Börse, einfach erklärt

Aus Zuschriften hier und überall ist klar: das Publikum versteht noch weniger als die Wirtschaftsjournis.

Deren Wissen ist schon sehr überschaubar. Und wer des Englischen mächtig ist, ich kann nur eine regelmässige Lektüre von «Financial Times», «Wall Street Journal» oder «The Economist» empfehlen. Das lohnt sich alleine deswegen, weil man mit überlegener Sicherheit vorhersagen kann, mit welchen Themen sich die deutschsprachige Wirtschaftsjournaille demnächst beschäftigen wird.

Das dauert manchmal nur deshalb ein wenig, weil die automatische Übersetzung der leichtere Teil ist. Kapieren muss man’s aber trotzdem erst, bevor man es kopieren kann.

Wenn’s nur ein Organ sein soll, dann FT. Warum? Nun, zunächst wird dort noch recherchiert, analysiert und der Autor weiss, worüber er schreibt. Die Aufdeckung des Wirecard-Skandals in Deutschland kann sich alleine FT auf die Fahne schreiben. Gegen alle deutschen Medien, gegen die deutsche Börsenaufsicht, gegen die deutsche Politik – und Justiz – widmete sich ein Journalist der FT diesem Thema. Jahrelang.

Zeit, Vertrauen, Unterstützung

Nicht nur, dass er genügend Zeit dafür bekam. Die Chefredaktion vertraute ihm auch, als Wirecard alle Register zog, ihn überwachte, Strafanzeigen stellte, ihm unterschob, er arbeite mit Shortsellern zusammen, denen er jeweils einen Tipp gebe, bevor sein nächster kritischer Artikel erscheine. Darauf sinkt die Aktie, und die Shortseller und er teilen sich den Gewinn.

Etwas Schlimmeres kann man einem Wirtschaftsjournalisten nicht vorwerfen. Auch die FT wäre kräftig ramponiert gewesen, hätte dieser Vorwurf gestimmt. Tat er nicht, und erst im wirklich allerletzten Moment, als Wirecard einräumen musste, dass man im Augenblick nicht genau wisse, wo ein paar Milliarden abgeblieben seien, wenige Tage vor der Insolvenz schwenkten die deutschsprachigen Medien um.

Soviel zur Qualität. Bei der Beurteilung des «Aktienmobs» passierte genau das Gleiche. Kleinaktionäre gegen die hässlichen Hedge Fonds, gegen die noch hässlicheren Shortseller, diese Aasgeier, die auf fallende Kurse setzen, also auf den möglichen Ruin einer börsenkotierten Firma. Grossartiger Erfolg für die Schwarmintelligenz im Internet, bombig. Auf einer Plattform (Reddit) wird das Verbot solcher gemeinsamen Aktienmanipulationen umgangen, eine andere Plattform mit dem schönen Namen «robinhood» ermöglicht den courtagefreien Handel mit Aktien. Super, endlich zeigt’s denen eine Masse von Kleinanlegern.

Denken tut weh, wenn’s eingerostet ist

Erst tröpfchenweise verstanden die Schweizer Journis, worum es in Wirklichkeit ging, aus Spargründen ist ja auf vielen Redaktionen FT oder WSJ nicht mehr vorhanden. Da hätte man doch selber anfangen müssen, sich Gedanken zu machen. Und denken tut bekanntlich weh, wenn man’s nicht gewohnt ist.

Es gibt ein, zwei leuchtende Ausnahmen, aber abgesehen von denen begaben sich eigentlich alle Massenmedien auf den mühsamen Weg der Erkenntnis. Kann es wirklich sein, dass eine Masse von Kleinaktionären einen Kurs innert kurzer Zeit von 2 Dollar auf fast 500 hochkauft? Wobei ja nicht nur 1000 Aktien von GameStop im Umlauf sind. Sondern 70 Millionen. Kann es wirklich sein, dass «robinhood» eine Dienstleistung gratis anbietet, die nicht gratis ist? ein Blick in die Besitzverhältnisse von «robinhood» hätte genügt, um zu erkennen, dass einer der Grossaktionäre – ein Hedge Fonds, eine Heuschrecke ist.

Eine Antwort auf die Frage, wieso denn dieser Besitzer gratis Aktienhandel anbietet, hätte weitergeholfen. Weil er so Daten von dummen Kleinanlegern kriegt, die meisten falsch liegen mit ihren Spekulationen. Und wenn der Fonds einfach das Gegenteil macht, kann er eigentlich nur noch in Ruhe Geld zählen.

Also statt einem revolutionären Aufstand von Otto Normalverbraucher, statt einer Bande von Irren, vergleichbar mit Corona-Leugnern oder Impfgegnern, war und ist’s viel banaler. Ein Hedge Fonds lässt einen anderen bluten, der sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hat mit Leerverkäufen. Da aber solche Börsenmanipulationen durch einen Akteur strikt verboten sind, auch von einer Gruppe, der man nachweisen kann, dass sie sich dazu verabredet hat, brauchte es noch eine Fassade. Eben ein nicht organisierter Haufen von Kleinaktionären, die es den bösen Buben mal richtig reinwürgen wollen.

Leerverkäufe sollte man wieder mehr verbieten

Weil’s so viel Spass gemacht hat, probiert man nun das gleiche mit dem Silberpreis. Vielfach und unisono – von Medien und Öffentlichkeit – wird auf diese Leerverkäufer geschimpft. Das Allerletzte, handeln mit etwas, das sie nicht haben, spekulieren auf den Niedergang, sollte man verbieten.

Auch diese Ansicht ist nicht richtig. Fangen wir mit dem Einfachen an. Ein Terminkontrakt ist etwas Segensreiches. Terminkontrakt bedeutet zum Beispiel, dass der Produzent einer Ware – meistens in der Landwirtschaft, da dauert es zwischen Anfang und Ernte am längsten – im Voraus einen festen Preis geboten bekommt. Anstatt nur zu hoffen und zu beten, dass zum Zeitpunkt seiner Ernte der Weltmarktpreis nicht gerade auf dem Weg nach unten ist, hat er Handlungssicherheit.

Mehr noch, er hat einen Titel, eine Garantie. Darauf kann er einen Kredit aufnehmen, mit dem er mehr Dünger, Saatgut, was auch immer kaufen kann. Wer behauptet, wie viele NGO das seit Jahren tun, dass das üble Spekulanten seien, die den Preis von Nahrungsmitteln manipulieren würden, hat, sorry, keine Ahnung. Erstens einmal haben unzählige Untersuchungen bislang ergeben, dass kein Zusammenhang zwischen Spekulation und Preisentwicklung festgestellt werden kann. Wer’s nicht glaubt, google mal.

Für eine Wette braucht es immer zwei Parteien

Sozusagen die zweite Hälfte des Irrtums besteht darin, dass tatsächlich alle solche Kontrakte in die Zukunft Wetten sind. Und für eine Wette braucht es bekanntlich mindestens zwei. Man kann nicht gegen sich selbst wetten. Das bedeutet also, dass es volumenmässig gleichviel Spekulanten gibt, die auf einen fallenden Preis setzen, wie solche, die mit einem steigenden rechnen. Einer der beiden verliert, so ist das bei Wetten.

Nun hat die angebliche Finanzwissenschaft einen ganzen Zoo von Konstrukten erfunden, die um diese banale Wette, rauf oder runter, herumgeistern. Das nennt man Derivate, also Ableitungen von einer realen Wette. Wobei auch die Wette erst dann real wird, wenn der Stichtag eintritt.

Wer sich also davon erschrecken lässt, dass weltweit um das reale Bruttosozialprodukt, also die gesamte Wertschöpfung, ein Vielfaches von Wettgeldern schwirrt, hat nicht verstanden, dass das grösstenteils nur Face Value ist. 200 Milliarden solcher Zukunftswetten können ohne weiteres 101 Milliarden in die eine Richtung und 99 Milliarden in die andere sein. Also steht nur eine Milliarde im Feuer.

Es gibt sogar noch eine dritte Hälfte des Irrtum

Es gibt auch noch eine dritte Hälfte des Irrtums, so gross ist der. Es könnte einem Spekulanten namens ZACKBUM-Panzerknacker einfallen, mal kurz Terminkontrakte auf, sagen wir eine Million Schweinebäuche, aufzunehmen. Steigen die im Preis, wie ZACKBUM erwartet, können wir uns endlich in der Karibik zur Ruhe setzen. Sinken sie aber, ist es eigentlich egal, mehr pleite als pleite kann niemand sein. Auch dann könnten wir uns unter Hinterlassung einiger Schuldscheine und Insolvenzerklärungen in die Karibik aufmachen. Dort lebt sich’s auch mit dem nicht pfändbare Lebensminimum ganz angenehm.

Diesem kühnen Plan steht leider eine Hürde entgegen. Wer Terminkontrakte aufnehmen will, muss das unterlegen können. Er muss genügend Eigenkapital vorweisen; normalerweise 50 Prozent des Kaufwerts. Verändert sich das was während der Laufzeit, kann es zum gefürchteten Margin Call kommen.

Der Margin Call hat schon manchen Spekulanten auf dem falschen Fuss erwischt

So heisst nicht nur der beste Film, der über die Finanzkrise eins gedreht wurde. Sondern die Aufforderung an einen Händler, nachzuschiessen, also sein Sicherheitskonto zu füttern. Kann er das nicht, ist sein gesamter Einsatz futsch.

Alles ist etwas komplizierter als Tiefflieger uns wahrmachen wollen. Aber doch durchschaubar und verständlich. Das geht aber nur dann, wenn der Autor selber kapiert hat, was er beschreibt. Und da fängt der grosse Leerverkauf auf den Redaktionen an.

 

 

2 Kommentare
  1. Mathias Wyss
    Mathias Wyss sagte:

    Die Sache mit der Hinterlegung macht eben die ganze linksideologische Propaganda kaputt. Deshalb verschweigen. Wider besseres Wissen? Wohl in den seltensten Fällen.

    Antworten
  2. Peter Sueton
    Peter Sueton sagte:

    Diese Gamestop/Robinhood-Geschichte hat sehr schön gezeigt dass ein Grossteil der Schweizer Medien einfach nur abschreibt ohne wirklich zu verstehen worum es geht. Da nützt auch die schönste Ausbildung an einer Journalistenschule nichts, wenn man halt nicht recherchieren, analysieren und hinterfragen kann oder darf. Lieber pflegt man sein Journi-Ego mit endlosen schon fast paranoiden Anti-Trump Geschichten. Bedenklich.

    Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar zu Mathias Wyss Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert