Im Zweifel für den Angeklagten

Bei diesem Urteil des Presserates zugunsten der Branchenorganisation «Pro Viande» war Zähneknirschen hörbar.

Zähneknirschen deshalb, weil der Fall genau eines der vom Presserat oft kritisierten Themen betraf: die leicht übersehbare Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung. Eine Zeitungsseite in der «Sonntags-Zeitung» über die Nachhaltigkeit von Schweizer Fleisch, natürlich gestaltet im Layout der «Sonntags-Zeitung».

Zur Erinnerung: Im Jahresbericht 2020 des Presserates ging Max Trossmann, Co-Vizepräsidenten dieses Presserates, detailliert ein auf das Täuschungspotenzial der Werbeindustrie. «Angetrieben von immer neuen Beschwerden beschäftigte den Presserat ein Thema im vergangenen Jahr stark: der vermehrte Einsatz der verschleiernden Werbeform des sogenannten Native Advertising», schrieb Trossmann dazu. Es folgte eine lange Abhandlung über die Formen und Gefahren dieser Publireportagen. Beim Thema «Publireportagen» ist Trossmann also ohne Zweifel vorbelastet.  Trotzdem hat er zusammen dem Präsidenten Dominique von Burg sowie dem Co-Vizepräsidenten Casper Selg kürzlich über das heikle Thema «Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung» befunden. Das Urteil traf anfangs Januar 2021 bei den Parteien ein. Es fiel erstaunlicherweise im Sinne der Angeklagten, der PR-Agentur «Pro Viande» aus. Eine Organisation, die Urs P. Gasche vom Infosperber 2019 so beschrieb: «Die Aufgabe der Organisation der Fleischlobby Proviande ist es, den Absatz von Schweizer Fleisch zu fördern. Der Bund subventioniert die Proviande-Fleischwerbung mit mehreren Millionen Steuergeldern. Indirekt subventioniert der Bund damit die unsägliche Vermischung von Werbung und unabhängiger Information in grossen Zeitungen.»

Die Geschäftsidee von «Pro Viande ist also nicht neu». Auf deren Website heisst es: Die Inhalte der Publireportagen sind dabei auf das jeweilige Online- oder Print-Medium und sein Publikum zugeschnitten: die Inhalte werden zielgruppengerecht vom jeweiligen Medium im Auftrag von Proviande produziert.» Und noch ein Inhalt von der Website: «Laut Statuten erfüllt Proviande Leistungsaufträge des Bundes».

Ohne Ideologie geurteilt

Trotzdem liess das hochkarätige Richtergremium des Schweizerischen Presserates ihre Ideologie im Schrank. Davon konnte sie auch der neckische Autorenhinweis am Ende des Textes nicht abhalten: «Dieser Beitrag wurde von Commercial Publishing in Zusammenarbeit mit Proviande erstellt. Commercial Publishing ist die Unit für Content Marketing, die im Auftrag von 20 Minuten und Tamedia kommerzielle Inhalte produziert.»

Der Presserat urteilte zwar, dass «die Schriftgrösse der Anschrift Anzeige von Proviande gering ist, sie kann leicht übersehen werden. Auch der Begriff «Sponsored» sei verwirrend, da es sich hier um eine bezahlte Anzeige von «Proviande» handelt und nicht um Sponsoring. «Dennoch hat die «Sonntags-Zeitung» die Anzeige als solche klar genug gekennzeichnet, allein im Kopfteil finden sich drei Hinweise auf den kommerziellen Inhalt», sind sich Dominique von Burg, Casper Selg und Max Trossmann einig.

Beurteilung des Inhalts? Nicht zuständig

Wie gut und korrekt der Inhalt ist – immerhin von Tamedia-Mitarbeitern geschrieben – lassen die drei Herren offen. «Es gehört nicht in den Zuständigkeitsbereich des Presserats, den Inhalt der Anzeige von Proviande auf deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, weshalb er sich dazu nicht äussert.»

Beruhigend für die Werbewirtschaft dann das Schlussfazit: «Entsprechend tritt der Presserat nicht auf die Beschwerde ein, sie ist offensichtlich unbegründet.»

Anders sieht das die Szene der Vegetarier und Kämpfer gegen «Tierfabriken». Im Internet liefen sie Sturm gegen den verfänglich gekennzeichneten Artikel. Vergeblich.

 

1 Antwort
  1. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Mit dem Entscheid macht sich der Presserat, Dominique von Burg, Max Trossmann, Casper Selg zu Erfüllungsgehilfen von TAmedia. Sie gehen den gleichen Weg wie die JournalistenInnen von der Werdstrasse die das schreiben was Interessengruppen wie Proviande wollen. Für mich ist das Strichjournalismus dem auch die 3 Personen huldigen. Das Gesicht verliert vor allem Caspar Selg der bis anhin über einen sehr guten Ruf verfügte, Echo der Zeit, Schade. Bei von Burg und Trossmann erstaunt mich das nicht! Vielleicht wird sich TAmedia erkenntlich zeigen und die finanziellen Probleme des Rates etwas mildern.

    Der «Presserat» hätte ein Zeichen setzen können, diese Art von Werbung geht nicht, identisches Layout und Typographie wie der redaktionelle Teil. Auch wenn oben links der Seite «Sponsored». Chance vertan, TAmedia wird sich freuen, sie kann weiterhin mit dem Segen des Presserates die LeserInnen über den Tisch ziehen. Mit dem Entscheid macht sich der Presserat definitiv überflüssig!

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