Was ist älter?

Darum streiten sich Newsverbreiter und Prostituierte.

Allerdings war und ist der Unterschied häufig nur ein gradueller. Reisereportagen: Undenkbar ohne die Mitwirkung von Reisebüros, Fluglinien und Hotels. Und wenn der nette Herr von Autovermieter den Schlüssel für den Mietwagen vorbeibringt, dann wird er nicht einfach so im Artikel erwähnt.

Gleiches gilt auch für Autoberichte. Vielleicht wird gemäkelt, dass der Aschenbecher zu klein ausgefallen ist oder billiger Plastik verarbeitet wurde. Aber selbst solche angetäuschten Kritiken werden wieder eingefangen, indem als mildernder Umstand «in dieser Preisklasse» angeführt wird.

Wieso kommt einem vieles bekannt vor?

Gleiche gilt auch für Kosmetika. Was «Ihre Beauty-Redaktorin» absolut spitze findet, hat meistens nichts mit der Qualität des Produkts zu tun, sondern mit einem grösseren Inserat, das es bewirbt.

Wieso kommt Lesern von mehr als einer Tageszeitung vieles so bekannt vor? Ganz einfach, ihre Leibblätter haben alle die SDA verwendet, die einzig überlebende Schweizer Nachrichtenagentur. Oder aber, sie haben gleich den fertig angelieferten Pressetext der interessierten Firma übernommen.

Da immer mehr Journalisten ihr Heil in Corporate Communication oder in PR suchen, wissen sie ja, wie’s der Redaktor gerne mag. Und falls er nicht mag, wozu hat man die Telefonnummer des Chefredaktors.

Es braucht geschicktes Vorgehen

Dem muss man psychologisch geschickt klarmachen, dass für das Sponsoring des Wettbewerbs, für viele Leser-Blatt-Bindungsmassnahmen schon erwartet werden kann, dass Anliegen des Spenders nicht ignoriert werden. «Ohne mich in die unabhängige und nur nach professionellen Kriterien entscheidende Redaktionsarbeit einmischen möchte», so enden diese Telefonate meistens.

Beide Seiten kichern dann vor sich hin, nachdem sie den Hörer aufgelegt haben. Auch psychologisch geschickt, damit der Redaktor nicht «Zensur!» kräht, muss der Chefredaktor immer wieder missliebige Storys abschmettern. Am besten funktioniert das schon in der Themenkonferenz. «Das interessiert doch keinen, das verstehen unsere Leser nicht, das ist aber sehr einseitig, ich sehe da keine Story», das ist hier der Vierklang der Gründe.

Manchmal gibt es aber verstockte Redaktoren, die nicht einsehen wollen, wer denn eigentlich ihr üppiges Salär zahlt, und störrisch an ihrer Idee festhalten wollen. Das ist dann die Gelegenheit für den Chefredaktor, im Einzelabrieb etwas deutlicher zu werden. Oder aber, die Gelegenheit beim Schopf zu packen, um den schon etwas älteren Redaktor darüber zu informieren, dass leider alle den Gürtel enger schnallen müssen, und da fange man bei ihm an.

Nach der Entlassung ist vor der Mutrede

Nach einer Entlassung ergreift der Chefredaktor dann die nächste Sitzung als Gelegenheit, alle wieder darauf hinzuweisen, dass unter seiner Führung niemals andere als journalistische Kriterien angewendet werden: «Wir schreiben hier für unsere Leser, auch in schwierigen Zeiten.» Damit beendet er normalerweise seinen Kurzvortrag. Schaut sich danach aufmerksam um; wer grinst, wer nickt gläubig, wer tuschelt? Das notiert er sich, es wird seine Auswirkungen auf die Reihenfolge haben, wie Leute gefeuert werden.

Ebenso ist es eher selten, dass die Lifestyle-Redaktorin jemals ein anderes Kleid, ein anderes Produkt, einen anderen Trend anpreist, als die, mit denen sie die Inserateverkäufer gefüttert haben.

Targeting, Native Ad, Branded Content; wenn auch nur auf Englisch, immerhin sind die Verlage noch erfinderisch, wenn es um neue Namen für eine alte Sache geht. Auch das ist der Prostitution sehr ähnlich. Strassenstrich, Bordell. Pfui, warum nicht Escort Service, Traumlandschaft für erotische Fantasien?

Aufgetakelte Wörter, gleiche Handlungen

Aber mit viel Hirnschmalz aufgetakelte Wörter ändern nichts daran, dass es sowohl bei der Prostitution wie im Journalismus um das Gleiche geht: Mach die Beine breit, gibt dem Kunden das Gefühl, er sei der Allergrösste – und kassiere so diskret wie möglich.

Wenn ein Journalist mit ernstem Gesicht sagt: Niemals wurde ich zensiert, niemals wurde eine Storyidee aus windigen Gründen abgelehnt, dann lügt er so wie die Nutte, die ihrem Freier sagt: So schön wie mit dir war’s mit keinem, und was für ein Gemächt du hast.

1 Antwort
  1. Ralph Arn
    Ralph Arn sagte:

    Täusche ich mich, ob der Gefälligkeits-Journalismus im 21. Jahrhundert noch eine Spur raffinierter verpackt ist?

    Etliche Redaktionen haben nun ein Ressort «storytelling», wo Artikel von anderen Zeitungen neu aufbereitet werden. Oftmals werden nicht einmal die Quellen ihres Diebesgutes erwähnt……. Es ist auch die «freestyle-Abteilung, wo auch «branded content» neu fabuliert (erzählt) wird. Eine neue Form von journalistischer Hurerei.

    Vermute mal, dass das Geschäftsmodell der Konsumenten-Publikationen «Beobachter» und «Saldo» diesbezüglich viel vorsichtiger sein müssen. Womöglich die einzigen Medien, denen man Vertrauen schenken kann. Beim online-Portal comparis.ch allerdings hat man festgestellt, dass ihre Krankenkassen-Vergleiche kaum höheren und in der Tat unabhängigen Ansprüchen standhalten.

    Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar zu Ralph Arn Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert