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Kindersoldaten am Gerät

Das Blatt der kompetenten Berichterstattung: «Blick».

Auf der Welt passiert so viel, da ist es schwer, den Überblick zu behalten, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und bei der Berichterstattung einigermassen in der Spur zu bleiben.

In einer doch eher nebensächlichen Randnotiz zeigt sich das geradezu idealtypisch:

Das nennt man eine unglückliche Umkehrung von Ursache und Wirkung. Dabei wäre vom Zeilenfall her auch «Jan Bömermann geht auf Schwarzer los» möglich gewesen. Aber man hat ja in der Verrichtungsbox nicht alle Zeit der Welt.

Der nächste Ausrutscher folgt gleich im Lead: «Alice Schwarzer, die sich selber als Feministin bezeichnet, schiesst scharf gegen ZDF-Moderator Jan Böhmermann». Die sich selbst als Feministin bezeichnet? Hat der «Blick»-Autor den Hauch einer Ahnung, was diese Frau für die deutsche Frauenbewegung getan hat? Welche unzähligen Kämpfe sie geführt – und gewonnen hat?

Das ist ungefähr so bescheuert, wie wenn man schreiben würde «Angela Merkel, die sich selbst als Demokratin bezeichnet». Unglaublich.

Aber weiter im Geholper: «Die Publizistin und Journalistin Alice Schwarzer (80) erteilt eine Spitze gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann (42) …» Erteilt eine Spitze? Ist das Dummdeutsch? Geht sie nun los, schiesst sie scharf oder «erteilt sie eine Spitze»?

Der Brachial-Comedian Böhmermann hat zuvor in seiner vom Zwangsgebührenzahler finanzierten TV-Show geäzt: «Die ‹Emma› hetzt inzwischen regelmässig gegen Transmenschen».  Weiter im wilden «Blick»-Geholper: «Und nicht nur das, er zitierte in seiner Show auch noch die AFD-Politikerin Beatrix von Storch, welche sich zu Geschlechtsanpassungen äusserte und sich dabei auf Schwarzers Magazin berief. Böhmermanns Kommentar dazu war: «Ach guck mal an, Nazis lesen ‹Emma›»

Die Partei schreibt sich AfD, und dass Böhmermann dies Politikerin indirekt als Nazi bezeichnet, ist eine seiner typischen Geschmacklosigkeiten und Grenzüberschreitungen.

Was «Blick» unterlässt, ist die Begründung von «Emma» zu zitieren, wieso sie Böhmermann zum «Sexist Man Alive 2023» gewählt hat, also zum grössten lebenden Sexisten in Deutschland. Zum Beispiel, weil der mit dem Begriff «Nazi» um sich wirft, als wäre es Konfetti:

«Sandra Maischberger ist Nazi, sein Ex-Arbeitgeber Harald Schmidt ist Nazi und CDU-Chef Friedrich Merz ist quasi der Ober-Nazi.»

Schmidt konterte das mit der knappen Hinrichtung: «Krawallschachtel».

Wenn’s nur das wäre. Der Mann ist in Wirklichkeit richtig bösartig. Er denunzierte den Chef des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik als «Cyberclown mit Kontakten zum russischen Geheimdienst». Der verlor daraufhin seine Stelle. Die anschliessende Überprüfung ergab: nichts dran.

Unvergessen seine masslose «Schmähkritik» am türkischen Autokraten Erdogan. An dem liesse sich einiges bemeckern, aber Böhmermann kaprizierte sich darauf, ihn einen «Ziegenficker» mit «Schrumpelklöten», dessen «Gelöt nach Döner stinkt» zu beschimpfen. Das war allereunterste Schublade.

Der Ruf «Fick dich, Opa» gegen den damaligen Innenminister Horst Seehofer ging nicht gerade als Glanzlicht der deutschen TV-Satire in die Geschichte ein. Auch zum Thema Geschlechter schwatzt er Unsinn: «Es ist längst wissenschaftlicher Konsens, dass es sehr wohl mehr als zwei biologische Geschlechter gibt.»

Nein, es ist weiterhin allgemeiner Konsens, dass es viele verschiedene Geschlechterrollen gibt, aber nur zwei biologische.

Und eine geschmackvolle Aussage von Böhmermann zu Schwarzer? Bitte sehr: Schwarzer sei «eigentlich eine ganz normale 80-Jährige, die auf ihren letzten Metern gerne hätte, dass alles so bleibt, wie es nie war».

Selbst bezeichnet sich Böhmermann launig als «Arschloch mit Herz». Das nimmt «Emma» gerne in ihr furioses und vernichtendes Verdikt auf, wieso er dieses Jahr den Preis «Sexist Man Alive» bekommt:

«Dieses Arschloch ohne Herz ist kein Aufklärer, sondern ein Demagoge; ein Biedermann und Brandstifter, der von den Gebühren der Öffentlich-Rechtlichen fett gefüttert wird. 651.000 Euro Jahresgehalt sollen es sein, steigend. Für einen Denunzianten und Volksverhetzer. Der Gipfel aufgeblasener Männlichkeit.»

 

 

Ist das noch Journalismus?

Oder eine geldwerte Leistung? Eher nein.

Das Qualitätsorgan «Tages-Anzeiger», im vollen Bewusstsein um seine Meinungsmacht und verantwortungsvoll seine Funktion als Vierte Gewalt wahrnehmend, berichtet in aller gebotenen Objektivität über eine Friedensdemonstration zu Bern.

Man sollte sich vom Titel nicht verunsichern lassen: «Corona-Skeptiker kapern die Schweizer Friedensbewegung». Schliesslich ahmen die beiden Autoren Jacqueline Büchi und David Sarasin damit nur ihre Vordenker in der «Süddeutschen Zeitung» in München nach.

In einem Leihkommentar hatte bereits Meredith Haaf kübelweise Häme über die grosse deutsche Friedensdemo in Berlin ausgegossen. Tonlage: «In Deutschland aber geht derzeit eine unkonzentrierte Ego-Show als anschlussfähige Friedensbewegung durch, wie am Samstag am Brandenburger Tor zu besichtigen war. Wie ärgerlich, wie schade.»

Tamedia tat dann noch seines dazu und verwendete ein Foto von Alice Schwarzer, dessen demagogischer Gehalt schwer zu überbieten wäre. Aber es gibt ja nicht nur in Deutschland den Protest von Hunderttausenden gegen die aktuelle Politik, sondern auch in der Schweiz kann man eine aufkeimende Friedensbewegung denunzieren.

Am 11 März organisiert die Bewegung «Mass-voll» in Bern eine Friedensdemonstration mit. Eigentlich sollte es die Berichterstatterpflicht gebieten, über die Anliegen, Ziele, Slogans usw. zu berichten, wie es sich für ein Qualitätsmedium gehört.

Aber doch nicht für Tamedia. Stattdessen zieht hier die einschlägig bekannte Büchi nochmals gegen «Corona-Skeptiker» vom Leder. Mit denen beschäftigte sie sich schon zu Pandemie-Zeiten: «Sollen Medien überhaupt mit Corona-Skeptikern reden?» Sie war so nassforsch, dem damaligen SVP-Bundesrat ans Bein zu pinkeln: «Maurer zündeln zu lassen, ist gefährlich». Was zündelte denn der? «In trumpesker Manier flirtete er zudem mit Verschwörungstheorien».

Sie war schnell mit strengen Handlungsempfehlungen zur Hand: «Die Gesamtregierung muss Haltung zeigen und den Brandstifter in die Schranken weisen. Sonst riskiert sie ihre eigene Glaubwürdigkeit – und den Frieden im Land.» Nun ist der Bundesrat ihren Anweisungen nicht gefolgt, dennoch herrscht in der Schweiz – wohl zum Erstaunen von Büchi – weiterhin Frieden.

Heute hat sie sich mit Sarasin verbündet, der auch schon gegen Demonstranten verbal randalierte, die von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machten: «Exzess der Demonstrierenden mitten in der Pandemie», nannte Sarasin im Frühling 2021 eine Manifestation mit über 4000 Teilnehmern, die zu seinem Entsetzen es gewagt hatten, dabei nicht alle Masken zu tragen.

Nun, damals gab es dann im Anschluss nicht wie befürchtet ein Massensterben in Rapperswil. Aber heute geht es ja um das Sterben in der Ukraine. Und da müssen die beiden wieder ganz streng werden. Wobei ihnen auch diesmal kein demagogischer Kniff zu primitiv ist. Einleitend wird ein «Attila der Kluge» erwähnt. Der habe sich damals mit Ueli Maurer im Friedenstrychlerhemd ablichten lassen. Was hat das für einen Zusammenhang mit der kommenden Friedensdemo?

Eigentlich keinen, denn am Schluss des Artikels wird vermerkt, dass dieser «Attila» mit den mitorganisierenden «Verfassungsfreunden» inzwischen gebrochen habe. Aber er hat halt ein tolles Pseudonym, also kann man ihn doch als Story-Opener gebrauchen, um die richtige Tonlage zu setzen.

Wenn man schon am Holzen ist, darf natürlich ein angeblicher Fachmann nie fehlen. Für Eingeweihte ist’s klar, um wen es sich handelt: Marko Kovic. Der hat zu seinem grossen Bedauern die Plattform «Medienwoche» verloren, wo man ihn vor dem seligen Ende reichlich dilettieren liess. Kovic ist immer zur Hand, wenn es darum geht, im wissenschaftlichen Deckmäntelchen Denunziatorisches und Haltloses über echte und vermeintliche Rechte zu sagen.

Als einziger Experte und «Sozialwissenschaftler» wird Kovic ausführlich zitiert, mit Nonsens-Sätzen wie «Wer bei einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg sagt: ‹Ich bin weder für die einen noch für die anderen›, ist eben nicht neutral, sondern stützt den Aggressor, in dem Fall Russland.»

Dann wird noch maliziös von Streitigkeiten bei den organisierenden Bewegungen berichtet, und mit einem netten Zitat von Attila über die Verfassungsfreunde ist dann der End- und Höhepunkt des Artikels erreicht: «Dieser Verein ist für mich gestorben! Aus! Fertig! Die sollen sich zum Kuckuck scheren!»

Sind also nur Attilas, Verpeilte, sich umorientierende «Corona-Skeptiker» und andere Vollpfosten an der Organisation beteiligt? Treten dort nur Redner wie der angeblich «streng rechtsgerichtete Radiojournalist Burkhard Müller-Ullrich» auf? Nun ja, auch der SVP-Nationalrat Andreas Glarner wird das Wort ergreifen.

Aha, also. Nun ja, was den beiden Recherchier-Genies von Tamedia entweder nicht aufgefallen ist, oder was ihnen nicht ins Framing und ins Narrativ passt: Auch Nicolas Lindt will das Wort ergreifen. Hm, das ist doch der Mitbegründer der Zeitschrift «Eisbrecher» während der Zürcher Jugendunruhen in den 80er-Jahren. Das ist doch der Mitbegründete der Linkspostille WoZ. Das ist doch der Mitinitiant der GSoA, der «Gesellschaft für eine Schweiz ohne Armee».

Also, kapert nun die Rechte oder die Linke die «Schweizer Friedensbewegung»? Oder kapern sie sogenannte «Corona-Skeptiker», was schon damals ein demagogischer Kampfbegriff war und es auch heute noch ist? Das ist nun nicht so ganz klar. Klar ist aber: mit solchen Schmierenartikeln verabschiedet sich Tamedia weiter vom Anspruch, ein seriöses Qualitätsmedium zu sein.Was für ein Trauerspiel. Da hätte die neuernannte Oberchefredaktorin bereits ein erstes Zeichen setzen können und eingreifen müssen.

 

Wir brauchen echten Journalismus

Ein Drecksstück reiner Demagogie im Tagi.

«Wir brauchen eine echte Friedens­bewegung – und keine Ego-Show von Frau Schwarzer». So titelt Tamedia über einem Stück von Meredith Haaf. Das ist eine Leihmeinung von der «Süddeutschen Zeitung», denn der grosse Konzern des Coninx-Clans ist schon lange nicht mehr in der Lage, eigene Meinungen zu haben.

Haaf ist bei der SZ «Stellvertretende Leiterin im Ressort Meinung» und kümmert sich vor allem um «politische Fragen, die das Zusammenleben der Menschen, die Gerechtigkeit der Verhältnisse und das Selbstverständnis unserer Gesellschaft betreffen».

Das äussert sich dann so: In der Gesellschaft sei «Einsatz für den Frieden nachvollziehbar». Immerhin, aber:

«In Deutschland aber geht derzeit eine unkonzentrierte Ego-Show als anschlussfähige Friedensbewegung durch, wie am Samstag am Brandenburger Tor zu besichtigen war. Wie ärgerlich, wie schade.»

Dann holzt Haaf weiter: «Ähnlich wie die organisierten, besonders rabiaten Corona-Massnahmen-Gegner zeigen auch die auf Zuspruch stossenden Friedensinitiativen – die ja zum Teil von denselben Personen ausgehen – eine gewisse intellektuelle Trägheit

Dann wünscht sich Haaf scheinheilig einen «wertschätzenden, offenen Austausch darüber, was Friedenspolitik kann und soll». Um intellektuell sehr träge weiterzuholzen: «der Autor Sascha Lobo hat eigens für Schwarzer und Co. den Ausdruck «Lumpenpazifismus» erfunden; «Friedensschwurbler» ist noch so ein Ausdruck».

Wenn für Haaf Wagenknecht, Schwarzer, Habermas, fast 700’000 Unterzeichner eines Manifests, darunter grosse Teile der deutschen Intelligenzia, alle auf dem Holzweg sind, was wäre dann richtig? Es brauche einen Pazifismus, der «mehr kann als stereotyp «Frieden» zu fordern», was «eine von sich selbst beseelten Selbstberuhigungsclique» angeblich tue. Denn wahrhafter Pazifismus «reicht nicht dem Aggressor die Hand, sondern denen, die ihm widerstehen».

Jeder darf meinen, auch Haaf. Jeder darf rumeiern, auch Haaf. Jeder darf sich selbst widersprechen, wertschätzenden Austausch fordern – und dann abschätzig niedermachen. Aber vielleicht könnte Haaf, statt dafür den Begriff Pazifismus zu vergewaltigen, sich an seine Definition erinnern. Denn bei George Orwell mag das mit dem Kriegsministerium, das Friedensministerium heisst, als literarische Metapher für Demagogie noch angehen. Aber in der realen Welt bedeutet Pazifismus «eine weltanschauliche Strömung, die jeglichen Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt und den Verzicht auf Rüstung und militärische Ausbildung fordert».

Vielleicht sollten sich das starke Meinungsträger mit schwachen Kenntnissen hinter die Ohren schreiben. Das Stück ist natürlich zuerst in der SZ erschienen. Dort wurde es so eingeschenkt:

Tamedia hat keine eigene Meinung, aber dafür schenkt er den gleichen Text mit einem abgeänderten Titel ein: «Analyse zur Friedensdemo in Berlin: Wir brauchen eine echte Friedens­bewegung – und keine EgoShow von Frau Schwarzer». Dazu stellte er ein Foto von Alice Schwarzer (oben über dem Titel), das an bösartiger Demagogie nicht zu überbieten ist. Ein echtes Drecksstück von Journalismus.

Haut die Wagenknecht

Medien als Meinungsträger statt Berichterstatter.

Hand aufs Herz: wie viele Teilnehmer hatte die Friedensdemonstration letzten Samstag in Berlin? Waren es 13’000, wie die Polizei und viele Medien behaupten? Waren es 50’000, wie die Veranstalter und wenige Medien behaupten? Oder waren es «viele tausend» worauf sich Tamedia und andere Schweizer Medienkonzerne zurückziehen?

Es erinnert etwas an eine Anti-Coronapolitik-Demonstration zu Bern, als die Schweizer Medien nur knirschend und unter Druck einräumten, dass sie mit der Zahl der Teilnehmer schwer untertrieben hatten. Als ob es heutzutage nicht bis auf den Kopf genau möglich wäre, die Anzahl Teilnehmer an einer Manifestation zu bestimmen.

Aber das ist ja nur ein Aperçu im Rahmen der ausgewogenen Berichterstattung über die Ziele dieser Manifestation. Inzwischen haben, wie der Autor René Zeyer, fast 700’000 Menschen das «Manifest für den Frieden» unterschrieben, während Gegenmanifeste (und Gegenmanifestationen) lediglich ein paar Verkrümelte mobilisieren konnten.

Aber das alles ist für die Leitmedien kein Anlass, wenigstens korrekt über Absichten, Ansichten, Reden und Inhalte zu berichten. Um dann anschliessend den Senf dazu zu geben. Zunächst einmal geht es gegen die beiden Initiantinnen. Alice Schwarzer, die für die Emanzipation der Frauen im deutschen Sprachraum alleine mehr getan hat als alle sogenannten Feministinnen in der Schweiz zusammen, kann von ihrem Renommee her nicht so einfach weggeräumt werden. Also wirft man ihr vor, sie habe doch keine Ahnung von Politik und solle sich gefälligst weiter um Frauenfragen kümmern.

Das geht nun bei Sahra Wagenknecht schlecht. Also wird ihr von ihrer politischen und sozialen Genese in der ehemaligen DDR, über angebliche Verherrlichung des Stalinismus bis hin zu Moskauhörigkeit und dem Handeln als nützliche Idiotin Putins so ziemlich alles vorgeworfen, mit dem man eine inhaltliche Auseinandersetzung vermeiden kann.

Eine herausragende Rolle bei all diesen Denunziationen spielt auch, dass sich angeblich «vereinzelte Rechte und Rechtsradikale unter die Teilnehmer gemischt» hätten. Die Mitbegründer der deutschen Grünen, Petra Kelly und Gert Bastian, bekämen das grosse Kotzen, würden sie noch leben, wenn sie das Gewäffel des grünen Vizekanzlers Robert Habeck hören müssten: «Das ist kein Frieden, das ist eine Chimäre, die da aufgebaut wird, das ist eine politische Irreführung der Bevölkerung

Selbst aus ihrer eigenen Partei, der «Linken», wird Wagenknecht angegriffen, so behauptet die stellvertretende Parteivorsitzende: «Aber diese Demonstration hatte nichts mit linker Politik, gar mit linker Friedenspolitik zu tun

Besonders sauer stossen kriegerischen Friedenstauben Sätze von Wagenknecht wie dieser auf: «Wir wollen nicht, dass mit deutschen Panzern auf die Urenkel jener russischen Frauen und Männer geschossen wird, deren Urgrosseltern tatsächlich von der Wehrmacht auf bestialische Weise millionenfach ermordet wurden.»

Ds ist nun eine durchaus vertretbare Position, über die man, wie über den gesamten Inhalt des Friedensmanifests, trefflich inhaltlich streiten könnte. Stattdessen werden selbst die absurdesten Behauptungen aufgestellt: «Gleichsetzungen von Baerbock mit Hitler, wie sie unter den Teilnehmenden zu sehen waren, wurden nicht von der Bühne zurückgewiesen. In meinen Augen eine unfassbare Relativierung des Faschismus.»

Es ist also die Aufgabe einer Demonstrationsleitung, jedes einzelne Plakat einer Massendemonstration auf seine Korrektheit zu überprüfen und – sollte es durchfallen – von der Bühne aus zu kritisieren? Das könnte Anlass für eine saukomische Satire sein, wenn es nicht so beelendend mies und denunziatorisch wäre.

Nochmal Hand aufs Herz: welcher Leser könnte – nach Lektüre der Mainstreammedien und aufmerksamer Beobachtung der Berichterstattung im Schweizer Farbfernsehen – die wichtigsten Forderungen der Demonstration wiedergeben? Wer könnte eine Zusammenfassung der dort gehaltenen Reden machen? Wer kann behaupten, ein realitätsnahes Bild der politischen Verortung der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmer erhalten zu haben?

Positionen wie diejenige von Wagenknecht und Schwarzer, Ansichten der Hunderttausenden von Unterzeichnern und Zehntausenden von Demonstrationsteilnehmern können falsch sein, kritisiert werden, argumentativ in der Luft zerrissen.

Nur findet das nicht statt. Es wird auf den Mann, Pardon, auf die Frau gezielt, nicht auf deren Argumente. Es wird unterstellt, assoziiert, es werden angebliche Haltungen («moskauhörig») unterstellt. Ist die Vermutung abwegig, dass das alles aus Mangel an Gegenargumenten geschieht?

Ist die Vermutung abwegig, dass diese Art der Berichterstattung wieder ein Schlag ins Kontor ist, was das wichtigste Asset der Medien betrifft? Nämlich ihre Glaubwürdigkeit als Bote, wo sich der Botschafter mitsamt seinen Ansichten nicht wichtiger nimmt als die Nachricht selbst.

Denn Wertungen und Kritiken nimmt man doch nur demjenigen ab, der zuvor bewiesen hat, dass er in der Lage ist, ein Ereignis korrekt zusammenzufassen und seine wichtigsten Elemente dem Leser mundgerecht zu servieren. Aber wer die Nachberichterstattung schon mit diesem Lead beginnt, hat bereits verloren:

«Selbst in der eigenen Partei hagelt es Kritik für die prominente Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht mit ihrem sogenannten «Manifest für Frieden»».

Und die Zustimmung in der eigenen Partei? Und wieso «sogenannt»? Hat das auch nur im entferntesten mit handwerklich korrektem, professionellen, kompetenten Journalismus zu tun? Die Frage stellen, heisst sie beantworten.

Irrlichternde Journis

Der SoBli durchstösst die letzten Schranken nach unten.

Wenn Gieri Cavelty das Wort zum Sonntag ergreift, muss Vernunft und Rationalität in Deckung gehen: «Mit seiner Weigerung, die Neutralitätspolitik neu auszurichten, hat der Bundesrat nicht einfach nur seinen Aussenminister desavouiert, sondern auch einen historischen Fehler begangen.»

Denn da umweht ihn der Mantel der Geschichte, Cavelty muss seine Landesregierung streng tadeln. Auf seinen Spuren wandelt auch sein Stellvertreter Reza Rafi. Unter dem Titel «Irrlichternde Ikonen» muss er mal kurz dem Philosophen Jürgen Habermas die Knöpfe reintun: «Deutsche Geistesgrössen wie Jürgen Habermas spielen mit teilweise bedenklichen Aussagen die Friedensengel – und damit Putin in die Hände.»

Das ist nun einfach strohdumm von Rafi, aber was er dann unter sich lässt, ist an Geschmacklosigkeit nicht mehr zu unterbieten: «Via «Süddeutsche Zeitung» griff der Intellektuelle, der wegen seiner Hasenscharte unverständlich nuschelt und vielleicht gerade deshalb sein Leben der Kommunikationsforschung gewidmet hat …»

Kennt dieses Drecksblatt wirklich keinen Anstand mehr? Dem 93-jährigen Philosophen ernsthaft seine Hasenscharte vorwerfen; ob Rafi noch so viel Ehre im Leib hat, sich für diese grobe Geschmacklosigkeit in aller Form zu entschuldigen?

Aber er macht sich nicht nur über körperliche Gebrechen lustig, er zweifelt auch am Geisteszustand des Geistesriesen: «So halluziniert Habermas vom «bellizistischen Tenor einer geballten veröffentlichten Meinung», der es entgegenzutreten gelte.» Halluziniert? Dabei meint Habermas doch genau solche Kläffer wie Rafi.

Rafi halluziniert nicht, er verliert seinerseits in seiner Masslosigkeit jeglichen Kontakt zu Mass und Mitte: «Dass sich Habermas zu dieser Art des «Victim Blaming» hinreissen lässt, ist auch deshalb tragisch, weil er als Absender ein ungleich grösseres Schwergewicht ist als Talkshow-Figuren wie die «Emma»-Gründerin Schwarzer, die Linke-Politikerin Wagenknecht oder der Vulgärphilosoph Precht («Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?»)

Schwarzer eine «Talkshow-Figur», Precht ein «Vulgärphilosoph»? Dann hält Rafi in seinem Lauf weder Ochs noch Esel auf: «Dass sich auch die begnadete Schriftstellerin Juli Zeh (48, «Über Menschen») in die Reihe der unheimlichen Friedensengel gesellt, überrascht indes mehr als das Engagement der Linke-Ikone Gregor Gysi (75). Während beim Ostdeutschen mit seiner DDR-Vergangenheit wohl eine alte Moskau-Orientierung hervortritt …»

Beim «Ostdeutschen» trete eine «Moskau-Orientierung» hervor? Wehe, wer nicht mit Rafi einer Meinung ist. Da nützt einem weder der Titel «begnadete Schriftstellerin» noch «lebendes Denkmal» über Habermas etwas. Da wird verbellt, gebelfert und Unappetitliches abgesondert.

Es ist wirklich unfassbar, was inzwischen im Hause Ringier veröffentlicht werden darf, ohne dass eine ordnende Hand eingreift. Wo bleiben hier Frank A. Meyer, Marc Walder oder Michael Ringier? Wollen die wirklich zusehen, wie ihr Organ mit solchen Sätzen besudelt wird: 

«Das Lebenswerk von Habermas ist zu gross, um zerstört zu werden. Aber ein Taubenschiss auf dem Denkmal bleibt.»

Das Lebenswerk von Rafi ist zu klein, als dass ein solcher dampfender Haufen Sprachdurchfall noch etwas daran verkleinern könnte. Aber ein übler Geruch bleibt.

PS: In der Online-Version hatte jemand einen Anfall von Anstand und löschte die «Hasenscharte» aus dem Gebellter von Rafi …

 

Kleinintellektueller am Werk

Stephan Israel vergreift sich an Grösserem.

Wenn ein Sesselfurzer aus dem Hause Tamedia sich mit den grossen Dingen beschäftigt, so Liga Krieg und Frieden, dann kann nur Kleingehacktes herauskommen.

Einer der letzten überlebenden Korrespondenten des einstmals dem Journalismus verpflichteten Konzerns hebt an: «Wer ist schon gegen Frieden, wer hätte nicht lieber Verhandlungen als noch mehr Krieg

Genau, selbst die grössten Kriegsgurgeln behaupten, mit ihrer Kriegsrhetorik wollten sie nichts anderes als ein bisschen Frieden. Aber natürlich kommt es darauf an, ob man den gestrengen Israel-Test besteht, also richtig für den Frieden ist.

Da fällt schon mal der «deutsche Grossintellektuelle Jürgen Habermas» durch. Er ist allerdings in guter, schlechter Gesellschaft: «Die Alt-Feministin Alice Schwarzer und die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht sammeln innert kurzer Zeit eine halbe Million Unterschriften unter ihr «Manifest für den Frieden»

Grossintellektueller, Alt-Feministin, Linkenpolitikerin. Ist dann Bärfuss ein Kleinintellektueller für Israel, Schutzbach eine Jung-Feministin und Silberschmidt ein Rechtenpolitiker?

Wie auch immer, was bewirken denn diese Friedenstauben? «Im Kreml kann sich der mutmassliche Kriegsverbrecherpräsident freuen.» Immerhin quetscht Israel, wohl aus Furcht vor dem langen Arm des FSB, noch ein «mutmasslich» vor den Kriegsverbrecher. Das sind allerdings auch so Lichtgestalten wie Barak Obama (Friedensnobelpreis mit «Kill List») oder Henry Kissinger (Friedensnobelpreisträger mit blutigen Händen).

Was bewirken denn diese Diversanten, wie Israel sie nennen würde, wenn er dieses Wort kennte? «Die Kakofonie in den Talkshows und Feuilletons lenkt davon ab, dass die russischen Streitkräfte gerade eine massive neue Grossoffensive vorbereiten.»

Man stelle sich nur vor, da zupfen Putin-Erfreuer die Friedensschalmei, während der Iwan eine Offensive plant. Statt wie Israel mutig in den Schützengraben zu springen und «Helm auf!» zu rufen. Stattdessen ist er aber leicht verwirrt: «Was die Intellektuellen und Nationalpazifisten genau verhandeln wollen, bleibt ohnehin nebulös.»

Nationalpazifisten? Das ist wenigsten originell, hört sich auch zum Verwechseln ähnlich wie Nationalsozialisten an. Allerdings könnte dem im Nebel stehenden Schwätzer ein Blick ins Manifest für den Frieden helfen. Dort herrscht kein Nebel. Hier wird der höchste Militär der USA zitiert, dass in der Ukraine eine militärische Pattsituation existiere, die nur durch Verhandlungen gelöst werden könne. Dem hätte der Sandkastengeneral Israel wegen Defätismus längst die Schulterklappen abgerissen.

Dann wird überhaupt nicht nebulös geendet:

«Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.»

Aber so weit hat Israel wohl nicht gelesen, weil er schon rot sah. Der «Grossintellektuelle» kriegt dann im Vorbeilaufen auch noch sein Fett ab: «Jürgen Habermas setzt auf einen für beide Seiten «gesichtswahrenden Kompromiss»».  Was für ein Dummkopf, nicht nur Israel weiss doch, dass bei einem Kompromiss immer eine Seite das Gesicht verlieren muss, logo.

Israel ist dafür aber Meister der Geschichtsklitterung, wenn er schreibt, «im Donbass hätte man zudem beobachten können, was ein Frieden für die Bevölkerung unter russischer Besatzung bedeutet, nämlich Deportation, Folter und Vergewaltigungen». Was dort die russischsprachige Bevölkerung zuvor von ukrainischer Seite erleiden musste, Schwamm drüber.

Aber im wilden Geturne und Gekurve mit partieller Wahrnehmung historischer Ereignisse trägt es Israel dann völlig aus der Bahn: «Die Sowjetunion wird da schnell mal mit Russland gleichgesetzt. Dabei geht vergessen, dass unter den Sowjetrepubliken die Ukraine Schauplatz der schlimmsten Kriegsverbrechen von Wehrmacht und Waffen-SS war.»

Dabei geht Israel vergessen, dass im Westen der Ukraine heute noch der Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher Bandera mit Denkmälern gefeiert wird, denn wie kaum woanders haben Teile der Bevölkerung die Nazis bei ihren Kriegsverbrechen so sehr unterstützt wie in der Ukraine. Die dann von der Roten Armee in verlustreichen Kämpfen von den Faschisten befreit werden musste, was vielen Ukrainern heute noch unangenehm ist.

Nach diesem wilden Ritt durch Kannitverstan lobhudelt Israel sich selbst: «Es gäbe also für Intellektuelle auch gute Gründe, entschlossen an der Seite der Ukraine zu stehen und zögerliche Regierungen an ihre Beistandspflicht zu erinnern.» Das kann man im Rahmen der Meinungsfreiheit durchaus sagen. Denn man soll niemandem im Weg stehen, wenn er sich öffentlich zum Deppen machen will.

Israel tut das zum Schluss mit Anlauf und Energie: «Wie würden wir heute rückblickend einen Appell renommierter und bekannter Persönlichkeiten im Sommer 1940 an den britischen Premier Winston Churchill bewerten, doch bitte in Verhandlungen mit Adolf Hitler einzutreten

Am 3. September 1939 hatten Frankreich und England dem deutschen Nazi-Reich den Krieg erklärt. Nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen. Weder zu diesem Zeitpunkt noch danach wären «Persönlichkeiten» auf die Idee gekommen, Churchill um Verhandlungen mit Hitler zu bitten. Welch absurder Vergleich.

Welch hilfreicher Vergleich. Denn er zeigt überdeutlich den Niveau-Unterschied zwischen einem Habermas, einer Schwarzer, einer Wagenknecht und der halben Million Unterzeichner des Manifests – und Israel.

Wie schreibt er so schön vor diesem Bauchklatscher am Schluss: «Etwas Polemik sei deshalb hier auch erlaubt.» Ganz richtig: was für ein arroganter, ungebildeter, historisch unbewanderter Kriegskläffer, der gerne zusieht, wie noch Hunderttausende von Ukrainern sterben werden. Wenn es nach ihm ginge. Glücklicherweise tut es das aber nicht.

Die überwältigende Mehrzahl hat nicht deswegen Recht, weil es so viele sind. Aber vielleicht könnte Israel etwas zu denken geben, dass die «Nationalpazifisten» etwas mehr Zuspruch erhalten als ein «Gegenmanifest», das bei krümeligen 100+ Unterschriften steht:

Partei ergreifen

ZACKBUM ist eine Plattform für Medienkritik. Und für Frieden.

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht haben eine neue Petition lanciert. Sie wurde bereits von über 350’00 Menschen unterzeichnet, die sich der glasklaren Sachlogik nicht entziehen können.

Zu den Erstunterzeichnern gehören diesmal Dr. Franz Alt, Rudolf Dressler, Justus Frantz, Wolfgang Grupp, Gottfried Helnwein, Oskar Lafontaine, Romani Rose, Helke Sander, Martin Sonneborn, Katharina Thalbach, Erich Vad, Günter Verheugen, Antje Vollmer und viele mehr.

Eine gute Gesellschaft, in die sich ZACKBUM-Redaktor René Zeyer gerne begibt.

Wer es ihm gleichtun will: das ist der Link zum Unterschreiben.

Hier der Text:

Manifest für Frieden

«Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine. Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.

Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen. Im Ernst?

Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch „Bodentruppen“ senden. Doch wie viele „rote Linien“ wurden in den letzten Monaten schon überschritten?

Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.

Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!

Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!

Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“.

Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.»

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht

Schleier oder Brett vor dem Kopf

Der Iran und das Burka-Verbot in der Schweiz.

Wir erinnern uns. Im Zusammenhang mit der gewonnenen Abstimmung über die sogenannte Burka-Initiative gab es von kampffeministischer Seite ein Sammelsurium von absurden Argumenten, wieso das Tragen eines Schleiers, eines Kopftuchs oder sogar eines Ganzkörperpräservativs keinesfalls Ausdruck von Unterdrückung und Mittelalter sei. Sondern im Gegenteil Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts von Frauen, die sich damit den lüsternen männlichen Blicken verweigern wollen.

Verdiente Feministinnen wie Alice Schwarzer wurden in der Schweiz übel beschimpft, weil sich die Ikone der deutschen Frauenbewegung schon seit Jahren gegen die Verwendung von Verschleierung als Ausdruck übler Unterdrückung ausspricht. Nehmen wir nur zwei (noch relativ gemässigte) Exponenten von damals beim Wort:

«In der Schweiz sind es vor allem einheimische Konvertitinnen, die freiwillig eine Burka oder einen Niqab tragen. Für sie ist die Verschleierung Ausdruck ihrer religiösen Identität oder ein Statement gegen das sexualisierte westliche Frauenbild.
Natürlich darf man in der Schweiz niemanden dazu zwingen, sich zu verschleiern. Aber darf man im Umkehrschluss Frauen dazu zwingen, sich zu enthüllen?»

Das war Deborah Bischof im «Beobachter». Frauen zwingen, sich zu enthüllen? Auch im «Beobachter» darf leider Unsinn verzapft werden. Aber unangefochten an der Spitze der Schleier-Versteher stand die schreibende Schmachtlocke der «Republik». Sie interviewte eine verpeilte Wissenschaftlerin, die sich zur Aussage verstieg: «Der Nikab ist nicht das Zeichen der Unterwerfung, sondern eine Revolte».

Aber auch Daniel Binswanger höchstselbst führte vor, zu welchen Absurditäten ein Intellektueller in der Lage ist, wenn er sich mit der rechten Hand hinter dem linken Ohr kratzt:

«Nikab-Trägerinnen in Europa sind typischer­weise unabhängige und selbst­bestimmte Frauen, die ihren Fundamentalismus gegen den Willen ihrer Familie praktizieren. Sie gehorchen mit der Vollverschleierung nicht einer Familien­tradition, sondern im Gegenteil, sie affirmieren ihre muslimische Born-again-Identität. Gerade für den Nikab greift also das Argument der Fremd­bestimmung nicht.»

Nun war Binswanger clever genug, das Wörtchen «in Europa» als Verschleierung seiner absurden Ansicht in den Text zu nehmen.

Es bleibt aber dennoch die Frage, was denn alle damaligen Anhänger des Körperschleiers als Ausdruck von was auch immer zu den aktuellen Auseinandersetzungen im Iran sagen. Der Protest gegen das Mullah-Regime hat sich nicht zuletzt daran entzündet, dass die Religionspolizei eine junge Frau verhaftete, weil die nicht ordnungsgemäss gekleidet sein sollte, vor allem habe man einen Blick auf ihr Haupthaar erhaschen können. Nicht als Erste starb sie dann während der Haft.

Seither brennen im Iran die Schleier und Kopftücher. Da sie eben unbestreitbar sowohl ausserhalb wie innerhalb von Europa Symbol eines menschen- und frauenverachtenden religiösen Fanatismus sind.

Natürlich dürfen Frauen Miniröcke tragen. Hohe Absätze oder bequeme Turnschuhe. Sie dürfen sich aufbrezeln oder betont neutral kleiden. Sie dürfen auch das Haupthaar bedecken; sei das mit Perücken, wie das unter orthodoxen Juden der Brauch ist, oder mit einem Stück Stoff. Sobald aber diese Verhüllung klar einen religiösen Symbolgehalt bekommt, ist sie nicht mehr Ausdruck der angeblichen Selbstbestimmung der Frau. Oder gar ihrer Weigerung, Objekt lüsterner männlicher Blicke zu sein.

Diese Auffassung ist genauso absurd wie die Meinung, durch Sprachreinigung und die Verwendung möglichst umständlicher Gender-Formen einen Beitrag zur Entdiskriminierung der Frau, zur Integrierung von Randgruppen zu leisten.

Beides sind Verirrungen von Intellektuellen, die nicht in der Lage sind, ihre Behauptungen, Forderungen und Vorschläge logisch zu durchdenken und an der Wirklichkeit zu messen.

Interessant ist nun allerdings, dass man von den feministischen oder linken Kreisen, die sich damals für das Selbstbestimmungsrecht der Frau in Verhüllungsfragen einsetzten, eigentlich kein Wort zu den Ereignissen im Iran hört. Immerhin, darin ist wohl eine leise Scham über vergangene, öffentlich bekundete Dummheiten enthalten.

Will man hoffen. Im schlimmsten Fall bedeutet das Schweigen aber, dass diese verpeilten Feministen und Nikab-Versteher das Verbrennen dieser Unterdrückungssymbole gar nicht gutheissen. Schliesslich zeigen diese Iranerinnen damit mangelnden Respekt vor religiösen Bräuchen, sind gar Opfer einer kulturellen Aneignung westlicher Gebräuche. Müssten also eigentlich so streng zurechtgewiesen werden – wie ein weisser Rastalocken-Träger. So rein logisch gesehen.

 

300’000

Immerhin ein Lichtblick in dunklen Zeiten.

Alice Schwarzer hat zusammen mit anderen Intellektuellen einen offenen Brief an den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz initiiert. Darin wird der gebeten, mit seiner bedächtigen und ruhigen Politik bezüglich der Ukraine fortzufahren. Er wird in seinem Ansinnen unterstützt, dass er es als seine wichtigste Aufgabe ansieht, alles dafür zu tun, um einen Dritten (und wohl letzten) Weltkrieg zu verhindern.

Dieser Brief wurde kräftig angefeindet – und auch von ZACKBUM unterzeichnet.

Rund einen Monat später haben fast 300’000 Deutsche das Schreiben unterzeichnet. Eine Zustimmung, wie sie nur selten einem solchen Appell widerfuhr. Anlass für Schwarzer, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen.

Sowohl ihre besonnene Art wie auch die kühle Stringenz der Ausführungen liefern etwas Gegengift im völlig vergifteten Diskurs über den Ukrainekrieg. Aber herausragend ist nicht ein Satz von ihr, sondern ein Zitat.

«Es wäre furchtbar, wenn Putin diesen Krieg gewinnt. Noch furchtbarer wäre nur, wenn Putin den Krieg verliert.»

Welcher Putinversteher, welches Weichei, welcher Anhänger des Appeasement, welcher Feind des heroischen Kampfes der Ukraine hat denn das gesagt? Kein Geringerer als – Jens Stoltenberg. Seines Zeichens Generalsekretär der NATO.

Dort gibt es offenbar tatsächlich Menschen, die ihren Kopf nicht als Helmständer, sondern zum Denken benutzen.

Frieden schaffen mit Waffen

Sprachverluderung ist immer Ausdruck von Denkverluderung.

Der diplomatische Vertreter der Ukraine in Deutschland fällt eins ums andere Mal durch verbale Blutgrätschen auf. Weil er mit einem Aufruf zur Besonnenheit nicht einverstanden ist, der von bedeutenden deutschen Intellektuellen unterzeichnet und von «Emma»-Herausgeberin Alice Schwarzer initiiert wurde, keifte Andrij Melnyk: «Keiner mit gesundem Verstand soll Ihre schäbige Emma kaufen

Ein Botschafter ausser Rand und Band legt nun nochmals nach. Der deutsche Bundeskanzler verzichtet vorläufig auf einen Besuch in Kiew, nicht zuletzt deswegen, weil man dort den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier nicht empfangen wollte.

Dazu sagt Melnyk undiplomatisch: «Eine beleidigte Leberwurst zu spielen, klingt nicht sehr staatsmännisch.» Und legt noch drauf: «Es geht um den brutalsten Vernichtungskrieg seit dem Naziüberfall auf die Ukraine, es ist kein Kindergarten.» Das ist es nicht; diese Aussagen sind es auch nicht, sondern für den Botschafter eines Landes in einem anderen Land schlichtweg unanständig. In normalen Zeiten Grund genug, ihn zur persona non grata zu erklären.

Melnyk ist sich offenbar nicht bewusst, welches Bild er mit dieser Sprachverluderung von seinem Land in Deutschland zeichnet. Dahinter steckt eine Denkverluderung; die falsche Ansicht, dass man sich als Vertreter der Ukraine jede Frechheit erlauben kann.

Sprachverluderung aller Orten

Der Tamedia-Vertreter in Berlin trägt ebenfalls zur Sprachverluderung bei: «Aufruf zur Kapitulation» überschreibt Dominique Eigenmann seine Berichterstattung zu diesem offenen Brief an Kanzler Olaf Scholz. Der inzwischen von immerhin über 150’000 Deutschen mitunterzeichnet wurde*.

Nicht mal dieser Titel ist originell, denn wie betitelt die deutsche Tageszeitung «Die Welt» ihren Kommentar zum gleichen Thema? «Wie eine Aufforderung zur Kapitulation». So darf dort ein Wendehals der ehemaligen pazifistischen Partei «Die Grünen» beckmessern.

Deren Vizekanzler Habeck versteigt sich sogar zur Formulierung:

«Pazifismus bedeutet nicht, dass wir andere sterben lassen, weil wir nicht bereit sind, unangenehme Entscheidungen zu treffen.»

Auch diese Sprachverluderung muss abgeschmeckt werden, was will uns der Schwurbler damit sagen? Andere, also konkret Ukrainer, würden sterben, wenn wir, also die deutsche Regierung, nicht bereit seien, unangenehme Entscheidungen, also über die Lieferung von schweren Waffen, zu treffen.

Wäre die Regierung also bereit dazu, dann würden die Ukrainer nicht sterben? Lieferte sie aber keine Waffen, dann stürben die Ukrainer? Der Versuch, auf diesen Sprachmüll Logik anzuwenden, entlarvt die Sinnleere. Dahinter steckt die Denkverluderung, dass Exponenten der Grünen den Salto von Pazifismus zu Unterstützung einer Kriegspartei mit Waffen vorführen müssen.

Von «Frieden schaffen ohne Waffen» zu «Frieden schaffen mit Waffen», eine geradezu orwellhafte Wendung, die vom Wahrheitsministerium in seiner Dystopie «1984» stammen könnte. Wahrheit ist Lüge und Lüge ist Wahrheit, alles geht, Prinzipien waren gestern.

Die waren bei den Grünen allerdings auch gestern nicht sehr ausgeprägt, als sie unter Verrat aller ihrer Prinzipien der völkerrechtswidrigen Intervention der NATO in Jugoslawien zustimmten. Da gilt heute mehr denn je: ist der Ruf erst runiert, lebt sich’s ungeniert.

 

*Darunter auch der ZACKBUM-Redaktor René Zeyer.