Die ungepflegte Langeweile

Was machen die Medien, wenn es nichts zu berichten gibt? Hektisch berichten.

Man muss dem unglaublichen Schlamassel in den USA für eines dankbar sein: Es hat temporär den Einheitschor «Corona, Corona, Corona» aufgebrochen. Allerdings wird der nicht durch Besseres ersetzt.

Auf Amerikanisch nennt man das einen klassischen Stand-off. Einen toten Punkt, ein Unentschieden, einen Stillstand. Früher standen sich so zwei Revolverhelden gegenüber. Regungslos. Wer zuerst mit der Wimper zuckt, zieht als Zweiter und verliert.

Die gleiche Situation herrscht in den USA seit der Schliessung der Wahlurnen. Und das ist schon ein ganzes Weilchen her. Das stürzt die Medien in eine immer grössere Verzweiflung. Was kann man berichten, wenn es nichts zu berichten gibt? Man aber für teures Geld ganze Teams ausgesandt hat, die aus Verzweiflung damit beginnen, jeden zu interviewen, der nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Trump sorgte mal wieder für Aufregung

Trump wusste, dass er kurzfristig für Aufregung sorgen kann, indem er sich vorzeitig zum Wahlsieger erklärt und fordert, dass man den Quatsch mit dem Stimmenauszählen nun lassen sollte; damit wolle man ihm bloss den sicheren Sieg entreissen.

Das löste dann eine Welle von Interviews mit Rechtsprofessoren aus, die je nach Position des Interviewers die Ankündigung Trumps, juristische Schritte zu unternehmen, als beispielslos, aussichtslos oder als Möglichkeit bezeichneten.

Einige Medien nahmen das zum Anlass, Trump genauso voreilig als schlechten Verlierer zu beschimpfen, der die Gerichte bemühen wolle, um ihnen die Entscheidung über demokratische Wahlen zu überlassen. Ungeheuerlich, unerhört, noch nie dagewesen.

Betrat aber kein Neuland

Etwas gewandtere Google-Rechercheure fanden immerhin heraus, dass Trump damit keineswegs Neuland betritt. Auch beim Duell zwischen Bush Jun. und Al Gore stoppte das Gericht schliesslich die Nachzählung der Nachzählung in Florida und erklärte Bush Jun. zum Sieger, obwohl höchstwahrscheinlich Gore gewonnen hätte, wäre die Nachzählung zu Ende geführt worden.

Aber Gore akzeptierte den Entscheid, was ihn nun möglicherweise von Trump unterscheidet. Das alles hilft aber den Berichterstattern auch nicht weiter. Sie können schliesslich nicht nichts sagen, auch wenn es nichts zum Sagen gibt. Als Pausenzeichen eignet sich vielleicht: «Es ist noch nicht entschieden», aber das ist leider so repetitiv wie «Klage eingereicht».

Der Chefredaktor klopft auf den Tisch

Was tun? Da klopft der Chefredaktor auf den Tisch und fordert: «Wir brauchen Sidelines, neue Perspektiven, andere Ansätze. Vorschläge?»

Allgemeines Geräusper, an die Decke starren, wichtig in den Laptop gucken. «Wir könnten mal wieder was machen, wieso sich die Prognostiker schon wieder verhauen haben.» Der Chefredaktor nickt matt: «Kein Brüller, aber machen.»

«Wir machen «die wichtigsten Fragen und Antworten», Service, Nutzwert.» Der Chefredaktor will nicken, aber es fällt ihm nur der Kopf auf die Brust. «Grauenvoll, aber machen», sagt er mit Grabesstimme.

«Wie wäre es mit einem Erklärstück, wieso doch immerhin fast die Hälfte der Amis Trump wiederwählen?» – «Und», giftet der Chefredaktor zurück, «was soll man da erklären, oberhalb von: weil sie hinterwäldlerische, rassistische Trottel sind?»

Wenn der Chefredaktor aufdreht

Inzwischen in Fahrt gekommen, poltert er weiter: «Und wenn ich nochmal die Headline sehe «Sieg in Griffweite», dann kriege ich einen Blutrausch. Das gilt übrigens auch für alle Titel, die beginnen mit «US-Experte erklärt», okay? Ach, und «Live-Ticker» für zu Tode wiederholte alte News, das schnallen wir uns auch ab. Das gilt übrigens auch für «So steht das Rennen aktuell». So, und bevor nun einer gewonnen hat, will ich auch keine x-te Wiederholung von Kommentaren sehen, wieso das ein fatales Signal sei, wieso das die US-Demokratie schädige, wieso Trump niemals Niederlagen eingestehen könne, und die ewigen Interviews mit Psychiatern, die sich an einer Ferndiagnose versuchen, hängen mir auch zum Hals raus.»

Der Chefredaktor hat geschlossen und sehnt sich nach einer Zigarette. Dürfte er sich eine anstecken, würde man das Knistern des Papiers hören, so totenstill ist es um ihn herum. Ein unterdrückter Rülsper schwebt durch den Raum, da hat mal wieder einer gestern zu tief ins Glas geschaut.

Schliesslich meldet sich notgedrungen der tagesverantwortliche Blattmacher: «Wenn das alles ein No-go ist, womit sollen wir dann bitte schön die morgige Ausgabe füllen? Und was stellen wir bis dorthin online?»

Es gibt doch noch so viele andere Themen

Der Chefredaktor bekommt seinen gefürchteten Blick; wenn man nicht alles selber macht … Er seufzt tief auf: «Ja Herrgottsack, es gibt doch noch so viele anderen Themen auf der Welt. Interviewt doch mal wieder Angehörige eines Corona-Toten. Oder einer einsamen Oma im Altersheim. Oder fragt den Fachmann, ob ein Mundschutz schädliche Auswirkungen auf Primarschüler hat.»

Inzwischen hat er seine Betriebstemperatur wieder erreicht: «Und wie ist es eigentlich beim Skifahren? Mit oder ohne? Beim Geschlechtsverkehr? Wie kann man sein Haustier schützen? Was darf man unter dem Weihnachtsbaum machen, und wie viele? Gibt es immer noch Maskenverweigerer? Ach, und Ihr Schnarchsäcke von der Bildredaktion: Fotogalerien. Welche Masken tragen Promis? Politiker? Unsere Cervelat-Prominenz? Wieso quatschen die SRF-Korrespondenten zum Teil mit Maske, zum Teil ohne? Gibt es da Regeln, Vorschriften, was sagt Wappler?»

Jetzt brauche ich dringend eine Zigarette, denkt der Chefredaktor und steht auf: «Helm auf. Nicht labern, sondern liefern. Ich will Lösungen, keine Probleme. Nächste Konferenz wie immer um 17 Uhr. Ich bin dann abwesend.»

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