung nach sehr stark von jenen Stimmen dominiert, für die der Erhalt des alten Publikumssaals unabdingbar ist.» Dagegen sollen auch die «Argumente des Theaters und seine Geschichte angemessen berücksichtigt werden». «Diskussion öffnen», «Pros und Contras», das hört sich bis hierher wie eine Kritik am Stadtrat, nicht an den Gegnern einer Totalsanierung an.

«Verschiedene Zukunftsszenarien – auch ein Neubau» müssten gegeneinandergestellt werden.

«Auch ein Neubau»? Wieso auch? Das ist seit zwei Jahren die alternativlose Position des Stadtrats. Zudem: «Wir erachten jede und jeden der Unterzeichnenden, als kompetent und glaubwürdig.» Das richtete sich gegen meine Kritik, dass doch sehr, sehr viele Unterzeichner auf die eine oder andere Art am Staatssäckl angeflanscht sind. Das überflüssige Koma im Originaltext. Allerdings überschätzte ich die Geschwindigkeit halbstaatlicher Institutionen: «Es haben keine Mitglieder des aktuellen Verwaltungsrates unterschrieben. Der falsche Eindruck mag entstanden sein, weil auf der die Website des Schauspielhauses leider die neue Zusammensetzung des Verwaltungsrates noch nicht publiziert war.»

Totalsanierungen: Kann das gutgehen?

Man bittet um Entschuldigung. Gewährt. Dafür. Aber sagen wir so: Kommunikation, Propaganda für ein Anliegen, da könnten die Leute von der Schauspielhaus AG sich noch ein paar dicke Scheiben von vielen Autoren abschneiden, deren Werke auf dieser Bühne aufgeführt werden. Nun gut, die «Hausfreundin und Lieblingsautorin» Sibylle Berg (hat natürlich auch pro Totalsanierung unterzeichnet) gehört nicht unbedingt dazu. Aber von Brecht lernen, hiesse siegen lernen.

Allerdings: Von der Kulturnation Deutschland hat man mehrfach gehört, wie solche Totalsanierungen ganz, ganz schwer ins Gebüsch fahren können. Später, viel später, und vor allem: teurer, sehr, sehr viel teurer.

 

Packungsbeilage: Der Autor hat sich spontan entschlossen, auch beim Komitee «Rettet den Pfauen» zu unterschreiben. Was seine Kritikfähigkeit (siehe erster Artikel) keinesfalls beeinträchtigt.