Mittendrin statt nur dabei

persoenlich.com: Wie ein Branchenportal zum Symbol der Krise wurde.

Eine wichtige Einleitung: Als Kind war ich ein grosser Fan von Kugelstösser Werner Günthör. Im Sommer 1988 warf ich mit meinem Freund Röbi schwere Steine in den Garten unseres Nachbars. Ich war Werner, Röbi war Ulf Timmermann (DDR). Mächtige Männer beeindruckten mich ungemein.

Matthias Ackeret auch. Dem Doktor der Rechte imponieren meinungsstarke Männer. Ackerets Hochachtung vor Christoph Blocher, Roger Schawinski und Martin Walser ist aufrichtig, fast schon verklärend. Er selber schwingt selten die schwere Wortkeule. Ackeret versucht ständig, zu erklären und zu schlichten. Auf die Dauer macht das ein bisschen aggressiv.

Auf «Radio 1» führt er mit dem Moderator Marc Jäggi eine wöchentliche Diskussion: «Shortlist». Wenn die beiden miteinander diskutieren, ist das nur in den seltensten Fällen ergiebig. Das Problem: Beide denken gleich. Es kommt deswegen gar nicht zu einer richtigen Diskussion, das ist Jäggi und Ackeret bewusst. Und so versuchen sie manchmal Disharmonie vorzuspielen. Beispiel letzte Sendung. Es ging um die Einführung des Frauenstimmrechts vor 50 Jahren:

Marc Jäggi: Was war das früher für eine Mentalität? (…) Offenbar hatten die Männer damals Angst gehabt, oder, oder, oder, äh, oder was ist das Problem gewesen?
Matthias Ackeret: Ja, das ist sicher Angst gewesen, vor dem starken Geschlecht, hehehe
Marc Jäggi: Hehehe

Wenn ich den beiden zuhöre, erinnere ich mich häufig an meine Steinwürfe vor über 30 Jahren. Das Format «Shortlist» ist ein weiterer Beweis, dass nach Schawinski und Blocher niemand mehr etwas zu erzählen hat. Wahrscheinlich entspricht «Shortlist» dem Zeitgeist und wahrscheinlich mögens die Zuhörer.

Auch auf seinem Portal «Persönlich» erzählt Ackeret keine brisanten Geschichten. Zu sehr ist der Chefredaktor eingespannt zwischen Interessensabwägungen und heiklen Dossiers. Das zeigt sich exemplarisch in der Bekanntmachung, ein Sonderheft zum Start von Watson Romandie herauszugeben. Wer das macht, wird nie wieder kritisch und ehrlich über Watson schreiben.

Ist das der Fluch der Zeit? Ja, das ist er. Aber es tut in der journalistischen Brust weh, das Produkt «Persönlich» anzusehen. Gewiss, ein Branchenblatt kann nicht drauflosbolzen. Das hat sich wahrscheinlich auch David Sieber gedacht, der mit seinem «Schweizer Journalisten» aus meiner Sicht krachend gescheitert ist.

Im Grunde genommen ist Ackerets grösste Leistung, Arbeitsplätze für eine Redaktion mässig-begabter Journalistinnen und Journalisten zu bieten. Und das meine ich ohne Häme. So ist es leider.

Die ausgewiesenen Leistungen sind dermassen dürr, dass ich mich immer wieder frage, warum ich eigentlich jeden Tag die Homepage von persoenlich.com aufsuche. In der letzten Zeit wirken die Entlassungen nämlich besonders bizarr: Alle finden es toll, dass sie gerade entlassen wurden. Ein 60-jähriger Moderator geht weg von SRF und will sich journalistischen Projekten widmen, die Karriere eines jungen Kadermitglieds bei «20 Minuten» wird jäh abgeschnitten und der junge Familienvater unkt über seine Gartenleidenschaft.

Wer bei dieser Komödie mitmacht, hat keinen Mut, keine journalistische Neugierde und vor allem: hat nichts zu erzählen. Aber vielleicht ist persoenlich.com nicht nur ein Menetekel, sondern das Symbol der Medienkrise.

1 Antwort
  1. Eveline Maier
    Eveline Maier sagte:

    Die entlassenen Journalisten träumen von „Projekten“ – oder sind auf „der Suche nach Neuem“.

    Denke auch, dass Zackbum zukünftig vermehrt seelsorgerisch tätig werden dürfte. Die triviale Medienwelt auf Sinnsuche.

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