Rotz WoZ: endlich widerspruchsfrei

Comedy mit Eiern geht anders. Karin Hoffsten gehört zu dieser Truppe, und eine Professorin aus Kanada missbraucht ihre Familiengeschichte.

Hoffsten schreibt Kolumnen. Ist erlaubt. Viele. Ist auch nicht verboten. In der WoZ. Besser als auf «bajour» oder in der «Republik». Da kann ja mal auch eine neben den Eiern in die Hose gehen.

Neben ihr lässt sich Sibylle Berg – wie immer gebildet und elegant – über Urs Schwarzenbach aus, den Milliardenverwalter ohne allzu viel Bargeld. Nebenbei lässt Berg durchblicken, dass sie auch schon in Schwarzenbachs Hotel Dolder weilte. Und ihn irgendwie nicht leiden kann. Darf sie.

Hoffsten hat sich hingegen Michèle Binswanger vorgeknöpft. «Jeanne d’Arc irrt sich», titelt sie. Guter Start, Hoffsten macht sich damit über eine Bemerkung von Binswanger lustig, die von der hoffentlich nicht ganz ernst gemeint wurde.

Hoffsten irrt sich allerdings noch mehr. Die Ursache ist klar: Realitätsverlust durch Leben in der Gesinnungsblase. Da dürfen nur Meinungen eindringen, die kompatibel sind. Sonst verwandelt sich die Blasenhaut in Panzerglas. Schusssicher, selbst gegen unbestreitbare Argumente.

Also schliesst sich Hoffsten den Idioten an, die meinen, wenn eine porträtierte und kranke Frau befremdliche Dinge im Internet postet, dann müsse das zwei Konsequenzen haben. Erstens, sie sei dann wohl gar nicht so krank. Dass ein Arzt das Gegenteil bestätigt, was soll’s. Und zweitens, das hätte Binswanger unbedingt dem Leser mitteilen müssen. Denn: «Für die Einordnung des Behaupteten wäre das unabdingbar gewesen!»

Gesinnungswahn ist ansteckender als Corona

Nun hat der Gesinnungswahnsinn auch die WoZ erreicht. Also wer möglicherweise irgendwelche absurde Verschwörungstheorien verbreitet, der kann gar nicht richtig krank sein. Und wer das dem Leser vorenthält, dem «muss der journalistische Kompass inzwischen komplett abhandengekommen sein».

Nein, Frau Hollsten, wer auf anonyme Quellen auf Twitter vertraut, wer ärztliche Atteste ausblendet, wer das Leiden einer Frau bezweifelt, weil sie vielleicht die falsche Gesinnung hat, und wer schliesslich nicht mal den Anstand hat, sich bei dieser Frau zu erkundigen, wie das denn sei, ihrer Meinung nach, dem ist nicht der Kompass abhanden gekommen. Der ist völlig ins Gebüsch gefahren, hat Anstand, die Anwendung von Basics über Bord geworfen. Fehlurteilen über jemanden geht immer dann am besten, wenn man sich von einer Stellungnahme dieser Person die eigene These nicht kaputt machen lässt. Wie armselig, eierlos, witzlos. Bedauerlich für die WoZ.

Leider ist das nicht der einzige fragwürdige Beitrag. Man muss schon betriebsblind sein (oder fanatisch überzeugt), um diese naheliegende Parallelität nicht zu sehen. Der von Binswanger beschriebenen Frau wird ihre Glaubwürdigkeit, die Richtigkeit ihres Zeugnisses, ja sogar ihr Leiden in Frage gestellt, abgesprochen, ins Lächerliche gezogen. Weil sie vielleicht die falsche Gesinnung hat.

Vergangenheit legitimiert oder diskriminiert. Je nachdem

Auf der anderen Seite darf eine Frau mit der Legitimation, dass ihre Familie jüdische Wurzeln hat und ihre Grossmutter in Auschwitz ermordet wurde, über alle herfallen, die es wagen, das Wort Auschwitz in den Mund zu nehmen oder sich über die «Cancel Culture» zu beschweren. So donnert die WoZ, nicht diese Autorin, im Lead:

«Adolf Muschg hat die «Cancel Culture» mit «Auschwitz» verglichen und wird dafür auch noch verteidigt. Das ist eine unerträgliche Banalisierung des Holocaust, stellt die Tochter eines Überlebenden klar.»

Ach ja? Wäre es die Tochter eines KZ-Wächters, dann dürfte sie das nicht? Oder andersherum, weil sie die Tochter eines Überlebenden ist, gibt ihr das eine überlegene moralische Autorität in diesen Fragen? Wer Nachgeborener in einer Familie ist, die Tragisches erlebte, darf deshalb eine ja nur geliehene Urteilsinstanz verkörpern?

Darf ich da als Sohn eines antifaschistischen Widerstandskämpfers sagen: das ist unangemessen, entwertet auf seine Art ebenfalls das Wort Auschwitz, weil es einfach nun als Gegenkeule missbraucht wird. Und nein, diese Familiengeschichte von mir gibt mir weder mehr, noch weniger Gewicht in der Beurteilung solcher Fragen.

Die weitere Parallele zum Schwachsinns-Text von Hoffsten besteht darin, dass auch diese Autorin hier sich mit der Argumentation von Adolf Muschg in keiner Form auseinandergesetzt hat. Der habe den Holocaust banalisiert, werde dafür auch noch verteidigt. Unerträglich.

Das alles ist natürlich falsch, unredlich und oberflächlich. Auch wenn das einigen WoZ-Lesern und -Machern wohl den Adrenalinspiegel in Unordnung bringt: die WoZ wäre gut beraten gewesen, das zu tun, was die «Weltwoche» getan hat. Nämlich zunächst einmal Adolf Muschg das Wort zu erteilen. Der Mann ist zur differenzierten Selbstreflexion in der Lage, im Gegensatz zu allen seinen Kreischkritikern, inklusive solchen, die die eigene Familiengeschichte missbrauchen, um sich mehr Gewicht zu verleihen.

Ergänzt ist diese Stellungnahme von Muschg durch eine intelligente Analyse von Allan Guggenbühl: «Ablenkende Selbstinszenierung». Nicht, weil ich selbstverständlich argumentativ die Position Muschgs verteidige: in dieser Reflexion Muschgs und in dieser Einordnung Guggenbühls ist auf insgesamt zwei Spalten mehr Esprit, Kultur, Intelligenz, Nachdenklichkeit, intellektuelle Redlichkeit enthalten als in all dem Gewäsch der Kritiker zusammen.

Auch hier ist es sehr bedauerlich, dass die WoZ nicht in der Lage ist, Widersprüche auszuhalten. Sich argumentativ mit jemandem auseinanderzusetzen, der das durchaus verdient hätte.

Eine doch etwas gehobenere Flughöhe

Schon an diesen beiden Überlegungen von Muschg könnten sich diese kulturfernen Kritiker mal abarbeiten:

«Aus erpressten Identitäten wird nie eine friedensfähige Gesellschaft, und von der angenommenen Identität ist es nur noch ein Schritt zur «Volksgemeinschaft» um jeden Preis.»

«Canceling bleibt eine Kultur der Spaltung, und ihr Kern steckt in uns selbst. Solange wir im geschwärzten Gesicht des Anderen nicht den eigenen Schatten erkennen wollen, erscheint der Andere als Feind.»

Davon habe das Gespräch in der «Sternstunde» gehandelt, und deshalb bleibt Muschg dabei: «Ich nehme nichts zurück

Das ist auch gut so; und wer nicht mit denn ganz breiten und hohen Scheuklappen durchs Leben stolpert, muss zugeben: das ist eine ganz andere intellektuelle Flughöhe hier, das ist zumindest eine Debatte wert. Auschwitz gesagt, pfui, grenzt ihn aus, stigmatisiert ihn, geht nicht auf seine Worte los, sondern auf seine Gesinnung, auf ihn als Person: das ist in Wirklichkeit erbärmlich. Unabhängig von der Genealogie der Familie des Kritikers.

 

 

3 Kommentare
  1. Simon Ronner
    Simon Ronner sagte:

    Zum ersten Teil: Es ist so entlarvend wie hässlich, wenn auf Grund einer vermeintlich «falschen» Gesinnung ein Leiden abgesprochen wird. Gerade auch, da von linker Seite permanent Benachteiligungen und Qualen neu erfunden und herausgeplärt werden, deren Legitimation sich nicht immer zweifelsfrei nachvollziehen lässt.

    Linken geht es rein nur darum, ob das Leiden der eigenen Gesinnung nützt, ob es sich für die grossen Linien ihrer Politik instrumentalisieren lässt. Dafür werden auch gezielt und eiskalt Kleine klein-, Kranke krank-, Süchtige abhängig gehalten. Schliesslich ist der Fürsorgestaat längst Big Business geworden, der diese Clique grosszügig alimentiert.

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  2. .Victor Brunner
    .Victor Brunner sagte:

    Es ist eine Geschichte der nicht genehmen Biografien. Linke haben eine Vorstellung wie gute Biografie sein muss. Wäre die Flugbegleiterin eine Frau aus Eritrea und hätte das gleiche auf ihrer Flucht erlitten wäre sie eine Märtyrerin und Heldin und eine grosse Geschichte wert. Binswanger sofern sie darüber berichtete eine investigative Heldin.

    Nun ist die Flugbegleiterin eben Flugbegleiterin und daher für die Linke schon verdammungswürdig weil sie mit ihrer Arbeit das Klima schädigt und da ist Prügelei angesagt, auch in der WOZ. Prügelei auch weil Binswanger nicht unbedingt im linken Mainstream surft und trotzdem erfolgreich ist. Das muss eine Frau wie Karin Hoffsten, die eher schreibendes Schattengewächs ist, ärgern.

    Dass die Verantwortlichen der WOZ nicht imstande sind mit Muschg zu diskutieren ist peinlich und gibt Muschg recht. Man kann darüber diskutieren ob der Gebrauch des Wortes «Auschwitz» richtig war, dann sollte man aber auch weiter diskutieren, was hat Muschg gemeint? Muschg hat über die «Cancel Culture» gesprochen und damit die faschistischen Tendenzen gemeint das Wort zu verbieten, oder die Geschichte zu manipulieren, vorwiegend von den Linken die sich als Gutmenschen präsentieren aber in erster Linie Bevormundung und Diktatur des Geistes meinen. Schade dass die erfolgreiche WOZ zu einem linken Nebelspalter mutiert!

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  3. Adrian Venetz
    Adrian Venetz sagte:

    Auch wenn ich die Meinung von Charlotte Schallié nicht vorbehaltlos teile, finde ich ihren Artikel in der WOZ verdammt stark. Zumindest argumentiert sie mit Grips und erbricht sich nicht einfach wie jene Journalistinnen-Küken in der Schweiz, die sich nicht recht entscheiden können, ob sie nun über Muschg oder über ihre letzte Sprechstunde bei der Gynäkologin schreiben sollen.

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