Kleine Markenlehre zum Nebi

Geeignet für Anfänger und Fortgeschrittene – und Zurückgebliebene.

Nun ist’s offiziell. Mit schreckensgeweiteten Augen, verstummt vorläufig, nehmen die Medien eine schreckliche Nachricht zur Kenntnis. Was vorher schon als Gerücht herumgeboten wurde, es ist wahr: Markus Somm, beziehungsweise die Klarsicht AG, übernimmt den nebelspalter.ch.

Ab da wird’s schon schnell kompliziert. Eigentlich kauft die Klarsicht AG natürlich den ganzen Nebelspalter. Aber: Die Printausgabe «erscheint bis auf Weiteres unverändert», auch der Redaktionsleiter darf auf seinem Stuhl sitzen bleiben.

Der bisherige Besitzer Thomas Engeli zieht in den VR ein und wird Herausgeber des gedruckten Nebelspalters. Markus Somm, der sich auch selbst beteiligt, wird Chefredaktor von nebelspalter.ch. Und, eigentlich auch unglaublich, Konrad Hummler soll VR-Präsident werden.

Tradition fortführen, nur: welche?

Als ehemaliger VR-Präsident der NZZ hat er Vorkenntnisse. Die scheinen ihn aber nicht davon abzuhalten, hier an Bord zu gehen. Zusammen mit angeblich über 60 Investoren, darunter ein paar bekannte Multimillionäre – aber die Familie Blocher nicht –, soll mit einer Kriegskasse von rund 7 Millionen «diese grandiose Tradition fortgeführt» werden, freut sich Somm.

Er hat in einer Roadshow mit PPP und Businessplan, rund 100 potenzielle Investoren mit dem nötigen Kleingeld abgeklappert; damals hiess das Projekt «Säntis». Es soll eine liberal bis konservative Gegenstimme werden, sei die Absicht. Also sozusagen eine gespiegelte «Republik», nur erfolgreich.

So weit, so gut (oder schlecht, je nach ideologischer Position). Auch die «Republik» hat ihren Namen nicht einfach aus der Luft gefischt. Sie hat wohl das Schwein, dass Uwe Nettelbeck bereits 2007 gestorben ist. Der hat nämlich von 1976 bis zu seinem Tod zusammen mit seiner Frau «Die Republik» herausgegeben. Von der Typographie über den Inhalt bis zur Alleinherrschaft keine Kopie, aber eindeutig in der Tradition der «Fackel» von Karl Kraus. So erschien sie auch unregelmässig, dünner oder dicker, je nachdem, wie’s dem Autor drum war.

Zu seinen Lebzeiten kämpfte Nettelbeck – auch da ähnlich wie Kraus – alle Versuche nieder, ihm den Markennamen wegzunehmen oder ihn zu kopieren. Womit wir wieder beim Nebelspalter wären.

Ein in Stein gemeisselter Markenkern

Der  ist – seit dem Hinschied von «Punch» – das älteste Satiremagazin der Welt. 1875 gegründet, hatte der Nebelspalter seine grosse Zeit in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts. Unter dem Langzeitchefredaktor Carl Böckli, der wie Wilhelm Busch sowohl als Zeichner wie als Texter herausragend begabt war, wurde der Nebi zur Institution. Schon 1933, ein Ehrenzeichen, wurde der Nebi im Deutschen Reich verboten.

Die Auflage stiegt in den 1970er-Jahren bis über 70’000 Exemplare, viele Karrieren von Karikaturisten oder Satirikern nahmen hier ihren Anfang oder fanden ihre Fortsetzung. Dann ging’s ziemlich steil bergab, bis auf heute noch knapp 18’000 Druckexemplare.

Nun ist jede Marke, vor allem eine so alte und ins Schweizer Bewusstsein eingebrannte Marke wie Nebelspalter, inhaltlich besetzt, geprägt, festgelegt. Erschwerend kommt noch hinzu – da er den Eintritt ins Internetzeitalter verpasst hat –, dass seine Leserschaft und auch die Kenntnis über ihn bei eher betagten Eidgenossen vorhanden ist. Jugendliche fragen höchstens ihre Eltern im Wartezimmer des Arztes, was denn das für ein Blatt sei.

Wofür steht der Nebi, was ist seine DNA?

Das Blatt steht für sanftere Satire als in «Titanic» oder dem auch verblichenen «Pardon», für schmunzelnde Ironie, für Karikaturen, Spottgedichte, Denkanstösse im Sinne Buschs. Wie es der bisherige Besitzer und neu Herausgeber Thomas Engeli formuliert, der Nebelspalter wisse um seine Wurzeln.

Ängste, «der Nebelspalter könnte den Weg des pointierten Witzes und der politischen unabhängigen Schlagkräftigkeit verlieren und zum Sprachrohr einer einseitigen politischen Ausrichtung mutieren», seien unangebracht.

Wie um Somms Willen kann man da auf die Idee kommen, aus dieser Traditionsmarke mit festgelegtem, in Stein gemeisseltem Inhalt etwas anderes zu machen, als der Nebi immer war und ist?

Das wäre ungefähr so, wie unter migros.ch eine Weinhandlung zu eröffnen. Coca-Cola.ch als Webseite für vegane Ernährung zu führen. Oder aus baz.ch einen Witz- und Cartoonauftritt zu machen. Oder aus saurer.ch eine Plattform für alternative Verkehrsformen und für Velotausch.

Gibt es denn Vergleichbares, abgesehen vielleicht von der «Weltwoche»?

Nun mögen sich wohl einige gesagt haben: Wieso, «Le Canard enchainé» war doch auch als Karikatur- und Blatt für sanfte Parodie gestartet, und heute ist er eines der führenden Investigativ-Magazine, deckt immer wieder im Alleingang grosse Skandale und Staatsaffären auf.

Zudem erfreut er sich einer gewissen Schrulligkeit; noch bis vor wenigen Jahren lieferte die Mehrheit der Redaktoren ihre Manuskripte handschriftlich ab; die fortschrittlichen benützten immerhin eine Schreibmaschine. Überhaupt nicht schrullig ist die prinzipielle Unabhängigkeit, das Verbot, auch für andere Medien tätig zu sein, der tiefe Preis von knapp zwei Franken – und der Besitz durch die Gründerfamilie und die Redaktion.

Dass als Notgroschen über 100 Millionen Euro bereitliegen, schadet auch nicht. Deshalb hat die «angekettete Ente» (was nichts mit Zeitungsente zu tun hat) von Anfang an bis heute auf Werbung verzichtet.

Hoffentlich wächst man an der Aufgabe

Das kann ja nicht im Ernst Vorbild für einen neuen Nebelspalter sein. Erschwerend kommt noch hinzu, dass alleine der Name Somm, plus die Namen einiger Investoren, mal wieder bei vielen potenziellen Lesern oder Mitarbeitern die Nackenhaare aufstellt und für Ausschlag sorgt.

Also kann man zusammenfassend nur sagen: Eine grössere Aufgabe mit mehr Ballast beim Start hätten sich Somm und seine Investoren nicht aufbürden können. Man wünscht, wie man das auch bei der «Republik» tat, viel Erfolg und alles Gute. Und dass mein Pessimismus hier – im Gegensatz zur «Republik» – eines Besseren belehrt wird.

2 Kommentare
  1. Alois Fischer
    Alois Fischer sagte:

    Zitat: «Das wäre ungefähr so, wie unter migros.ch eine Weinhandlung zu eröffnen. Coca-Cola.ch als Webseite für vegane Ernährung zu führen. Oder aus baz.ch einen Witz- und Cartoonauftritt zu machen. Oder aus saurer.ch eine Plattform für alternative Verkehrsformen und für Velotausch.»
    Das ist eine etwas gar engstirnige Auslegung von Fakten, aber umsonst hapert es eben nicht bei allen Medien.
    Das liegt wohl in der DNA (oder im Markenkern?) der von diesem Misthaufen angezogenen Fliegen.
    Nein, nicht die Konsumenten (Zielgruppen?) sind damit gemeint!
    All die halbgaren Studienabbrecher oder nicht Industrie- oder Banken-willigen Jobsucher, die Nostalgieträumer von eigenen herausragenden Aufsätzen (Lobbymeinung?) in einer glücklichen Schulzeit und natürlich all die Zwangslehrer einer total desinformierten Gesellschaft treffen sich hier gut und sehr gerne im wohligen Mainstream (Gesinnung? Programm? Mission?). Da braucht es nur noch die willigen Opfer solcher, von oben nach unten organisierter, Wendefantasien in allen Krisen und über jedem Misthaufen.
    Warum das Zitat? Es ist genau diese Denkweise, diese Arroganz und diese Fantasielosigkeit, die jeder Marketingprofi in- und auswendig kennt – oder zumindest selber erlebt haben sollte: Angeblich Unmögliches wird zum (hinterher ist man ja immer coronaschläuer?) Knüller oder zumindest zum vielbeachteten Reinfall. Aber es wird!
    Man nennt das auch unternehmerisches Risiko oder künstlerische Freiheit oder eine gute Idee. Also genau das, was in der momentan hochgejubelten Gesundheitskrise von Anfang bis heute erschreckenderweise fehlt.
    Das Grundrauschen angeblicher Krisenkommunikation wird beherrscht von Predigern, Besserwissern und Heuchler. Eitel, egoistisch und immer wissenschftsgläubig, wo dies wegen krass mangelhafter Methodik unangebracht wäre.
    Es sind hoffentlich wieder einmal Geistesblitze (Epilepsie?), Frechheiten und wirklich brauchbare Erkenntnisse, Warnungen und Leitlinien für eine leider auf reine Symptombekämpfung eingeschworene Gesellschaft zu erhoffen. Ich unterstütze Zackbum – aber nicht nur, es braucht noch viele Spielarten für manche Zielgruppen und noch mehr «gute Ideen» statt ängstlicher Stimmung.
    Gut so Herr Somm, ich bin neugierig.

    Antworten
  2. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Für Überraschungen ist Markus Somm immer gut, auch für Überredungskünste. In Basel ging das allerdings schief. Da wollte er die Basler ermutigen seine Zeitung zu abonnieren, Resultat bekannt, an die Wand gefahren, heute ist die BAZ eine Regionalzeitung von TAmedia. Es hätte es schon Gründe gegeben die BAZ zu abonnieren, die Vielfalt, das Liberale, alle kamen unter MS zu Wort. Gestörte und Ungestörte, Kompetente und Inkompetente, Hasser und Liebende, alles weg, heute ist die BAZ Einheitsbrei!

    Nun hat er Investoren gefunden die mit ihm den Nebelspalter gekauft haben. Da schon mal ein Tipp an die Print-Redaktion, sucht einen guten Karikaturisten der eine Zeichnung macht: Somm vor einem Grab, nebenan ein Sarg mit der Aufschrift «Nebelspalter», Somm schaut zum Himmel und sagt «Herr, auf mich ist Verlass!».

    Was will Somm? In einem Interview mit PERSÖNLICH schreibt er:

    «Publizistische Vorbilder sind etwa «Le Canard enchaîné» in Frankreich oder «Private Eye» in England. Das sind Formate zwischen Satire, Comedy, Humor und Cartoon, kombiniert mit seriösen Recherchen und Kommentaren».

    Den «Canard» als Vorbild? Da kündigt er schon sein Scheitern an und das Eingeständnis das ganze Projekt ist eher Luftschloss den überlegtes Projekt! Aber Investoren konnte er überzeugen und hat mit Konrad Hummler einen VRP gefunden der bekannt ist dass er eine heisse Kartoffel schnell fallen lässt, Somm sollte das wissen. Er wird auch JournalistenInnen finden, viele suchen einen Job und wenn es nur für ein paar Jahre ist. Was er nicht finden wird sind Leute die es mit einem «Canard» aufnehmen können, genügend Abonnenten die von seiner Idee begeistert sind und dafür bezahlen. Das ganze wird ein Flopp, der Nebel nicht gespalten. Zurück wird eine gute Idee bleiben die leider schlecht umgesetzt wurde!

    Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar zu Victor Brunner Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert