Bruch mit dem Schweigegelübde

Was tun, wenn sich kein aktuelles Thema anbietet? Dann stellt man als Journalist jemandem eine belanglose Frage und behauptet, der habe nun «sein Schweigen gebrochen».

Von Stefan Millius

Floskeln sind was Schönes. Sie fallen einem schnell ein und füllen eine leere Zeile. Über 200 Mal haben Schweizer Zeitungen in den vergangenen zwölf Monaten geschrieben und in aller Regel damit auch getitelt: «Jetzt bricht er sein Schweigen» beziehungsweise natürlich «sie ihr Schweigen». Der FIFA-Chef, Prinz William, Kuno Lauener, Bernhard Burgener, David Degen: Sie und viele mehr sind offenbar Mitglied eines geheimen Schweigeordens, aber wenn der «Blick», 20min.ch, nau.ch oder auch die «Republik» anklopfen, bricht es regelrecht aus den Leuten heraus.

Enthüllung? Fehlanzeige

Er bricht sein Schweigen: Das klingt furchtbar dramatisch und exklusiv. In vielen Fällen ist es aber einfach so, dass die Leute vorher gar nie gefragt worden waren und deshalb keine Veranlassung sahen, ihr angebliches Schweigen zu brechen. Und wer angesichts des Titels erwartet, nun gleich eine satte Enthüllung zu erleben, ist danach meist eher ernüchtert. Denn wäre das Gesagte wirklich ein Hammer, würde bereits der Sachverhalt in den Titel gehören – und nicht der Umstand, dass jemand sein Schweigen bricht.

Stellen wir uns vor, der Papst unterhält in den Katakomben des Vatikans einen privaten Harem und beschliesst aus einer Laune heraus, dem «Boten der Urschweiz» davon zu erzählen. Was würde wohl besser ziehen als Schlagzeile: «Papst hält sich 34 Prostituierte im Keller»? oder «Der Papst bricht sein Schweigen»? Eben.

Redseliger Schweiger

Es gibt besonders absurde Fälle. Zum Beispiel der frühere Nationalrat Luzi Stamm, der zum Ende seiner politischen Karriere zunehmend durch Verwirrtheit auffiel. Der Aargauer wollte letztes Jahr urplötzlich in den Badener Stadtrat und veröffentlichte dazu auf seinem eigenen Youtubekanal eine Reihe von Videos, in denen er wortreich über seine Ambitionen sprach. Medienanfragen hingegen mochte er nicht beantworten. Als er es gegenüber der «Aargauer Zeitung» dann doch einmal tat, hiess es prompt: «Stamm bricht sein Schweigen». Nachdem er bereits alles, was es zu sagen gab, auf einem öffentlich zugänglichen Portal gesagt hatte. Schweigen sieht anders aus.

«Ich hatte kein Bedürfnis»

Das jüngste Beispiel betrifft ein Interview mit dem Fussballtrainer Ludovic Magnin auf blick.ch. Er, wir erraten es, bricht sein Schweigen und erzählt, wie es ihm nach seiner Entlassung beim FC Zürich so ergangen ist. Diese ist übrigens mehr als ein halbes Jahr her. So lange also haben uns die ausbleibenden Informationen über Magnins Gefühlslage schon gepeinigt. Die Zeitung will natürlich wissen, warum er so lange geschwiegen habe. Die für einen Fussballer erstaunlich schlagfertige Antwort:

«Das habe ich nicht. Sie wissen ja, dass ich nicht mal einen Tag schweigen kann! Ich habe viel geredet in dieser Zeit (lacht).»

Darüber hinaus habe er aber kein Bedürfnis verspürt, sich gegenüber den Medien «zu erklären oder irgendetwas klarzustellen».

 Damit ist das ganze Problem schon geklärt. Wenn ein Journalist eine Frage stellt, die sein Gegenüber nicht für relevant hält, kommt eben keine Antwort. Wenn er sieben Monate später findet: «Na, dann sage ich halt was, dann gibt der Typ endlich Ruhe» – dann wird offenbar ein massiv gehütetes Geheimnis endlich gelüftet. Und man kann titeln: «Jetzt bricht er sein Schweigen.»

Überhaupt sind Sportler übervertreten, wenn es um den angeblichen Bruch des Schweigegelübdes geht. Dabei sind wir bei denen in aller Regel froh, wenn sie möglichst wenig sagen. Meist erfahren wir ja nur, dass sie glücklich sind über den Sieg oder enttäuscht über die Niederlage. Was in aller Regel etwa so überraschend kommt wie die Enthüllungen, die auf die Schlagzeile «Jetzt bricht er sein Schweigen» folgen.

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