Weltmeisterschaft der Heuchler

Es sollte eine olympische Disziplin werden. Pflicht, Kür, Medaille im Heuchel-Wettkampf. Verliehen wird ein Tartuffe in Gold, Silber oder Bronze.

Ich sage Afghanistan. Was sagst du? Die Flüchtlingsorganisation der UNO sagt: «UNHCR ruft aufgrund der humanitären Krise in Afghanistan zu einem dauerhaften Waffenstillstand und einer Verhandlungslösung im Interesse des afghanischen Volkes auf.»

Was sagt die UNICEF, die Kinderhilfsorganisation der UNO? «Wir fordern die Taliban und andere Parteien auf, dafür zu sorgen, dass UNICEF und unsere humanitären Partner sicheren, rechtzeitigen und ungehinderten Zugang haben, um Kinder in Not zu erreichen, wo immer sie sind. Darüber hinaus müssen alle humanitären Akteure die Möglichkeit haben, nach den humanitären Grundsätzen der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit zu handeln.»

Was sagt CH Media? «Deutscher Afghanistan-Veteran: «Die Menschen fürchten die Rache der Taliban – sie haben Todesängste»»

Was meldet der «Tages-Anzeiger»? «James Dobbins war der erste US-Botschafter in Afghanistan nach der Invasion von 2001 und Berater von Bush und Obama. Er sagt unter Tränen: Ich trage eine Verantwortung.»»

Was sagen die USA über das Schicksal der bereits Ausgeflogenen, die in Doha zwischengelagert werden? «Man sei sich der «schrecklichen hygienischen Zustände in Katar» bewusst, die dort geherrscht hätten, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby. Man habe bereits daran gearbeitet, sie zu verbessern», berichtet «20 Minuten».

Die St. Galler Stadträtin Sonja Lüthi:

«Ich bin persönlich – wie auch der gesamte Stadtrat – tief betroffen von den erschütternden Bildern, die uns aus Afghanistanerreichen.»

Auch Balthasar Glättli, Präsident der «Grünen», ist aufgewacht und will das Feld nicht Afghanistan-Kreische Fabian Molina und seiner SP überlassen: «Der Bundesrat zeigt sein kaltes Herz: 230 Personen aufzunehmen, während Millionen Menschen in Gefahr sind, ist ein Hohn. Wir GRÜNE fordern die Aufnahme von mindestens 10’000 Menschen, die besonders bedroht sind.»

Hauptsache gut im Bild: Balthasar Glättli.

Das sieht die Schweizerische Flüchtlingshilfe auch so:

«Afghanistan: Die Schweiz muss mehr leisten für den Schutz der Flüchtlinge»

Neben diesem Maulheldentum, was passiert denn konkret? In Deutschland versucht ein EU-Abgeordneter der Grünen, einen Charterflug nach Kabul zu organisieren und sammelt dafür Spenden ein. Leider hatte der gleiche Erik Marquardt schon rund 300’000 Euro für das Chartern eines Bootes zur Seenotrettung im Mittelmeer gesammelt. Zu einem Einsatz des Schiffes kam es nicht

Aber Marquardt unterscheidet sich von den fordernden Heuchlern immerhin dadurch, dass er etwas Konkretes auf die Beine stellen will. Er antwortet allerdings nicht auf journalistische Anfragen; man sei zu sehr mit der Organisation des Charterflugs beschäftigt. Mangels anderer Nachrichten ist es wohl eher ausgeschlossen, dass der vor dem 31. August noch stattfinden wird.

Reine Heuchelei, absurde Forderungen

Alles Betroffenheitsgesülze ist reine Heuchelei. Konkrete Hilfe ist gar nicht so einfach. Vielleicht sind da alle unter talibanartigen Zuständen bei Tamedia leidende Frauen konsequent, wenn sie zum Thema Afghanistan und Frauen einfach schweigen. Betrifft ja nicht ihren eigenen Bauchnabel, und der interessiert sie halt schon am meisten.

Es ist schwierig, konkret etwas zu tun. Angesichts all dieser hohlen Forderungen, Solidaritätsadressen, dem mehr oder minder lyrischen Ausdruck der Erschütterung kann man nur festhalten: das ist alles so widerlich, dass es eine neue Wettkampfdisziplin geben sollte. Wir schlagen den Namen «Radfahrer-Dreisprung» vor. Gemessen werden die Sprungweite, die Haltung dabei und die Eleganz der Landung.

Dabei gibt es eine Pflicht- und ein Kürnote. Pflicht bewertet die obligatorischen Sprünge, Kür besondere Einlagen dabei.

Gehupft wie gesprungen: leiden und fordern.

Der erste Sprung besteht in der möglichst eindrücklichen Darstellung der eigenen Betroffenheit. Der zweite ist das Anprangern des allgemeinen Versagens, ausgenommen das eigene. Der dritte Sprung besteht schliesslich aus einem Forderungskatalog.

Kürnoten gibt es für Zusatzsaltos, Schrauben und besonders beeindruckende Luftblasen beim Springen. In der Schweiz sind zurzeit Cédric Wermuth, Fabian Molina und neu Balthasar Glättli in den Medaillenrängen. Aber eine endgültige Bewertung steht noch aus; alle Sprünge bis zum 31. August zählen für die Wertung.

Von links nach links: Wermuth und Molina sowie Molina.

Der Wettbewerb steht auch für Frauen, Transgender oder Non-Binäre offen, obwohl wir hier noch keine beeindruckenden Leistungen gesehen haben; vielleicht mit Ausnahme von Sibel Arslan oder Tamara Funiciello. Aber beide haben noch keinen gültigen Versuch hingelegt, nur unkoordinierte Kurzsprünge.

Wenn du für alle kämpfst, kämpfst du für niemanden …

Nur meckern und polemisieren?

Natürlich ist die Frage erlaubt: Was macht dann ZACKBUM eigentlich? Wir haben gespendet, obwohl wir nicht sehr optimistisch sind. Wir setzen uns zudem für den in die Schweiz geflüchteten ehemaligen BBC-Bürochef in Kabul ein, der verzweifelt versucht, seine Familie aus Afghanistan herauszukriegen. Es ist bekannt, dass die fundamentalistischen Irren hinter ihrer freundlichen Fassade für blöde westliche Medien schon längst dabei sind, Listen abzuarbeiten, auf denen auch kritische Journalisten oder deren Familienangehörige stehen.

Dafür halten wir uns mit Betroffenheitsgesülze zurück, stellen keine absurden Forderungen auf und schimpfen auch nicht über das Versagen des Westens in Afghanistan, nachdem wir jahrelang nichts zu diesem Thema sagten. Uns hält das, im Gegensatz zu den Berufsheuchlern, etwas von Verurteilungen ab.

 

 

 

 

 

22 Gia Long Street

ZACKBUM-Leser wissen mehr. Oftmals mehr als die Redaktion.

Man lernt nie aus. Wie viele, allzu viele Medien war auch ZACKBUM der festen Überzeugung, dass dieses ikonische Foto die Evakuierung von Vietnamesen vom Dach der US-Botschaft in Saigon zeige.

Aufgenommen am 29. April 1975, als die siegreichen nordvietnamesischen Truppen gerade in die Hauptstadt Südvietnams einmarschierten. Nicht ganz so dramatisch wie aktuell in Kabul, aber dennoch von der Geschwindigkeit des Triumphzugs überrascht, versuchten die Amis, noch so viele eigene Staatsbürger und vietnamesische Helfershelfer wie möglich in Sicherheit zu bringen.

Beim Fall von Kabul und einer ähnlichen Fotografie eines US-Kampfhelikopters über dem Dach der US-Botschaft wurde überall an diesen historischen Vergleich erinnert. Selbst die BBC publizierte das Foto aus Saigon mit der Bildlegende, dass es sich um die US-Botschaft gehandelt habe. Immerhin wechselte BBC dann zu einer nicht näher definierten «CIA-Station».

Auch das ist aber falsch. In Wirklichkeit handelt es sich um das Dach eines Mehrfamilienhauses, damals bekannt als die Pittman Apartments. Hier wurde die US-Tarnorganisation USAID beherbergt, der oberste Stock war für den amtierenden CIA-Chef reserviert. Die US-Botschaft war rund einen Kilometer entfernt.

Das gleiche Gebäude im Jahre 2002.

Wikipedia hat dieser ewigen Verwechslung einen eigenen Eintrag gewidmet. Damals lag das Apartmenthaus an der Gia Long Strasse Nummer 22 in Saigon. Heute liegt es an der Lý Tự Trọng Strasse Nr. 22 in Ho Chi Minh Stadt, benannt nach dem grossen vietnamesischen Revolutionär. Die Namen wechseln, der Irrtum bleibt.

Aber ZACKBUM hat Leser, denen (kaum) ein Fehler entgeht – und die sich freundlich melden, um ihn richtigzustellen. ZACKBUM dankt, wir alle haben wieder etwas gelernt.

 

Cum-Ex als Hürde für Journis

Mr. Cum-Ex bleibt in Auslieferungshaft in der Schweiz. Alles verstanden?

Der ehemalige deutsche Steuerbeamte Hanno Berger ist der Erfinder eines der wohl grössten Betrugsmodelle in der modernen Finanzgeschichte.

Es ist unter dem merkwürdigen Namen Cum-Ex bekannt geworden. Es dürfte europaweit einen Schaden von über 50 Milliarden Euro angerichtet haben. Zur Kasse gebeten wurde der Steuerzahler, hereingelegt wurde der jeweilige Fiskus.

Die Methode ist schon lange unter dem Namen Dividendenstripping bekannt, aber erst durch Berger und mit Verwendung ganzer Fonds, die darauf aufgebaut waren, bekam der Betrug eine geradezu geschäftliche Dimension. Die Bank Sarasin, heute J. Safra Sarasin, war in der Schweiz führend beim Verkauf solcher Fondsanteile an reiche Kunden, denen Profite von bis zu 20 Prozent versprochen wurden – ohne Risiko, versteht sich.

Unschuldsmiene: Hanno Berger in Zuoz.

Nachdem diese Fonds schon längst implodiert waren und der Gesetzgeber nach vielen Jahren diesem Betrugsmodell endlich 2012 den Riegel geschoben hatte, wurde der Milliardenbetrug von einem Redaktionsnetzwerk 2018 nochmal aufgerollt. Auch die «Republik» war daran beteiligt, und sie gestand damals in heiliger Einfalt:

«Es ist zu kompliziert. Auch uns ging es so: Wieder und wieder haben wir gelesen, wie die Trades abliefen, haben für einen Moment geglaubt, das System durchschaut zu haben – doch wenn wir es ein paar Stunden später in eigenen Worten erklären sollten, war alles futsch.»

Berger hatte sich rechtzeitig vor neun Jahren in die Schweiz abgesetzt und fühlte sich hier vor den deutschen Strafverfolgungsbehörden sicher. Er liess sich sogar weiterhin als Finanzgenie feiern, selbst die «Weltwoche» kroch ihm in einem Porträt auf den Leim und glaubte seinem Geschwurbel, dass es sich bei Cum-Ex einfach um ein Arbitrage-Geschäft handle. Also um das Ausnützen verschiedener Kurse auf verschiedenen Handelsplätzen für die gleichen Wertpapiere. «Die Politik will von ihrem Versagen ablenken!», durfte Berger unwidersprochen schimpfen, wenn er auf die Bemühungen der deutschen Strafverfolger angesprochen wurde, seiner habhaft zu werden.

Einfaches Prinzip, aber schwierig zu erklären, wenn man’s nicht kapiert

Das ist kompletter Unsinn. Denn das Prinzip von Cum-Ex ist ganz einfach. Eine einmal gezahlte Steuer wird zweimal (oder noch mehr) zurückverlangt; überforderte Finanzämter haben mitgespielt – und so entstand dieser Milliardenschaden.

Berger stellte sich allerdings auf den Standpunkt, dass das eine völlig legale Abzocke war, nach dem Prinzip: was nicht verboten ist, ist legal und erlaubt. War es natürlich nicht, aber der deutsche Fiskus brauchte viele Jahre und viele überhörte Warnhinweise, um solchen krummen Touren einen Riegel zu schieben. Der Schweizer Steuerbeamte war übrigens viel schlauer als seine europäischen Kollegen. Hierzulande entstand keinerlei Schaden mit dieser Nummer; alle entsprechenden Forderungen wurden von vornherein zurückgewiesen.

Nach langem juristischen Geplänkel wurde Berger nun in Auslieferungshaft gesetzt, sein Haftentlassungsantrag gerade vom Bundesstrafgericht in Bellinzona abgeschmettert. Er ist mit einer weiteren Schlaumeierei gescheitert. Denn sein Anwalt argumentierte, dass die Schweiz ihn nur dann nach Deutschland ausliefern dürfe, wenn die ihm dort vorgeworfenen Taten auch in der Schweiz strafbar seien. Bei einfacher Steuerhinterziehung sei das aber nicht der Fall. Nur handelt es sich natürlich nicht darum, sondern um Betrug.

Also rauschte das Thema wieder mal durch den Blätterwald. Und stellte die armen Journalisten nochmals vor das Problem, das Prinzip von Cum-Ex in einfachen Worten dem Leser erklären zu müssen. Schwierige Sache, wenn man’s selber nicht ganz kapiert hat.

Ein kurzer Querschnitt durch das Gestammel der sogenannten Qualitätsmedien. Einfach macht es sich Tamedia; es übernimmt den Bericht der «Süddeutschen», wo das Problem nur sehr kursorisch abgehandelt wird: «Cum-Ex wird der Steuerskandal genannt, weil die Verdächtigten den Staat beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende betrogen haben sollen.»

Eigenleistung mal wieder null: TAmedia berichtet über Bellinzona aus München.

Andere Qualitätsblätter übernehmen gleich die Tickermeldung von AWP: «Bei den Cum-Ex-Geschäften handelt es sich um Aktiendeals, bei denen allein der deutsche Staat um Milliarden betrogen wurde. Indem Aktien um den Dividendenstichtag herum mehrmals verschoben wurden, wurde vernebelt, wer Anrecht auf eine Steuerrückerstattung hatte. So erstattete der Staat mehrmals eine nur einmal bezahlte Steuer zurück.»

Auf der sicheren Seite: Tickermeldung von AWP bei nau.ch.

Damit geben sich viele Organe zufrieden, darunter cash.ch oder nau.ch. Auch SRF huscht eher oberflächlich über eine Erklärung hinweg: «Cum Ex: Bei Cum-Ex-Geschäften werden Aktien gezielt rund um den Dividendenauszahlungstermin herum mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch mehrfach gehandelt. Der Steuerverwaltung wird nicht klar, wer denn nun die Verrechnungssteuer rechtmässig zurückerhält und zahlt sie mehreren Beteiligten aus.»

Nun ja. Wie entledigt sich die Kathedrale der Wirtschaftsberichterstattung in der Schweiz des Problems? «Die Angeklagten sollen über mehrere Jahre Aktienleerverkäufe um den Dividendenstichtag herum getätigt haben, um vom Finanzamt die Rückerstattung einer Kapitalertragssteuer zu erhalten, obwohl bei der Durchführung der Geschäfte gar kein Steuerrückbehalt stattgefunden hat. Von Cum-Ex-Geschäften spricht man, weil die Aktien dabei teils mit (cum) und teils ohne (ex) Dividende gehandelt werden.» Schreibt die NZZ.

Im Streubereich von Cum-Ex: die Erklärung der NZZ.

Mal Hand aufs Herz, lieber Leser: kapiert? Könnten Sie den Vorgang kurz nacherzählen? Nein? Zu blöd dafür? Aber nein, ZACKBUM-Leser sind intelligent, daher sind die Erklärungen zu blöd.

In Wirklichkeit ist es aber gar nicht so schwierig

Für Cum-Ex braucht es drei Dinge. Drei Beteiligte, Aktien und einen Zeitfaktor. Aktien werfen Dividenden ab, die werden zu einem Stichtag ausbezahlt. Vorher umfasst der Wert der Aktie ihre Dividende, also spricht man von einer Cum-Aktie, einer mit-Aktie. Nach der Auszahlung verringert sich der Wert der Aktie natürlich, sie ist nun ohne Dividende, also Ex. In Deutschland, um dieses Beispiel zu nehmen, wird auf die Dividende gleich eine Kapitalertragsteuer von 25 Prozent einbehalten. Dafür bekommt der Steuerpflichtige eine Bescheinigung und damit den Anspruch auf eine Steuergutschrift zur Verrechnung.

Nehmen wir also an, Beteiligter A besitzt Aktien im Wert von zwei Millionen. Die werfen 100 000 Dividende ab, davon behält der Fiskus 25 000 und stellt eine entsprechende Bescheinigung aus. Noch dabei? Ist gar nicht so schwierig, wir kommen gleich auf die Zielgerade.

Beteiligter B kauft von Beteiligtem C Cum-Aktien, also diese Aktien vor Ausschüttung der Dividende. Jetzt kommt der kleine Überschlag: C besitzt die Aktien gar nicht, er macht einen Leerverkauf. Nun besorgt sich C von A die Aktien, die sind aber bereits ex, also ohne Dividende und daher nur 1,9 Millionen wert. Also legt C noch 75 000 drauf, und über die fehlenden 25 000 bekommt B ebenfalls eine Steuerbescheinigung, denn er hat ja Cum-Aktien gekauft. Simsalabim, nun gibt es zwei Steuergutschriften über den gleichen Aktienbesitz. Hier kommt noch der dritte Faktor dazu, das Ganze muss möglichst zeitnah um den Ausschüttungstag stattfinden. Dann fallen rechtlicher und wirtschaftlicher Berechtigter kurz auseinander, weil der Leerverkäufer eben leer verkauft, aber auch Besitzer ist, was den Fiskus so verwirrt, dass es zwei Bescheinigungen für einmal Kapitalertragsteuer gibt. Und am Schluss teilen sich A, B und C die Beute.

Eine Variante war die Cum/Cum-Kiste. Hier wurde ausgenützt, dass ausländische Kapitalgesellschaften Kapitalertragssteuern in Deutschland umgehen konnten, indem sie kurz vor der Dividendenausschüttung ihre deutschen Aktien an inländische Besitzer überschrieben. Die konnten dann, im Gegensatz zum ausländischen Investor, die abgeführte Kapitalertragssteuer anrechnen beziehungsweise erstatten lassen. Dann wurde die Aktie samt Dividende zurückgegeben, Ausländer und Inländer teilten sich die Beute. Eigentlich noch kinderleichter als Cum/Ex.

Das Eigenlob muss auch mal sein

Man kann nicht behaupten, dass der «SonntagsBlick» darauf zählt, dass seine Leser schon Vorlesungen an der HSG besucht haben. Abgesehen davon, dass die meisten Professoren dort Cum-Ex auch nicht erklären könnten. Also geht es hier darum, möglichst einfach, aber dennoch richtig und mit wenig Buchstaben die Sache zu erklären. Zum Beispiel so:

Das waren noch Zeiten, als der SoBli sich noch an scharfe Wirtschaftsstorys herantraute:

Hoppla, der Autor kommt ZACKBUM bekannt vor …

 

Sind die Medien weitsichtig?

Zumindest sehen sie das Naheliegende weniger, wenn es sie selbst betrifft.

Es gibt zwei Schlachtfelder, auf denen es ums medial Eingemachte geht. Da wäre zum einen die drohende Abschaltung der UKW-Ausstrahlung von Schweizer Radiostationen.

Zitieren wir das Blatt der vertieften Analyse, das Organ mit dem Abflussrohr im Titel, den «Blick»:

«Schawinski setzt sich in Bundesbern durch

Etappensieg für Roger Schawinski: Die Nationalratskommission fordert nach einem Treffen mit dem Zürcher Radiopionier, dass die Verwaltung bei der Abschaltung des UKW-Radios einen Marschhalt macht. Spätestens Ende 2023 will der Bundesrat komplett auf DAB+ umstellen und die UKW-Sender abstellen. Die Kommission fordert nun vom Bund, dass er vertieft prüft, welche Folgen es hätte, wenn man auf eine Abschaltung verzichten würde.»

Das nennt man der Berichterstatterpflicht nachkommen. Worum geht’s eigentlich, wieso darf Schawinski überhaupt bei einer Kommission des NR vorsprechen? War da nicht auch noch der Präsident des Verbandes Schweizer Privatradios geladen? Jürg Bachmann gab sich im Vorfeld noch siegesgewiss:

«Wir werden den Parlamentarierinnen und Parlamentariern darlegen, dass auch die Radios ganz digital werden wollen.»

Das scheint ihm nicht wirklich gelungen zu sein. Als grosser Schweiger profiliert sich zudem die SRG. Sie wäre von einer Abschaltung der UKW-Frequenzen am stärksten betroffen, mochte sich aber an diesem Hearing nicht äussern.

Aufgeflogenes Gemauschel

Genauso wenig wie der grösste private Betreiber von Radiostationen; CH Media bzw. die Familie Wanner (Vater ist Besitzer vom Ganzen, Sohn ist zuständig für den Radiobereich) hüllt sich in Schweigen, nachdem sich Wanner Junior damit lächerlich machte, dass er sich darüber mokierte, dass der alte und in der Vergangenheit steckengebliebene ewige Pirat Schawinski zu seinem Abgang noch ein letztes Gefecht führen wolle.

Seitdem es Schawinski gelungen ist, im Alleingang und ohne Unterstützung und lediglich mit seinem «Radio 1» als treuem Begleiter über 60’000 Unterschriften für eine Petition gegen die Abschaltung zu generieren, herrscht nun Ernüchterung auf der Gegenseite.

Verstärkt wird die dadurch, dass die beiden ehemaligen Medienminister, Moritz Leuenberger und Doris Leuthard, sich inzwischen auch klar gegen die bevorstehende Abschaltung ausgesprochen haben.

Der Hintergrund ist ein typisch Schweizer Gemischel und Gemurkse. Man will die Erde darüber festklopfen, dass die mit Millionenaufwand betriebene Umstellung auf DAB und DAB+ ein Riesenflop ist. In einer Zangenbewegung erkauften sich Staat und SRG die Zustimmung der Privatradios zur UKW-Abschaltung. Die Privatradios mussten nicht wie üblich ein neues Gesuch um die Verlängerung ihrer Lizenz einreichen, dafür erklärten sie sich mit dem Abschalten einverstanden.

Ausser einem. Der wurde sträflich unterschätzt, nun gerät der ganze schöne Plan ins Rutschen. Warum? Weil dieser eine eben mit Herzblut dabei ist. Ein Radiomann ist. Kein Manager, der Kekse, Autoversicherungen oder Radiostationen verwalten könnte, ohne irgend einen Unterschied in der Tätigkeit zu sehen. UKW-Empfänger zu Elektroschrott machen, Autofahrer zum Umstieg auf DAB+ zwingen, dabei steht das Internet-Radio mit 5G bereits vor den Türen? Na und, sagen diese Manager, ist halt so.

400 Millionen jährliche Staatssubventionen  für die Verlegerclans?

Noch tieferes Schweigen herrscht zurzeit zum Thema «Referendumskomitee Staatsmedien nein». Eigentlich dachten die Verlegerclans, dass der Mist geführt sei. Die zusätzlichen Milliarden an Staatssubventionen eingefahren, durchs Parlament geschleust. Abgehakt, erledigt.

Fünffaches Grauen der Medienclans: das Komitee.

Reiche private Medienkonzerne, die auch in Corona-Zeiten satte Gewinne einfuhren, sollen mit zusätzlichen rund 180 Millionen Steuergeld subventioniert werden? Plus 81 Millionen als Stillehaltegeld aus den SRG-Gebühren. Mit allem Drum und Dran und gesenkter Mehrwertsteuer und verbilligten Zustellgebühren sind das 400 Millionen im Jahr.

Plus SRG-Gebühren sind das satte 1,7 Milliarden im Jahr. Nachdem der Angriff auf die Zwangsgebühren nur ganz knapp abgewehrt wurde, geht’s nun recht ungeniert weiter. Corona, Vierte Gewalt, unverzichtbar, Kontrolle und Transparenz, Korrektiv zur Staatsmacht.

Gemurkst und Gemauschel, Part II

Wirklich wahr? Finanziert vom Staat kritisch gegen den Staat? Ins Elend geschrumpftes Angebot, aber gleichhohe Preise und mehr Subventionen dafür? Gratis-Zeitungen und kostenlose Online-Medien sind ganz bewusst von diesen Subventionen ausgeschlossen.

Beispielsweise «Die Ostschweiz», eine erfolgreiche Alternative zum CH-Media-Einheitsbrei in der Ostschweiz. Oder auch, schnief, ZACKBUM, die letzte kritische Medienplattform.

Das ist hier die Ausgangslage, nun will das Komitee bis 1. Oktober die nötigen 50’000 Unterschriften sammeln, damit das Referendum zustande kommt und darüber abgestimmt werden muss. Auch hier befinden sich die Verlegerclans zurzeit in einer Schockstarre. Nachdem es den diskreditierten Coronapolitik-Kritikern spielend gelungen ist, eine neuerliche Abstimmung über die Corona-Gesetzgebung zu erzwingen, will man dieses Komitee keinesfalls weglächeln.

Aber man will es totschweigen, so gut es geht. In der Hoffnung, dass die 50’000 Unterschriften doch nicht zustande kommen. Sollte es wider Erwarten doch gelingen, dann ist eine Prognose wohlfeil: in aller gebotenen staatstragenden Haltung werden die Medien des Duopols Tamedia und CH Media darüber herfallen. Sich darin überbieten, wie dringend nötig diese Subventionen doch sind, wie verheerend es wäre, würden sie ausbleiben. Dem wird sich Ringier wohl anschliessen, während nur die NZZ vornehm abseits bleibt.

Es wird der Untergang der sogenannten freien Presse an die Wand gemalt werden, ohne vierte Gewalt gäbe es keine funktionierende Demokratie mehr, wird behauptet werden. Mal schauen, ob der Stimmbürger so dumm ist, sich davon einseifen zu lassen.

Ex-Press XLIII

Blasen aus dem Mediensumpf

Man soll doch nicht zu schnell loben. Feigheit greift immer mehr um sich. Antidemokratinnen dürfen hemmungslos das Wort ergreifen.

Das hat man davon. Wir waren des Lobes voll über das «Magazin». Warum? Zu unserer grossen Überraschung veröffentlichte das Dünnblatt einen guten Text einer Berliner Schriftstellerin über die Genderpest.

Das fande wir solange ein bemerkenswerte Leistung, bis wir von einem Leser darauf aufmerksam gemacht wurden, dass das «Magazin» diesen Text keineswegs aus einem Buch der Autorin übernommen hatte.

Kopie im «Magazin».

Sondern inklusive Illustration und allem aus dem deutschen «Tagesspiegel». Auch das könnte man noch hinnehmen; besser gut kopieren als schlecht selber etwas basteln. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass dieser Text dort im August erschien. Im August 2020. Vielleicht hätte man diese beiden Details im Sinne von Fairness und Transparenz dem «Magazin»-Leser mitteilen können.

Original im «Tagesspiegel».

 

«Republik»-Ryser auf dem Weg nach unten

Daniel Ryser ist ein Weltmeister im Austeilen. Bevor die ganze «Republik»-Crew meinem Beispiel folgte und sich erschöpft für ein paar Tage in die Ferien abmeldete, lieferte er noch ein mit Ungenauigkeiten, Fehlern und Auslassungen gespicktes, laut Selbsteinschätzung aber «präzises» Stück über die angebliche Kampagne von Tamedia gegen Jolanda Spiess-Hegglin ab.

Darin warf er Tamedia neben vielem anderen Unsauberkeiten, schludrige Recherche und Konzernjournalismus vor. Wie es bei journalistisch tiefergelegten Organen wie der «Republik» inzwischen üblich ist, verzichtete er aber grosszügig darauf, allen von ihm persönlich angepinkelten Journalisten von Arthur Rutishauser abwärts eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Es schimpft und polemisiert sich halt viel ungenierter, wenn man vermeidet, dass die Angeschossenen vielleicht zurückschiessen könnten. Das würde im schlimmsten Fall die ganze Polemik kaputtmachen, also geht das nicht.

Im Gegensatz zu den Gebräuchen dieses Schmierfinks und seines Organs haben wir ihm Gelegenheit gegeben, auf einen ausführlichen Fragenkatalog zu antworten. Obwohl die «Republik» schon mehrfach auf dieses Angebot verzichtete, aber immer zitiert wurde, wenn sie sich zu einer Antwort aufraffte.

Nun gibt es im Journalismus die immer mehr sich verbreitende Spezies des Angstbeissers. Darunter versteht man bei Hunden (Himmels willen, das ist kein Vergleich mit lebenden Schreibern), dass der Köter nicht etwa aus Aggressivität oder um sein Terrain oder sein Herrchen zu verteidigen zubeisst, sondern aus Angst. Ob die berechtigt sein mag oder nicht.

Ein Angstbeisser in Aktion.

Angstbeisser im Journalismus zeichnen sich durch drei Eigenschaften aus. Sie beissen kräftig zu, gerne auch aus dem Hinterhalt oder geschützt durch Anonymität. So wie die Schmierfinken des «Megafon», die nicht mal mit ihrem Namen hinter ihre Werke stehen können. Das ist bei Ryser nicht der Fall, er hat seinen Artikel gezeichnet. Aber auf ihn treffen die anderen beiden Eigenschaften zu.

Damit der publizistische Angstbeisser besser zuschnappen kann, gibt er seinen Opfern keine Gelegenheit, sich zu verteidigen. Obwohl es eigentlich zu den letzten normalerweise akzeptierten Regeln gehört, dass der Kritisierte bei einer Tatsachenbehauptung über ihn Gelegenheit bekommen muss, vor Publikation etwas dazu zu sagen. Tut er das nicht, ist es sein Problem. Wird er nicht gefragt, ist es das Versagen des Angstbeissers.

Schliesslich hat es der Angstbeisser überhaupt nicht gerne, wenn er selber mit kritischen Fragen konfrontiert wird. Obwohl Ryser von Samstag bis Montag reichlich Zeit hatte, neben dem Packen des Feriengepäcks auf einen ausführlichen Fragenkatalog zu antworten, verzichtete er darauf. «Kä Luscht», wie unser Bundesrat Ueli Maurer mal so unsterblich sagte.

Ein Angstbeisser unterwegs in die Berge.

Mal im Ernst, Ihr «Republikaner»: Ihr traut Euch wirklich weiterhin, für diesen jämmerlichen Auftritt Geld zu verlangen? Für eingekaufte Trümmel-Storys und für ungeniessbares Selbstgebrautes? Damit wollt Ihr die Demokratie retten? Kleiner Ratschlag. Da Ihr schon ZACKBUM nachahmt und ein paar Tage in die Sommerfrische abschwirrt: wieso müsst Ihr eigentlich zurückkommen? Viele Leser, die Demokratie, die deutsche Sprache, der Journalismus wären Euch dankbar, falls Ihr ein neues Leben als Alphirten beginnen würdet.

Okay, ZACKBUM weniger, dann würde eine ergiebige Quelle der Inspiration fehlen. Aber damit würden wir fertig, Ehrenwort.

Die Zukunft der «Republik»?

 

Wort frei für zweifelhafte Gestalten

Franziska Schutzbach ist eine Antidemokratin. Das hat sie schon mehrfach unter Beweis gestellt. Im Umgang mit ihr nicht genehmen, aber gewählten Volksvertretern empfahl sie schon zivilen Ungehorsam, der sich zum Beispiel so äussern sollte, dass andere Parlamentarier den Nationalrat verlassen, wenn ein gewählter Volksvertreter «der extremen Rechten den Mund aufmacht».

Es verwundert natürlich nicht, dass Schutzbach auch eine glühende Anhängerin von Zensur im Sinne der mittelalterlichen Inquisition ist:

«Ein Buch über Jolanda-Spiess-Hegglin darf nicht wie geplant erscheinen. Richtig so: Jene, die laut rufen, das sei ein «Angriff auf die Pressefreiheit», verteidigen in Wahrheit misogyne Grundstrukturen.»

Schutzbach in ihrem Lauf hält dann weder Ochs noch Esel auf: «Verteidigt wird der Anspruch, über die Intimsphäre von Frauen zu verfügen.» Eine Frau, die «traditionell männliche Güter» beanspruche, werde «dafür nach wie vor in die Schranken verwiesen». Und schliesslich komme «eine Grundstrategie frauenfeindlicher Agitation zum Einsatz: die Opfer-Täter-Umkehrung. Die Frau wird zur Gefahr stilisiert, hier zur Gefahr für die Pressefreiheit.»

So schreibt die Kampffeministin in der WoZ und anderswo. Kein Grund für den «SonntagsBlick», sie nicht als Kronzeugin im Fall des Basler Vergewaltigungs-Urteils zu interviewen.

Wenn es in diesem Zusammenhang nicht ein wirklich schiefes Bild wäre, wie es vielleicht in der «Republik» oder von Rico Bandle verwendet werden könnte, müsste man sagen, dass der SoBli hier den Bock zum Gärtner macht.

Geschwurbeltes im SoBli, dem Organ mit dem Regenabflussrohr.

Warum gibt die Sonntagszeitung einer Feindin demokratischer Auseinandersetzung eine Plattform, wo doch schnell angeblich «menschenverachtende» Aussagen dazu führen können, dass sofortiges Sprechverbot gefordert wird?

Das liegt wieder mal daran, dass Schutzbach von einer völlig unbedarften Kindersoldatin interviewt wurde. Vor noch nicht allzu langer Zeit glänzte Dana Liechti mit solchen Artikeln:

Muss noch viel lernen: das ist wahr.

Inzwischen hat sie offensichtlich diese Probleme in den Griff bekommen und sieht sich in der Lage, zu ernsthafteren Themen Stellung zu nehmen:

False Balance, Victim Blaming oder schlichtweg: Unsinn.

Mal wieder im Ernst, liebe SoBli-Macher: Wollt Ihr denn mit aller Gewalt provozieren, dass der Ringier-Verlag Euch mal wieder in die Schranken weisen und sich dafür entschuldigen muss, einer solchen Fanatikerin wie Schutzbach Gelegenheit zu geben, ihre Ansichten ungehemmt und unkritisiert und ohne jede Einordnung rauspusten zu dürfen?

Schlimmer noch: obwohl das Basler Gericht sich inzwischen genötigt sah, ein paar Prinzipien der Rechtsprechung und der Zumessung von Strafen in Erinnerung zu rufen, plappert Liechti ungeniert nach: «Worte, die nicht nur für die betroffene Frau ein Schlag ins Gesicht sein dürften, sondern für alle Opfer von sexueller Belästigung und Gewalt.»

Einige Formulierungen bei der mündlichen Urteilsbegründung waren sicherlich nicht sehr hilfreich, um das korrekte und rechtstaatliche Verhalten des Spruchkörpers verständlich zu machen. Das ändert aber nichts daran, dass man vielleicht vor dem Badezimmerspiegel solche Faxen machen darf. Aber als Kommentar in einem immer noch auflagestarken Medium?

 

Zum Schluss noch die neusten Enwicklungen aus dem Lager der aufrechten Kämpfer gegen Hass im Internet.

Eine Übelkeit erregende Heuchelei in diesem Sympathisantensumpf:

Edle Absichten …

Herausragend mal wieder Jolanda Spiess-Hegglin selbst, die selbstverständlich den Hashtag #haltdiefressetagi NICHT verwendet, also ausdrücklich nicht. Das ist etwa auf dem selben kindischen Niveau wie die Aussage: ich sage ja gar nicht, dass Sie ein Arschloch sind.

… üble Praktiken.

Die vernagelten Hetzer, angefeuert wie meist von Hansi Voigt, wollen auch nichts Unfaires darin erkennen, dass Daniel Ryser mit seiner unfassbar schludrigen Abrechnung mit Tamedia darauf verzichtet hat, allen Kritisierten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Man beschwert sich darüber, wenn ein Exponent dieser Heuchler nicht zu Wort kommen darf, keine Stellungnahme abliefern kann. Aber wenn’s im eigenen Sinne erfolgt, ist das vollcool.

Ganz abgesehen davon, dass #haltdiefressetagi sprachlich, inhaltlich und überhaupt dem hohen Niveau, den höchsten Ansprüchen dieser unermüdlichen Kämpfer gegen Hass im Internet vollumfänglich entspricht.

Damit schliessen wir aus hygienischen Gründen die Berichterstattung zum Thema Spiess-Hegglin vorläufig ab. Wir müssen erst mal kräftig lüften.

Vergewaltigung: Der Mob tobt sich aus

Sexualdelikte lassen die Emotionen hochgehen. Leider auch in den Medien, wo Abscheu und Unkenntnis einen fatalen Mix ergeben.

Es muss befriedigend sein, wenn man unbeleckt von jeglichen juristischen Kenntnissen einfach mal losheulen darf. In der Erregungsmaschine Soziale Medien ist das Geschäftsprinzip (und füllt die Taschen der Betreiber). Hier müssen Kommentare möglichst kurz, dumm und knackig sein.

Hier tobt der Mob sich anonym aus.

Anlass für die aktuelle Erregung (die genauso schnell verschwinden wird wie alle ihre unendlich vielen Vorgänger) ist das Urteil des Appellationsgerichts Basel-Stadt über einen Vergewaltigungsfall. In zweiter Instanz reduzierte es das Strafmass für einen Vergewaltiger. In der mündlichen Urteilsbegründung verstieg sich die Richterin zur Aussage, dass «das Opfer mit dem Feuer gespielt» habe.

Zudem habe das Vergewaltigungsopfer zuvor bereits alkoholisiert ein einverständiges Techtelmechtel auf einer Toilette abgehalten und sei bereits 2017 wegen einer Falschbeschuldigung verurteilt worden. Das änderte aber nach Meinung des Gerichts nichts an der Beurteilung, dass es sich um eine Vergewaltigung gehandelt habe. Lediglich das Strafmass wurde gesenkt.

Mittelalter …

Das führte erwartungsgemäss zu einem Aufschrei an den Klowänden des Internets, vor allem auf Twitter. Das hier ohne viel Kenntnis, aber mit viel Meinung polemisiert und geholzt wird, ist nichts Neues.

… oder Ohrfeige.

Erschreckend ist mehr die Reaktion in den sogenannten Qualitätsmedien. Herausragend wie meist Tamedia, diesmal in Gestalt des Lokalorgans «Basler Zeitung». Da keift Mirjam Kohler sofort nach der mündlichen Urteilsverkündigung los:

«Es gibt ein Wort dafür: Opfer-Täter-Umkehr. Schuld ist nicht der kurze Rock, nicht der Alkoholkonsum des Opfers. Sondern der Täter. Dass dieser moralisch-geschwängerte Mechanismus einen positiven Einfluss auf das Strafmass eines Vergewaltigers hat, ist beschämend und skandalös.

In unserem Justizsystem muss sich Grundlegendes verändern.»

Eine weitere Kindersoldatin des Journalismus; nach ein paar mehrmonatigen Praktiken, unter anderen beim Qualitätstitel «bajour», ist sie seit April Teilzeit-Redaktorin bei der BaZ. Nun hat jeder – auch jede – das Recht, klein anzufangen und noch viel dazuzulernen. Aber gleich so den Mund aufzureissen und grundlegende Veränderungen in unserem Justizsystem zu fordern: dazu müsste man schon ein paar juristische Grundkenntnisse aufblitzen lassen – statt gesinnungsgeschwängerter Leere.

Keiner zu klein, Kommentator zu sein

Auch «20 Minuten» begibt sich aus seiner Haltung der Nicht-Kommentierung mit dem Titel:

««Sie hat mit dem Feuer gespielt» – Vergewaltiger wird von Appellationsgericht belohnt»

Der «Blick», weit entfernt von früheren Verhaltensweisen gegen Frauen, zitiert fleissig: «Das Urteil sorgt für Empörung. Agota Lavoyer, Leiterin Beratungsstelle Opferhilfe Solothurn, twitterte: «Basel 2021: Das Gericht lastet einer Frau Mitverantwortung für ihre Vergewaltigung an, weil (Achtung!) sie mit einem anderen Mann herumgemacht habe an dem Abend.»» Dieser Empörung schliesst sich Autorin Andrea Cattani offenbar an.

Wo Empörung ist, ist der sogenannte Nachzug nicht weit. Man hält das Thema am Köcheln, indem man als Brandverstärker Berufene und Politiker zitiert. Macht kaum Arbeit, füllt aber ungemein Platz: «Politikerinnen von rechts bis links sind sich in der Frage ungewohnt einig. Franziska Stier vom feministischen Streikkollektiv Basel sagt: «Das ist eine Urteilsbegründung aus dem letzten Jahrhundert. So was erwarte ich heutzutage von einer Richterin nicht mehr. Die Signalwirkung des Urteils an alle Betroffenen ist verheerend, ein Schlag ins Gesicht»», zitiert Kohler.

«Ronja Jansen, Präsidentin der Juso Schweiz, pflichtet bei und sagt: «Auch die Vermischung von einvernehmlichen sexuellen Handlungen und Vergewaltigungen, die bei diesem Fall gemacht wurde, ist ein Affront für alle Betroffenen von sexueller Gewalt und skandalös. Unser Sexualstrafrecht ist unzureichend und hat mit der Realität oft nicht viel zu tun.» Die Grossrätin Annina von Falkenstein (LDP) kritisiert das Urteil ebenfalls: «Der Fall zeigt einmal mehr, dass die Integrität von Frauen zu wenig gewichtet wird.» Laetitia Block, Präsidentin der Jungen SVP Basel-Stadt, kommentiert: «Aus juristischer Sicht ist das Recht bei Vergewaltigungen viel zu milde. Wir brauchen dafür eine viel höhere Mindeststrafe.»»

Noch mehr Strafrechtsspezialisten gehen ans Gerät

Natürlich bringt sich auch Strafrechtler Dennis Frasch von «watson» mit einem fundierten Urteil in die Debatte ein: «Juristisch heikel einzustufen ist dann ein weiterer Punkt der Urteilsbegründung: Das Vergehen werde relativiert durch «die Signale, die das Opfer auf Männer aussendet», so die Gerichtspräsidentin. Dabei bezog sie sich vor allem auf das «Verhalten im Club», wo sich die Frau offenbar mit einem anderen Mann in eine Toilette zurückzog.»

Dennis Frasch, ein weiterer Kindersoldat und Multitalent, der alles wegschreibt, was ihm auf den Bildschirm gerät.

Twitter: Keine Ahnung, aber viel Meinung.

Aber, nach Bedenkfrist, am 5. August rafft sich sogar die NZZ zu einem Stirnrunzeln auf: ««Man muss feststellen, dass sie mit dem Feuer spielte»: Diesen verhängnisvollen Satz soll eine baselstädtische Gerichtspräsidentin am vergangenen Freitag bei der Urteilseröffnung in einem Vergewaltigungsfall von 2020 gesagt haben. Irritierend ist dies, weil das Gericht eine Schuldminderung des Täters nicht zuletzt mit diesem Hinweis auf das Verhalten des Opfers begründet haben soll. Das berichteten mehrere Medien sowie verschiedene beim Prozess Anwesende, mit denen die NZZ im Kontakt war. Die NZZ war bei der Urteilsverkündung nicht dabei.» Hier kommt strafverschärfend hinzu, dass der Autor Daniel Gerny tatsächlich über juristische Kenntnisse verfügt.

Das kann man hingegen von diesem Schreihals im «Papablog» von Tamedia nicht sagen:

«Unglaublich absurdes Gerichtsurteil.»

«Weil das Opfer betrunken war, freizügig gekleidet oder weil es gerne Sex mit wechselnden Partnern hat. Die gleiche misogyne Scheisse, immer und immer wieder. Was das mit Kindern und dem Papablog zu tun hat? Ich will, dass einvernehmliches Verhalten und Gewaltfreiheit Schulfach wird. Ich will, dass Schulklassen dieses Urteil auseinandernehmen, anschreien, zerreissen und sich ein besseres ausdenken.»

Nils Picker ist also dafür, dass Kinder an die Macht kommen, wie schon Herbert Grönemeyer forderte. Wieso überlässt er die Beurteilung nicht dem Mob? Oder dem «gerechten Volkszorn»? Wieso nicht der gute alte Pranger mit Anschreien und Anspucken? Wieso eigentlich nicht einfach abstimmen? Dabei alle Möglichkeiten anbieten: Kopf ab, Schwanz ab, lebenslänglich, Verwahrung, beim fröhlichen Jekami.

Ob ein paar Lektionen Rechtskunde nützen?

Das Appellationsgericht Basel-Stadt sah sich genötigt, was Gerichte eher selten tun, mit einer Medienmitteilung die gröbsten Irrtümer richtigzustellen.

Immerhin schaffte es Tamedia, allerdings mit einer der Kindersoldatin Kohler an die Seite gestellten Fachkraft, diese Korrektur einigermassen korrekt wiederzugeben. Die wichtigsten Punkte:

  1. Das Urteil wurde von einem Dreiergremium gefällt, nicht von einer Richterin allein.
  2. Der Schuldspruch wegen Vergewaltigung wurde bestätigt, das Strafmass allerdings von 4,25 auf 3 Jahre gesenkt. Bis zu diesem Rahmen ist gesetzlich vorgeschrieben, einen teilbedingten Vollzug zu gewähren.
  3. Die bereits abgesessenen fast 18 Monate Untersuchungshaft müssen dabei angerechnet werden, womit der Beschuldigte in wenigen Tagen freikommt.

In Punkt 6 ruft das Gericht allen Volksstimmen in Erinnerung, was zu den fundamentalen Prinzipien unserer zivilisierten Rechtsprechung gehört. Das ist dermassen wichtig, dass es zum Schluss vollständig zitiert werden muss. Denn neben der Unschuldsvermutung und dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten» soll und muss unser Justizsystem nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter beschützen. Vor Gefühlsaufwallungen, Hetze und blanker Wut. Vor Volkszorn und Lynchjustiz. Eine Vergewaltigung ist unbestreitbar etwas vom Widerlichsten, was Menschen einander antun können.

Genau deshalb muss nach Recht und fachkundig ein möglichst gerechtes Urteil gefunden werden. Ob das dem Mob passt oder nicht. Die Aussage «mit dem Feuer gespielt» war in der Vermittlung dieses Prinzips nicht hilfreich. Aber die schriftliche Begründung steht noch aus, bis dahin werden sich die Schreihälse schon längst anderen Themen angenommen haben.

Vielleicht nützt diese Erinnerung etwas, wohl eher aber nicht:

6. «Das Gesetz sieht für jeden Straftatbestand einen sogenannten Strafrahmen vor. Innerhalb dieses Strafrahmens ist die Strafe nach dem konkreten Verschulden des Täters festzusetzen. Zu berücksichtigen sind die Schwere der Verletzung, die Verwerflichkeit des Handelns, die Beweggründe und Ziele des Täters und wie weit der Täter in der Lage war, die Verletzung zu vermeiden. Ferner sind das Vorleben des Täters, dessen persönliche Verhältnisse und die Auswirkungen der Strafe auf sein Leben zu berücksichtigen. Bemisst das Gericht die Strafe, so hat es jeweils die konkreten Tatumstände, die konkrete Situation des Täters, seinen konkreten Tatbeitrag und die konkreten Auswirkungen auf das Opfer zu berücksichtigen. Wenn dabei geprüft wird, wie der Beschuldigte die Situation interpretiert hat, geht es lediglich darum, das Verschulden des Täters zu bemessen und nicht darum, das Opfer zu disqualifizieren. Ferner muss sich das Gericht vergleichbare bereits entschiedene Fälle vor Augen halten. Die Strafe muss deshalb nach den Grundsätzen der Rechtsgleichheit ausgesprochen werden. Vergleichbares Verschulden soll vergleichbar geahndet werden.»

 

 

 

 

Eine Sendung, drei Darstellungen

Es war der gleiche «Club», den Tamedia und «watson» und nau.ch gesehen haben. Nur durch drei verschiedene Brillen.

Corona ist schwierig. Die mediale Behandlung ist in weiten Strecken ein Trauerspiel, ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten, als autoritäre Rechthaberei wichtiger war als Erkenntnisgewinn durch Debatte.

Da könnte es ein Lichblick sein, wenn das nicht gerade durch Staatsferne auffallende SRF eine «Club»-Sendung dem Thema «Corona und die Kritiker» widmet. 75 Minuten diskutierten unter der Leitung von Sandro Brotz, selber schon mit kontroversen Aussagen aufgefallen, und Barbara Lüthi eine muntere Runde.

Reto Brennwald (Journalist), Michael Bubendorf (Freunde der Verfassung), Prisca Würgler (Maskenverweigerin), Manuel Battegay (Infektiologe) und Pierre Alain Schnegg (Regierungsrat BE/SVP), da war eigentlich repräsentativ ein hübscher Querschnitt vertreten.

Die Frage beherrschte die Sendung, ob ein Dialog überhaupt noch möglich sei zwischen Befürwortern und Kritikern der Pandemie-Politik der Schweiz. Dazu wollte der «Club» einen Beitrag leisten.

Der «Tages-Anzeiger» leider nicht. Linus Schöpfer weiss, welche Meinung er zu tragen hat. «Club» wird zum Gugus-Spreader-Event», dieser Titel hat immerhin einen Vorteil. Man müsste den Kommentar gar nicht lesen. Aber für die Leser von ZACKBUM tun wir (fast) alles. Auch wenn Schöpfer offensichtlich gegen jede Form von Intelligenz eine natürliche Immunität aufweist – oder dagegen geimpft wurde.

Wie viele Leser verstehen diesen Gaga-Titel?

«Fakten spielten in diesem Club keine Rolle», behauptet er forsch, denn er muss ja dem flotten Titel hinterherhecheln. Er selbst hält sich vorbildlich an diese Behauptung. Ausser, dass der «einzige Wissenschaftler in der Runde» sich – vergeblich – um ein «Mindestmass an Aufklärung» bemüht habe, was ihm aber vor allem von Bubendorf kaputt gemacht wurde, was passierte denn sonst noch in den 75 Minuten?

Welchen «Club» hat Schöpfer wohl gesehen?

«Brotz und Lüthi liessen Nonsense unwidersprochen passieren.» Wobei richtige Verschwörungstheorien doch nicht herumgeboten wurden, wie Schöpfer aufatmend feststellt:

«Niemand sagte Sachen wie «Alain Berset ist ein ferngesteuertes Krokodil».»

Nun ist zum Beispiel Reto Brennwald, als altgedienter SRF-Mann und «Arena»-Dompteur, bislang nicht damit aufgefallen, dass er Gugus versprühen würde. Was sagte er denn in dieser Diskussionsrunde? Differenziert-reflektierte Dinge sagte er, daher kommt er bei Schöpfer natürlich nicht vor.

Jede schöpferische Umdeutung der Realität ist erlaubt. Wenn es sich um ein Kunstwerk handelt. Handelt es sich um eine TV-Kritik, oder einfach eine «Meinung» dazu, sollte die zumindest tiefergelegten Massstäben genügen. «Ging leider schief», verurteilt Schöpfer diesen durchaus akzeptablen Versuch eines Dialogs. Denn der einzige, der dazu offensichtlich nicht in der Lage ist, heisst Schöpfer. Unglaublich, dass niemand bei Tamedia sich traut, so einem Gugus-Schreiber den Stecker zu ziehen. Ist doch ein Mann, da könnte man endlich durchgreifen, bevor der Tagi ins Dumpfbackig-Blöde abschmiert.

Es tut weh, das sagen zu müssen: im Vergleich dazu bemüht sich «watson» immerhin um eine gewisse Ausgeglichenheit.

Drei oder 3, das ist hier die Frage.

Allerdings konzentriert er sich auf «3 Punkte», was dann nur erlaubt, Bubendorf («Maskenloser», bäh) zusammen mit «SVP-Schnegg» (neutral, da er «viel erlebt hatte») und Battegay (bravo, «hartnäckiger Kliniker») aufzuführen. Wieso aber «watson» einleitend zum Fazit kommt:

«Eine lebhafte Diskussion, die Mitleid erweckt»?

Zur Entschlüsselung bräuchte es wohl einen Sherlock Holmes. Inhaltlich macht sich zwar auch «watson» keine Mühe und breitet die No-News aus, dass zwar sowieso niemand Masken trug, die zwei Corona-Kritiker aber auch sowieso keine getragen hätten.

Das ist ungefähr so gugus wie zu sagen: es gibt hier keine Sicherheitsgurte. Aber ich hätte sie auch nicht getragen.

nau.ch geht als strahlender Sieger durchs Ziel

Nau.ch wird oft als Fast-Food-Newsschleuder verspottet, als noch mehr gratis als «20 Minuten». Allerdings: die TV-Kritik von nau.ch gewinnt hier mit Abstand den ersten Preis. Die verschiedenen Positionen kommen zu Wort, es wird an Häme oder Vorverurteilung gespart, der Leser könnte sich ein eigenes Bild von der Sendung machen. Hätte er sie verpasst oder wäre an ihrem Inhalt interessiert.

Jeder ZACKBUM-Leser kann den «Club» nachschauen, so er will. Er kann’s auch lassen, sollte dann aber unserer professionellen Neutralität vertrauen. Die Sendung war ein Lichtblick, indem weitgehend auf das Werfen von Schlammkugeln aus der eigenen Gesinnungsblase verzichtet wurde.

Auch die Moderatoren, aus Sicherheitsgründen gleich im Doppelpack aufmarschiert, zeigten sich für einmal wohlwollend zurückhaltend und erzählten sogar Anekdoten aus ihrem eigenen Umgang mit Corona. Gab’s grossen Erkenntnisgewinn, wurde jemand überzeugt? Natürlich nicht, das passiert nie in solchen Talkshows. Aber man hat weitgehend friedlich und mit überschaubarem rhetorischen Geschäume miteinander gesprochen. Grossartig. Nun muss nur noch Tamedia einen Gang runterschalten, dann könnte vielleicht eine Debatte beginnen.

Mann spricht, Frau schaut: Wo bleibt der Aufschrei?

 

 

 

Schlammcatchen

Pascal Hollenstein, Hansi Voigt, Jolanda Spiess-Hegglin und Tamedia: Journalismus ganz unten.

Es gibt die Pandemie mit ihren unüberblickbaren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen. Es gibt Säbelrasseln zwischen China, Russland und den USA. Es gibt einen verregneten Sommer. Sogar Klimawandel, Verlust der Glaubwürdigkeit von Regierungen und Wissenschaft.

Also durchaus bedeutende Themen. Es gibt das übliche Gekreische um die bescheuerte Verwechslung zwischen grammatikalischem Genus und Geschlecht. Den Kreischern wichtiger als Banalitäten wie der Kampf um gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Aber item.

Viel wichtiger als all das ist ein anderes Thema. Für dieses Schlammcatchen eignet sich die Zeitvernichtungsmaschine Twitter, dieses Medium für Schlaf- und Gedankenlose, dieser Hexenkessel für schnell Aufgeschäumtes und übel Gebrautes ausgezeichnet.

Ein idealer Tummelplatz für «Bajour-Lancierer» Hansi Voigt. Da dort wahrlich der Bär tanzt, die Leser sich wie Karnickel vermehren, die zahlende «Member»-Zahlen so steil ansteigen, dass sie nicht mehr veröffentlicht werden (wozu auch, solange eine Million pro Jahr fröhlich verröstet werden kann), hat Voigt Zeit, sich um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern.

Mit dieser 3 Tage alten Hammerstory begrüsst «Bajour» seine wenigen Leser am Montag.

Übrigens alles kein Grund für Voigt, über andere hämisch zu höhnen:

Wo kaum was ist, kann auch nix schrumpfen.

Wenn man (fast) alles weglässt, kann man’s so sehen.

Schlammcatcher Nr. 1 Voigt lässt keine Gelegenheit aus, seinem ehemaligen Arbeitgeber Tamedia eine reinzuwürgen. Ob das damit zu tun hat, dass er dort wie üblich den Machtkampf «er oder ich» verlor und abgewickelt wurde? Wie auch immer, er gehört zum harten Kern der Spiess-Hegglin-Fans.

Magistrale Beschimpfungen wie «Arschloch des Monats» …

Gleich nochmal, weil’s so schön war.

Auftritt Schlammcatcher Nr. 2, Pascal Hollenstein. Die journalistische Leiter nach unten bei CH Media darf sich ebenfalls zum harten Kern der Spiess-Hegglin-Fans zählen, immer zu Stelle, wenn es gilt, Sprachrohr zu sein. Nicht immer journalistisch oder inhaltlich korrekt, aber das würde doch jeden knackigen Titel killen:

Tamedia als teilweiser Krebs; wenn der Inhalt nur bedingt richtig ist, dann auch die Sprache.

Worum geht’s eigentlich? Spiess-Hegglin ist bekanntlich in eine Kontroverse geraten, weil ihre eigenen Hass-Kommentare nicht so wirklich zu den Zielen von #Netzcourage (oder gar von Netzpigcock) passen wollen, während dieser Verein mit knapp 200’000 Franken Steuergeldern unterstützt wird. Zudem befindet sie sich in einer Dauerfehde mit Tamedia, weil einer Autorin vorsorglich verboten wurde, ein noch nicht einmal geschriebenes Buch über Spiess-Hegglin zu veröffentlichen. Eine weitere Schlacht, die noch hin und her wogt und vor Gericht liegt.

Daher benützt Tamedia jede Gelegenheit, Schlammcatcher Nr. 3, gegen Spiess-Hegglin anzuschreiben. Allerdings, bekannte Krankheit des grossartigen Qualitätsmediums «Tages-Anzeiger», nicht immer völlig faktentreu:

Die Gegendarstellung ist frei.

Nun sollten journalistische Könner wie Voigt und Hollenstein wissen, dass eine Gegendarstellung normalerweise veröffentlicht werden muss, wenn sie bestimmten formalen Kriterien genügt. Völlig unabhängig davon, ob ihr Inhalt richtig ist. In vielen Fällen, wie hier auch, fügt das Organ dann die Anmerkung an, dass an der eigenen Darstellung festgehalten werde. Was Schlammcatcherin Nr. 3 aber ebenso egal ist wie Schlammcatcher Nr. 1 oder Nr. 2.

Selbst «zentralplus» bemüht sich um eine ausgewogene Titelsetzung.

Aber das ist ja nur eine Runde im unermüdlichen Ringen im Schlamm. Hollenstein hatte vor Kurzem noch eine weitere Blasenmeldung in seiner Funktion als Schlamm-, Pardon, Sprachrohr:

Im Prinzip ja.

Daraus schliesst der nur noch mässig interessierte Leser: Die Tamedia-Journalistin wurde verurteilt und muss eine Busse bezahlen. Steht schliesslich in Titel und Lead. Wer hat schon die Geduld, das Geschreibsel bis zum letzten Absatz zu lesen:

Könnte, kann? Wie wäre es mit «wird angefochten»? Aber das wäre ja die Wahrheit.

Hollenstein liest nur ungern die Medien aus dem Hause Tamedia, sonst wäre ihm vielleicht dieser Absatz aufgefallen:

Aber seit wann wird noch eine Stellungnahme eingeholt? Könnte doch die Story killen.

Das alles wäre nur von mässigem Interesse, wenn es nicht weitere Schlammspritzer aufs ohnehin schon sehr lädierte Image des Elends-Journalismus kleckern würde. Die Themenwahl sitzt schief, Wichtiges wird nachlässig berichtet, Nebensächliches ausführlich und nicht einmal korrekt. Es soll Zuschauer geben, die Schlammcatchen äusserst spannend und anregend finden. Leser von Organen, die ernstgenommen werden wollen, gehören sicher nicht dazu.

Vorliegende Dokumente

Früher einmal Qualitätsmerkmal, heute immer häufiger Symbol für Schmierenjournalismus.

Die Fichen-Affäre oder die Beschattungsorgie bei der Credit Suisse in der Schweiz. «Neue Heimat» oder die Parteispendenaffäre in Deutschland. Das waren hart recherchierte Skandalstorys. Das Zusammensetzen eines Puzzles aus Informationen, so oder so beschafften Dokumenten, Spuren und detektivischem Gespür.

Die Hitler-Tagebücher hingegen waren im deutschen Sprachraum das erste grosse Beispiel, wohin es führen kann, wenn man zugehaltenem und sogar gekauftem Material zu blindlings vertraut.

Im Armutsjournalismus von heute ist’s ähnlich. Zum einen gibt’s grosse Kracher, wie sie noch nie zuvor gezündet wurden. Hunderte von Journalisten in Dutzenden von Ländern weiden Datengebirge aus, die ihnen von unbekannter Quelle zugesteckt wurden. Ohne Kenntnis der Motive, der Hintergründe, einer möglichen Vorselektion der Daten.

Denn immer geht es um Steuerhinterziehung. Blutgeld. Kriminelle Gewinne, Diktatorengelder, schmutziges Geld, zumindest Vermögen, die von geldgierigen und verantwortungslosen reichen Säcken auf meistens kleinen Inseln parkiert werden. In Tarnkonstruktionen, die ihnen von willfährigen Helfern gebastelt werden.

Gute Aufmachung, schwacher Inhalt.

So die Mär, die grossartige Ankündigung. Die Wirklichkeit sieht dann immer viel prosaischer aus. Eher kläglich sogar. Von den Hunderttausenden von Konstrukten fallen gerade mal ein paar Dutzend auf, in den wenigsten Fällen werden Straffverfahren eingeleitet, in noch wenigeren kommt es zu einer Verurteilung.

Der Flurschaden ist aber immens; unbescholtene Personen kommen kurzzeitig ins Visier der selbsternannten Ankläger, Rächer und Richter, werden namentlich ans Kreuz genagelt. Und dann klammheimlich wieder abgenommen, war leider nix, alles Verdachts- und Vermutungsjournalismus.

Die grössten Verbrecherstaaten bleiben unbehelligt

Aber immer basierend auf Dokumenten, Daten, Kontoauszügen, Verträgen. Auf Hehlerware, aber was soll’s, wenn’s der vermeintlich guten Sache dient. Der Transparenz. Dem Kampf gegen Steuerhinterziehung. Geldwäsche. Ironischerweise wird dabei immer übersehen, dass die grössten Geldwaschmaschinen der Welt, die grössten Oasen für Steuerhinterzieher in Ländern liegen, die nie in all diesen Leaks und Papers vorkommen. Nämlich zuerst in den USA, dann in Grossbritannien, gefolgt von Deutschland, dem Geldwäscherparadies. Oder von Luxemburg und Irland, den idealen Staaten für legale Steuervermeidung.

Aber das sind die grossen Dinger. Richtig unappetitlich wird’s im Kleinen. Geschäftliche Auseinandersetzungen, private Fehden, ja sogar Beziehungsknatsch – immer findet sich ein Organ, das willig ist, angefütterte Informationen auszuschlachten. Der Primeur, die Exklusiv-Story, da gerät man gerne in Schnappatmung und wirft alle journalistischen Grundsätze über Bord.

Moderner Anfütter-Journalismus.

Der Erste sein, da bricht die publizistische Leiter nach unten von CH Media schon mal gerichtliche Sperrfristen, um zuerst – und falsch – einen Triumph seiner Schutzbefohlenen Jolanda Spiess-Hegglin zu vermelden. Da stützt sich ein Oberchefredaktor auf schlüpfrige Fotos, die ein triebgesteuerter Stadtammann in seinen Amtsräumen von seinem Gemächt machte – und sich nicht entblödete, sie auch zu verschicken.

Da berichtet ein anderer Chefredaktor detailliert über Spesenabrechnungen eines gefallenen Banken-Stars im Rotlichtmilieu – oder über die Kosten, die die Renovation einer Hotelsuite verursachte, wo es wegen unfähiger Terminplanung zu Handgreiflichkeiten zwischen zwei käuflichen Damen kam.

Es geht noch toxischer

Immer, wenn man denkt, tiefer geht’s nicht, treten die Medien den Beweis an: doch. Jüngstes Beispiel ist eine fatale Affäre, die ein Banker in Führungspositionen hatte. Seine verschmähte Geliebte sinnt auf Rache, will sich öffentlich – nur unzureichend verkleidet in einer fiktiven Story – an ihm rächen, diesem «toxic leader», einem Psychopathen, Narzissten, Manipulator, mit «vielen Leichen im Keller».

Er lässt das verbieten, darauf macht sie das, was heutzutage eigentlich immer funktioniert: sie wendet sich an eine Zeitung. In diesem Fall an den SoBli, der sofort eine scharfe Story wittert. Eine Aussprache mit dem betroffenen Banker bringt nichts, er benützt wieder das Mittel einer superprovisorischen Verfügung.

Von einem anonymen Mail-Accout, dessen Besitzer nicht zu eruieren ist, kommt die Story doch in Umlauf. Das Manuskript mitsamt Belegen und Beilagen dürfte zu diesem Zeitpunkt nur dem Autor und der Chefetage des «SonntagsBlick»  bekannt gewesen sein. Und wohl der Betroffenen selbst, wie das im heutigen Elendsjournalismus nicht selten der Fall ist.

Auch dieser Versuch, via Medien den Bankboss zu Fall zu bringen, scheitert. Aber wenn die Medien willig sind … Diesmal kommt Tamedia zum Handkuss. Dem Oberchefredaktor wird eine Strafanzeige zugehalten, aufgrund derer sich der Bankboss vor dreieinhalb Jahren einer Indiskretion schuldig gemacht habe. Er soll – auf Aufforderung und Bitte – ein internes Papier an seine Geliebte ausgehändigt haben. Möglicherweise mit börsenrelevanten Informationen, wie er in seinem Liebesrausch damals selber eingestand.

Es liegt vor – Geschwurbel für «zugesteckt bekommen»

Höchstwahrscheinlich aber nicht, denn vielleicht wollte er sich nur etwas aufplustern. Damit genug? Damit nicht genug. «Dieser Zeitung liegt sowohl die Klage Lachappelles vor als auch die Klageantwort seiner Ex-Partnerin.» Schreibt CH Media. Schon das entspricht nicht der Wahrheit. Das liegt nicht vor, das wurde ihnen zugesteckt. Einmal darf der intelligente Leser raten, von wem.

Den Justizbehörden? Wohl kaum. Von Lachappelle? Wohl kaum. Behändigte Pascal Hollenstein das Papier höchstselbst, indem er ins Archiv der zuständigen Staatsanwaltschaft einbrach? Wohl kaum. Steht in diesen Papieren irgend etwas, was

  1. erhellende neue Erkenntnisse bringt?
  2. für die Öffentlichkeit von Interesse ist?

Ob sich Lachappelle mit seiner Kurzzeitflamme in der Öffentlichkeit sehen liess oder nicht? Ob er sich von seiner Frau trennte, und wenn ja, wie lange, oder nicht? Dann setzt Hollenstein – unterstützt von einem Redaktor – zur Rechtsbelehrung an: «Denn nur, wenn andere «Joe» mit Guy Lachappelle identifizieren konnten, könnten die Schilderungen auch ehrverletzend sein.» «Joe» nennt die verschmähte Geliebte die Figur, in der sich Lachappelle wiedererkannte und deren Darstellung er als ehrverletzend ansieht. Was bislang vom Gericht auch so gesehen wird.

Nach der Rechthaberei durch den Laien kommt’s noch knüppeldick:

«Was ist wahr an dieser Beziehungsgeschichte, die Guy Lachappelle vor den nationalen Medien am Donnerstag ausgebreitet hat? Was ist unwahr? Und was lässt sich überhaupt beweisen?»

Falsche Frage. Was interessiert’s? Was geht das Hollenstein an? Oder die Öffentlichkeit?

Zuerst Intimes ausbreiten, dann darüber den Kopf schütteln

«Fest steht: Die Basler Justiz wird sich aufgrund einer Strafanzeige mit sehr Persönlichem befassen müssen, das nicht an die Öffentlichkeit gehört.»

Vor einer solchen Aussage würde Tartuffe, würden alle schmierigen Gestalten von Heuchlern in der Kunst vor Neid erblassen. Zuerst wird’s von CH Media an die Öffentlichkeit gezerrt, dann wird das beklagt.

Blick in einen modernen Newsroom.

Wenn die publizistische Leiter nach unten ihrem Übernamen schon alle Ehre macht, kommt natürlich noch hinzu: Erwähnung, dass für alle Beteiligte die Unschuldsvermutung gilt, bislang nicht mal ein Strafverfahren gegen Lachappelle eingeleitet ist? Ach was, gehörte zwar zur Minimalanforderung eines den primitivsten Regeln des Journalismus entsprechenden Artikels. Aber doch nicht bei Hollenstein.

Bekam der so durch den Dreck Gezogene wenigstens die Möglichkeit zur Stellungnahme? Ach was, könnte doch nur stören. Wenn ein blutiger Anfänger einen Artikel mit diesen beiden Defekten einreichen würde, er würde vom Hof gejagt. Aber der Hofherr kann sich solche Schlampereien erlauben.

Blick ins Archiv einer modernen Redaktion.

Über all diese «Widersprüche» habe Lachappelle in seiner PK nichts gesagt, schmiert Hollenstein unheilschwanger aufs Papier. Hätte er, was selbst dem nicht zimperlichen Tagi einfiel, nachgefragt, hätte er die gleiche Antwort bekommen: zu dieser Strafanzeige konnte Lachappelle nichts sagen, weil sie ihm nicht vorliegt.

Anstatt juristische Ratschläge zu erteilen, könnte sich Hollenstein mal mit dem Ablauf nach dem Einreichen einer Strafanzeige vertraut machen. Aber wozu auch. «Vorliegende Dokumente» erlauben es, alle journalistischen Ansprüche fahren zu lassen. Einseitig, unqualifiziert und nur aufgrund unbewiesener Behauptungen einen Artikel zu basteln, den als einäugig zu bezeichnen noch ein Euphemismus wäre.

Der Fisch stinkt vom Kopf, heisst es richtig. Lachappelle hat die Konsequenzen gezogen. Ist Hollenstein auch dafür zu feige?

Patient Kuba: Ferndiagnosen

Vielleicht übernimmt Südafrika die Meldungshoheit. Aber noch wird Kuba verarztet.

Die NZZ hat die Berichterstattung über Kuba verlagert. Um den Überblick zu behalten, braucht es Distanz, meint die Qualitätszeitung. Deshalb berichtet nun Thomas Milz – aus Rio de Janeiro. Dort sitzt auch der Lateinamerika-Korrespondent des «Spiegel», der aus Brasilien den ganzen Kontinent bis hinauf nach Mexiko abdeckt – natürlich inklusive Kuba.

Lateinamerika ist ein wenig grösser als Europa; die Absurdität dieser Art von Berichterstattung wird einem vielleicht klarer, wenn man sich einen Europa-Korrespondenten vorstellen würde, der für ein lateinamerikanisches Land berichtet und – zum Beispiel – seinen Sitz in Madrid hätte. Aber von dort aus über Ungarn, Norwegen, Malta oder Griechenland berichtete.

So wie Milz über Nicaragua, Mexiko, Chile, Haiti, natürlich Brasilien – und nun auch über Kuba schreibt. Dank Google und Internet ist er heutzutage natürlich besser informiert als frühere Korrespondenten, die sich mühsam per Fax oder Telefon auf dem Laufenden halten mussten. Aber auch moderne Kommunikationsmittel ersetzen keine spezifischen Kenntnisse.

Das ist natürlich kein persönlicher Fehler des Korrespondenten, wer wäre nicht überfordert, müsste er von Madrid aus ganz Europa bestreichen. Als erfahrener Journalist hält sich Milz an das, was die anderen auch schreiben, und was mit Video- und Tondokumenten aus Kuba belegt scheint. Nur einmal unterläuft ihm ein Schnitzer:

«So war die Versorgungslage in den neunziger Jahren sicherlich prekärer als heute.»

Das ist so kreuzfalsch, dass nicht einmal das Gegenteil richtig wäre. In den 90er-Jahren zehrte die Insel noch von Reserven, die Dollarshops waren wohlgefüllt, aus den Staatsbetrieben konnte noch massenhaft geklaut werden, der Bauboom zur Ankurbelung des Tourismus war eine Quelle für einen breiten Strom von Baumaterialien, die viele tausend Gebäude vor dem endgültigen Zerfall retteten. Zudem erschloss der gewaltig ansteigende Tourismus ganz neue Einnahmequellen. Es entwickelte sich eine wahre Dollar-Apartheit. Zuvor hatten sich vor allem verdiente Genossen aus Ostblockstaaten auf die Insel verirrt, und von denen war nicht viel zu holen.

Kratzen an der Oberfläche ohne vertiefte Kenntnisse

Dann schreibt Milz von Schlägertrupps im Dienste des Regimes. Er meint damit wohl die «brigadas de respuesta rápida». Eine Art Bürgerwehr, die wie vieles auf Kuba durchaus nützliche, wie auch schädliche Aktionen durchführt. Also vom Aufräumen nach Unwettern bis zum Niederknüppeln von Protesten. Das gilt auch für die CDR, die «Comités de Defensa de la Revolución». Diese Komitees zur Verteidigung der Revolution waren in den 60er-Jahren gegründet worden, als Antwort auf ständige Sabotageaktionen der Exilkubaner, mit Anschlägen auf Regierungsbehörden, Kaufhäuser oder Symbole der Revolution.

Militant verteidigungsbereit: CDR.

Seither sind sie immer mehr zu einem Blockwartsystem verkommen, zwecks Kontrolle der Nachbarschaft. Völlig ins Aus manövriert sich Milz hingegen mit seiner Schlussanalyse:

«Notfalls hat das Regime noch eine andere Karte im Ärmel, um den Druck aus dem Kessel zu nehmen. Im April 1980 öffnete Fidel Castro den Hafen von Mariel für ausreisewillige Kubaner. Innert vier Monaten verliessen rund 125 000 Kubaner die Insel. Nach den grossen Protesten von 1994 wiederholte Castro die Aktion. Rund 35 000 unzufriedene Kubaner verliessen damals ihre Heimat.»

Das ist nun, sorry, liebe NZZ, einfach Stuss. Denn der kleine Unterschied zu heute ist: damals bekam – Relikt des Kalten Kriegs – jeder Kubaner sofort politisches Asyl und eine Niederlassungsbewilligung in den USA. Seit Präsident Obama ist das Geschichte, vorbei. Wie man wissen sollte.

Noch so ein Kuba-Kenner in der Qualitätszeitung

Vorsichtiger kommentiert Werner J. Marti:

«Der Fall der Diktatur ist noch nicht absehbar, aber mit vermehrter Unruhe in Kuba ist zu rechnen.»

Ein wahrer Satz, so wie: morgen scheint die Sonne. Aber mit Regen ist zu rechnen. Marti war bis 2013 «Korrespondent für Südamerika in Buenos Aires», also auch er ein ausgewiesener Kubakenner. Früher gab es noch den Zentralamerika-Korrespondenten Peter Gaupp mit Sitz in Costa Rica. Nach diversen, teilweise ziemlich bösartigen und faktenfreien Ferndiagnosen hatte er Einreiseverbot nach Kuba, was natürlich die Berichterstattung auch nicht einfacher machte. Aber de mortuis nihil nisi bene, wie man in der NZZ formulieren würde.

All diesen Ferndiagnostikern entgeht der Kern des Problems, die Ursache der aktuellen Krise. Mangelwirtschaft, kaum vorhandene eigene Produktivität oder Wertschöpfung, lächerliche Löhne, zerbröckelnde Infrastruktur, das sind alles keine neuen Probleme. Sie begleiten die Revolution seit ihren Anfängen, verschärft seit dem Zusammenbruch des Ostblocks Anfang 90er-Jahre. Nur unterbrochen durch die milden Gaben aus Venezuela, als sich das ölreichste Land der Welt noch solche Bruderhilfe leisten konnte.

Bis an die Zähne bewaffnet sieht anders aus.

Die kubanische Bevölkerung wurde nicht in erster Linie durch ein repressives Regime brutal unterdrückt. Sondern durch eine Art Übereinkunft. Ihr mischt euch nicht in Dinge ein, die euch nichts angehen. Also Politik, Einparteienherrschaft, Bekenntnis zum Sozialismus. Dafür drücken wir die Augen zu, wenn ihr euch durchs Leben mischelt. Ohne Rücksicht auf angeblich unverzichtbare revolutionäre Tugenden. Resolver, Probleme lösen, das war schon immer das Zauberwort auf Kuba. Legal, illegal, scheissegal.

Das Regime hat die alte Übereinkunft mit dem Volk aufgekündigt

Aber um sich all das zu mischeln, was man halt so braucht – und was meistens nur in Devisen zu unerschwinglichen Preisen erhältlich war –, muss man Zugang zu gefüllten Staatslagern haben.

  • Denn wo nichts ist, kann auch nichts geklaut werden.

Das Regime wusste und tolerierte immer, dass es überall und bei allem einen beachtlichen Schwund gab. Also von dem, was vorne reinkam – ein zweistelliger Prozentsatz hinten rausgetragen wurde. Abgesehen vom Statuieren von Exempeln, wenn’s zu bunt getrieben wurde, war das okay.

Kubanische Elendsverwaltung.

Das ergriff auch zunehmend alle staatlichen Dienstleistungen, bei denen ein Bakschisch immer beförderlicher wurde, sei es auch nur, um einen Stempel auf ein Papier gedrückt zu bekommen. Auch Bereicherung, Privatinitiativen wurden zumindest toleriert. Es entwickelte sich um den Tourismus herum ein breites, privates Dienstleistungsangebot, das die angebliche Überlegenheit der sozialistischen Staatsbetriebe ad absurdum führte.

Wenn nix reinkommt, kann auch nix rausmarschieren

Aber der Tourismus ist zusammengebrochen, die wichtigsten Devisenquellen sind versiegt, die Lager leer. Das Ventil eines neuen Massenexodus existiert eben nicht mehr. Das Regime hat den Konsens einseitig aufgekündigt, seine feinen Repressionsmittel funktionieren nicht mehr.

Früher war es üblich, dass der Staatsangestellte (immer noch 90 Prozent aller Werktätigen), unabhängig von seiner Leistung, bei Wohlverhalten existenziell wichtige Güter drastisch verbilligt erhielt. Den dringend benötigten Kühlschrank, einen Ventilator, einen Kochherd, einen Dampfkochtopf, Material zum Renovieren. Sonst nur zu exorbitanten Preisen in Devisenshops erhältlich.

Politische Dissidenz oder gar offener Protest, und man landete ganz hinten auf der Warteliste. Aber ganz hinten. All das ist mangels Material vorbei. Und dafür bekommt das Regime nun die Quittung. Für nichts anderes.