Klickzahlen: öfter mal was Neues

Nicht nur für Werber sind diese Zahlen zentral. Deshalb wohl wird die Messmethode ständig geändert.

Die einzigen Zahlen, die die Verlagsbosse offenbar interessieren, sind die PS des neuen Aston Martin oder die Länge der neuen Yacht.

Die Zukunft liege ja scheint’s im Digitalen, behaupten sie immer wieder. Wohl deshalb lassen sich hier die Schweizer Medienhäuser von Google, Facebook & Co. mit den Krümeln des Online-Marketingkuchens abspeisen. 90 Prozent wandern in deren Taschen, seit Jahren.

Nun ist es für jeden Werbetreibenden nicht ganz unwichtig, die Einschaltquote seriös und vergleichbar messen zu können. Also wie viele Single Visitors pro Tag beispielsweise hat ein Webauftritt.

Könnte ja eigentlich nicht so schwer sein, übersteigt aber offensichtlich die Fähigkeiten dieser Manager. Da gab’s mal, man erinnert sich dunkel, den «Swiss Media Data Hub». Trara, damit könne und werde man die «Total Audience» messen, die Reichweite über alle Kanäle hinweg. Gehört zu den Basics, wenn man sinnvoll arbeiten will.

Projekt beerdigt, seither gilt ruhe sanft

Aber das will man nicht wirklich; Mediapulse und Wemf beerdigten ihr ambitiöses Projekt im Frühling 2019. «Hohe Komplexität, zu grosse Herausforderung». Stecker raus, ohne dass der Hub auch nur eine einzige Zahl geliefert hätte.

Okay, kann ja passieren, sollte aber nicht. Dafür wurde dann sicherlich sofort und mit Turbo eine neue Lösung auf die Rampe geschoben. Könnte man meinen, aber nur, wenn man diese Verlagspfeifen nicht näher kennt. Schieben ist der richtige Ausdruck; langsam, gemütlich, man hat doch Zeit zum Wegwerfen. Die Mediapulse sollte nun diese Messungen übernehmen, dazu wurde die Net-Metrix AG in sie integriert. Schon wieder war von einem «Gesamtsystem» die Rede, jetzt aber hallo.

Nun ja, es verging wieder ein Jahr, und endlich legt Mediapulse die ersten Zahlen vor. Also so ein paar Zahlen; leider sind unwichtige Organe wie die NZZ oder SRF noch nicht erhältlich. Man kann so etwas ja nicht übers Knie brechen, muss man verstehen. Diese Daten kämen dann mit rasender Geschwindigkeit dazu – bis Ende Jahr, hoffentlich, wenn alles gutgeht.

Nun sind ja nicht nur die (unvollständigen) aktuellen Daten von Interesse, man möchte vielleicht auch die Entwicklung sehen, um über die Zukunftsfähigkeit etwas sagen zu können. Nun, räusper, die Erhebungsmethodik ist natürlich die gleiche geblieben wie bei Net-Metrix, logo, oder? Nicht logo, oder nicht. «Andere Standards, eigene Qualitätskontrollen», so sorry, aber leider kann man da überhaupt nix mehr vergleichen.

Neue Messmethode, neue Zahlen, neuer Start

Aber gemach, die «Online Content Audience Data», alles natürlich state of the art, werden dann mal total verfügbar sein, logo. Jein, das schon, aber so im Februar 2022 dann mal.

Aber gut, man nimmt, was man kriegen kann. Schliesslich handelt es sich hier mal wieder «um höchste Qualität», nicht wahr. Wie hoch die tatsächlich ist, nun, mangels Vergleichszahlen ist das ein bisschen schwierig, aber behaupten kostet bekanntlich nix.

Auf den vorderen Plätzen, soweit man der neuen Erhebung trauen darf, tummeln sich sowieso die usual suspects, die Immergleichen. Zuvorderst hält «20 Minuten» seine Poleposition eisern fest. 3,5 Millionen «average visits per day», misst hier Mediapulse. Mit einer Million weniger landet «Blick» auf dem zweiten Platz, dann kommt schon die welsche Ausgabe von «20 minutes». «watson», «Tagesanzeiger», «Le Matin» und «tio» (die italienische Ausgabe von «20 Minuten») teilen sich die weitere Plätze.

Alle diese Organe kommen bei weitem nicht an die Schallmauer von einer Million Visits per day heran. «watson» hat eine runde halbe Million am Tag, tio.ch sackt bereits auf 280’000 ab. Ist denn das, was nichts kostet, auch etwas wert?

Beginnen wir beim Champion aller Klassen, dabei sind seine beiden Sprachableger gar nicht mitgezählt. Was wird diesen 3,5 Millionen serviert? Nun, zur Zeit der Beobachtung hatte «20 min» als Aufmacher: «Frankreich führt Impfpflicht für Gesundheitspersonal ein».  Womit die Themensetzung mal wieder klar war:

Hier entscheidet einfach die Klickzahl über die Positionierung der Artikel:

Früher hiess es mal: knallt das Monster auf die Frontseite. Heute sieht das dann so aus:

Foto muss halt sein. Könnte aber auch der nette «20 Min»-Redaktor von nebenan sein …

Etwas verwirrlicher Titel, aber he, es ist gesponsert, was soll’s.

Aber seien wir versöhnlich und einsichtig; «20 Minuten» kümmert sich auch um die letzten Fragen der Menschheit:

 

Platz 2 für den «Blick».

Der quält seine Visitors mit solchen Storys:

Räusper, hallo, EM vorbei …

Das überrascht nun doch ein wenig. Aber schon ist die Welt wieder in Ordnung. Das ist bezahlte Reklame.

Dann werfen wir noch einen Blick auf «watson», mit einer halben Million visits per day, ist das schon eher Amateurliga.

Das Packen des Gliedes, da zuckt jeder empfindliche Mann zusammen.

Auch nicht um Zurechtweisung verlegen, das Blatt.

Das ist ein Auszug aus einer «Analyse» aus der Feder von Philipp Löpfe, der universelle Welterklärer.

Okay, dieses intellektuelle Niveau konnte natürlich nicht gehalten werden.

Kaum ist die COVID-Task-Force to the Bundesrat abgehalftert, kakophonisch ins Nirwana abgeglitten, naht schon der nächste Versuch, sich bei Staatsknete in die vorderen Positionen zu begeben.

 

 

 

 

 

3 Kommentare
  1. Tanja
    Tanja sagte:

    Wenn Morgenpost wüsste was ein Visit ist, dann hätte er sich den Kommentar erspart. Macht aber nichts: Schliesslich ist es nicht verboten die eigene Unkenntnis öffentlich zu machen!

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  2. Morgenpost
    Morgenpost sagte:

    Die gemessenen Zahlen sind schlichtweg nicht wahr. Bei 20 Minuten gehen keine 3.5 Millionen täglich zum lesen. Die Zahl stimmt nur, wenn jeder Aufruf mehrfach gezählt wird, was ja dem Selberverarschen gleichkommt. Wer 20 Minuten aufruft, der ruft gleichzeitig alle Texte auf! Sehr schön zu sehen auf dem PC, Laptop, iPad. Beim Händy muss man runterscrollen.
    Zudem: Hunderttausende haben ihren Browser so eingestellt, dass sie mit dem herkömmlichen System, das Hoster und andere anbieten, gar nicht erfasst werden können.
    Es wird beim erfassen von Besuchern viel Schindluderei betrieben und herumerzählt. Es gibt um die 15-20 Erfassungs- und Zählmöglichkeiten. Keine einzige ist zuverlässig.

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    • Beth Sager
      Beth Sager sagte:

      Danke. Diese Manipulation wäre eigentlich eine Aufgabe für hungrige Journalisten. Gerade im Sommerloch müssten doch einige Kapazitäten frei sein, um in die Tiefe zu gehen.

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