Selbstverliebte Rächerin

Jolanda Spiess-Hegglin opfert sich auf im Kampf gegen Hetze und Hass. Warum geht diese Strategie nicht auf? 

Von Adrian Venetz

Vorausgeschickt sei: Ich kenne Jolanda Spiess-Hegglin nicht und hatte noch nie Kontakt zu ihr oder ihrem Umfeld. Ich weiss nicht, was vor, während und nach der Landammannfeier in Zug gelaufen ist und es interessiert mich auch nicht. Ich kenne weder ihre Freunde noch ihre Feinde. Kurz: Die Frau hat mir nichts Böses getan. Und dennoch ärgere ich mich oft, wenn in den Medien von ihr zu lesen ist. Warum ist das so?

Der «Blick» und im Nachgang andere Medien hatten sich damals sensationsgierig auf den Fall gestürzt. Dass sich Spiess-Hegglin dagegen zur Wehr setzte: völlig legitim und verständlich – ungeachtet dessen, was an diesem Abend vorgefallen war. Dass sie es sich danach zur Aufgabe gemacht hat, gegen Hass und Hetze in den Medien und im Internet zu kämpfen: ebenfalls völlig legitim und verständlich, lobenswert sogar. Nun aber, gut sechs Jahre später, müssen doch einige kritische Fragen zu ihrem Wirken und ihren Äusserungen erlaubt sein.

Opfer traumatischer Vorfälle

Der Grund, weshalb ich mich entschieden habe, an dieser Stelle eine Kritik zu äussern, ist ein kürzlich erschienener Artikel in den CH-Media-Blättern. Berichtet wurde hier nämlich vom tragischen Fall eines Elternpaars, das seine Tochter durch Suizid verlor und sich im Kampf gegen Mobbing nun an die Fersen von Spiess-Hegglin heftet. Der Autor des Artikels schreibt tatsächlich dies: «Spiess und das Ehepaar Pfister haben eine ähnliche Geschichte. Beide wurden Opfer von traumatischen Vorfällen.» Als ich das las, kam mir die Galle hoch. Vermutlich, weil ich selbst mitansehen musste, wie eine blutjunge Frau nach einem Suizid zu Grabe getragen wurde. Was auch immer Spiess-Hegglin erlebt hat: Hier einen Vergleich zu ziehen zum Suizid einer Tochter – das ist schon ein ganz starkes Stück.

Derweil fällt Spiess-Hegglin in den sozialen Medien vor allem durch Selbstbeweihräucherung und – man muss es so sagen – ein ziemlich hohes Aggressionspotenzial auf. Ein Plakat mit dem Mittelfinger von Nationalrätin Samira Marti «kriegt den zweitbesten Platz» in ihrem Büro, wie Spiess-Hegglin ihre Anhängerschaft wissen lässt. Am schönsten Platz hänge der Somazzi-Preis 2021. Über die Verleihung dieses Preises und über die Gratulationen twitterte Spiess-Hegglin so fleissig wie Trump in seinen besten Tagen.

JSH will gerne zeigen, wo der Hammer hängt.

Mit dem Somazzi-Preis ehrte die gleichnamige Stiftung Spiess-Hegglins «Pionierarbeit für mehr Respekt und Menschenwürde und gegen den Hass im Internet». Zur Erinnerung: Dieselbe Frau fiel vor nicht allzu langer Zeit auf, als sie auf Twitter vorschlug, jemandem den Titel «Arschloch des Monats» zu verleihen. Genau diese Doppelzüngigkeit, dieses Pendeln zwischen Samariterin und Aggressorin, ist vermutlich der Grund, weshalb Spiess-Hegglin für viele ein rotes Tuch bleibt. (Ich fand den Mittelfinger von Samira Marti an die Adresse des «Nebelspalters» übrigens grossartig. Allerdings käme auch kaum jemand auf die Idee, mir den Somazzi-Preis zu verleihen.)

Einsatz für das Gute auf der Welt – vor Publikum

Als aussenstehender Beobachter erhält man den Eindruck, dass es Spiess-Hegglin vor allem um eines geht – sich selbst. Nochmals: Das ist legitim. Das ist ihr gutes Recht. Wenn sie dann aber in den Medien als Frau dargestellt wird, die sich uneigennützig und aufopfernd für das Gute auf dieser Welt einsetzt, dann darf man sich nicht wundern, wenn dies einige Leser zur Weissglut bringt. Ich kenne Menschen, die sich wirklich für das Gute auf der Welt einsetzen. Seltsamerweise hört man nichts von ihnen in den Medien. Auf Twitter schon gar nicht.

Vielleicht tue ich Spiess-Hegglin mit dieser Kritik Unrecht. Vielleicht gehört heutzutage eine Urkunde für mehr Respekt und Menschenwürde tatsächlich neben ein Plakat, auf dem eine Frau dem Betrachter den Mittelfinger entgegenstreckt. Und dennoch finde ich, dass sich Spiess-Hegglin der Glaubwürdigkeit zuliebe entscheiden sollte: Will sie – wofür sie sich ununterbrochen rühmt und von anderen gerühmt wird – jenen Versehrten helfen, die auf dem Schlachtfeld der Medien und des Internets zu Schaden gekommen sind, oder will sie weiterhin die Messer wetzen und ihr eigenes Kriegsbanner an die vorderste Front tragen. Beides funktioniert nicht.

10 Kommentare
  1. Sergio Roman Manser
    Sergio Roman Manser sagte:

    Es ist die immerselbe Geschichte mit ihren immer gleichen Auswüchsen. Ein Mensch, der sich weigert, die ihm zugewiesene Rolle als Fussabtreter und Projektionsfläche für Frust und Unzufriedenheit anzunehmen, der hat nichts Gutes zu befürchten in dieser Gesellschaft der unbewältigten soziokulturellen Einstellungsmuster. Insbesondere wenn eine Frau sich anmasst, ihre überlieferte Verfügbarkeit infrage zu stellen und sich weigert, sich devot den pöbelnden Manns- und anderen Bildern zur Abreibe hinzugeben. Bei klarem Verstand würde es mir jedoch niemals einfallen, jemanden, der diese Blutmühle durchschritten hat, beworfen mit Dreck und Geifer und unendlich viel Hass in einem solchen Kontext und über derartige höchstpersönliche Unterstellungen anzugehen. Aber ich bin ja auch nicht immer bei klarem Verstand und der «alte weisse Mann» in mir, der ist nur schwer zu bändigen. Aber ich weiss jetzt immerhin, ich bin nicht allein.

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  2. Simon Ronner
    Simon Ronner sagte:

    «Ich fand den Mittelfinger von Samira Marti an die Adresse des «Nebelspalters» übrigens grossartig.»

    Was finden Sie an einer solchen, meiner Meinung nach rein dümmlichen Aktion, «grossartig»? Mittelfinger gegen «Nebelspalter» auf Twitter – «grossartig». Ist das Ihr Niveau?

    Die ganze Primitivität von JSH zeigt folgendes Video. Man beachte auch die Reaktionen im Umfeld auf ihre Aussagen:

    http://www.youtube.com/watch?v=FMfi_vVkObU

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    • Adrian Venetz
      Adrian Venetz sagte:

      Danke, kannte ich nicht. (Dieses Video macht mich jetzt grad sprachloser als Ihre Bedenken um mein geistiges Niveau.)

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  3. Vergissmeinnicht
    Vergissmeinnicht sagte:

    @Christoph Müller, das absurde Prozessieren, Referieren „Recherchieren und Studieren“ wird vom SNF mit CHF 87’170.- unter dem Titel «Online-Aggression» finanziert

    http://www.snf.ch/de/derSnf/portraet/Seiten/default.aspx

    Zitat:
    und hat jeden Prozess gewonnen.

    https://www.izfg.unibe.ch/unibe/portal/center_generell/c_title_fak_zen/izfg/content/e85925/e85986/e1051812/Abstract_Stahel_Spiess-Hegglin_15.4._ger.pdf

    Zitat:
    Doch nicht alles, was aus Sicht von Funiciello und Spiess-Hegglin zu weit geht, tut dies auch aus rechtlicher Sicht.

    https://www.blick.ch/schweiz/juso-funiciello-blitzt-bei-staatsanwalt-ab-doofe-weiber-kommentar-nicht-strafbar-id6956333.html

    Zitat:
    Neben dem Freispruch wird Schläfli eine Entschädigungszahlung von 2296 Franken zugesprochen. Die Verfahrenskosten von 1280 Franken gehen zulasten des Staates. Tamara Funiciello war bei der Gerichtsverhandlung nicht anwesend.

    https://www.20min.ch/story/rentner-71-siegt-gegen-funiciello-vor-gericht-434752864651

    Zitat:
    Dazu gehört auch das Soziologische Institut der Universität Zürich. Dieses Institut hat beim Schweizerischen Nationalfonds für eine Studie über «Online-Aggression» 87’170 Franken bewilligt erhalten. Davon erhielt der Verein von Spiess-Hegglin tausend Franken für die Aushändigung von Daten über Personen, mit welchen eine Auseinandersetzung hängig gewesen war. Für diesen Betrag lieferte NetzCourage ohne vorgängige Bekanntgabe an die weit über dreissig Betroffenen vertrauliche Daten ans Soziologie-Messer. Mitte 2019 erhielten so zahlreiche Personen, die u. a. vom Verein NetzCourage angezeigt worden waren, Post vom Soziologischen Institut der Universität Zürich.
    Auf die Forderung, das Institut müsse die bezahlten tausend Franken zurückfordern – eigentlich eine Selbstverständlichkeit angesichts des mit Steuergeldern finanzierten, wohl unrechtmässigen, sicher aber weitgehend nutzlosen Datenverkaufs – ging das Institut nicht ein. Hartmann hakte daraufhin beim Nationalfonds nach.
    Deren Leiterin Direktionsstab/Recht antwortete wie folgt:
    «Die erforderlichen Massnahmen mit Bezug zu den Daten von netzcourage.ch hat der SNF getroffen. Diese Daten dürfen nicht verwendet werden. Die Forschenden wurden deshalb angewiesen, die bei netzcourage.ch bezogenen Daten vollständig zu löschen, auch in den Fällen, wo Betroffene ihre Einwilligung zum Interview gegeben haben.

    Gemäss unserer rechtlichen Beurteilung hätte netzcourage.ch die Daten ohne Einwilligung gar nicht liefern dürfen. Insofern ist eine Datenrechtsverletzung von netzcourage.ch zu verantworten. Die Verwendung der Daten durch die Forschenden akzeptiert der SNF bei dieser Ausgangslage nicht, weshalb er jede weitere Verwendung abgebrochen hat.»

    https://schweizerzeit.ch/jolanda-liefert-fuer-tausend-franken-die-daten/

    Fazit:
    Die damals erfolglose Zusammenarbeit mit der lieben Frau Dr. Lea Stahel von der Uni – Zürich, setzt sich offenbar fort. Gerne würden wir doch mal endlich erfahren, weshalb die CHF 1000.- nicht zurückgefordert wurden? Aus welchem Kässeli der Uni wurde der Betrag beglichen?

    Einmal mehr kann ich dankbar zur Kenntnis nehmen, dass unser Vorstand vom Verein https://vergiss-meinnicht.org/zielsetzung-und-zweck/ auf ehrenamtlicher Basis tätig ist. Um die Unabhängigkeit zu wahren und auch bewusst, keine Subventionen beziehen wird.

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  4. Jürg Streuli
    Jürg Streuli sagte:

    Eine treffendes Porträt von Jolanda Spiess-Hegglin. Man ist bei ihr Hin- und Hergerissen zwischen Sympathie und Ablehnung. Ob nun durch eigenes Dazutun oder nicht: Diese Frau ist zweifellos durch die Hölle gegangen und leidet noch heute an der Jauche, welche über sie ausgeschüttet wurde. Die hasserfüllte Hetzjagd war durch nichts zu rechtfertigen. Andererseits stösst Spiess-Hegglin auch Wohlgesinnte mit primitiven Bemerkungen immer häufiger vor den Kopf. Das Vorbild, welches sie gerne sein möchte, ist sie damit nicht.

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  5. Tim Meier
    Tim Meier sagte:

    «Tue Gutes und rede darüber.» – von Spiess-Hegglin neu definiert.
    Nicht wirklich was liefern, aber ein guter Draht zum Mainstream reicht um irgendwie dauerpräsent zu sein. Wer schützt diese Frau vor sich selbst?

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  6. Ruthli vom Rütli
    Ruthli vom Rütli sagte:

    JSH macht aus ihrem selbst zugeschriebenen Opfertum ein Geschäftsmodell. Sie begann als Journalistin, eher Praktikantin, bei einem Lokalradio. Wechselte bald in die grün-alternative Politik, wo sie dank ihrem Flair und ausgeprägten Hang zur Selbstdarstellung gute Chancen für eine nationale Karriere hatte. Bis zur inzwischen legendären Landammannfeier, wo ihr kurz die Kontrolle entglitt – und in der Folge auch ihre Partei. Beruf weg, Politik weg. Da brauchts was Neues.

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  7. Beth Sager
    Beth Sager sagte:

    Wer impulsiv Arschlöcher verteilt und programmatisch den Mittelfinger reckt, geht als selbstlose Altruistin einfach nicht durch.

    Ob Friedens-Nobelpreis oder Somazzi-Preis, die Jury ist meistens überfordert mit der Verleihung solcher Meriten. Ich denke deshalb umso mehr an die vielen Menschen, die echt Gutes tun für den Zusammenhalt und Kit unseres Zusammenlebens.

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  8. Christoph Müller
    Christoph Müller sagte:

    Anderen Gutes zu tun, mit dem (hart verdienten) Geld anderer Leute (auch Steuerzahler!), das ist wahrlich keine grosse Tat. Wer weiss, an welchen «Töpfen» JSH überall dranhängt, der hat allen Grund, sich zu ärgern.

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