Federlesen

Wie reagiert die Journaille auf das Canonica-Gespräch?

An ihren Reaktionen werdet ihr sie erkennen. Ziemlich genau ein Monat ist vergangen, seit Anuschka Roshani im «Spiegel» eine Breitseite abfeuerte. Seither fand im Wesentlichen eine Hatz auf Finn Canonica statt. Bis dann langsam der Wind drehte. Die NZZ begann, die Konkurrenz in die Pfanne zu hauen («Glaubwürdigkeit verspielt»).

Allerdings sparte das Blatt mit dringend nötiger Selbstkritik. Nun berichtet es «Roger Schawinski empfängt den ehemaligen «Magazin»-Chef Finn Canonica». Nicht ganz faktensicher («Anfang März hat das deutsche Magazin «Der Spiegel» einen Gastbeitrag von Canonicas ehemaliger Mitarbeiterin Anuschka Roshani veröffentlicht») fängt Lucien Scherrer an. Es war Anfang Februar, aber Scherrer hatte auch schon behauptet, die beiden hätten bis 2021 bei Tamedia gearbeitet (es war bis 2022) und Daniel Binswanger sei Canonicas Stellvertreter gewesen (war er nicht). Und es gäbe da anonyme Quellen, die …

Aber item, nun präsentiert sich der Fall plötzlich «komplizierter», nachdem auch die NZZ unkompliziert mitgekeilt hatte. Präsentiert Scherrer nun wenigstens dringend nötige Selbstkritik? Nicht wirklich, stattdessen: der «einst angesehene» Canonica habe es leicht, «sich vor allem als Opfer zu inszenieren». Zu inszenieren? «Viel mehr Selbstkritik» sei «im «Doppelpunkt» nicht zu hören», es blieben «einige Ungereimtheiten und Vorwürfe unausgesprochen oder unbeantwortet». Schliesslich: «Tatsächlich gibt es einiges zu klären.» Aber offensichtlich nichts vor der eigenen Haustür aufzuwischen. Und wieso hat denn die NZZ nicht schon längst einiges geklärt? Sackschwach, um ein Lieblingswort von Schawinski zu bemühen.

Etwas neutraler zitiert persönlich.com Auszüge aus dem Exklusiv-Interview auf Radio 1. Nau.ch übernimmt einfach die inzwischen gebastelte SDA-Meldung. Sie bemüht sich um Neutralität, abgesehen von einem kleinen Seitenhieb: «Roger Schawinski gab sich im Interview ungewohnt zahm.» Vielleicht wollte er, im Gegensatz zu fast allen anderen Medien, nicht auf einem am Boden Liegenden noch herumtrampeln …

Der «SonntagsBlick» durfte schon vorher in die Sendung reinhören und machte daraus einen Kommentar des stellvertretenden Chefredaktors, der sich auch um Objektivität bemüht, bis er den beiden eine «gewagte Verschwörungstheorie» unterstellt. Dabei ist es keine Verschwörung, dass der Ehemann von Roshani der Besitzer des Verlags «Kein & Aber» ist, in dem viele Magi-Mitarbeiter Bücher publizieren, was es ihnen eher schwer machen würde, sich öffentlich gegen die Frau ihres Verlegers zu stellen.

CH Media, bislang sehr unglücklich agierend in der Berichterstattung über die Roshani-Affäre, hält sich bedeckt und zitiert nur etwas den SoBli. Dort will man sich offenbar keine zweite erzwungene Entschuldigung für eine neuerliche Falschmeldung einhandeln.

«Tages-Anzeiger», Tamedia, alle «Magazin»-Mitarbeiter, die «Republik», alle Wäffler, die sofort mit einer Vorverurteilung zur Hand waren und ein weiteres Mal auf die Unschuldsvermutung schissen? Alle Krakeeler in den asozialen Medien, die sich mit Bekundungen des Abscheus über diesen neuerlichen Fall von widerlichen männlichen Übergriffen, von Sexismus, Mobbing, Opfer Frau, nicht einkriegten?

Alle Vorverurteiler, alle, die angebliche weitere, aber leider anonyme Quellen zitierten, die behaupteten, es sei alles noch viel schlimmer gewesen? Schweigen. Tiefes Schweigen.

Ein Hinweis auf die entlarvende Recherche im «Schweizer Journalist»? Nirgends. Wie wird dort ein «Magazin»-Redaktor zitiert? Nach dieser Berichterstattung, an der er fast verzweifelt sei, glaube er in den Medien nur noch Berichte, die er selbst recherchiert und geschrieben habe.

Wäre es nun nicht der Moment für etwas Selbstkritik? Für Eingeständnisse? Für eine Entschuldigung Richtung Canonica? Für eigene Recherchen, was denn nun wirklich zutrifft und was nicht? Wo und warum man ungeprüft üble Nachreden übernahm? Wäre es nicht der Moment für eine Sanktion all der journalistischen Stümper, die entweder angebliche Quellen selbst erfanden oder der wohl einzigen Quelle auf den Leim krochen? Angefangen bei Salome Müller?

Doch, das wäre der richtige Moment, verspielte Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, indem man genauso schonungslos über sich selber zu Gericht sitzt, wie man das gegenüber Canonica tat.

Aber das Elend der Medien ist so gross, dass sie auch diese Chance ungenutzt lassen. Verbohrt, arrogant, beratungsresistent, uneinsichtig, kindisch. Ein Vogel Strauss neben dem anderen, so weit das Auge reicht.

Panoptikum der Pöbler

Kleiner Scherz am Rande. Ins tiefe Schweigen japsen Kümmerlinge.

Auf Twitter haben sich schon manche um Kopf und Kragen getwittert. Es gibt allerdings auch solche, bei denen oberhalb des Kragens nicht viel zu verlieren ist. Dazu gehört beispielsweise Benjamin von Wyl.

ZACKBUM musste sich schon mehrmals dieser Unzierde des Berufs annehmen, zuletzt auch im Zusammenhang mit dem Fall Roshani. Offenbar hat der Herr, zu seinen übrigen bedauernswerten Eigenschaften hinzu, auch noch ein Glaskinn:

Immerhin, im Anfang «… weiss ja auch nicht alles» steckt ein Körnchen Wahrheit.

Wenn man versucht, von Wyl mit naheliegenden Fragen an die Realität heranzuführen, reagiert er störrisch:

ZACKBUM sei beleidigend und behandle «insbesondere Weibliche Menschen unfair»? Das müssen wir beleidigt zurückweisen: ZACKBUM behandelt auch männliche Menschen, wie sie es verdienen. Wie man hier sieht.

Völlig verpeilt ist Reda el Arbi, dem ZACKBUM-Leser auch nicht unbekannt:

Dem muss man alles immer gaaaanz laaaangsam erklären, obwohl er’s auch dann nicht kapiert. Nein, Canonica gab dem SoBli kein Interview. Nein er nimmt ausdrücklich nicht eine Opferrolle ein. Das könnte man alles auf Radio 1 im «Doppelpunkt» nachhören. Aber eben, muss man können. Dafür kann El Arbi Fremdwort. Maligner Narzisst, aber hallo. Woher er diese Diagnose wohl kennt?

Dass sich die «Republik» mit Halbwahrheiten, Pöbeleien und Ablenkungsmanövern durchschwindelt, ist schon länger bekannt. Schliesslich war ihr aktueller Chefredaktor a. i. Daniel Binswanger langjähriger Kolumnist im «Magazin», arbeitete auch Daniel Ryser dort. Beide waren beim Rumpler 2014 ausgesprochen solidarisch mit Canonica, Ryser erklärte sogar noch zwei Jahre später Kritiken als Ausdruck von Neid.

Aktuell prügelt aber die «Republik» auf Tamedia und insbesondere auf die «SonntagsZeitung» ein, obwohl die nun nichts mit dem Fall Roshani zu tun hat. Aber sehr viel damit, dass eine weitere aufgeblasene Skandalgeschichte der «Republik» über angebliches Mobbing an der ETH platzte.

Dass nebenbei noch die Entlassung eines Lokalredaktors tatsachenwidrig erzählt wird, damit sie ins «Republik»-Narrativ passt, geschenkt. Auch hier zeigt das Organ der guten Lebensart, dass ihm eine wirklichkeitsnahe Berichterstattung sehr fern liegt.

Dann gibt es noch Trittbrettfahrer:

Dominik Gross, heute bei «Alliance Sud» und der «Republik» unterwegs, bezeichnet sich als «Reporter beim Magazin» im Jahr 2014. Unter einem seiner ganz wenigen Artikel aus diesem Jahr steht, dass er «redaktioneller Mitarbeiter» war. Auf Anfrage begründet er das so: «Ich war halt beides: redaktioneller Mitarbeiter und Reporter (als (Mit-)Verfasser von Reportagen und Interviews).» Was er so «auf der Redaktion miterlebte», muss wohl sein süsses Geheimnis bleiben. Denn er ignoriert diese Frage und führt nur aus: «Ich war regelmässig auf der Redaktion an der Werdstrasse anwesend. Im üblichen Rahmen eines Reporters/redaktionellen Mitarbeiters mit einem 60%-Pensum. Dazu kamen einige Arbeitstreffen mit Redaktionsmitgliedern, Reporterkolleg:innen und dem Chefredaktor ausserhalb.»

Mindest so lustig und bezeichnend ist aber das tiefe Schweigen so vieler, die nach der Veröffentlichung der Anschuldigungen Roshanis in höchster Erregung krähten. Besonders peinlich ist dabei Franziska Schutzbach, die sich nach der üblichen Suada über männlichen Sexismus ein Schweigegelübde auferlegte, weil ihr Partner beim «Magazin» arbeitet und sie daher «familiär betroffen» sei. Immerhin, es darf auch gelacht werden.

Canonica spricht

Dank Roger Schawinski und Radio 1. Endlich.

In seiner Sendung «Doppelpunkt» vom Sonntag hatte der Radiopirat, der inzwischen auch so aussieht, den ehemaligen «Magazin»-Chefredaktor Finn Canonica vor dem Mikrophon. Nachdem der ausgiebig durch den Dreck geschrieben wurde, hatte er offensichtlich nur mehr Vertrauen in Schawinski.

Wohl auch deshalb, weil Schawinski als ziemlich Einziger neutral über den Fall berichtet und ebenfalls als Einziger ausführlich aus dem Untersuchungsbericht zitierte, der Canonica weitgehend entlastet. Freundlicherweise erwähnte Canonica in dem langen Gespräch, dass René Zeyer und ZACKBUM zu den wenigen Berichterstattern gehören, die sich ebenfalls um eine neutrale Darstellung bemühen. Im Gegensatz zu eigentlich allen anderen, die unkritisch der Anklage im «Spiegel» glaubten und sie mit immer anonymen weiteren Anschuldigungen garnierten.

Es ist doch himmeltraurig, dass sich alle Mainstreammedien so ins Elend geschrieben haben, dass Canonica für seinen ersten und wohl auch einzigen Auftritt ein Privatradio wählt. Allerdings hat das sicherlich auch noch einen zweiten Grund. Radio macht authentisch. Im Radio kann man die Person spüren, wenn ein kritisch-fairer Interviewer am Gerät ist. Welch ein Armutszeugnis für die übrigen Medien, welch ein Triumph des Altmeisters*.

ZACKBUM macht daher hier etwas, was alle diese Organe auch vermeiden und vermeiden werden. Wir erteilen einfach Canonica das Wort. Natürlich können wir kein Transkript des gesamten Gesprächs veröffentlichen, aber Auszüge. Selbstverständlich unkommentiert.

Es muss vorausgeschickt werden, dass Schawinski auch Roshani und Ninck angeboten hat, in einem Interview Stellung zu nehmen. Beide lehnten ab, Ninck liess darüber hinaus durch seinen Anwalt ausrichten, dass gewisse Stellen in der Berichterstattung gelöscht werden müssten. Obwohl das nicht geschah, steht eine Klage bislang aus.

Nun aber O-Ton Finn Canonica:

«Als der Artikel erschien, ist für mich eine Welt zusammengebrochen, meine Familie, ich bin in eine Depression gestürzt, nahm Medikamente, war zwischenzeitlich in einer Klinik.»

«Meine Kinder gingen nicht mehr in die Schule, waren verunsichert, ich war in einem Panikzustand, traute mich nicht mehr auf die Strasse, verliess eine Woche lang das Haus nicht mehr. Auch meine Frau machte Homeoffice. Es war ein kompletter Absturz, ohne Medikamente unaushaltbar.»

«Man hat gemerkt, wer die wirklichen Freunde sind. Meine Familie war völlig aus der Bahn geworfen. Ich hatte Schamgefühle, wegen mir muss meine Familie das erleben.»

«Meine Mutter ist eine jüdische Französin, die den Zweiten Weltkrieg bei einer Familie versteckt überlebte. Ihr ging es lange Zeit sehr schlecht, es gab Medikamenten- und Alkoholkonsum. Als Reaktion darauf habe ich ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihr. Über meinen Vater will ich nicht reden.»

«Das Wort «Machtrausch» ist mir völlig fremd, der Autor des NZZ-Artikels, der es verwendet, hat meines Wissens mit keinem einzigen «Magazin»-Redaktor gesprochen.»

«2014 gab es starke Spannungen, ich hatte den Auftrag, in einem Jahr das Redaktionsbudget von 3,2 auf 2 Millionen Franken zu reduzieren. Mir wurde klar gesagt: wenn ich das nicht schaffe, sei ich der falsche Mann am falschen Ort. Wir waren vorher eine schreibende Redaktion, diese Luxusposition gab es dann nicht mehr. Ich stand extrem unter Druck, musste Kündigungen aussprechen, einige Redaktoren waren mit dieser Veränderung nicht einverstanden, was ihr gutes Recht war. Ich zog es superhart und schnell durch, es kann sein, dass ich mich im Ton vergriffen habe.»

«Ich habe den zweiten Untersuchungsbericht nicht vollständig bekommen. Ich habe damals von Human Resources nie erfahren, dass sich Leute über mich beklagt hätten.»

«Ich wurde ein halbes Jahr vor Roshani im Jahr 2001 «Magazin»-Redaktor. Schon 2004 gab es eine extreme Sparrunde. Der damalige Chefredaktor verlangte einen Lohnverzicht von 7,5 Prozent von allen Mitarbeitern, dem wir zustimmten. Später verlangte Roshani eine Rücknahme.»

«Als ich 2007 Chefredaktor wurde, fragte ich Roshani, ob sie meine Stellvertreterin werden wolle. Sie lehnte ab, weil sie schwanger war, obwohl es für mich okay gewesen wäre, wenn sie nach dem Schwangerschaftsurlaub angetreten wäre. Wie kann sie dann schreiben, dass 2007 das Mobbing gegen sie begonnen habe.»

«Aus meiner Sicht kann man nicht sagen, dass überhaupt zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Streit zwischen Roshani und mir angefangen habe.»

«Was ihr halbjähriges Sabbatical in London betrifft, habe ich sie da tatsächlich bevorzugt. Es hatte und hat sonst noch nie eins gegeben, das bezahlt wurde.»

«Wir haben zusammen Reportagen gemacht, wird sind beide fast gleichzeitig Eltern geworden, wir haben lange zusammengearbeitet, natürlich spricht man da anders miteinander. Anuschka hat viel kritisiert, das finde ich auch gut.»

«Als es die zweite Untersuchung gab, hat mein Stellvertreter von allen Redaktionsmitgliedern verlangt, dass sie sich schriftlich an den Verleger wenden. Was auch geschah, aber ich wollte den Inhalt nicht wissen, um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, ich wolle mich da einmischen.»

«Die Sache mit den Hakenkreuzen war als Joke gemeint, es war eine extreme Dummheit von mir.»

«Ich habe den Bericht von Christine Lüders nicht gesehen. Ich wurde aber vom damaligen Chefredaktor Arthur Rutishauser in sein Büro zitiert und mit Vorwürfen eingedeckt. Man sagte mir nicht, wer diese Vorwürfe erhoben habe. Es ist extrem schwierig, auf anonyme Anschuldigungen zu reagieren. Ich bin aus dem Gebäude gewankt und habe mich in die Sihl übergeben. Danach war ich sieben Wochen krankgeschrieben. Dann teilte mir die Verlagsleitung mit, dass die Vorwürfe nur von einer Seite gekommen seien, dass das so nicht gehe und dass die Anschuldigungen nicht zutreffen würden. Ich bin dann zu 60 Prozent wieder eingestiegen.»

«Nachdem diese Vorwürfe in den Verwaltungsrat getragen wurden, wurde beschlossen, sie nochmals untersuchen zu lassen, durch die renommierte Kanzlei Rudin Cantieni. Es war eine Tortur für mich, das nochmals durchleben zu müssen. Auch für meine Kollegen; ich wurde sieben Stunden lang befragt, musste alles so weit wie möglich belegen.»

«Bei der Passage über das «Tourette-artige ficken» konnte sich Anuschkas rhetorisches Talent voll entfalten. ich habe nie das Wort «ficken» verwendet, sicherlich «Fuck» und «Bullshit», vielleicht höre ich zu viel Rapmusik.»

«Wir hätten beim «Magazin» einen solchen Text mit so vielen Anschuldigungen gegen eine Person niemals veröffentlicht.»

«Es trifft mich wahnsinnig, in einem Text mein Bild neben einem Foto von Harvey Weinstein zu sehen. Das trifft übrigens auch auf den Verleger zu.»

«Ich möchte ausdrücklich René Zeyer erwähnen, der das Ganze als Erster kritisch hinterfragte.»

«Man hat einfach dem «Spiegel» abgeschrieben, dabei hätte man auch mal gegen die eigene These recherchieren sollen.»

«Viele «Magazin»-Mitarbeiter sind Autoren bei «Kein & Aber», dem Verlag von Peter Haag, dem Ehemann von Roshani. Es wäre natürlich unangenehm, sich öffentlich für mich zu äussern und sich damit in Konflikt mit seinem Verlag zu begeben.»

«Ich wusste nicht, wovon die Rede war, als ich zum ersten Mal vom Vorwurf mit der Brust hörte. Das ist eine Dimension einer Lüge, die einem den Boden unter den Füssen wegzieht. Das ist dermassen grotesk, wie aus einem Groschenroman.»

«Ich bin geschädigt von einer massiven Welle negativer Berichterstattung, lässt sich das korrigieren? In Momenten der Verzweiflung finde ich: niemals.»

«Im Moment habe ich das Gefühl, ich könne überhaupt nichts mehr machen, weil mein Ruf dermassen beschädigt wurde.»

*Packungsbeilage: René Zeyer ist gelegentlich Gast in Schawinskis Sendungen.

Schlimmer Verdacht

Wer sind die «anonymen Quellen» im Fall Roshani?

Die Anzeichen verdichten sich: es gab wohl nur eine einzige «Quelle».

Vom «Spiegel» und der «Zeit» abwärts berufen sich alle Organe, die über die schweren Vorwürfe von Anuschka Roshani gegen ihren ehemaligen Chefredaktor und ihren ehemaligen Arbeitgeber berichten, auf «anonyme Quellen». Auf «ehemalige» oder «aktuelle» Mitarbeiter beim «Magazin» von Tamedia. Die hätten die Vorwürfe bestätigt, sogar teilweise noch ausgeweitet.

CH Media verstieg sich sogar zum unhaltbaren Vorwurf, basierend auf dem Zitat einer «anonymen Quelle», dass der Big Boss von Tamedia Finn Canonica nahe gestanden sei und seine «schützende Hand» über ihn gehalten habe. Zudem schmückte CH Media die Story der Plastikbrust aus, die Canonica bei Stellenbewerbungen von Frauen anzüglich massiert habe. Für die Behauptung über Pietro Supino musste sich CH Media inzwischen öffentlich entschuldigen, die Plastikbrust-Story ist durch den Untersuchungsbericht glasklar und zweifellos widerlegt und bei CH Media kommentarlos gelöscht worden.

«Wie Medien im Fall Canonica mit Übertreibungen und Lügen ihre Glaubwürdigkeit verspielen», kritisiert die NZZ völlig zu recht. Allerdings übersieht sie dabei geflissentlich, dass sie selbst das auch getan hat. Und holzt im gleichen Artikel gegen Roger Schawinski, der mit der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts eine «Reinwaschung» von Canonica versuche, was absurd ist. Dem wiederum spricht die NZZ die «charakterliche Eignung» für eine Chefposition ab, ein happiger und völlig unbelegter Vorwurf.

Dass der Artikel der NZZ nebenbei ein paar peinliche faktische Fehler enthält, sei nur am Rande erwähnt, ebenso, dass die beiden Autoren zwar kräftig austeilen, aber in Deckung gehen, wenn sie auf einige Fragen von ZACKBUM antworten sollten. Was das wohl über ihre charakterliche Eignung aussagt?

Wenn nun der Journalismus die verlorene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen wollte, was müsste er tun?

So wie CH Media zunächst seine zahlreichen Fehlleistungen eingestehen – ohne dazu mit rechtlichen Mitteln gezwungen zu werden. Die «Zeit» müsste ihre Autorin Salome Müller öffentlich massregeln, die – neben dem Zitieren anonymer Quellen – blosse Behauptungen im Indikativ als Wahrheiten darstellte.

Die «Zeit» und eigentlich alle Medien, die über den Fall Roshani berichtet haben, müssten offenlegen, mit welchen «Quellen» sie eigentlich gesprochen haben wollen. Welche angeblichen «Dokumente» sie haben wollen.

Insbesondere um den «Spiegel» zieht sich die Schlinge zu. Nicht nur, dass er einer offensichtlich rachsüchtigen, in ihrer Karriere gescheiterten und entlassenen Mitarbeiterin eine «Carte Blanche» für ungeheuerliche Anschuldigungen gab und die sogar in die Nähe der Taten eines Harvey Weinstein rückte. Er behauptet in einem Redaktionsschwanz, dass er genügend Dokumente und Zeugenaussagen gesammelt habe, die die Behauptungen von Roshani stützen würden.

Dem widerspricht nun ein sorgfältig recherchierter Artikel im «Schweizer Journalist», der mit insgesamt acht aktuellen Mitarbeitern des «Magazin» gesprochen haben will. Die wollen zwar auch anonym bleiben, sagen aber unisono, dass sie niemals vom «Spiegel» kontaktiert wurden. Und der Autor merkt an, dass es theoretisch möglich sei, dass er ausgerechnet nur Mitarbeiter kontaktierte, die nicht vom «Spiegel» befragt wurden. Das sei aber sehr unwahrscheinlich …

Nun hat die Lügengeschichte der Frauenbrust allerdings einen inzwischen enttarnten Urheber. Es ist Mathias Ninck, der 2014 auch im Unfrieden vom «Magazin» schied. Und wohl nicht damit rechnete, dass seine Einlassungen, die im Untersuchungsbericht wiedergegeben werden, jemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken würden.

Angesichts der Tatsache, dass fast alle Vorwürfe gegen Canonica inzwischen als widerlegt, zumindest unglaubwürdig oder aufgebauscht gelten müssen, erhebt sich gebieterisch die Frage:

Wer waren denn nun all die vielen anonymen Quellen, die angeblich verschiedenen Medien gegenüber die Vorwürfe gegen Canonica nicht nur bestätigten, sondern auch noch ergänzten?

Den neutralen Beobachter beschleicht hier ein schlimmer Verdacht: Könnte es nicht sein, dass es nur eine einzige Quelle gab? Eine rachsüchtige Quelle, die Roshani in ihrer Frustration als nützliche Idiotin missbrauchte, um Jahre später den still abgetretenen Canonica aus dem Hinterhalt noch ganz zu erledigen? Und dabei den Glückstreffer landete, dass sich der «Spiegel» dafür hergab.

Es gibt ein weiteres, eher peinliches Indiz dafür. Wenn Roshani, wie sie behauptet, den zweiten und ausführlichen Untersuchungsbericht nicht zu sehen bekam, dann wusste sie bei der Veröffentlichung ihres «Spiegel»-Artikels nicht, dass diverse von ihr erhobene Vorwürfe ausführlich widerlegt worden waren. Dann wusste sie nicht, wie Canonica gegenüber Schawinski aussagt, dass die Verlagsleitung ihm damals mitgeteilt habe, dass die Vorwürfe gegen ihn nur aus einer einzigen Quelle stammten, das so nicht gehe und sie zudem allesamt widerlegt worden seien. Künstlerpech. Sie verweigerte ja damals die weitere Mitarbeit, als man sie mit Widersprüchen in ihren Behauptungen konfrontieren wollte. Ob das auch der Grund für ihr aktuelles, tiefes Schweigen ist?

Sollte sich der Verdacht verdichten, dass es in Wirklichkeit eine einzige Quelle gab, und es gibt genügend Anzeichen dafür, dann dürfen die Entlassungen von Canonica und Roshani nicht die einzigen bleiben. Denn immerhin haben all diese Schmierenartikel eine Autorenzeile …

 

Nachtreten wie im Kindergarten

Wenn das die ersten Signale der neuen Chefredaktorin sind …

ZACKBUM ist es gelungen, mit versteckter Kamera eine Aufnahme von einer Redaktionskonferenz im «Tages-Anzeiger» zu machen. Wir waren perplex …

«Dafür bedankt er sich für die Geduld des Reporters, der seine Tirade bis zum Schluss ausgehalten hat.» So beendet Cyrill Pinto seine Berichterstattung über einen Vortrag des «Weltwoche»-Chefs Roger Köppel. Wie bei seiner grossen Vordenkerin mit kleinem Besteck, wie bei Raphaela Birrer, kann man Pinto als mildernden Umstand zubilligen, dass er wahrscheinlich gar nicht weiss, was das Fremdwort Tirade bedeutet.

Keine mildernden Umstände gibt’s aber für dieses Nachtreten von Tamedia. Als Köppel bekanntgab, dass er bei den nächsten Wahlen nicht mehr antreten wird, titelte das ehemalige Qualitätsorgan: «Roger Köppel will nicht mehr. Oder darf er nicht mehr

Begleitet wurde diese haltlose Spekulation von einem geschmacklosen Kommentar der designierten neuen Überchefredaktorin des Konzerns. Als ob die SVP bestrebt wäre, den mit dem besten Resultat aller Zeiten gewählten Nationalrat eine neuerliche Kandidatur zu verwehren. Absurd, aber hier ist kein Untergriff zu abwegig.

Eigentlich wollte Köppel einen Vortrag über «Krieg und Frieden» halten, leitete den aber mit einer offenbar einstündigen Philippika über die Berichterstattung der «Mainstream-Medien» zu seiner Ankündigung ein.

Zunächst gibt der «Reporter» etwas O-Ton wieder: «Köppel störte sich auch daran, dass SVP-Parteimitglieder anonym zitiert wurden, wonach man ihm den Rücktritt wegen seiner Haltung zum Krieg in der Ukraine nahegelegt habe. Das sei «frei erfunden», hielt Köppel zuvor auch auf Twitter fest.»

Dann macht Pinto das, was Schmierenjournalismus immer mehr auszeichnet. Er tritt nach, weil er als Autor natürlich das letzte Wort behalten kann: «Tatsächlich hatten ihn Parteischwergewichte wie der Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker für seine Haltung zum Krieg in der Ukraine kritisiert. An der Delegiertenversammlung im April 2022 kanzelte Stocker die «Putin-Versteher» öffentlich ab.»

Das ist nun voller dummer Perfidie. Denn tatsächlich hatte Stocker diesen Ausdruck verwendet und Köppel wohl mitgemeint. Aber weder Stocker noch andere SVP-Exponenten hatten Köppel den Rücktritt nahegelegt, und darüber regt sich der WeWo-Chef auf.

Dann geht Pinto – sicherlich unbeabsichtigt – zu einer Realsatire über: «In seiner Tirade gegen die «Mainstreammedien» – zu denen er offenbar alle ausser der eigenen «Weltwoche» zählt – zeichnete er das Bild von Redaktionen, in denen nicht diskutiert werde und abweichende Meinungen abgekanzelt würden.»

Nochmal Tirade? Zeichnet er? Das ist nun echt lustig, denn wer wüsste es besser als Pinto, dass es auf seiner Redaktion genau so zu und her geht. Abweichende Meinungen, Pro und Contra, wenigstens eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Zielen der Friedensdemo am nächsten Samstag in Bern? Verständnis für Corona-Massnahmenkritiker, so neben der ewigen Kreische Marc Brupbacher? Bei Tamedia? Niemals.

Eine Stellungnahme der Redaktion zur Affäre Roshani? Grabesstille. Sämtliche Zeugen, inklusive Roshani, stehen im Schweizer Telefonbuch. Da hätte das sogenannte Investigativ Desk für einmal nicht von anderen gestohlene Geschäftsunterlagen ausschlachten müssen, sondern hätte zeigen können, dass es die Grundlagen des Journalismus beherrscht. Ein Konflikt findet vor der Haustüre statt. Eine ehemalige Redaktorin erhebt schwerste Vorwürfe gegen ihren ehemaligen Chefredaktor. Wie war’s wirklich? Telefonhörer in die Hand nehmen, anrufen, fragen, Indizien sammeln, den Untersuchungsbericht behändigen, banal.

Worin besteht die Berichterstattung über diese Affäre? Werden hier die neuen, skandalösen Entwicklungen wenigstens referiert? Schliesslich entwickelt sich die Anklage eines angeblichen weiblichen Opfers immer mehr zum Rohrkrepierer. Aber der grosse Qualitätskonzern Tamedia hat es im Monat seit dem Platzen der Affäre bei einem einzigen Artikel bewenden lassen: «In eigener Sache. Stellungnahme zum «Spiegel»-Artikel». Gezeichnet von der «Chefredaktion». Da hätte man nun doch vielleicht drüber diskutieren können. Aber da’s bei Tamedia so ist, wie es Köppel beschreibt …

Schlimmer noch: bei Tamedia ist das Handwerk nicht mehr vorhanden. Nicht mal banale Handgriffe werden ausgeführt. Dafür herrscht Banalität im Denken und Schreiben. Aschgrau.

Sag mir, wo die Mädchen sind

ZACKBUM fragt unerschrocken: Chefinnen, wo seid ihr?

Im Konkurrenzkampf um Posten und Karriereschritte gibt es seit einiger Zeit eine neue Waffe. Eine wahre Atombombe. Mit der verhält es sich aber etwa so wie nach Hiroshima. Nur eine Weltmacht ist im Besitz dieser schrecklichen Bedrohung.

Damals waren es die USA, heute sind es die Frauen. Der Vorwurf eines sexuellen Übergriffs ist diese Waffe. Der mag schon viele Jahre zurückliegen, spielt keine Rolle. Der mag schon längst verjährt sein. Völlig egal. Der mag verbal stattgefunden haben. Ohne Belang. Es gibt keine Zeugen dafür. Unerheblich. Der einzige Beweis besteht aus der Behauptung des weiblichen Beteiligten. Unschuldsvermutung ade.

Wenn eine mässig erfolgreiche Frau von der mickrigen Performance von ihr angepriesener Finanzprodukte ablenken will, die sie unter dem Label Feminismus verkauft, zieht sie die Sexismuskarte. Wenn die gleiche Frau sich mal wieder in die Medien bringen will, erzählt sie von einem x Jahre zurückliegenden Kussversuch. Den sie damals nicht meldete, obwohl es alle nötigen Institutionen gegeben hätte. Über den sie angeblich zuvor nie sprechen konnte. Der sie bis heute beschäftige.

Während man so einer Einlassung früher mit schallendem Gelächter begegnet wäre, müssen heute alle betroffene Gesichter machen und ohne loszuprusten Untersuchungen ankündigen. Und der damalige Küsser, wenn es ihn überhaupt gab, muss befürchten, dass er ernsthafte Probleme bekommen könnte. Heute.

Der Gipfel der Unverfrorenheit war der Protestbrief von 78 erregten Tamedia-Frauen. Indem sie nur anonymisierte Beispiele für ihre ruf- und geschäftsschädigenden Vorwürfe vorbrachten, stellten sie sämtliche männliche Tamedia-Mitarbeiter unter den Generalverdacht, sexistische Schweine zu sein. Kein einziger, ZACKBUM wiederholt, kein einziger dieser Vorwürfe ist bis heute erhärtet oder verifiziert. Wie auch, wenn er darin besteht, dass zu einem unbekannten Zeitpunkt ein nicht genannter Mann in einem nicht definierten Zusammenhang ohne Ohrenzeugen irgend etwas gesagt haben soll.

Das liefe eigentlich unter übler Nachrede. Aber stattdessen entschuldigte sich der damalige Oberchefredaktor Arthur Rutishauser präventiv, und der Big Boss von Tamedia Pietro Supino zeigte sich furchtbar betroffen. Statt die Rädelsführerinnen sofort zu feuern und die Unterzeichnerinnen abzumahnen. Deren weibliche Solidarität zeigte sich zudem darin, dass sie kommentarlos hinnahmen, dass das eigentlich für den internen Gebrauch vorgesehene Protestschreiben via eine sehr fragwürdige Botin an die Öffentlichkeit getragen wurde. Zahllose Fragenkataloge von ZACKBUM blieben unbeantwortet; keine einzige der 78 Frauen hatte den Anstand, darauf zu reagieren. ZACKBUM fragte auch alle Nicht-Unterzeichnerinnen an, gleiche Reaktion.

Eine Führungsperson, Voraussetzung männlich, erfährt heute, dass gegen sie Vorwürfe wegen angeblicher sexueller Belästigung erhoben werden. Sollen angeblich schon viele Jahre zurückliegen. Am besten sucht sie sich vorausschauend gleich eine neue Stelle und betet, dass diese Vorwürfe nicht öffentlich werden. Gegenwehr ist völlig zwecklos.

Grauenhaft ist der aktuelle Fall, der dieses System auf die Spitze treibt. Eine Mitarbeiterin, die die Stelle ihres Chefs wollte, dann so massiv gegen ihn vorging, dass eine externe Untersuchung zum Schluss kam, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht möglich sei, erreichte ihr Ziel nicht, sondern wurde sogar selbst gefeuert. Nachdem sie sich in der Illusion wiegen konnte, nach der Entlassung ihres Chefs doch noch seinen Sessel besteigen zu können.

Diese Frau darf dann immerhin im «Spiegel» über vier Seiten vom Leder ziehen, dass es nur so kracht. Das wird als «persönlicher Erfahrungsbericht» verkauft, weil die Gegenseite keine Gelegenheit zur Richtigstellung bekam. Dazu wird behauptet, dass die inzwischen grösstenteils widerlegten oder zumindest stark in Zweifel gezogenen Anschuldigungen der Anklägerin nachrecherchiert und so weit wie möglich mit Dokumenten und Aussagen untermauert worden seien.

Inzwischen stellt sich heraus, dass es sich höchstwahrscheinlich um das Aufwärmen uralter Vorwürfe handelt, um eine gemeinsame Racheaktion der aktuell und von damals Entlassenen. Was dem «Spiegel» – gefangen in Framing und Narrativen von Frauen als Opfer und Männern als Schweine – offenbar entgangen ist. Selbst die «Zeit», sonst immer noch der Leuchtturm von seriösem und verantwortungsbewusstem Journalismus, lässt eine einschlägig parteiische Kraft in ihrem Schulaufsatzstil unbelegte Behauptungen aufstellen, anonyme Zeugen zitieren und Ereignisse im Indikativ darstellen, die in einem ernsthaften Journalismus eigentlich im Konjunktiv, weil noch nicht bewiesen und blosse Behauptungen, stehen müssten.

Was auch niemandem auffällt: wenn Anuschka Roshani über Jahre hinweg angeblich diesen fürchterlichen Misshandlungen durch ihren Chef ausgesetzt war und damals zu den Unterzeichnerinnen des Protestschreibens gehörte, wieso benützte sie dann nicht diese Gelegenheit, um auf ihr schreckliches Schicksal hinzuweisen? Oder hatte sie damals noch die Hoffnung, Finn Canonica wegmobben zu können und selber Chefin zu werden?

Aber das ist noch nicht die ganze Misere. Wo sind eigentlich die weiblichen Führungsfiguren im Journalismus, die – Feministen, aufgepasst, Grund zur Erregung – nicht aus Quotengründen an ihre Stelle kamen und dort etwas wuppen? Eine der auffälligsten Aufsteigerinnen ist Ladina Heimgartner bei Ringier, die eine extralange Visitenkarte bräuchte, um all ihre Titel aufzuzählen. Die Darstellung ihrer Leistungen hätte ebenfalls auf einer Visitenkarte platz, aber im Normalformat. Die bestehen aus einer Kastrierung und Verweiblichung des «Blick», der sich damit als ernstzunehmendes Boulevard-Organ verabschiedete. Und im fleissigen Gebrauch des nichtssagenden Modeworts «Resilienz».

Kerstin Hasse, der «Digital Editor en Chief» von Tamedia, ist auch so eine Nullnummer ohne Anschluss an Leistungen, die niemals eine solche Karriere gemacht hätte, wenn es nicht konjunkturelle Umstände gäbe. Ähnliches gilt auch für die beiden Führungskräfte Aline Wanner und Nicole Althaus bei der NZZ. Während es im Hause Wanner bei CH Media interessanterweise kaum zu solchen Vorkommnissen kommt. Aber CH Media ist auch (bislang) bei der Sexismusdebatte ungeschoren davongekommen. Ob da ein Zusammenhang besteht?

ZACKBUM gönnt allen Menschen, auch weiblichen, jeden Karriere- und Einkommensschritt. Aber hier greift eine Entwicklung um sich, vor der nur gewarnt werden kann. Es gibt viele Gründe und Ursachen, wieso der Journalismus vor die Hunde geht. Die Anwendung der Sexismus-Atombombe ist einer davon, und nicht mal der unwichtigste. Denn wenn es Figuren wie eine Patrizia Laeri, eine Salome Müller, eine Raphaela Birrer, von der hasserfüllten Kämpferin gegen Hass im Internet ganz zu schweigen, die aus einem weinseligen Abend ein ganzes Geschäftsmodell aufbaute, wenn es also solche Randfiguren in die Medien und dort in wichtige Positionen spült, dann kann man nur recht hoffnungslos in die Zukunft der Presse blicken.

Wenn dann noch Dünnbrettbohrer wie Franziska Schutzbach, die immer mit zwei Rudern unterwegs ist, eines nach vorne, eines nach hinten, wenn Pseudowissensschaftler wie Marko Kovac ernsthaft und unwidersprochen zitiert werden, wenn «Fachexperten» nur noch so ausgewählt werden, dass sie ins vorgegebene Framing passen und die gewünschten Narrative abliefern, dann ist’s aschgrau.

Gibt es Hoffnung? Nun, genauso, wie sich in fünf Jahren niemand mehr an Werke eines Bärfuss oder gar eines Zwitterwesens mit bescheuertem Pseudonym erinnern wird, sollte auch hier passieren, was bei solchen Modewellen immer der Fall ist. Sie ebbt ab, und in fünf Jahren kann niemand mehr verstehen, welcher Wahnsinn auf dem Gebiet Sexismus, Gendern, Inkludieren und Kampf gegen kulturelle Aneignung tobte.

Aber der Schaden ist dann bereits angerichtet, und ob sich vor allem die Medien von dieser Enteierung jemals wieder erholen werden, wenn diese nur aus Quotengründen in Positionen der völligen Überforderung gespülten Frauen endlich entsorgt sind, das ist fraglich. Denn die Frage ist weiblich. Die Antwort allerdings auch, um aus diesem Genderschwachsinn noch einen müden Scherz zu melken.

Wumms: Raphaela Birrer

Sie sollte zurücktreten, bevor sie antritt.

«Die Lust an der Provokation, der reflexartige Bezug der alternativen Meinung kippte zusehends ins Bizarre.»

Raphaela Birrer publiziert immer noch als «Leiterin Inland und Mitglied der Chefredaktion». Aber eigentlich ist sie designierte Oberchefin des gesamten publizistischen Ausstosses des Hauses Tamedia. Natürlich gerät man sofort unter strengen Sexismusverdacht, wenn man sagt: man muss sie nicht mal wiegen, um sie für zu leicht zu befinden.

Ihre Kommentare zeichnen sich immer durch eine gewisse hysterische Stutenbissigkeit aus, gepaart mit mediokrer Sprachbeherrschung und der völligen Absenz origineller Ideen. Wenn schon ein politisches Feindbild abtritt, wäre es doch intelligent – da weg und keine Gefahr mehr –, ihm einen würdigen Abschied zu bereiten. Oder sich an dem wahrhaft journalistischen Porträt zu orientieren, das kürzlich in der NZZ über Roger Köppel erschienen ist.

Aber da wird sich Birrer gedacht haben: bevor ich an einem solchen Versuch zum Höhenflug krachend scheitere, stiefle ich lieber durchs Unterholz: «Seine notorischen Absenzen und sein Desinteresse für die politische Feinmechanik in den Kommissionen haben ihm viele Fraktionsmitglieder nachgesehen, aber seine glühenden Verteidigungsreden für den russischen Angriffskrieg wurden zunehmend zum Problem, wie es hinter vorgehaltener Hand heisst.»

«Glühende Verteidigungsreden», das ist wohl nicht mal absichtliches Anrempeln, das hört sich mehr nach ungelenker Sprachbeherrschung an, oder kurz gesagt: sie weiss nicht, was sie schreibt, weil sie nicht weiss, was sie denkt. Sie macht schmerzlich offensichtlich, dass Köppel in einem schwachen Moment mehr Ideen hat und die auch viel brillanter ausdrücken kann als Birrer in ihrer gesamten journalistischen Karriere.

Geradezu bizarr wird es, wenn sie erschreckt bemerkt, dass der Platz für einen Kommentar fast zugelabert ist und sie noch zu einer Schlusspointe kommen sollte: «Mit der Entflechtung seiner politischen und unternehmerischen Rollen dürfte der Flurschaden aber zumindest für die SVP geringer werden

Das ist nun so blöd, dass es direkt von Patti Basler sein könnte. Nur wird die zu Recht vom Schweizer Farbfernsehen ignoriert. Ihr journalistisches Pendant aber bekommt die höchsten Weihen, die Tamedia zu vergeben hat. Kollege Gujer wird nicht sicher sein, ob er schallend lachen oder sich ärgern soll, dass diese Position mit einem solchen Nonvaleur besetzt wird.

Man will sich nicht vorstellen, was die wenigen, aber noch vorhandenen professionellen, seriösen und kompetenten Journalisten bei Tamedia sich denken mögen. Der 55-Jährige, wir wollen hier keine Namen nennen, der weiss, dass der Weg bis zur Frühpensionierung noch sehr, sehr weit ist. Und bis dorthin muss er nun zu allen Sparmassnahmen hinzu noch diese Sparmassnahme zuoberst akzeptieren? Eine Quotenfrau? Jemanden, der noch nie durch eine originelle Idee, einen journalistischen Wurf, ein strategisches Konzept aufgefallen ist?

Das ist wahrlich bitter. Steigert den Alkohol- und Tablettenkonsum in der Redaktion ungemein. Treibt noch mehr Mitarbeiter ins innere Exil, in die Haltung: Augen zu und durch. Wie Pietro Supino für solches Wirken auch noch Geld verlangen und kassieren kann, ohne rot zu werden: ein Rätsel.

Männer vergehen

Flugzeiten im Journalismus. Was steckt dahinter?

In letzter Zeit, so viel Klage muss sein, trifft es immer Männer im Journalismus. Manchmal tut ihm das gut, zweifellos. So war die Entfernung der journalistischen Leiter nach unten Pascal Hollenstein bei CH Media zwar ein schwerer Schlag für eine hasserfüllte Kämpferin gegen Hass im Internet, denn sie verlor damit ihren Büttel und Lautsprecher. Aber eine sehr gute Nachricht für den Journalismus im Hause CH Media war’s.

Bei Finn Canonica war die offizielle Begründung eher schmalbrüstig. Er wolle sich nochmal einer neuen Herausforderung stellen, hiess es bei seiner Absetzung. Erst durch die Affäre Roshani kam heraus, dass Canonica in Wirklichkeit gefeuert worden war.

Als nächsten erwischte es Arthur Rutishauser. Der war einige Jahre der Capo di tutti i capi bei Tamedia. Irgendwie schaffte er es, rund 12 Blätter im Griff zu behalten und parallel dazu einen schreiberischen Output zu leisten, bei dem es jedem Schnarch-Journi der «Republik» ganz anders würde. Und zack, in einer natürlich schon ganz lange geplanten Umstellung wurde er als Bauernopfer zum SoZ-Chefredaktor geschrumpft.

Zwei weitere Mitglieder der Chefredaktion, wie der Name schon sagt Männer, wurden gleich vollständig entsorgt, ohne dass ein Hahn danach krähte. Erschwerend kommt hier hinzu, dass die Nachfolgerin von Rutishauser deutlich klarstellt, was das Zeitungskonglomerat dem Coninx-Clan noch bedeutet. Nahezu nichts.

Und nun hat es auch noch Werner De Schepper erwischt. Das Ringier-Urgestein war schon in unzähligen Chefposten tätig, musste vor ein paar Jahren auch eine aus anonymen und nie belegten Anschuldigungen bestehende Schlammschlacht wegen angeblichen Übergriffigkeiten über sich ergehen lassen. Dann meinte man, mit der Co-Chefredaktion des Ringier-Flops «Interview» habe er nun sein wohlverdientes Gnadenbrot erhalten.

Und zack, weg ist er. Bei ihm macht man sich nicht einmal die Mühe, seinen Rausschmiss zu ummanteln. Warum er allerdings gefeuert wurde, das liegt zurzeit genauso im Dunkeln wie damals bei Canonica. An seiner Stelle übernimmt nun Susanne Walder, zuvor mit ihm Co-Chefredaktorin. Ja, das ist die Frau vom Chef Marc Walder, allerdings hat sich das Paar schon vor einiger Zeit getrennt. Das kann nun also nicht der Grund für die «unterschiedlichen Auffassungen» über die Führungspersönlichkeit De Schepper sein.

Man könnte nun eine männliche Verschwörungstheorie daraus basteln, dass in all diesen Fällen eine Frau profitierte. Gut, bei Canonica nicht, obwohl Anuschka Roshani schon mal eine Blindbewerbung auf seinen Posten eingereicht hatte, als Canonica noch Chefredaktor war. Muss dann irgendwie Künstlerpech gewesen sein. Schlussendlich schaffte es Roshani, Canonica abzusägen (oder absägen zu lassen). Aber ihre Freude währte nur kurze Zeit. Drei Monate lang nach Canonicas Rausschmiss konnte sich Roshani Hoffnungen machen, nun doch endlich noch Chefredaktorin zu werden. Aber dann wurde sie auch gefeuert.

Hollenstein hinterliess eine Lücke, die ihn vollständig ersetzt, also war es da nicht nötig, ein Gendersternchen an seine Stelle zu setzen. Aber bei Rutishauser und De Schlepper rücken nun Frauen nach, deren Qualifikation für den Posten schon sehr eng mit dem Wort Quote verbunden ist.

Ob wir herausfinden werden, was De Schepper den Kopf gekostet hat? Das ist auch so ein Merkmal des aktuellen Elendsjournalismus: Transparenz einfordern ist gut, aber nur bei anderen. Selbst gibt man sich verschlossen wie eine Auster.

Ist das noch Journalismus?

Oder eine geldwerte Leistung? Eher nein.

Das Qualitätsorgan «Tages-Anzeiger», im vollen Bewusstsein um seine Meinungsmacht und verantwortungsvoll seine Funktion als Vierte Gewalt wahrnehmend, berichtet in aller gebotenen Objektivität über eine Friedensdemonstration zu Bern.

Man sollte sich vom Titel nicht verunsichern lassen: «Corona-Skeptiker kapern die Schweizer Friedensbewegung». Schliesslich ahmen die beiden Autoren Jacqueline Büchi und David Sarasin damit nur ihre Vordenker in der «Süddeutschen Zeitung» in München nach.

In einem Leihkommentar hatte bereits Meredith Haaf kübelweise Häme über die grosse deutsche Friedensdemo in Berlin ausgegossen. Tonlage: «In Deutschland aber geht derzeit eine unkonzentrierte Ego-Show als anschlussfähige Friedensbewegung durch, wie am Samstag am Brandenburger Tor zu besichtigen war. Wie ärgerlich, wie schade.»

Tamedia tat dann noch seines dazu und verwendete ein Foto von Alice Schwarzer, dessen demagogischer Gehalt schwer zu überbieten wäre. Aber es gibt ja nicht nur in Deutschland den Protest von Hunderttausenden gegen die aktuelle Politik, sondern auch in der Schweiz kann man eine aufkeimende Friedensbewegung denunzieren.

Am 11 März organisiert die Bewegung «Mass-voll» in Bern eine Friedensdemonstration mit. Eigentlich sollte es die Berichterstatterpflicht gebieten, über die Anliegen, Ziele, Slogans usw. zu berichten, wie es sich für ein Qualitätsmedium gehört.

Aber doch nicht für Tamedia. Stattdessen zieht hier die einschlägig bekannte Büchi nochmals gegen «Corona-Skeptiker» vom Leder. Mit denen beschäftigte sie sich schon zu Pandemie-Zeiten: «Sollen Medien überhaupt mit Corona-Skeptikern reden?» Sie war so nassforsch, dem damaligen SVP-Bundesrat ans Bein zu pinkeln: «Maurer zündeln zu lassen, ist gefährlich». Was zündelte denn der? «In trumpesker Manier flirtete er zudem mit Verschwörungstheorien».

Sie war schnell mit strengen Handlungsempfehlungen zur Hand: «Die Gesamtregierung muss Haltung zeigen und den Brandstifter in die Schranken weisen. Sonst riskiert sie ihre eigene Glaubwürdigkeit – und den Frieden im Land.» Nun ist der Bundesrat ihren Anweisungen nicht gefolgt, dennoch herrscht in der Schweiz – wohl zum Erstaunen von Büchi – weiterhin Frieden.

Heute hat sie sich mit Sarasin verbündet, der auch schon gegen Demonstranten verbal randalierte, die von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machten: «Exzess der Demonstrierenden mitten in der Pandemie», nannte Sarasin im Frühling 2021 eine Manifestation mit über 4000 Teilnehmern, die zu seinem Entsetzen es gewagt hatten, dabei nicht alle Masken zu tragen.

Nun, damals gab es dann im Anschluss nicht wie befürchtet ein Massensterben in Rapperswil. Aber heute geht es ja um das Sterben in der Ukraine. Und da müssen die beiden wieder ganz streng werden. Wobei ihnen auch diesmal kein demagogischer Kniff zu primitiv ist. Einleitend wird ein «Attila der Kluge» erwähnt. Der habe sich damals mit Ueli Maurer im Friedenstrychlerhemd ablichten lassen. Was hat das für einen Zusammenhang mit der kommenden Friedensdemo?

Eigentlich keinen, denn am Schluss des Artikels wird vermerkt, dass dieser «Attila» mit den mitorganisierenden «Verfassungsfreunden» inzwischen gebrochen habe. Aber er hat halt ein tolles Pseudonym, also kann man ihn doch als Story-Opener gebrauchen, um die richtige Tonlage zu setzen.

Wenn man schon am Holzen ist, darf natürlich ein angeblicher Fachmann nie fehlen. Für Eingeweihte ist’s klar, um wen es sich handelt: Marko Kovic. Der hat zu seinem grossen Bedauern die Plattform «Medienwoche» verloren, wo man ihn vor dem seligen Ende reichlich dilettieren liess. Kovic ist immer zur Hand, wenn es darum geht, im wissenschaftlichen Deckmäntelchen Denunziatorisches und Haltloses über echte und vermeintliche Rechte zu sagen.

Als einziger Experte und «Sozialwissenschaftler» wird Kovic ausführlich zitiert, mit Nonsens-Sätzen wie «Wer bei einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg sagt: ‹Ich bin weder für die einen noch für die anderen›, ist eben nicht neutral, sondern stützt den Aggressor, in dem Fall Russland.»

Dann wird noch maliziös von Streitigkeiten bei den organisierenden Bewegungen berichtet, und mit einem netten Zitat von Attila über die Verfassungsfreunde ist dann der End- und Höhepunkt des Artikels erreicht: «Dieser Verein ist für mich gestorben! Aus! Fertig! Die sollen sich zum Kuckuck scheren!»

Sind also nur Attilas, Verpeilte, sich umorientierende «Corona-Skeptiker» und andere Vollpfosten an der Organisation beteiligt? Treten dort nur Redner wie der angeblich «streng rechtsgerichtete Radiojournalist Burkhard Müller-Ullrich» auf? Nun ja, auch der SVP-Nationalrat Andreas Glarner wird das Wort ergreifen.

Aha, also. Nun ja, was den beiden Recherchier-Genies von Tamedia entweder nicht aufgefallen ist, oder was ihnen nicht ins Framing und ins Narrativ passt: Auch Nicolas Lindt will das Wort ergreifen. Hm, das ist doch der Mitbegründer der Zeitschrift «Eisbrecher» während der Zürcher Jugendunruhen in den 80er-Jahren. Das ist doch der Mitbegründete der Linkspostille WoZ. Das ist doch der Mitinitiant der GSoA, der «Gesellschaft für eine Schweiz ohne Armee».

Also, kapert nun die Rechte oder die Linke die «Schweizer Friedensbewegung»? Oder kapern sie sogenannte «Corona-Skeptiker», was schon damals ein demagogischer Kampfbegriff war und es auch heute noch ist? Das ist nun nicht so ganz klar. Klar ist aber: mit solchen Schmierenartikeln verabschiedet sich Tamedia weiter vom Anspruch, ein seriöses Qualitätsmedium zu sein.Was für ein Trauerspiel. Da hätte die neuernannte Oberchefredaktorin bereits ein erstes Zeichen setzen können und eingreifen müssen.

 

Gegenwahrheiten, Teil 3

Ob provoziert oder unprovoziert – ein Krieg allein reicht nicht!

Von Felix Abt

Hier geht’s zu Teil eins und Teil zwei.

Mit der NATO-Erweiterung in Ost- und Nordeuropa ist es jedoch noch nicht getan. Jetzt arbeitet dieses Kriegsbündnis hart daran, auch in Asien zu expandieren, denn ein aufstrebendes China wird als Bedrohung für die alleinige Weltherrschaft der USA wahrgenommen. China wird also nicht nur mit einem erbitterten, von Washington geführten Wirtschafts- und Propagandakrieg überzogen, um die neue «gelbe Gefahr» einzudämmen. Auch die westlichen Armeen, die zusammen bereits ein Vielfaches mehr für «Verteidigung» ausgeben als China, sollen nun noch massiver aufgerüstet werden. Und wenn das Geld nicht reicht, kann man immer noch die Budgets für Bildung, Forschung, Gesundheit, soziale Dienste, und Infrastruktur kürzen und mehr Schulden machen.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Medien die Tatsache nicht hervorheben, dass die USA aggressiver agieren und dass China sich als Reaktion auf diese Aggressionen eindeutig defensiv verhält. Aus dem nachfolgenden Schaubild wird deutlich ersichtlich, wie sehr die USA China eingekreist haben – und nicht umgekehrt:

(Quelle: Caitlin Johnstone)

Chinas Verhalten würde in mancher Hinsicht dem der Vereinigten Staaten ähneln, wenn Peking plötzlich anfangen würde so zu handeln, wie es westliche Politiker und Medien dem Land vorwerfen, zu tun oder tun zu wollen: Chinesische Kriegsschiffe, die in der Nähe von Kalifornien und Hawaii, im Golf von Mexiko und im Atlantischen Ozean im Rahmen der gleichen aggressiven Übungen zur «Freiheit der Schifffahrt» herumsegeln, die US-Kriegsschiffe zum Ärger Pekings routinemäßig in Gewässern in der Nähe Chinas durchführen. Darüber hinaus müsste China auch in Mittel- und Südamerika Militärstützpunkte errichten, ähnlich dem Netz von Militärstützpunkten, das die Vereinigten Staaten um China herum aufgebaut haben und bis heute weiter ausbauen. In der Tat scheint die militärische Expansion des US-Imperiums, das weltweit über 800 Militärstützpunkte verfügt, keine Grenzen zu kennen: Wie man auf der nachfolgenden Grafik sieht, werden auf den Philippinen derzeit vier neue, gegen China gerichtete US-Militärstützpunkte errichtet:

(Quelle: BBC)

Was verbirgt sich hinter der «chinesischen Bedrohung», die in den USA beschworen wird und in Europa ein Echo findet?

Gestatten Sie mir hier einen kurzen Exkurs: Der eigentliche Name Chinas ist Zhongguo (中国), was «Reich der Mitte» bedeutet. Es geht auf eine Zeit zurück, in der seine Bürger stolz darauf waren, die zivilisierteste Nation in ihrem eigenen Universum zu sein, in dem das von ihnen kontrollierte Gebiet im Zentrum einer Welt lag, die von weniger entwickelten fremden Kulturen und fremden Zivilisationen umgeben war.

Die Tatsache, dass China sich nun anschickt, nach einem Jahrhundert der Demütigung durch die heutigen G7-Länder im 19. und 20. Jahrhundert und jahrzehntelangen inneren Unruhen wieder zur führenden Wirtschaftsmacht aufzusteigen, ist im Westen beängstigend, zumal sie aus einer fremden Kultur kommt, die vielen Angst macht. Denn was man nicht kennt, nicht versteht und nicht einschätzen kann, wird oft als bedrohlich empfunden.

Das Ziel der Kommunistischen Partei Chinas ist es nicht, die Welt in ein «kommunistisches Paradies» zu verwandeln, nicht einmal ihr eigenes Land, sondern die Erneuerung des Landes zu fördern. Chinesische Politiker sprechen vom «chinesischen Traum», womit sie die nationale Erneuerung und Renaissance (und nicht den Kommunismus) meinen. Die Partei, die eher als patriotisch oder vielleicht nationalistisch denn als kommunistisch bezeichnet werden kann und die aus dem Marxismus lediglich ihren Alleinvertretungs- und Führungsanspruch für die Modernisierung des Landes ableitet, vertritt auch das jahrtausendealte Konzept des tianxi («alle unter einem Himmel»). Darunter wird eine inklusive Welt mit Harmonie für alle verstanden. Um es salopp auszudrücken: «Wir lassen euch in Frieden, und ihr lasst uns in Frieden.» Deshalb ist der Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder für sie so wichtig.

Die Chinesen wollen also nicht die Welt erobern. Wenn sie das gewollt hätten, hätten sie es beispielsweise im 13., 14. oder 15. Jahrhundert, als sie die unbestrittene und einzige wirtschaftliche Supermacht waren, mit Leichtigkeit tun können. Damals, als China anderen Ländern weit überlegen war, segelte der chinesische Admiral Zheng He mit der größten und am weitesten entwickelten Flotte der Welt (mit 317 Schiffen und 27.800 Seeleuten) auf mehreren Exkursionen von China bis nach Kenia, Somalia, Iran und Saudi-Arabien. Anstatt eine Kanonenbootpolitik zu betreiben, wollten die Chinesen Handel treiben. Im Gegensatz zu den Europäern nutzten sie nicht die Gelegenheit, andere Länder zu erobern und zu unterwerfen, weil sie einfach kein Interesse daran hatten.

Das ist heute nicht anders: Ihr Ziel ist es, ihre historische Spitzenposition in der Welt in einer friedlichen, stabilen internationalen Ordnung (in friedlicher Koexistenz mit anderen Mächten) wiederzuerlangen. Stabilität ist der Schlüssel zur Verwirklichung ihres Traums. Hier setzen die USA, ein von Grund auf unfriedliches Imperium, den Hebel an und schaffen die Instabilität, die die Chinesen so sehr fürchten, durch Abkopplung, Deglobalisierung oder Spannungen in Taiwan, im Südchinesischen Meer und auf der koreanischen Halbinsel.

Die Chinesen versuchen nicht, uns zu ihrem Modell zu bekehren. Im Gegensatz zu den Amerikanern fehlt es ihnen an Sendungsbewusstsein und Bekehrungseifer, und außerdem wäre das chinesische System für den Export ungeeignet, weil es so spezifisch und untrennbar mit der jahrtausendealten Tradition und Kultur des Landes verwoben ist.

Es waren die USA und der Rest des selbsternannten «werteorientierten Westens», die lange Zeit versuchten, die Chinesen dazu zu bringen, ihre rücksichtslose Version des Kapitalismus zu übernehmen und sie von ihrem Sozialmodell des staatlich kontrollierten Kapitalismus abzubringen (bahnbrechende Planungsziele und Forschungsinvestitionen, Zerschlagung und Verbot von Kartellen und Monopolen und Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs, Verpflichtung der Reichen, ihren gerechten Anteil an den Steuern zu zahlen, um soziale Ungleichheiten zu verringern usw.). Aber warum hätten sich die Chinesen ein Erfolgsmodell ausreden lassen sollen, das es China ermöglicht hat, in 30 Jahren einen Entwicklungsstand zu erreichen (einschließlich der Befreiung von 800 Millionen seiner Bürger aus der Armut), für den der Westen 200 Jahre gebraucht hat? Der Westen ignoriert auch die Tatsache, dass die durch und durch pragmatische chinesische Regierung den Markt als Wettbewerbsinstrument einsetzt, um Innovation und Modernisierung voranzutreiben und letztlich den chinesischen Traum zu verwirklichen.

Anders als Politiker, Experten und Journalisten des «Wertewestens» sind sie keine Ideologen, sondern Pragmatiker mit ausgeprägtem Realitätssinn. Die Experimentierfreudigkeit und die vielen atemberaubenden Veränderungen, die sich täglich im ganzen Land vollziehen, sind der Beweis dafür.

Noch einmal: Die Chinesen sind keine Missionare, fühlen sich nicht als Weltpolizisten berufen und haben keinen Expansionsdrang. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich radikal von den Amerikanern. Wenn amerikanische Politiker, Medien und ihre europäischen Nachbeter von der imperialistischen Gefahr und der Bedrohung durch China schwafeln, ist dies lediglich Ausdruck ihrer Unwissenheit und Projektion. Es ist kein Wunder, dass Imperialismus und Kolonialismus vom Westen geprägte und gelebte Begriffe sind, keine chinesischen.

Taiwan – Amerikas neuer Konfliktfall à la Ukraine?

Nach der Ukraine ist das nächste Pfand Taiwan; zumindest scheint dies das Ziel zu sein. Kann China ein neues Jahrhundert der Demütigung – einschließlich eines Krieges, der brutaler sein wird als die Opiumkriege – durch den Westen verhindern? Taiwan ist in gewissem Sinne der «ukrainische» Vorwand für einen möglichen direkten oder Stellvertreterkrieg mit China. Taiwans Regierungspartei, die sich in Selensky-Manier den US-Interessen anbiederte und die Insel mit amerikanischen Waffen gegen China aufrüsten wollte, erlitt bei den letzten Wahlen eine krachende Niederlage, über die in den westlichen Medien eher beiläufig, wenn überhaupt, berichtet wurde. Der Wahlsieger, die Oppositionspartei Kuomintang, tritt für eine Annäherung an China ein, was den Kriegsfanatikern in Washington missfallen dürfte.

Die taiwanesische Präsidentin trat daraufhin von ihrem Posten als Vorsitzende der Regierungspartei zurück. Noch wenige Monate zuvor hatte sie Nancy Pelosi und viele andere chinafeindliche und kriegstreiberische Politiker aus westlichen Ländern mit großem Pomp empfangen. Kürzlich verkündete sie jedoch kleinlaut, ein Krieg mit China sei «keine Option» – was nicht nur für die westliche Kriegsindustrie eine herbe Enttäuschung ist, sondern auch für deren politische und mediale Groupies, die dafür und entschlossen sind, «Stellung gegen China» zu beziehen. Nun, es bleibt ihnen immerhin die Hoffnung, dass die CIA dieses lästige politische Problem auf der unzuverlässigen Insel diskret für die westlichen Kriegsgurgeln löst. Allerdings sollte sie es diesmal etwas geschickter anstellen, als sie es in Hongkong (nachzulesen in Nury Vittachis Buch «The Other Side of the Story: A Secret War in Hong Kong») getan hat.